THEMA: Kenia 2021: Die Entdeckung der Langsamkeit
01 Jan 2022 16:06 #633550
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  • Beatnick am 01 Jan 2022 16:06
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17. September, nachmittags: Das Problem-Kapitel

Unser letzter Nachmittagdrive in Buffalo Springs beginnt fatal. Wir rollen gemütlich am Fluss entlang und halten an, weil Waterbucks die Piste queren wollen. So weit, so normal. Doch dann nimmt das Drama seinen Lauf. Rennen die Tiere mit voller Wucht in den Drahtzaun links neben uns. Prallen ab, verheddern sich, rappeln sich wieder auf und rasen erneut blindlings hinein in den für sie unsichtbaren Feind.

Im neige nicht zur Hysterie. Doch nun bin ich hysterisch. Kann Schreie nicht unterdrücken, will den Zaun niederzureißen. Darf das natürlich nicht. Sitze ohnmächtig im Auto und muss mit ansehen, was kaum zu ertragen ist. Die Tiere gucken verständnislos, rennen immer wieder an. Sie werden sich die Beine brechen. Denke ich, und dass das nicht passiert - zumindest nicht jetzt - ist pures Glück. Auch Livingstone ist fassungslos, hat so etwas noch nie erlebt.

Einige wurschteln sich wie durch ein Wunder zwischen den Drähten hindurch. Natürlich wollen sie dorthin, das wertvolle Gras steht auf dem abgeschotteten Terrain viel höher. Am Morgen hatte ich vom anderen Ufer aus beobachtet, wie eine der Antilopen innerhalb der Umzäunung auf und ab lief. Und mich gewundert, wie das geht. Nun also die Erklärung. Sie ist schrecklich.

Den neuen Zaun, den auch Livingstone noch nicht kannte, hatten wir bereits am ersten Tag entdeckt. Unser Guide hat sich erkundigt und klärt uns nun auf: Ausgerechnet das Ashnil Camp - also unsere Unterkunft - baut hier nach mehreren Überflutungen unten am Fluss in exponierter Lage neu; ohne allerdings das alte Gelände aufzugeben. Die künftigen Gäste werden fraglos einen herausragenden Blick haben. Allen anderen wird die Aussicht verschandelt.

Million Dollar View, leider nun rechts mit Zaun. Und künftig dann auch mit Gebäuden, das erste ist schon in Arbeit.


Der Zaun verkleinert zudem das ohnehin übersichtliche Reservat weiter und verstellt die gewohnten Lauf- und Fluchtwege der Antilopen. Ich möchte solch umzäunte Camps künftig meiden, wann immer es geht. Das nehme ich mir fest vor.

Wir reden viel an diesem Nachmittag, sind alle mitgenommen. Das friedliche Miteinander der Paviane beruhigt die Nerven.





Einer der Affen klettert behände die turmhohen Palmen hinauf, lässt Früchte für den Rest der Familie regnen...



...und macht es sich dann selbst in luftiger Höhe bequem.



Ein breiter, quer liegender Baumstamm ist die perfekte Spielwiese für die wilden Teenager. Hier ist die Welt noch in Ordnung,...







...und wir verbringen viel Zeit bei ihnen.



Livingstone rumpelt am Fluss entlang, immer weiter, über Wege, die kaum noch zu erkennen sind. Hier war sehr lange kein Auto mehr.









Landschaftlich ist es wieder eine schöne Tour. Doch die Tiere machen sich insgesamt eher rar.







Zumindest die, die man erwarten würde. Denn in der Uferböschung entdecken wir keine Elefanten oder Zebras, sondern Kamele. Der dazugehörige Somali mag nur widerwillig glauben, dass wir einen Reiher fotografieren. Er will Geld. Ich Raum für wilde Tiere. Nur mühsam halte ich mein großes Mundwerk im Zaum.

Dann auch noch Ziegen kurz vor dem Camp. Sie müssten am Abend längst weg sein, bleiben aber bestimmt über Nacht. "This is too much", findet auch Livingstone.

Beweisbild, buchstäblich. Dies ist eindeutig kein Kamel, sondern ein Reiher in schlechtem Licht...


Grob geschildert ist die Lage wohl so: Samburu und Buffalo Springs sind keine Nationalparks, sondern - ebenso wie die Masai Mara - Nationalreservate, die nach bestimmten Regeln von den Einheimischen genutzt werden können. So darf das Vieh zwar am Fluss getränkt werden, aber nur über bestimmte Korridore dorthin gelangen (s. Karte von Robin) und muss auch zeitnah wieder aus dem geschützten Gebiet heraus. Die Realität sieht leider anders aus. Wegen der Dürre, wegen Corona, wegen des eingeschränkten Tourismus.

Im September waren in Samburu und Buffalo Springs gerade einmal drei Camps in Betrieb. Der Rest pleite, von der Flut oder während der Corona-Zwangspause durch Vandalismus zerstört und oft mit ungewisser Zukunft. Weniger Touristen bedeuten allerdings weniger Abgaben an die Einheimischen, die monetär beteiligt sind. Das Interesse am Tourismus und Regeltreue schwinden daher in dem Maße, wie die Anzahl von Vieh im Reservat wächst. Was wiederum weniger Touristen bedeutet. Ein verhängnisvoller Teufelskreis.

Mittlerweile, so berichten uns Livingstone und Camp-Mitarbeiter, ist praktisch jede Ordnung außer Kraft gesetzt, weil sich auch kaum mehr jemand für die Belange der Wildtiere einsetzt. Die Vieherden der Ranger weiden ebenso innerhalb des Nationalreservats wie die der Politiker und Reichen, die sich sogar wertvolle Kamele leisten können. Die Lösung? Vor allem Regen. In Zeiten des Klimawandels leider ebenfalls zunehmend ein Problem.

All das geht uns durch den Kopf und diskutieren wir, als wir an unserem letzten Abend im Ashnil Samburu Camp beim Essen sitzen. Nur vage registrieren wir Gesangsproben in der benachbarten Küche. Und sind starr vor Schreck, als die Küchentür aufschwingt und die versammelte Belegschaft "Jambo Bwana" schmettert. Wir sind nicht gerade große Fans folkloristischer Einlagen und versuchen sie zu meiden. Anders als die Spanierinnen, die ganz aus dem Häuschen sind. Wahrscheinlich, so denke ich mir, wird aus einer der "Happy 50's" eine "Happy 60's".

Falsch gedacht. Denn die Polonaise zieht an allen anderen vorbei und hält direkt an unserem Tisch, den nun eine Torte ziert. "Thank you Bettina", steht dick in Sahne darauf. Hä???? Wir schauen uns verdattert an. Dann eine Rede: "Diese beiden haben keinen Hochzeitstag oder Geburtstag. Aber sie waren fünf Tage unsere Gäste und sind uns sehr ans Herz gewachsen. Wir sind stolz und dankbar. Bitte kehrt eines Tages zurück. Wir brauchen euch!" Mannomann. Ich bin zu Tränen gerührt. Thomas wischt sich die Augen. Das sehe ich genau.

Nun kommt auch noch der Manager, wir sehen ihn zum ersten Mal. Erfahren viel über die Sorgen, Probleme und Pläne, er fragt nach unseren Eindrücken und möglichen Verbesserungen. Ich überlege kurz. Schildere ihm die Szenen am Zaun, die Nöte der Tiere und auch unsere. Unseren Schock. Natürlich ist nicht unbedingt wahrscheinlich, dass es etwas ändert. Aber einen Versuch ist es wert.
Letzte Änderung: 02 Jan 2022 10:04 von Beatnick.
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01 Jan 2022 18:01 #633555
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  • BMW am 01 Jan 2022 18:01
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Guten Abend Bettina....

ein " freieres " 2022 wünschen wir uns alle....Dir/Euch sowiso...... :)

Regeln für National Reserve ....da stossen zwei Welten aufeinander mit Konfliktpotential.....klar.....

Wenn Du morgens aus einem Camp in der MARA startest und als erstes von Massais bewachte Viehherden

siehst, dann fällt Dir die Kinnlade runter , denn diese Umgebung meidet das Wild und Du kannst den Foto

gleich einpacken.........so mehrfach in der Umgebung des Ol Kiombo Airstrips erlebt, und der liegt beileibe nicht

irgendwo am Rande......

LG.......................BMW
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01 Jan 2022 23:59 #633563
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  • tina76 am 01 Jan 2022 23:59
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Liebe Betti,

ich wünsche Euch und den anderen hier Mitlesenden ebenfalls ein glückliches und gesundes neues Jahr!
Hoffentlich für alle mit vielen Reisen auf den gemeinsamen Traumkontinent Afrika! Denn jede Reise dorthin ist auch wichtig um in diesen schwierigen Zeiten die Menschen vor Ort zu unterstützen, die vom Tourismus leben. Und natürlich die Parks und Tiere dort in ihrer Schönheit zu erhalten.
In Uganda letzten Februar erzählte mir mein Guide, dass seit Corona-Beginn das Problem mit der Wilderei deutlich zugenommen hat. Und tatsächlich sind uns direkt vorm Murchison Falls Nationalpark Wilderer mit erbeuteten Antilopen über der Schulter auf der Straße begegnet. Sie sind so schnell in den Busch geflüchtet, wie sie aufgetaucht waren. Einfach nur traurig. Mein Guide hat sich furchtbar aufgeregt.
Und sich gleichzeitig herzlich bei mir bedankt, dass ich trotz der Corona-Stuation gekommen bin. Er hätte nur noch selten Aufträge derzeit und muss sich nebenher mit Hilfsjobs über Wasser halten.
Da ist es in Samburu/Buffalo Springs sicherlich ähnlich, wenn man sich schon so überschwenglich von der Lodge aus bei Euch bedankt hat. Die Dürre macht es ja leider auch nicht besser. Ich hoffe sehr, dass Regen dort bald eine Erlösung bringt.

Vielen Dank ansonsten wegen der Infos zu Eurem Equipment. Da seid Ihr ja bestens für weitere Touren gerüstet.

Liebe Grüße und viel Vorfreude auf die anstehende nächste Reise.
Tina
Uganda 2022 - Ohne Gorillas aber mit Chamäleons
www.namibia-forum.ch...mit-chamaeleons.html

Costa Rica 23: Von Regenwaldfieber bis Tapir-Suche
www.namibia-forum.ch...bis-tapir-suche.html
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02 Jan 2022 03:51 #633565
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  • Sadie am 02 Jan 2022 03:51
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Ach ihr armen…sowas zu sehen und dann machtlos daneben sitzen muss schon fürchterlich für euch alle gewesen sein. Sowas würde mich sehr beschäftigen und wütend machen, da ja Menschen für die Qual der Tiere verantwortlich sind. Das hat mich an das Buch The Cry of the Kalahari erinnert als Marc Owen dem Belgischen König die Zäune vom Flieger aus gezeigt hat und wie dort tausende von Gnus verreckten. Grausam… auch bei uns, vor allem im Westen der USA, stellen Zäune auch eine riesiges Problem für die Bewegungsfreiheit der Tiere dar…Es ist halt nimmer wie früher als es weniger Menschen und keine Autos gab…
Du fragst wegen einer Mara Karte und ich habe nun meine abgeclickt. Hoffe die geben allen Leser eine Vorstellung was wo ist.
Hmm ich merke gerade dass die Resolution der Karten nicht so herüber kommt wie auf dem iPhone und man sie nur schlecht bei Vergrößerung lesen kann. Da weiß ich nun nicht weiter…
Ein gutes Neues Jahr euch allen! Katrin



If life is a journey be sure to take the scenic road!

Expedition Antarktis:
www.namibia-forum.ch...s-und-s-georgia.html

Island In Herbstfarben
www.namibia-forum.ch...-september-2018.html


Nordamerikanische Safari und Landschaften May Till October 2019

www.namibia-forum.ch...landschaft-2019.html

Zweite Selbst Fahrer Tour in Tansania. Same same but different.
Juni 2018
www.namibia-forum.ch...e-but-different.html

Trip reports in English:

Namibia and KTP 2016
safaritalk.net/topic...-tr-nam-sa-bots-nam/

Botswana 2016:
safaritalk.net/topic...fari-tr-bots-nam-sa/

Tanzania 2015:
safaritalk.net/topic...s-and-lions-in-camp/

Nam-SA-Bots 2014:
safaritalk.net/topic...ca-and-namibiab/page
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02 Jan 2022 08:33 #633572
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Liebe Bettina

Ganz herzlichen Dank für deinen tollen Reisebericht! Ich lese ihn mit grosser Spannung.

Wir waren kurz vor euch im Samburu/Buffalo Springs. Ich denke, dass wir den gleichen kleinen Babyelefanten mit den rosa Öhrchen gesehen haben. :woohoo: Meine Fotos (unbedingt grösser ansehen wegen der rosa Öhrchen) sind vom 6.09.2021 und die Herde kam abends vom Fluss zurück.

Das was du berichtet hast mit dem Zaun hat mich sehr schockiert. Wir wollten eigentlich das nächste Mal in der Ashnil Lodge übernachten, das müssen wir sicher nochmals überdenken.

Liebe Grüsse
Ilona
Anhang:
Letzte Änderung: 02 Jan 2022 08:34 von tigine07.
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02 Jan 2022 10:08 #633581
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  • Reinhard1951 am 02 Jan 2022 10:08
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Hallo Bettina,
diesmal hätte ich deinen Bericht doch fast verpasst.
Bin sehr gern wieder mit dabei. :)
Gruß
Reinhard
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