Vögel, Vögel und nochmals Vögel
Die Sterne waren in der Nacht glücklicherweise nicht dauerhaft von einem schwarzen Loch, sondern nur vorübergehend von Nebel verschluckt worden. Beim morgendlichen Blick aus dem Fenster war ich dennoch betrübt wegen der trüben Aussichten. Auch das Meer hatte sich in der Suppe verflüchtigt. Irgendwo da vorne musste es sein...
Aber nutzte ja nichts, wir standen trotzdem wie geplant mit den Hühnern auf - oder vielmehr mit den Kaptölpeln, derentwegen wir gekommen waren. Im Frühstücksraum waren wir die ersten Gäste und nach einem ordentlichen Rührei startklar. Wir fröstelten, als wir das Haus verließen. Nordseewetter. Swakop-Wetter. Oder beides. Kapuzenpulli, Jacke, Tuch für den Hals, hatten wir alles dabei und brauchten wir auch.
Lamberts Bay schön zu nennen, wäre die Übertreibung des Jahreshunderts. Der Nebel polierte den eher tristen Eindruck nicht gerade auf. Wir parkten direkt in der Hafenbucht, das Kassenhäuschen hatte schon geöffnet und wir zahlten gerade einmal 40 Rand (mittlerweile 50), etwas mehr als zwei Euro. Also fast nichts. Dafür bekommt man in unseren Augen eine Menge geboten.
Früher war Bird Island genau das: eine kleine Insel und nur bei Ebbe zu Fuß zu erreichen. Heute ist sie durch einen Wellenbrecherdamm mit dem Festland verbunden. Das ist zwar praktisch, aber auch zuweilen ein Problem, wenn sich Katzen oder andere Räuber den Laufsteg zunutze machen und in der Vogelkolonie auf Beutezug gehen.
Schon auf dem kurzen Weg hinüber wurden wir von Eindrücken fast erschlagen. Die Vögel waren überall. Flogen über und neben uns und veranstalteten ein Heidenspektakel. Dazu der strenge Geruch nach Guano - ich kam sensorisch kaum hinterher.
In den Felsen saßen Seeschwalben, common terns und die größeren, streng blickenden Greater crested terns. Die hatten wir vor allem in dieser Vielzahl auch noch nicht gesehen, und wir freuten uns jedes Mal, wenn sie in großen Scharen aufflogen.
Einen Überblick über die winzige Insel hatten wir uns schnell verschafft. Einst gab es hier auch Brillenpinguine, doch das ist lange vorbei. Sie sollen zwar nicht wieder angesiedelt, aber in einer geplanten Station auf der Insel bei Bedarf aufgepäppelt werden, erzählte uns die nette Dame an der Kasse - irgendwann. Wir meinten Hoffnung in ihrer Stimme zu hören, aber auch Zweifel. Das Örtchen schwimmt nicht gerade im Geld.
Wir gingen zum kleinen Beobachtungsturm und stiegen in den ersten Stock hinauf. Von dort hat man einen freien Blick über die Kolonie. Wow! Hinten auf den Felsen saßen lauter Robben, im Nebel kaum zu erkennen.
Wir hofften, dass sich der Vorhang lichten würde und fotografierten uns erst einmal warm. Buchstäblich, denn es war kalt und zugig - und alles andere als leicht, die Vögel im Flug zu erwischen, die einer nach dem anderen an uns vorbeischossen und ihre riskanten Manöver flogen.
Die Zeit verrann, wir bemerkten es kaum, und bekamen Gesellschaft von weiteren Hobby-Fotografen. Eine nette kleine Runde, wir erhielten Reisetipps und Einblicke ins Leben an der Atlantikküste, alles sehr interessant. Ein Fotograf aus Kapstadt, der wegen der Vögel regelmäßig nach Lamberts Bay kommt, berichtete uns vom schleichenden Niedergang der Kleinstadt mit ihrem einst bedeutenden Fischereihafen, den er seit Jahrzehnten beobachtet. Mit dem Fischfang ist in Zeiten weltweiter Überfischung kein Reibach mehr zu machen.
Wir mochten das ungeschminkte Lamberts Bay mit seinem rauen Westküsten-Charme und hoffen das Beste für seine Bewohner. Und auch für die Vogelkolonie, deren Schicksal mit dem der Ortschaft verknüpft sein dürfte.
Im Laufe des Vormittags lichtete sich der Nebel und es wurde heller, das freute uns sehr. 2020 hatten wir Helgoland mit seinen beeindruckenden Basstölpeln besucht. Für mich sahen die Kaptölpel identisch aus, doch es gibt Unterschiede. Zum Beispiel den längeren Kehlstreifen bei den Kaptölpeln im Vergleich zu ihren mitteleuropäischen Verwandten.
Kurzbericht Helgoland im Forum
Es existieren nur wenige Orte, an denen Kaptölpel (Cape Ganets) brüten, auf Bird Island findet man sie zwischen Oktober und Februar. Die Insel ist einer der wichtigsten Brutplätze für die leuchtend weißen, gansgroßen Vögel mit dem intensiven Blick.
Bis zu 30.000 Exemplare versammeln sich hier und bieten nicht nur einen grandiosen Anblick, sondern auch eine imposante Geräuschkulisse.
In der Luft herrscht reger Flugverkehr und auf dem Boden hocken die Tiere dichtgedrängt nebeneinander. Die Paare sind sich in der Regel ein Leben lang treu. Während der eine Partner auf das Ei oder das Junge aufpasst, ist der andere auf Futtersuche auf dem Meer.
Lässt sich einer der Vögel bei der Landung zielgenau bei seiner Familie auf den Boden plumpsen, gibt es jedes Mal ein riesiges Theater. Weil der Partner halb ruppig, halb liebevoll willkommen geheißen werden muss - und weil die Vögel ihr winziges Fleckchen Erde ausgesprochen aggressiv verteidigen. Mit langen Hälsen und blitzschnellem Hacken geht es aufdringlichen Nachbarn an den Kragen.
Kaptölpel-Nachwuchs mit flaumigem Federkleid
Zwischendurch ging ich zum Aufwärmen einen Stock tiefer und setzte mich auf eine Holzbank, wo eine (leider stellenweise verkratzte) Plexiglasscheibe andere Perspektive ermöglicht. Ich überlegte. Sie sind fraglos schön, diese großen Vögel, aber auch wunderlich. Zanken steht ganz oben auf ihrer Todo-Liste, meist (scheinbar) wegen Nichtigkeiten.
Hat einer etwas Interessantes mit seinem langen Schnabel aufgehoben, wollen es andere sofort haben, und es wird darum gerungen, bis es der Finder freiwillig zurücklegt. Dann will es plötzlich niemand mehr.
Ein Tier würgte sogar freiwillig hastig eine Feder hinunter, weil es sich in seiner Bedrängnis partout nicht davon trennen wollte. Es schluckte schwer daran. Aber vielleicht handelt es sich bei all dem auch gar nicht um Streit, sondern um Liebe?! Das soll ja manchmal dicht beieinander liegen...
Wir verbrachten Stunden bei der Kolonie. Erst am Vormittag, dann am Nachmittag, das Ticket galt den ganzen Tag.
Langweilig wurde es uns nicht, keine Minute, aber wir sind bestimmt auch ein bisschen verrückt. Die Kolonie ist permanent in Aufruhr, ein ständiges Kommen und Gehen und dann dieser Krawall!
In dem scheinbar undurchdringlichen Chaos gibt es dennoch eine Grundordnung. Weiter hinten bilden die Familien eine riesige WG, weiter vorne kabbeln sich die Junggesellen. Der freie Streifen vor dem Beobachtungsturm, wie mit dem Lineal gezogen, ist die Start- und manchmal auch Landebahn - und regelrecht aufgeräumt.
Das ist wahrscheinlich auch nötig, denn die Tölpel sind mit ihrer Spannweite von fast zwei Metern elegante und geschickte Flieger, aber Start und Landung zählen nicht zu ihren Stärken.
Platz da, jetzt komm' ich!
Irgendwann - und das ist kaum zu glauben - waren wir satt von den vielen Eindrücken. Erneut zog Nebel auf. Es war Zeit zu gehen.
Geschnatter und Gezeter begleiteten uns über den breiten Steindamm und bis fast ins Restaurant Isabellas's gegenüber von Bird Island.
Thomas liebäugelte mit Cray Fish, einer Langustenart und Spezialität der Westküste. Doch die Inhaberin schüttelte bedauernd den Kopf. Nichts zu machen. Der Bestand ist bedroht und steht streng unter Schutz. Ein Problem für die Fischer und die Bewohner der Küste, aber natürlich eine Notwendigkeit. Auch dieses Paradies ist schwer angeschlagen. Wir wollen dennoch wiederkommen - auch gerne für mehr als 50 Rand.