Kapstadt, Teil II - Der Tafelberg
Der Tafelberg und wir waren bislang noch nie so recht zusammengekommen. Natürlich hatten wir ihn von unten ausgiebig bewundert. Aber wir wollten auch rauf. Am liebsten per pedes, aber 2012 war der kränkelnde Thomas dafür nicht zu gebrauchen und für die Gondel blies tagelang der Wind zu stark - sie fuhr nicht. Als es dann am Tag unserer Weiterreise endlich windstill war und Thomas wieder auf den Beinen, wollten wir nach einem frühen Frühstück noch mal eben da rauf. Eine durchweg naive Vorstellung. Als wir um 8 Uhr die Straße zur Gondel hochrollten, reihte sich am Rand bereits Auto an Auto, und die Schlange für die Gondelfahrt ohne vorherige Ticketreservierung zeigte eine Wartezeit von schlappen drei Stunden an. Damit hatte sich der Fall erledigt.
Tafelberg mit V&A Waterfront 2012
Für die angepeilte Tour 2021 hatten wir gemeinsam mit den franzickes schon einen Plan mitsamt Route auf einen der ältesten Berge der Welt ausgeheckt, doch dann konnten wir die Reise wegen der Pandemie-Bestimmungen nicht antreten und Ingrid und ihr Ranger stiefelten ohne uns hoch. Beide bestätigten aber die gute Wahl der Guides, mit denen sie das Ganze angegangen waren, und so griffen auch wir auf die Agentur "like2hike" zurück.
Wir hatten dem kleinen Unternehmen zwei Termine zur Auswahl gegeben und die Wahl war nun auf diesen (letztmöglichen) Tag gefallen, weil die Wetterprognose vielversprechend ausgesehen hatte. Doch der Sturm in der Nacht sprach eine andere Sprache, und so sah es zwischenzeitlich leider ganz danach aus, als würden der Tafelberg und wir auch diesmal wieder getrennte Wege gehen.
Als der Wecker um 5.15 Uhr klingelte, peitschte die Palme neben unserem Balkon noch verdächtig heftig hin und her. Um 6 Uhr bewegten sich nur noch leise die Palmwedel. Und als wir um 6.30 Uhr wie vereinbart unsere Guides Rita und Christoph an der Cable Car Talstation trafen, wehte nicht mehr das leiseste Lüftchen. Wir konnten es kaum glauben. Auch Rita nicht, die - wie sie mir später gestand - eine fast schlaflose Nacht verbracht hatte vor Sorge, der Trip könne nicht stattfinden. Sie und Christoph, eigentlich Berufsmusiker und seit 2018 auch professionelle Bergführer, hatten zuletzt Pech gehabt mit vielen Ausfällen und kurzfristigen Absagen, vor allem Corona-bedingt.
Wir hatten unser Schicksal bei der Wahl des Tracks in die Hände unserer Guides gelegt, vorab auf Nachfrage ein paar Informationen zu eventuellen Wünschen (schöne Aussicht), Fitnesszustand, Schwindelfreiheit (beides okay) und Klettererfahrung (keine) durchgegeben.
Versper mit Rita - und einem gigantischen Ausblick
Bevor wir losliefen, informierte uns Christoph noch flugs und der Form halber über das korrekte Verhalten bei einem Überfall; nämlich ggf. bereitwillig alle Habseligkeiten herzugeben und sich keinesfalls zu wehren. Mir fehlte indes die Phantasie mir vorzustellen, dass Thomas seine Kamera so mir nichts, dir nichts herausrücken würde, und ein Blick auf seine missbilligend gerunzelte Stirn bestätigte das nur. Ich seufzte. Es blieb also nur zu hoffen, dass dieser (unwahrscheinliche) Fall nicht eintreten würde, und dann ging es auch schon los.
Direkt neben der Talstation stiegen wir in den India-Venster-Trail ein. Der Name sagte uns natürlich nichts, aber auf einem Pfad unter der Gondel entlang ging es ohne große Umschweife steil bergauf. Von 0 auf 100, ich kam ganz schön ins Schnaufen, aber war der Puls erst einmal oben, lief es sich ganz gut.
Es war ein herrlicher Morgen, mild und mit strahlendem Sonnenschein, und ich war glücklich. Wenn auch körperlich zu beansprucht, um mich mit Rita zu unterhalten, die perfekt Deutsch spricht und mir auf Anhieb sympathisch war. Christoph als Anführer unseres Quartetts ließ uns regelmäßig bei kleineren Stopps zu Atem kommen und erzählte viel über Kapstadt und die vielfältige Pflanzenwelt am Tafelberg, die uns auch wirklich beeindruckte. Ebenso wie die vielen Sunbirds, die uns umschwirrten. Für einen Moment bedauerten wir, aus Gewichtsgründen kein Tele eingepackt zu haben, doch es war eine goldrichtige Entscheidung. Das war relativ schnell und zweifelsfrei klar.
Denn der Weg wurde zusehends anspruchsvoller, schon mussten wir öfter die Hände zu Hilfe nehmen. Drehten wir uns um oder machten eine Pause, eröffneten sich überragende Aussichten über die Stadt und das Meer. Ich war so richtig in meinem Element.
Bei einige Passagen mussten wir richtig klettern, was unter der Anleitung von Rita und Christoph gut gelang und vor allem Riesenspaß machte. Hätte mir jemand im Vorfeld detailliert beschrieben, wie die Route beschaffen sein würde, hätte ich wahrscheinlich dankend abgelehnt. Nun aber hatten wir Freude daran, uns Meter um Meter nach oben zu schieben und selbst zu überraschen. Ohne die beiden hätten wir es allerdings sicher nicht geschafft - und richtigerweise auch gar nicht erst versucht oder zumindest zeitnah abgebrochen.
Schon relativ weit oben führte uns Christoph schließlich um einen Felsvorsprung herum. Wir ließen die Beine baumeln und plünderten die Frühstücksboxen, die uns das Derwent House mitgegeben hatte. Rita und Christoph hatten zudem Humus, Brot und einen Fruchtsalat für uns alle dabei und so schlemmten wir nach Herzenslust - und mit einer One Million Dollar View.
Zurück auf dem Trail machte der Weg einen Schlenker in Richtung Camps Bay. Links von uns die dramatischen, glatten Wände des Tafelbergs, rechts wieder neue spektakuläre Aussichten.
Und eine Pflanzenpracht, die wir inmitten dieser scheinbar unwirtlichen felsigen Landschaft nicht erwartet hatten.
Doch entgegen unserer sonstigen Gewohnheiten holten wir die Kameras kaum einmal aus dem Rucksack heraus und begnügten uns mit Handybildern, die Rita und Christoph netterweise von uns machten. Ein Service der beiden, den wir gerne nutzten, denn wir hatten keinen Sinn dafür und nicht nur sprichwörtlich alle Hände voll zu tun.
So langsam verließen uns die Kräfte, eine andere Gruppe überholte uns. "It needs to get done now", ächzte eine Britin in meinem Alter, ich musste lachen, aber sie sprach mir aus der Seele. Und dann, nach vier Stunden, war es vollbracht. Ein letzter Schritt, und wir standen auf der Spitze des Tafelberges. Erschöpft, aber auch stolz. Gemessen an unserer (ausbaufähigen) Fitness und Unerfahrenheit beim Klettern hatten wir uns gut geschlagen.
Bescheinigten uns auch Rita und Christoph, die sich hier oben von uns verabschiedeten und in Richtung Seilbahn stapften. Wir hatten die Zeit mit ihnen sehr genossen und uns durchgängig gut aufgehoben gefühlt. Wir wanderten noch ein wenig über das riesige, drei Kilometer breite Plateau und blickten in alle Richtungen, die vielen Menschen waren nach der relativen Einsamkeit auf dem Track ein kleiner Schock. Trotzdem war es schön dort oben, und zu entdecken gab es auch eine Menge.
Wir hofften mit der Gondel zurückfahren zu können, ich konnte mir kaum vorstellen, auch wieder herunterzulaufen - und wenn, dann auf einem deutlich leichteren Weg. Für mittags war wieder mehr Wind angekündigt worden, doch er blieb aus, und die Seilbahn fuhr (bevor sie ihre Tätigkeit einstellt, wird dreimal ein Signal gegeben, und dann heißt es sich sputen). Es dauerte eine Weile, bis wir in der Gondel waren, die Warteschlange war lang. Einmal drin, schwebten wir binnen sechs Minuten nach unten. Auch spektakulär, aber kein Vergleich zu unserem Wandererlebnis.
Unten angelangt gingen wir zum Auto, das wir am frühen Morgen noch direkt an der Talstation hatten abstellen können. Nun herrschte Verkehrschaos und jede noch so kleine Lücke war zugeparkt.
Zurück beim Derwent House gaben wir uns spontan den Nachmittag frei und streckten am Pool alle Viere von uns. Am Abend bekochten uns Ingrid und Helmut, sie freuten sich über unsere gelungene Tour und feierten den Gipfelsturm
mit uns. Schon wieder so ein perfekter Abschluss eines wunderschönen Tages.
Unser Fazit zum Aufstieg über den India-Venster-Trail: Ein relativ kurzer und direkter, aber keineswegs leichter Weg. Großer Unterhaltungswert, sehr abwechslungsreich und unbedingt lohnenswert, aber für nicht klettererfahrene Wanderer wie uns auch anspruchsvoll. Mit einer guten Fitness und unter professioneller Anleitung aber gut machbar. Schwindelfreiheit hilft, wirklich exponiert ist man aber nicht, wenn man nicht will. Sicherung ist nicht nötig, streckenweise sind Leitern und Ketten als Kletterhilfen vorhanden. Die Ausblicke sind fantastisch. Ein ebenso spannender wie schöner Trail. Es gibt aber auch jede Menge Alternativen, wie zum Beispiel den Kasteelspoort Trail (den glaube ich die franzickes gewandert sind). Und wer weiß: Vielleicht machen wir den auch nochmal.
Kleiner Überblick über ausgewählte Routen:
like2hike.capetown/d...elberg-wanderrouten/