THEMA: Island 2020: Als Corona ganz weit weg war
02 Nov 2020 19:48 #597835
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  • Beatnick am 02 Nov 2020 19:48
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Der Schlüssel ist weg!

"Eines Tages vergisst du noch deinen Kopf" - wie oft habe ich das in meiner Jugend gehört. Wenn auch nicht zu Unrecht: Schuhe, Jacken, Hosen wechselten mehrfach gegen meinen Willen ihren Besitzer, weil ich sie in Sport-Umkleiden verbummelte. Meine Eltern blieben damals meistens hart, einen Ersatz gab es nicht, und das Gefühl des Verlustes und der Wut auf meine eigene Schusseligkeit nagten an mir. Die bittere Lektion verfehlte indes ihre Wirkung nicht, irgendwann hatten alle Dinge ihren festen Platz und die Zeit der Gedankenlosigkeit war vorbei. Und so kam es praktisch nicht mehr vor, dass mir etwas wirklich Wichtiges verlorenging.

Unser Tagesziel nach dem Besuch beim Kvernusfoss ist das Fosshotel Glacier Lagoon in der Nähe der Jökulsarlon-Gletscherlagune, wo wir die nächsten beiden Nächte verbringen werden, und es ist nur rund 150 Kilometer entfernt. Viel Zeit also noch, denn im Sommer sind die Tage lang und unsere eigenen Kräfte allzu oft eher erschöpft als das Licht.

Rund sechs Kilometer östlich von Vik...



...biegen wir nach links auf eine 14 Kilometer lange Schotterpiste ab, die nach Pakgil (auch Thakgil) führt. Ein ausgesprochener Sehnsuchtsort, seit ich Bilder davon gesehen und darüber gelesen hatte.







Die Isländer glauben fest an Feen, Elfen und Trolle, und hier muss wohl ihre Heimat sein: Die Landschaft ist schroff, unberührt und mystisch, ein surreales Wunderland, sattgrün wie das Auenland, aber auch finster wie Mordor.





Immer tiefer fahren wir hinein ins Gletschertal, das nur über diesen Schotterweg erreichbar ist, vorbei an Drehorten von "Game of Thrones" und bizarren Tuffstein-Formationen.





An mehreren Aussichtspunkt halten wir an. Hinter uns der gewaltige Gletscher Mýrdalsjökull, unter uns die verwunschene Ebene der Mýrdalssandur. Eine schwarze Schneise in der Landschaft, geschaffen durch den berüchtigten Vulkan Katla, dessen nächster Ausbruch überfällig ist. Ich denke lieber nicht zu viel darüber nach, zumindest nicht in diesem Augenblick...







Nach rund 45 Minuten endet die Piste in einem verborgenen Talkessel, einer von steilen, bemoosten und bizarren Felsformationen umschlossenen Schlucht. Kaum zu glauben, dass wir nur wenige Kilometer von der Ringstraße entfernt sind. Es fühlt sich an wie das Ende der Welt.

Einen traumhaft gelegenen Campingplatz gibt es und einige Selbstversorger-Hütten, beim nächsten Mal müssen wir hier übernachten! Die Wanderwege führen tief in die Täler der Trolle hinein und durch Schneefelder in die Nähe des Gletschers, doch so viel Zeit haben wir nicht. Uns soll ein Besuch des benachbarten Remundargil Canyons mit seinen skurrilen Felszinnen und dem kleinen Wasserfall für diesmal reichen.

Der Weg nach Mordor, äh, Remundargil...


Rund eine Stunde werden wir dafür brauchen, ich schultere meinen Rucksack und will das Auto per Knopfdruck verriegeln, doch finde den Schlüssel nicht. Nicht in der rechten Jackentasche und nicht in der Mittelkonsole, wo er eigentlich hingehört. Ok. Nicht durchdrehen. Und noch mal von vorn: Jacke, Konsole, Rückbank, Vordersitze - nichts! Mir wird heiß.

Ich reiße die Türen auf. Nicht, dass sich das Teil von allein verriegelt. Thomas hilft beim Suchen - nichts! Nicht im Handschuhfach, nicht in den Seitenfächern, nicht in unseren Taschen, nicht in unserer Lebensmittelkiste, nicht im Kofferraum. Ich bin ratlos - und auch panisch. Erinnerungen schießen mir durch den Kopf, der zum Glück noch da ist; ich überprüfe es vorsorglich.

Ich bin Thomas dankbar, dass er ruhig bleibt. Zumindest äußerlich, drinnen dürfte es anders aussehen. Gefasst macht er sich auf den Weg. Findet einen Lift, wie er mir später erzählt, die isländische Familie, die ihn mitnimmt, hilft an unseren Haltepunkten bei der Suche. Ich bleibe beim Auto, drehe es wieder und wieder auf links - ohne Erfolg. Mir ist hundeelend.

Urlaubende Isländer trudeln ein, immer hoffe ich, dass Thomas in einem der Camper sitzt, den Schlüssel in der Hand. Dann eine SMS, kein Schlüssel, aber er hatte kurz Netz und Kontakt zur Autovermietung, ich soll mich dort melden.

Der Vermieter ist pragmatisch, will jemand aus Reykjavik losschicken und mahnt: "Keep the key always tight." Zu spät. Ich könnte heulen. Dann, fast beiläufig: Der Schlüssel müsse in der Fahrerkabine sein, um den Wagen zu starten. Anders geht es nicht. Aha. Moment! Hätten wir ihn bei einem Stopp verloren, hätten wir also nicht weiterfahren können... Er muss hier sein! NUR WO????!!

Ich suche, schon wieder, krabble unters Auto, und dann, im Schotter unter dem Hinterreifen - der Schlüssel! Wie er dort hingekommen ist? Keine Ahnung! Aber diese Erleichterung... Ich fahre los und Thomas entgegen, der einsam und mit langem Gesicht die Schotterpiste entlang stapft - Mensch, was sind wir froh, alle beide! Und der Vermieter auch.

Thomas ganz happy: Wir sind wieder mobil!


Große Sprünge sind nun nicht mehr drin, aber die kleine Wanderung zum Wasserfall, die wollen wir noch schaffen. Wir biegen ab nach Mordor, doch schnell ist Schluss: Steinschlag-Gefahr. Es soll an diesem Tag einfach nicht sein, dann eben - natürlich :) - beim nächsten Mal.

Auf dem Rückweg lassen wir uns Zeit, genießen die Stille und auch, dass wir mit einem blauen Auge davongekommen sind.







Und Pakgil? Ist einfach ein Alice im Wunderland und hat mein Herz im Sturm erobert - trotz allem.

Letzte Änderung: 10 Nov 2020 19:56 von Beatnick.
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03 Nov 2020 09:49 #597864
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  • Strelitzie am 03 Nov 2020 09:49
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Moin Betti,

"blonder-Klugschieter-Modus" - zu Beginn war sofort meine Frage: wieso fährt das Auto, ohne dass sich der Schlüssel darin befindet.... :dry:
Ich kenne dieses miese Gefühl - diese heiße Welle; wie oft standen wir schon an der Autorückgabe ... und dieser "Übergabebrief" war nicht da. Und nach Wiederauffinden diese Stille, obwohl man eigentlich erleichtert ist.
Freunde von mir haben es übrigens in der Wüste von Arizona geschafft, den Schlüssel im Inneren zu lassen - und die Türen verriegelten sich automatisch! Und kein Netz!

Das Troll-Land sieht toll aus! Von den herrlichen Puffinfotos ganz zu schweigen! :kiss:
Sonnige Grüße
Christina
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03 Nov 2020 14:13 #597881
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Strelitzie schrieb:
"blonder-Klugschieter-Modus" - zu Beginn war sofort meine Frage: wieso fährt das Auto, ohne dass sich der Schlüssel darin befindet.... :dry:

;) Das haben wir uns natürlich auch direkt gefragt, und auch immer wieder, aber eine andere Erklärung hatten wir nach der vielen ergebnislosen Sucherei erst einmal nicht, als dass es offenbar doch irgendwie gehen muss, wenn der Schlüssel zum Beispiel auf dem Dach liegt oder direkt unter dem Auto...

Strelitzie schrieb:
Freunde von mir haben es übrigens in der Wüste von Arizona geschafft, den Schlüssel im Inneren zu lassen - und die Türen verriegelten sich automatisch! Und kein Netz!

:ohmy: :sick: :pinch:

Strelitzie schrieb:
Das Troll-Land sieht toll aus! Von den herrlichen Puffinfotos ganz zu schweigen!

:kiss:

Liebe Grüße!
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03 Nov 2020 15:03 #597884
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  • franzicke am 03 Nov 2020 15:03
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Puuuhhh - was ne Aufregung!
Leider gehören wir auch zur Zielgruppe solcher Geschichten und leider leider bleiben wir beide in solchen Situationen nicht wirklich ruhig (auch nicht äußerlich :blush: )

Aber auch Boooaaah - wie ist das schön!
Auch als nicht so richtig echte Troll-Anhängerin würde ich mal so ganz unter uns sagen: Das ist ja doch wie im Märchen!
Ich glaube. sooo schöne Fotos hab ich noch nie von Island gesehen :kiss:
Ganz allerliebste Zwischendurch-Grüße
Ingrid
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04 Nov 2020 20:55 #597950
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  • Blende18.2 am 04 Nov 2020 20:55
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Deine Verghleiche mit Mordor sind herrlich treffend. Die Gegend ist ja wirklich ein Traum, wobei mir am besten der Ausblick auf den Weg gefällt, den ihr dann nicht geschafft habt. Ich glaube, wenn man dort solche Wanderungen hat, dann lohnt es dort mal eine Nacht zu verbringen.

Wisst ihr ob das auch im Winter zugänglich ist?
>> dort ein paar Nächte zu verbringen könnte mit Chance auf Polarlichter in aller Einsamkeit auch traumhaft sein! :woohoo:


Gruß,
Robin
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05 Nov 2020 08:27 #597973
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  • Clamat am 05 Nov 2020 08:27
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Hi Robin,
Der Campingplatz von Þakgil ist vom 01.06. bis 15.09. geöffnet
LG
Claudia
Unsere Reisen findet man unter: clamat.de/
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