17. September, nachmittags: Das Problem-Kapitel
Unser letzter Nachmittagdrive in Buffalo Springs beginnt fatal. Wir rollen gemütlich am Fluss entlang und halten an, weil Waterbucks die Piste queren wollen. So weit, so normal. Doch dann nimmt das Drama seinen Lauf. Rennen die Tiere mit voller Wucht in den Drahtzaun links neben uns. Prallen ab, verheddern sich, rappeln sich wieder auf und rasen erneut blindlings hinein in den für sie unsichtbaren Feind.
Im neige nicht zur Hysterie. Doch nun bin ich hysterisch. Kann Schreie nicht unterdrücken, will den Zaun niederzureißen. Darf das natürlich nicht. Sitze ohnmächtig im Auto und muss mit ansehen, was kaum zu ertragen ist. Die Tiere gucken verständnislos, rennen immer wieder an. Sie werden sich die Beine brechen. Denke ich, und dass das nicht passiert - zumindest nicht jetzt - ist pures Glück. Auch Livingstone ist fassungslos, hat so etwas noch nie erlebt.
Einige wurschteln sich wie durch ein Wunder zwischen den Drähten hindurch. Natürlich wollen sie dorthin, das wertvolle Gras steht auf dem abgeschotteten Terrain viel höher. Am Morgen hatte ich vom anderen Ufer aus beobachtet, wie eine der Antilopen innerhalb der Umzäunung auf und ab lief. Und mich gewundert, wie das geht. Nun also die Erklärung. Sie ist schrecklich.
Den neuen Zaun, den auch Livingstone noch nicht kannte, hatten wir bereits am ersten Tag entdeckt. Unser Guide hat sich erkundigt und klärt uns nun auf: Ausgerechnet das Ashnil Camp - also unsere Unterkunft - baut hier nach mehreren Überflutungen unten am Fluss in exponierter Lage neu; ohne allerdings das alte Gelände aufzugeben. Die künftigen Gäste werden fraglos einen herausragenden Blick haben. Allen anderen wird die Aussicht verschandelt.
Million Dollar View, leider nun rechts mit Zaun. Und künftig dann auch mit Gebäuden, das erste ist schon in Arbeit.
Der Zaun verkleinert zudem das ohnehin übersichtliche Reservat weiter und verstellt die gewohnten Lauf- und Fluchtwege der Antilopen. Ich möchte solch umzäunte Camps künftig meiden, wann immer es geht. Das nehme ich mir fest vor.
Wir reden viel an diesem Nachmittag, sind alle mitgenommen. Das friedliche Miteinander der Paviane beruhigt die Nerven.
Einer der Affen klettert behände die turmhohen Palmen hinauf, lässt Früchte für den Rest der Familie regnen...
...und macht es sich dann selbst in luftiger Höhe bequem.
Ein breiter, quer liegender Baumstamm ist die perfekte Spielwiese für die wilden Teenager. Hier ist die Welt noch in Ordnung,...
...und wir verbringen viel Zeit bei ihnen.
Livingstone rumpelt am Fluss entlang, immer weiter, über Wege, die kaum noch zu erkennen sind. Hier war sehr lange kein Auto mehr.
Landschaftlich ist es wieder eine schöne Tour. Doch die Tiere machen sich insgesamt eher rar.
Zumindest die, die man erwarten würde. Denn in der Uferböschung entdecken wir keine Elefanten oder Zebras, sondern Kamele. Der dazugehörige Somali mag nur widerwillig glauben, dass wir einen Reiher fotografieren. Er will Geld. Ich Raum für wilde Tiere. Nur mühsam halte ich mein großes Mundwerk im Zaum.
Dann auch noch Ziegen kurz vor dem Camp. Sie müssten am Abend längst weg sein, bleiben aber bestimmt über Nacht. "This is too much", findet auch Livingstone.
Beweisbild, buchstäblich. Dies ist eindeutig kein Kamel, sondern ein Reiher in schlechtem Licht...
Grob geschildert ist die Lage wohl so: Samburu und Buffalo Springs sind keine Nationalparks, sondern - ebenso wie die Masai Mara - Nationalreservate, die nach bestimmten Regeln von den Einheimischen genutzt werden können. So darf das Vieh zwar am Fluss getränkt werden, aber nur über bestimmte Korridore dorthin gelangen (s. Karte von Robin) und muss auch zeitnah wieder aus dem geschützten Gebiet heraus. Die Realität sieht leider anders aus. Wegen der Dürre, wegen Corona, wegen des eingeschränkten Tourismus.
Im September waren in Samburu und Buffalo Springs gerade einmal drei Camps in Betrieb. Der Rest pleite, von der Flut oder während der Corona-Zwangspause durch Vandalismus zerstört und oft mit ungewisser Zukunft. Weniger Touristen bedeuten allerdings weniger Abgaben an die Einheimischen, die monetär beteiligt sind. Das Interesse am Tourismus und Regeltreue schwinden daher in dem Maße, wie die Anzahl von Vieh im Reservat wächst. Was wiederum weniger Touristen bedeutet. Ein verhängnisvoller Teufelskreis.
Mittlerweile, so berichten uns Livingstone und Camp-Mitarbeiter, ist praktisch jede Ordnung außer Kraft gesetzt, weil sich auch kaum mehr jemand für die Belange der Wildtiere einsetzt. Die Vieherden der Ranger weiden ebenso innerhalb des Nationalreservats wie die der Politiker und Reichen, die sich sogar wertvolle Kamele leisten können. Die Lösung? Vor allem Regen. In Zeiten des Klimawandels leider ebenfalls zunehmend ein Problem.
All das geht uns durch den Kopf und diskutieren wir, als wir an unserem letzten Abend im Ashnil Samburu Camp beim Essen sitzen. Nur vage registrieren wir Gesangsproben in der benachbarten Küche. Und sind starr vor Schreck, als die Küchentür aufschwingt und die versammelte Belegschaft "Jambo Bwana" schmettert. Wir sind nicht gerade große Fans folkloristischer Einlagen und versuchen sie zu meiden. Anders als die Spanierinnen, die ganz aus dem Häuschen sind. Wahrscheinlich, so denke ich mir, wird aus einer der "Happy 50's" eine "Happy 60's".
Falsch gedacht. Denn die Polonaise zieht an allen anderen vorbei und hält direkt an unserem Tisch, den nun eine Torte ziert. "Thank you Bettina", steht dick in Sahne darauf. Hä???? Wir schauen uns verdattert an. Dann eine Rede: "Diese beiden haben keinen Hochzeitstag oder Geburtstag. Aber sie waren fünf Tage unsere Gäste und sind uns sehr ans Herz gewachsen. Wir sind stolz und dankbar. Bitte kehrt eines Tages zurück. Wir brauchen euch!" Mannomann. Ich bin zu Tränen gerührt. Thomas wischt sich die Augen. Das sehe ich genau.
Nun kommt auch noch der Manager, wir sehen ihn zum ersten Mal. Erfahren viel über die Sorgen, Probleme und Pläne, er fragt nach unseren Eindrücken und möglichen Verbesserungen. Ich überlege kurz. Schildere ihm die Szenen am Zaun, die Nöte der Tiere und auch unsere. Unseren Schock. Natürlich ist nicht unbedingt wahrscheinlich, dass es etwas ändert. Aber einen Versuch ist es wert.