THEMA: Island 2020: Als Corona ganz weit weg war
19 Okt 2020 16:41 #596852
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Ihr Lieben,

im Juli waren wir zum zweiten Mal auf Island, im zweiten Sommer in Folge sogar. Diese Reise war entgegen unserer sonstigen Gewohnheiten nicht von langer Hand geplant, sondern - ihr ahnt es schon - Corona geschuldet, und wir waren (und sind) dankbar, dass wir sie machen konnten.



Unsere Andalusien-Reise im Mai war ausgefallen, natürlich, wir hatten Fernweh (wer von uns nicht?), und als die Isländer ihre Grenzen unter für uns sehr akzeptablen Bedingungen wieder öffneten, schlugen wir direkt zu. Weil Corona auch beruflich einiges durcheinandergekegelt hatte, war das Zeitfenster nicht zuletzt in dieser Hinsicht extrem günstig, und der erforderliche Test bei der Einreise erschien uns nicht nur richtig, sondern auch machbar. Dass ein Restrisiko blieb, bei der Ankunft am Flughafen positiv getestet und in Quarantäne verbannt zu werden, war uns klar; doch wir schätzten es als sehr gering ein.

Flug, Auto und Unterkünfte hatten wir einigermaßen schnell zusammen, denn ich hatte noch eine ungefähre Route im Kopf, nachdem wir bereits im Vorjahr beschlossen hatten, Island auf jeden Fall wieder zu bereisen. Dass das so schnell passieren würde, ahnten wir allerdings nicht...

Dettifoss 2019


Landmannalaugar 2019


Kurzbericht Island 2019 im Forum
Flickr-Auswahl 2019

Einige Orte, die uns beim ersten Mal besonders gut gefallen hatten, wollten wir erneut und sogar besonders ausgiebig besuchen, darunter Vik und der Myvatn-See. Andere Gegenden, wie die etwas abgelegenen Westfjorde, waren Neuland für uns.

Ihre raue Schönheit hatte uns 2019 komplett in den Bann der Insel gezogen, auch wenn sie nachweislich in aller Regel überlaufen ist - vor allem im Sommer. Es war klar, dass das nun Corona-bedingt anders wäre, und wir waren gespannt, wie sich die erzwungene Rückkehr zur Einsamkeit bemerkbar machen würde.

Ich würde mich riesig freuen, wenn ihr uns auf einer virtuellen Tour durchs Land der Feen und Trolle begleiten würdet! Packt einen dicken Pulli ein, und dann reisen wir gemeinsam durch spektakuläre Landschaften,...









...durchs Auenland...



...nach Mordor,...



...und durch stille Fjorde.



Suchen nach der Mitternachtssonne,...



...nach Diamanten...





...und dem perfekten Wasserfall.





Gehen auf Safari,...











...finden schwarze, weiße, ja sogar rote Strände,...



...und neue Freunde.



Reisezeit und Route:

13.7.: Flug Frankfurt/Main nach Keflavik
Übernachtung im Hotel Geysir (statt wie geplant Litli Geysir Hotel)
14.-16.7.: Vik i Myrdal, Hotel Kria
17.+18.7.: Jökulsarlon Glacier Lagoon, Fosshotel Glacier Lagoon
19.7.: Höfn, Milk Factory
20.+21.7.: Seydisfjördur, Hotel Aldan
22.7.: Mödrudalur, Pension Fjalladyrd
23.-25.7.: Myvatn, Foss Hotel Myvatn
26.7.: Laugarbakki, Hotel Laugarbakki
27.7.: Drangsnes, Malarhorn Guesthouse
28.7.: Isafjördur, Hotel Isafjördur
29.+30.7.: Patreksfjordur, Fosshotel Westfjords
31.7.+1.8.: Per Fähre nach Snaefellsnes, Grundarfjordur Bed and Breakfast
2.8. Vogar, Motel Arctic Wind
3.8. Rückflug



Liebe Grüße,
Betti(na)

P.S.: Die Sonne ist aktiviert ... Also hier im Forum, in Island ist das ein anderes Thema, aber dazu kommen wir noch. B)
Letzte Änderung: 21 Okt 2020 23:18 von Beatnick.
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22 Okt 2020 17:46 #597137
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Betti auf Island

Eine meiner frühesten und schönsten Kindheitserinnerungen ist das abendliche Vorlesen meines Vaters. War mein erster Protest gegen die viel zu frühe Bett-Order verebbt, schlüpfte ich noch leise schmollend in meinen Frottee-Schlafanzug und lauschte schließlich andächtig den Abenteuern von Nonni auf Island.

Die Bücher, die mein Vater selbst schon als Junge gelesen hatte, entführten mich gedanklich in eine fremde Welt aus heißer Erde, Schnee und Eis, und ich lernte allerlei nützliche Dinge. Zum Beispiel, wie es sich zu verhalten gilt, wenn man von einer Lawine verschüttet wird (ein Wissen, das ich zum Glück nie zur Anwendung bringen musste), dass es Pferde mit einem fünften Gang gibt und Gegenden, in denen der nächste Nachbar tagelange Fußmärsche entfernt lebt - für mich als Sprössling des rummeligen Ruhrgebiets eine fast schon absurde Vorstellung. Es konnte daher in meinen kindlichen Augen nicht anders sein, als dass diese wundersame Insel mit ihren wundersamen Wesen dem Reich der Fabel entsprang, zumindest aber in unerreichbarer Ferne liegen musste. Und das machte sie umso reizvoller für mich.

Hochtemperaturgebiet Hverarönd beim Myvatn 2019




Jökulsarlon-Gletscherlagune 2019


Zu den großartigsten und gleichzeitig zweifelhaftesten Errungenschaften des Erwachsenwerdens zählen ja Erkenntnis und Kenntnis. Zum Beispiel die der Geografie. Erstaunt musste ich irgendwann feststellen, dass Island nicht nur real, sondern nach heutigen Maßstäben sogar ums Eck ist. Ich nahm mir fest vor, Nonnis Heimat eines Tages zu besuchen. Warum es dann so lange gedauert hat, kann ich noch nicht einmal sagen, doch Ende Juli vergangenen Jahres war ich dann erstmals am Ziel meiner Kindheitsträume.

Snaefellsness mit dem Snæfellsjökull 2019


Landmannalaugar 2019


Rund dreieinhalb Stunden dauert der Flug aus Deutschland nach Keflavik. Praktisch ein Katzensprung, doch bestimmte Umstände können die Verhältnismäßigkeit von Distanz auf unserer gefühlt zur Erbse geschrumpften Erde wieder zurechtrücken. Wie Corona zum Beispiel und ein damit einhergehender Lockdown des Flugverkehrs, oder ein Vulkanausbruch wie der des Eyjafjallajökull, der 2010 wochenlang für Chaos bei den Airlines führte. Das ist deshalb besonders erwähnenswert, weil auch diesmal im Vorfeld unserer Reise eine ganze Reihe von Erdbeben Island erschütterte und auf einen möglichen Ausbruch des Vulkans Grimsvötn hindeutete. Nachdem Icelandair nach der Corona-Zwangspause nun endlich wieder flog, mochten wir uns diese Ironie des Schicksals im Fall der Fälle kaum ausmalen.

Wir hatten zunächst einen SAS-Flug geblockt und dann aber rechtzeitig zurückgegeben, nachdem Icelandair wieder auf den Plan trat - wenn auch noch verhalten. Statt des eigentlich täglichen Abflugs von Hamburg gab es nur einen wöchentlichen Slot am Samstag, und weil wir auch für den Rückflug die Sicherheit einer regelmäßig beflogenen Strecke haben wollten, entschieden wir uns für Flüge ab/bis Frankfurt/Main. Auch Zubringerflüge aus Hamburg waren noch rar und hätten uns eine sechsstündige Wartezeit in der Mainmetropole beschert. Also sattelten wir auf den Zug um, und um ganz sicher zu gehen, dass das alles in Zeiten von Ausfällen und Unsicherheiten entspannt über die Bühne gehen würde, reisten wir einen Tag früher in Frankfurt an. Das hatte zudem den Charme, dass wir einen wunderbaren, lauen Sommerabend mit den Casimodos verbringen konnten, die wenige Wochen nach uns Island bereisen wollten und ähnlich enthusiastisch waren wie wir. 1.000 Dank Kerstin und Carsten für diesen tollen, stimmungsvollen Abend! Eure Zeit wird kommen! :kiss:

Mit freundlicher Genehmigung der Casimodos :)


Am 13. Juli ist es dann soweit, und wir machen uns nach einem gemütlichen Frühstück im Hotel auf den Weg zum Flughafen. Der wirkt wie leergefegt, entsprechend flott sind wir durch den Sicherheitscheck und harren der Dinge, die da kommen. Wir hatten auch deshalb von SAS auf Icelandair umgeswitcht, weil die Ankunftszeit in Island auf diese Weise deutlich vor 17 Uhr lag. Damit hatten wir dem Vernehmen nach gute Chancen, das Ergebnis des erforderlichen Tests bei der Ankunft noch am selben Abend zu erfahren. Das erschien uns nicht nur nervenschonend, sondern war auch deshalb von Bedeutung, weil erst dann die Reise ab der ersten Unterkunft fortgesetzt sowie größere Ausflüge unternommen werden durften.

Beim Boarding verhalten sich die Passagiere überraschend diszipliniert und stehen mit Abstand in Reih und Glied, im Bus ist es damit allerdings vorbei, denn der wird wie gehabt bis zum Anschlag vollgestopft. Der Flieger ist fast ausgebucht, auf die Idee, das günstige Zeitfenster zu nutzen, waren noch andere gekommen. Wir atmen etwas mühsam durch unsere FFP2-Masken, fühlen uns aber alles in allem gut.

Als wir über Island schweben, bin ich voller Vorfreude, aber auch gedanklich bei dem Test, der vor uns liegt. Was, wenn wir positiv wären? Wir müssten zwei Wochen in Quarantäne, immerhin auf Staatskosten, aber naja... Es wird schon gutgehen. Beim Aussteigen geht es brav Reihe für Reihe und nicht so hektisch zu wie sonst, das dürfte von mir aus Schule machen und auch in Zukunft immer so sein.



2.000 Passagiere dürfen zu diesem Zeitpunkt täglich ins Land, mehr gibt die Testprozedur nicht her. Nur vier Tage nach unserer Ankunft ändern sich allerdings die zulässigen Zahlen und das Verfahren, und Touristen aus vier Ländern dürfen ungetestet ein- und umherreisen - darunter Deutschland.

Für uns gilt das noch nicht, und so werden wir über den gähnend leeren Airport zu den Teststationen geleitet. Wie die meisten haben wir den Test schon aus Deutschland bezahlt. Die Schlange, in der wir stehen, rückt erstaunlich zügig voran und ich bin einmal mehr begeistert vom Einfallsreichtum und Pragmatismus unserer Gastgeber. Nur noch eine Dame ist vor mir dran, sie stimmt ein jammervolles Wehklagen an, lange bevor der Teststab sie überhaupt erreicht hat, und versetzt die Wartenden in den hinteren Reihen damit in helle Aufruhr. Grußlos und empört stürmt sie wenige Minuten später aus der Kabine und in Richtung Gepäck. Ich trete vor und zwinkere dem vermummten Tester zu, der all das isländisch-gelassen erduldet und zum Wohle seiner Volkswirtschaft - und letztlich auch zu unserem Vergnügen - täglich stundenlang in fremden Mundhöhlen und Nasen herumprokelt. Tatsächlich finde ich die kurze Prozedur gar nicht schlimm, was vielleicht auch der bühnenreifen Vorstellung meiner Vorgängerin geschuldet ist, nach der ich aufs Schlimmste gefasst war.

2019 sind wir per Shuttle zur Autovermietung gebracht worden, das ist jetzt aber nicht möglich, und so werden wir von einem Mitarbeiter der Firma abgeholt. Über MyCar kann ich nur das Beste sagen, beim letzten Mal hatten wir bei einem großen Anbieter eine echte Gurke von PkW bekommen, diesmal wollten wir etwas mehr abseits der ausgetretenen Pfade fahren und deshalb einen SUV mit mehr Bodenfreiheit. Island ist dummerweise ein sehr hochpreisiges Reiseland und das Auto mit der größte Kostenfaktor, und ein SUV oder gar Jeep treibt die ohnehin stolzen Summen noch einmal gehörig nach oben. Wir konnten aber vorab immerhin ausdealen, einen der neuen Wagen (Toyota RAV4 GX Automatik) zum Preis der Vorsaison zu mieten. Gerade einmal 3.200 Kilometer hat das Auto bei der Übergabe auf dem Tacho, und um es vorab zu sagen, wir hatten unsere helle Freude daran.

Im Lavafeld Berserkjahraun, Snaefellsnes


Meine ersten Eindrücke im Vorjahr waren ein kleiner Schock, die schwarze Einöde der Halbinsel Reykjanes, wo sich der Flughafen befindet, erinnerte mich fatal an Abraumhalden. Das sollte also die vielgelobte Bilderbuch-Landschaft sein?

Diesmal weiß ich, was uns wo erwartet, und glücklich nehmen wir die rund 150 Kilometer bis zu unserer ersten Unterkunft unter die Räder.



Es ist schön, die fast schon vertrauten Orte wiederzuerkennen, wir fahren vorbei an Lavafeldern, blühenden Lupinen (zu denen ich allerdings ein ambivalentes Verhältnis habe, weil sie zwar hübsch sind, aber hier fehl am Platze und die einheimische Flora verdrängen), sowie den großen, für den ersten Einkauf empfehlenswerten Discountern mit dem riesigen Sparschwein auf dem Dach.





Weil auch Restaurantbesuche auf Island die Reisekasse nicht unerheblich belasten, hatten wir uns dort 2019 reichlich eingedeckt. Das geht nun ohne Testergebnis nicht, und so fahren wir auf direktem Weg zum berühmten Geysir. Der Strokkur, der in schöner Regelmäßigkeit alle paar Minuten in die Höhe schießt, ist eine der größten Attraktionen und allzu oft von drölfzighundert Touristen umlagert.

Strokkur 2019






Weil das in diesem speziellen Jahr mutmaßlich anders sein würde und wir uns auch ohne Testergebnis draußen ein wenig die Beine vertreten dürfen, haben wir uns für die erste Nacht eine Unterkunft in direkter Nachbarschaft dieses beeindruckenden Naturphänomens gesucht. Keine Reisebusse, der Parkplatz leer, der erste Eindruck unterscheidet sich erheblich vom dem des Vorjahres, doch oh Schreck, die Tür des Litli (=klein) Geysir Hotels ist verschlossen. Die Spur in Form eines schlichten Zettels führt zum größeren, fast neuen und nicht gerade günstigen Hotel Geysir ein paar Meter weiter, das seine Pforten bereits wieder geöffnet hat - ein unverhofftes und willkommenes Upgrade.



Wir essen notgedrungen auf dem Zimmer, das nicht nur für isländische Verhältnisse großzügig ausfällt, spazieren zum Geysir und genießen die Stille.



Links mit den hellen Dächern das Litli Geysir Hotel, hinter dem Strokkur das Hotel Geysir


Um 21 Uhr piept Thomas' Handy, nur zwei Minuten später meins: negativ! Ich könnte die Corona-App knutschen! Erst jetzt spüren wir am Ausmaß unserer Glückseligkeit, wie sehr uns die andere Möglichkeit belastet hat.



Schlagartig fühlen wir uns so frei, wie wir uns eben nur auf Reisen fühlen. Es kann losgehen!

Letzte Änderung: 22 Okt 2020 19:20 von Beatnick.
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26 Okt 2020 20:30 #597374
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Im Land der Wasserfälle

Wasser in flüssiger und fester Form, manchmal kochend heiß und oft zu Eis gefroren, ist auf Island alles andere als eine Rarität. Häufig kommt es von oben, und damit sind nicht zwingend die leider ebenfalls nicht seltenen Regen-, sondern vielmehr die zahllosen Wasserfälle gemeint. Wer sich dafür begeistert, wird auf der Insel nicht lange suchen müssen, sie sind allgegenwärtig und in den verschiedensten Variationen zu haben. Gemein ist ihnen fast immer die Endung -foss (oder auch im Plural -fossar), die auf mich eine erheiternde Wirkung hat, ohne dass ich eigentlich genau sagen könnte, warum.



An unserem ersten Morgen fällt das Wasser allerdings zunächst einmal nicht nach unten, sondern schießt in die Höhe, denn noch vor dem Frühstück statten wir den heißen Quellen einen weiteren Besuch ab. So zeitig am Morgen sind wir die einzigen Besucher, die Stille ist fantastisch und wird nur hin und wieder vom Strokkur unterbrochen, der brav seiner Bestimmung folgt und alle paar Minuten eine turmhohe Wassersäule zischend in die Luft spuckt.



Einige Meter weiter in einem zweiten Becken deuten zwar winzige Bläschen an, dass sich unter der stillen Wasseroberfläche etwas regt. Doch der Große Geysir, Namensgeber aller Geysire weltweit, hat sich zumindest vorübergehend zur Ruhe gesetzt. Tektonische Verschiebungen sollen verantwortlich dafür sein, dass seine Aktivität immer wieder sogar für Jahrzehnte zum Erliegen kommt. 2019 haben wir ganze Menschentrauben gesehen, die - vergebens - auf einen Ausbruch warteten, und manch einer war dankbar für den Hinweis, dass es der etwas kleinere, aber entgegenkommendere Nachbar ist, den es zu belauern gilt. Die Unsitte, die Fontäne mithilfe von Schmierseife herauszukitzeln, hat sich glücklicherweise in den 1980er-Jahren auf Druck der Umweltschutzverbände erledigt. Und so blubbert und dampft der Geysir friedlich vor sich und gibt vor, ein Dorfteich zu sein - wenn auch ein sehr warmer.

Still ruht der Geysir (Foto von 2019)


Beim Frühstück gibt's eine große Auswahl, klassische Musik und den Blick auf den weiterhin stoisch seinen Dienst verrichtenden Strokkur. Er weiß wohl nicht, wie beeindruckend er ist. Mich jedenfalls lenkt er, obwohl wir ihn nun schon so oft ausführlich bewundert haben, mit jeder seiner Showeinlagen wieder aufs Neue von meinem Rührei ab; was kein Unglück ist, stammt es doch ganz offensichtlich nicht von glücklichen Hühnern, sondern aus der Tüte.



Unsere Siebensachen sind schnell gepackt, wir klemmen uns den kleinen Ausflug zum nur wenige Kilometer entfernten Gullfoss. Der "goldene Wasserfall" ist einer der beliebtesten Islands und fraglos imposant, präsentierte sich ein Jahr zuvor allerdings bei Traumwetter von seiner besten Seite. Das ist an diesem Tag nicht zu toppen, und so fahren wir in die entgegengesetzte Richtung zum ebenfalls in der Nähe liegenden Bruarfoss, denn wir haben uns fest vorgenommen, auch viele neue Plätze für uns zu entdecken.

Gullfoss 2019


Dieser Wasserfall galt lange als Geheimtipp und als sich seine Schönheit schließlich herumgesprochen hatte, fielen die Touristen wie die Heuschrecken über eine benachbarte Ferienhaussiedlung her, bahnten sich den Weg durch die dieselbe und auch querfeldein durch die Natur. Die litt ebenso wie die urlaubenden Hausbesitzer, und so gibt es mittlerweile einen kleinen Parkplatz an der Straße 37 östlich von Laugarvatn, von dem aus ein rund drei Kilometer langer Pfad zum Ziel führt.



Das Wetter ist brauchbar, zwar bewölkt, aber trocken und kein Wind, Vögel und zu Beginn auch Islandpferde begleiten uns auf dem herrlichen Weg entlang des Flusses Bruara (Brückenfluss), der zusehends schmaler und verwunschener wird.



Ufer!Schnepfe (Danke, Matthias)


Vorbei geht es an Stromschnellen und weiteren Wasserfällen, eine tolle Strecke.





Aus der Ferne sehen wir die Holzbrücke, die über den Fluss führt und einen wunderbaren Blick auf den Bruarfoss ermöglicht, und nach 40 Minuten stehen wir schließlich dort. Nur fünf Meter fällt der Bruarfoss in die Tiefe, doch sein ungewöhnlich babyblaues Wasser fließt strahlenförmig in die Flussspalte - er ist wunderschön.





Eine Familie kommt und geht, dann ein junges Paar, doch die meiste Zeit sind wir allein; klettern herum, genießen den Anblick und das Rauschen des außergewöhnlichen Wasserfalls.



Nach fast drei Stunden sind wir zurück am Auto, oha, irgendwie brauchen wir immer sehr lang, dann fahren wir erst nach Süden und schließlich auf die 32 ins Landesinnere. Die Gegend ist überwältigend und einsam, beim nächsten Mal müssen wir hier unbedingt mehr Zeit verbringen und einen Übernachtungsstopp einplanen, das nehmen wir uns fest vor.

Kurz bevor die Straße in eine F-Hochlandpiste übergeht, biegen wir ab auf eine sehr rumpelige Strecke, von der aus auch das wunderhübsche Tal Gjain mit seinen vielen kleinen Wasserfällen erreichbar ist. Wir lassen es links liegen, auch das steht auf der Agenda fürs nächste Mal, dann idealerweise bei etwas wolkenloserem Himmel.



Zusehends steiler windet sich die 7,5 Kilometer lange steinige Piste nach oben, die nur mit einem geländegängigen Auto befahren werden darf. Unser SUV macht einen tollen Job und ich finde die Rüttelstraße in angemessenem Tempo gut machbar. Vom Parkplatz aus ist es nicht mehr weit zu unserem Ziel, dem Haifoss (=hoher Wasserfall), der aus 122 Metern geteilt über eine steile Stufe hinabstürzt.



Es ist ziemlich frisch hier oben, die Landschaft schroff und spektakulär, und es liegen noch Reste von Schnee. Es soll einen Abstieg geben hinunter ins Tal, doch uns fehlen Muße und Zeit, dann eben - na logo - beim nächsten Mal. :-)

Dieser Wasserfall, der dritthöchste des Landes, ist bei den Isländern besonders beliebt. Nicht nur, weil er schön ist, sondern vor allem schön abgelegen, fernab der Ringstraße und nur mit etwas Aufwand erreichbar. Reisegruppen und Touristenmassen verirren sich nicht hierher. Unter diesen besonderen Umständen schon gar nicht, wir treffen kaum Menschen.



Zurück auf der Ringstraße passieren wir Hella, kein attraktiver Ort, aber für uns einer mit Geschichte: An dem riesigen Parkplatz nahmen wir im vergangenen Jahr den (vorgebuchten) Hochlandbus nach Landmannalaugar - es war ein unvergesslicher Tag.

Landmannalaugar 2019


Diesmal geht es direkt weiter zum Seljalandsfoss, der vor allem deshalb geschätzt wird, weil man hinter seinen Wasservorhang gehen kann. Es ist beileibe nicht so voll wie im Vorjahr, aber auch alles andere als leer, der Wasserfall steht im Ruf eines Topmodels und ist nicht nur entsprechend begehrt, sondern liegt eben auch praktischerweise direkt an der Ringstraße.



Seine zweifellos vorhandenen Reize prallen diesmal ziemlich an uns ab, denn wir wollen zum Gljufrabui, der nur wenige 100 Meter entfernt verborgen in einer Schlucht liegt.



Ein paar Schritte durch den Bach und ein bisschen nasse Füße, schon stehen wir inmitten der beeindruckenden Kulisse - die unverhofft zum Schauplatz einer Tragödie wird: Thomas' Superweitwinkel gibt just hier an Tag eins den Geist auf und lässt sich fortan kaum, später dann praktisch gar nicht mehr einsetzen. Das ist nur wirklich blöd gelaufen! :( (P.S.: Ein neues Objektiv ist mittlerweile angeschafft und Thomas' Seelenfrieden wiederhergestellt ;) ).

Nur noch wenig Energie haben wir nun aus diversen Gründen für den majestätischen Skogafoss übrig. Der letzte Wasserfall an diesem Tag, ebenfalls an der Ringstraße gelegen und stets gut besucht, nicht zuletzt, weil direkt zu seinen Füßen ein großer Campingplatz liegt.



Uns fehlt die Motivation, noch die lange steile Treppe zu erklimmen, an deren Ende sich ein grandioser Blick auf die Fallkante sowie schöne Wanderwege mit weiteren "Fossar" bieten, und kehren stattdessen im zum Campingplatz gehörenden Restaurant ein. Hungrig fallen wir über Fish and Chips und (Veggie-)Burger her, typisch isländisches Essen, kein Scherz, die Isländer lieben Fast Food.

Skogafoss 2019, rechts vom Wasserfall die Treppe




Dann nehmen wir die letzten Kilometer unter die Räder, es war ein langer Tag, am Horizont liegen die Westmännerinseln in schönem Licht.



Noch so ein Ziel fürs nächste Mal, doch jetzt freuen wir uns erst einmal auf Vik, das uns im Vorjahr so gut gefallen hat und wo wir drei Tage verbringen werden. Mit putzigen Gesellen, aber auch manchmal mehr Wasser, als uns lieb sein kann...

Letzte Änderung: 02 Nov 2020 10:56 von Beatnick.
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31 Okt 2020 11:00 #597647
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Gemischte Gefühle in Vik

An Vik hatten wir gute Erinnerungen. Das Kap Dyrhólaey mit seinem Leuchtturm, den viel gelobten Sonnenuntergängen und seiner Puffin-Kolonie, der berühmte schwarze Strand von Reynisfjara, 1991 als einer der zehn schönsten nicht-tropischen Strände der Welt eingestuft, die Felsnadeln Reynisdrangar und grandiose Ausflugsmöglichkeiten drumherum - die Gegend hat richtig viel zu bieten.

Vik 2019






Durch unseren langen Tagesausflug nach Landmannalaugar hatten wir dort 2019 nur eine Nacht verbringen können, was eindeutig zu wenig war, und so hatte ich diesmal gleich drei Übernachtungen in dem beliebten Örtchen eingeplant.

Im Jahr zuvor hatten wir eine "Gästefarm" kurz vor Vik gewählt, das war nicht schlecht, aber Gemeinschaftsbad und Winzigkammer - die B&B-Zimmer sind häufig sehr klein - waren für drei Nächte keine Option. Hinzu kam, dass das Angebot ohnehin erheblich eingeschränkt war; nicht zuletzt deshalb, weil es an Personal, das oft fürs Saisongeschäft aus dem Ausland anreist, diesmal aus triftigem Grund mangelte. Die Hotels behalfen sich mit studentischen Hilfskräften, so auch das Hotel Kria direkt im Ort und an der Ringstraße.

Günstige Lage und skandinavisch-modern, das gefiel uns schon im Vorjahr beim Vorbeifahren gut und wie bei fast allen Unterkünften kam uns diesmal zugute, dass die Preise häufig nicht auf Hochsaison-Niveau angehoben worden waren. Man wusste wohl einfach nicht, wie es laufen würde, und das zahlte sich für uns sprichwörtlich aus, denn die Hotelpreise ziehen im Sommer normalerweise in schwindelerregende Höhen an.

Versteinerte Trolle in Vik (2019)


Bei unsere Ankunft in Vik wird indes auch klar, dass es mit der Einsamkeit nicht ganz so weit her ist wie ursprünglich gedacht. Hotel wie auch Campingplatz direkt hinterm Haus sind rappelvoll, die Isländer haben Ferien und ihre Insel anders als sonst wegen Corona nicht verlassen. Die Grundstimmung ist dennoch eine andere, so ohne Reisegruppen und Gäste aus Übersee, und wir fühlen uns eigentlich ziemlich wohl inmitten der isländischen Familien, die in diesem speziellen Jahr über 80 Prozent der Hotelbelegungen ausmachen und nicht nur 5 wie sonst üblich in dieser Jahreszeit.

Das Wetter ist schlecht bei unserer Ankunft, wir überqueren die Hügelkette vor dem Ort und fahren hinunter ins Dunkle, das sich dort anscheinend festgesetzt hat. Auch am nächsten Morgen regnet es und wir schlafen erst einmal aus, danach checke ich zum ersten - aber beileibe nicht letzten Mal - die hervorragende isländische Wetterseite, die bei etwas intensiverem Studium stundengenau und erstaunlich treffsicher alle möglichen Informationen ausspuckt.

Homepage Icelandic Meteorological Office

Was im Vorjahr inmitten eines sensationellen Hochs mit wolkenlosem Himmel nicht nötig war, wird diesmal zur Routine: In welcher Richtung ist das Wetter wie, was macht der Wind, wo ist vielleicht Sonne, wie bewegen sich die oberen, mittleren und unteren Wolkenschichten? Ich entwickle ungeahnte Qualitäten als Wetterfrosch, nicht gerade meine Passion, aber eine lohnenswerte Mühe, denn grundsätzlich ist das Wetter auf Island nicht nur überaus launisch, sondern auch sehr lokal. Eine Bucht weiter kann die Welt schon ganz anders aussehen.

Für diesen Tag sieht es nicht gut aus, für Dyrhólaey noch am besten. Das kommt uns gelegen, denn wir hoffen auf Puffins. Bei der Einfahrt ins Naturschutzgebiet regnet es noch,...



...doch an der Küste ist es tatsächlich trocken, wenn auch ziemlich windig und dadurch frisch. Wir fahren zunächst bis ans Ende der Straße zum Parkplatz, wie ein Magnet zieht es mich zu den grasbewachsenen Felsen linkerhand, denn dort sind die Papageitaucher zuhause.

Links in und oben auf diesen Felsen finden sich ungefähr zwischen Mai und Mitte August Puffins (Bild von 2019)


Schon von Weitem sehen wir sie emsig hin- und herfliegen, und ich bin glücklich. Die Kolonie ist nicht sehr groß, doch unsere Geduld zahlt sich aus: Einige der drolligen Vögel landen direkt vor unserer Nase.





Schon zuvor waren uns am Parkplatz die vielen Küstenseeschwalben aufgefallen, jenseits eines hüfthohen Erdwalls sind Aktivität und Geräuschpegel besonders hoch. Wir nähern uns vorsichtig, denn mit Krias, im Charakter Honeybadgern nicht unähnlich, ist nicht zu spaßen. Besonders in der Brutzeit sind sie aggressiv und stets im Angriffsmodus, weshalb die Isländer bei Spaziergängen für gewöhnlich einen Stock tragen, den sie bei Bedarf in die Luft strecken. Nicht etwa, um damit nach den zänkischen Vögeln zu schlagen, sondern weil diese immer den höchsten Punkt attackieren und der Kopf auf diese Weise geschützt ist.

Wir sind leider nur unzulänglich präpariert und halten unsere Kameras hoch, ein ganzer Pulk steht über uns und zetert, ich denke an Hollywood und Tippi Hedren. Schließlich finden wir einen Platz, an dem uns die Tiere zu akzeptieren scheinen.





Unzählige Küken und Jungvögel sitzen im Gras, kugelrund und niedlich, aber auch gnadenlos. Nähern sich die Eltern mit Fisch, meldet erst einmal die gesamte Bodencrew Ansprüche an. Hat der Lieferservice schließlich das richtige Kinderzimmer gefunden, geht es ganz schnell, und schon ist die nächste Bestellung unterwegs. Ein herrliches und vor allem geräuschvolles Spektakel.



Flugübungen


Nur schwer reißen wir uns los, doch der dunkle Himmel rückt bedrohlich näher. Unser nächstes Ziel ist der Leuchtturm oben auf den Klippen, also schnell ein Stück die Straße zurück und dann links die kurze, aber steile unbefestigte Piste hoch. Im vergangenen Jahr sind wir dort auch mit einem normalen PkW ziemlich problemlos hinaufgekommen, was allerdings verboten ist, wie wir erst in diesem Jahr verstanden haben. Diesmal bin ich froh über die Bodenfreiheit, denn einige Kehren sich arg ausgewaschen.

Es ist herrlich hier oben, eine tolle Aussicht über die Südküste und in den Klippen rechts vom Leuchtturm brüten die Papageitaucher.





Als der Regen kommt, fahren wir ins Hotel. Und bleiben dort, denn es schüttet; heftig und ohne Pause an diesem und auch dem ganzen nächsten Tag. Mein wiederholtes Studium der Wetterseite liefert nur eine einzige ernüchternde Erkenntnis: Es gibt kein Entrinnen. In keine Richtung, auf der ganzen Insel nicht. Das ist traurig, aber nun mal nicht zu ändern, wir sind faul, lesen, schlafen, machen Urlaub, doch wir hoffen natürlich, dass das kein Dauerzustand wird. Nur ein einziges Mal gehen wir etwas widerwillig raus, um im urigen Restaurant Sudur Vik, das ich uneingeschränkt empfehlen kann, inmitten isländischer Großfamilien zu essen. Es ist voll und gemütlich, und das erste - aber nicht letzte Mal - wird mir bewusst, wie weit Corona hier gefühlt weg ist. So schnell hätte ich das nicht erwartet, und es macht mir Mut für eine Rückkehr zur Normalität nach der Pandemie - irgendwann.

Am nächsten Tag sieht es endlich freundlicher aus, wir packen zusammen und fahren nach unserem letzten Frühstück in Vik zeitig ans Kap. Noch ist es diesig, doch es soll besser werden.



Die Papageitaucher sind so umtriebig, wie wir es noch nie beobachtet haben, was sich wohl dadurch erklärt, dass sie den Regentag ebenso wie wir in ihrer Behausung verbracht haben.





Der darin gut verborgene Nachwuchs - jedes Elternpaar zieht einen einzelnen Puffling groß - hat nun Nachholbedarf, und so verschwinden ganze Ladungen von Fisch in den kleinen Höhlen unterhalb der Grasnarbe.



Wir sind begeistert, erst recht, als sich schließlich sogar die Sonne zeigt. Die Temperatur steigt und auch die Stimmung.







Schließlich rollen wir die steile Abfahrt hinunter,...



...legen noch einen kleinen Stopp im Auenland ein...





...und verlassen schließlich die Halbinsel.

Wir haben noch viel vor und entscheiden uns gegen einen Besuch des schwarzen Strandes Reynisfjara, an dem wir bereits 2019 Zeit verbracht haben. Wir fahren auf der Ringstraße ein Stück zurück in Richtung Skogafoss, der nicht unser eigentliches Ziel ist, sondern der benachbarte und viel unbekanntere Kvernufoss.

Obwohl von der Hauptstraße aus sogar zu sehen, wird dieser Wasserfall meist kaum beachtet. Wir parken am Skogar Museum und laufen dann 20 Minuten an einem Fluss entlang.



Die Landschaft ist schön und der Kvernufoss schon deshalb besonders, weil man hinter die fallenden Wassermassen gehen kann - allerdings ohne die Massen von Menschen wie beim Seljalandsfoss.





Hier gefällt es uns richtig gut und weil es so schön ist, gehen wir beide noch ein zweites Mal hinter den Wasserfall, wo es überraschenderweise vollkommen trocken ist.

Schließlich verabschieden wir uns, wir haben für diesen Tag noch einige Pläne. Bis jetzt ist er komplett gelungen und er kann fast nur noch besser werden, denn auf unseren nächsten Stopp freue ich mich ganz besonders. Er hält allerdings auch unerwünschte Aufregungen für uns bereit, an denen ich leider selbst alles andere als unschuldig bin...

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Der Schlüssel ist weg!

"Eines Tages vergisst du noch deinen Kopf" - wie oft habe ich das in meiner Jugend gehört. Wenn auch nicht zu Unrecht: Schuhe, Jacken, Hosen wechselten mehrfach gegen meinen Willen ihren Besitzer, weil ich sie in Sport-Umkleiden verbummelte. Meine Eltern blieben damals meistens hart, einen Ersatz gab es nicht, und das Gefühl des Verlustes und der Wut auf meine eigene Schusseligkeit nagten an mir. Die bittere Lektion verfehlte indes ihre Wirkung nicht, irgendwann hatten alle Dinge ihren festen Platz und die Zeit der Gedankenlosigkeit war vorbei. Und so kam es praktisch nicht mehr vor, dass mir etwas wirklich Wichtiges verlorenging.

Unser Tagesziel nach dem Besuch beim Kvernusfoss ist das Fosshotel Glacier Lagoon in der Nähe der Jökulsarlon-Gletscherlagune, wo wir die nächsten beiden Nächte verbringen werden, und es ist nur rund 150 Kilometer entfernt. Viel Zeit also noch, denn im Sommer sind die Tage lang und unsere eigenen Kräfte allzu oft eher erschöpft als das Licht.

Rund sechs Kilometer östlich von Vik...



...biegen wir nach links auf eine 14 Kilometer lange Schotterpiste ab, die nach Pakgil (auch Thakgil) führt. Ein ausgesprochener Sehnsuchtsort, seit ich Bilder davon gesehen und darüber gelesen hatte.







Die Isländer glauben fest an Feen, Elfen und Trolle, und hier muss wohl ihre Heimat sein: Die Landschaft ist schroff, unberührt und mystisch, ein surreales Wunderland, sattgrün wie das Auenland, aber auch finster wie Mordor.





Immer tiefer fahren wir hinein ins Gletschertal, das nur über diesen Schotterweg erreichbar ist, vorbei an Drehorten von "Game of Thrones" und bizarren Tuffstein-Formationen.





An mehreren Aussichtspunkt halten wir an. Hinter uns der gewaltige Gletscher Mýrdalsjökull, unter uns die verwunschene Ebene der Mýrdalssandur. Eine schwarze Schneise in der Landschaft, geschaffen durch den berüchtigten Vulkan Katla, dessen nächster Ausbruch überfällig ist. Ich denke lieber nicht zu viel darüber nach, zumindest nicht in diesem Augenblick...







Nach rund 45 Minuten endet die Piste in einem verborgenen Talkessel, einer von steilen, bemoosten und bizarren Felsformationen umschlossenen Schlucht. Kaum zu glauben, dass wir nur wenige Kilometer von der Ringstraße entfernt sind. Es fühlt sich an wie das Ende der Welt.

Einen traumhaft gelegenen Campingplatz gibt es und einige Selbstversorger-Hütten, beim nächsten Mal müssen wir hier übernachten! Die Wanderwege führen tief in die Täler der Trolle hinein und durch Schneefelder in die Nähe des Gletschers, doch so viel Zeit haben wir nicht. Uns soll ein Besuch des benachbarten Remundargil Canyons mit seinen skurrilen Felszinnen und dem kleinen Wasserfall für diesmal reichen.

Der Weg nach Mordor, äh, Remundargil...


Rund eine Stunde werden wir dafür brauchen, ich schultere meinen Rucksack und will das Auto per Knopfdruck verriegeln, doch finde den Schlüssel nicht. Nicht in der rechten Jackentasche und nicht in der Mittelkonsole, wo er eigentlich hingehört. Ok. Nicht durchdrehen. Und noch mal von vorn: Jacke, Konsole, Rückbank, Vordersitze - nichts! Mir wird heiß.

Ich reiße die Türen auf. Nicht, dass sich das Teil von allein verriegelt. Thomas hilft beim Suchen - nichts! Nicht im Handschuhfach, nicht in den Seitenfächern, nicht in unseren Taschen, nicht in unserer Lebensmittelkiste, nicht im Kofferraum. Ich bin ratlos - und auch panisch. Erinnerungen schießen mir durch den Kopf, der zum Glück noch da ist; ich überprüfe es vorsorglich.

Ich bin Thomas dankbar, dass er ruhig bleibt. Zumindest äußerlich, drinnen dürfte es anders aussehen. Gefasst macht er sich auf den Weg. Findet einen Lift, wie er mir später erzählt, die isländische Familie, die ihn mitnimmt, hilft an unseren Haltepunkten bei der Suche. Ich bleibe beim Auto, drehe es wieder und wieder auf links - ohne Erfolg. Mir ist hundeelend.

Urlaubende Isländer trudeln ein, immer hoffe ich, dass Thomas in einem der Camper sitzt, den Schlüssel in der Hand. Dann eine SMS, kein Schlüssel, aber er hatte kurz Netz und Kontakt zur Autovermietung, ich soll mich dort melden.

Der Vermieter ist pragmatisch, will jemand aus Reykjavik losschicken und mahnt: "Keep the key always tight." Zu spät. Ich könnte heulen. Dann, fast beiläufig: Der Schlüssel müsse in der Fahrerkabine sein, um den Wagen zu starten. Anders geht es nicht. Aha. Moment! Hätten wir ihn bei einem Stopp verloren, hätten wir also nicht weiterfahren können... Er muss hier sein! NUR WO????!!

Ich suche, schon wieder, krabble unters Auto, und dann, im Schotter unter dem Hinterreifen - der Schlüssel! Wie er dort hingekommen ist? Keine Ahnung! Aber diese Erleichterung... Ich fahre los und Thomas entgegen, der einsam und mit langem Gesicht die Schotterpiste entlang stapft - Mensch, was sind wir froh, alle beide! Und der Vermieter auch.

Thomas ganz happy: Wir sind wieder mobil!


Große Sprünge sind nun nicht mehr drin, aber die kleine Wanderung zum Wasserfall, die wollen wir noch schaffen. Wir biegen ab nach Mordor, doch schnell ist Schluss: Steinschlag-Gefahr. Es soll an diesem Tag einfach nicht sein, dann eben - natürlich :) - beim nächsten Mal.

Auf dem Rückweg lassen wir uns Zeit, genießen die Stille und auch, dass wir mit einem blauen Auge davongekommen sind.







Und Pakgil? Ist einfach ein Alice im Wunderland und hat mein Herz im Sturm erobert - trotz allem.

Letzte Änderung: 10 Nov 2020 19:56 von Beatnick.
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Eine Landschaft aus Feuer und Eis

Wer in Island nach den Wetteraussichten fragt, bekommt eine detailgenaue Auskunft über Wind. Die Frage, ob wohl die Sonne scheinen wird - für uns in aller Regel die zentrale Auskunft - ist kaum von Belang. Der Wind ist auf Island eine Urgewalt, kann Fahrverbote für Wohnmobile mit sich bringen, Türen bei unbedachtem Parken aus den Angeln heben (die Nase in den Wind!) und das Leben vorübergehend stilllegen. Die Temperatur hängt daran und auch die Frage, ob bestimmte Pisten zu befahren, gebuchte Aktivitäten durchzuführen sind. Er spielt also auch für Touristen eine wesentliche Rolle.

Wir lassen Pakgil und das Schlüssel-Drama hinter uns und sind zurück auf der Ringstraße. Die Landschaft zu beiden Seiten ist spektakulär, die isländische Südküste zu Recht berühmt. Traumhafte Wasserfälle, Fjorde, Gletscher, Lagunen und Strände voller Eis,...



...es lohnt sich, entsprechend Zeit einzuplanen und auch eine Portion Geduld, denn die Dichte an Attraktionen zieht zwangsläufig eine Dichte an Menschen mit sich. Das war einer der Gründe, weshalb wir im vergangenen Jahr den Fjadrargljufur Canyon ausgelassen haben. Er liegt ein wenig abseits der Ringstraße kurz vor dem Ort Kirkjubaejarklaustur, dessen Name klingt, als sei jemand mit dem Kopf auf die Tastatur geknallt. Er befindet sich damit in guter Gesellschaft und wohl nur die Isländer selbst sind in der Lage, die vielen -Fells, -Fosse und -Jökulls unfallfrei auszusprechen.





Der wunderbare Canyon ist in den vergangenen Jahren immer populärer geworden und erst recht, seit sich Justin Bieber in einem Musikvideo nur im Schlüpper im eiskalten Fluss räkelte. Fjadrargljufur mutierte zum Pilgerort und musste sogar vorübergehend geschlossen werden, um der malträtierten Natur eine Auszeit zu gönnen. Die Spuren auf den zahlreichen natürlichen Aussichtspunkten mit Blick hinunter in die steile Schlucht sind indes noch immer sichtbar, die Vorsprünge nun dauerhaft durch ein Seil gesperrt. Das ist auf der einen Seite schade, aber auf der anderen eine nachvollziehbare Notwendigkeit.



Einsam ist es am Canyon auch in diesem speziellen Jahr nicht, aber ohne Reisebusse dennoch friedlich. Wir verschaffen uns einen ersten Eindruck von der 2 Kilometer langen und bis zu 100 Meter tiefen Schlucht und wollen am nächsten Tag noch einmal wiederkommen, denn ein Sturm hat Fahrt aufgenommen und pustet uns fast vom Canyonrand, das ist kein Spaß und bestimmt auch gefährlich.



Der Wind rüttelt unterwegs am Auto, und der 80 m hohe Foss a Sidu fällt nicht hinunter, sondern quer.

Foss a Sidu 2019...


...und 2020


Weiter geht es auf der Ringstraße durch atemberaubende Landschaften, immer gen Osten.

Der Lomagnupur, eine gewaltige, rund 770 m hohe Landmarke, die dem Monument Valley entsprungen sein könnte.


Fossalar direkt an der Ringstraße


Meine Begeisterung ist auch beim zweiten Mal ungebrochen, und ich werde diese Strecke wahrscheinlich nie müde.

Unterwegs 2019...


...und 2020


Wir fahren entlang am riesigen Skaftareldahraun Lavafeld (noch so ein Name ;-)), Ende des 18. Jahrhunderts zerstörte die Lava Bauernhöfe und löste eine große Hungersnot aus. Heute ist sie von einem dicken Moosteppich bedeckt, der federweich ist, aber auch hochempfindlich und streng geschützt.



An einem Aussichtspunkt neben der Ringstraße halten wir, Wind hin oder her, markierte Pfade führen durch die verwunschene Gegend und in der Ferne leuchten schon die Ausläufer des Vatnajökull, des größten Gletschers Europas.





Immer näher rücken die weißen Wände, fast, als würde man in sie hineinrauschen, doch dann macht die Ringstraße einen scharfen Rechtsknick.



Links liegt die Zufahrt zum Skaftafell-Nationalpark, eine riesige grüne Oase und ein Paradies für Wanderer.



Im vergangenen Jahr waren wir hier beim Svartifoss, einem von schwarzen Basaltsäulen umgebenen Wasserfall,...



...und blickten von einem Plateau auf Gletscherzungen und Bergspitzen.





Ich war seinerzeit allerdings etwas abgelenkt, denn der Wind peitschte so heftig, dass ich schließlich kapituliert und mich auf den Boden gekauert habe. Ich kam einfach nicht mehr dagegen an und trieb unkontrolliert auf die Kante zu. :pinch: So einen Wind hatte ich erst einmal erlebt, das war in den Bergen Patagoniens.



Diesmal lassen wir Skaftafell links liegen, der Tag war anstrengend und wir freuen uns aufs Hotel. Ein letzter Stopp an der fotogenen Hofskirkja, einer der wenigen noch verbliebenen Torfkirchen,...



...dann sind wir da. Das Fosshotel Glacier Lagoon hat uns 2019 besonders gut gefallen. Diesmal blicken wir allerdings nicht aufs Meer, sondern nach hinten auf den Parkplatz, was natürlich eine Frage des Preises ist, und so richtig makellos sind die Möbel auch nicht mehr. Dennoch fühlen wir uns wohl und die Lage ist ohnehin unschlagbar. Direkt gegenüber startet eine Puffin-Tour nach Ingolfshöfdi, im vergangenen Jahr war sie leider wegen orkanartiger Böen ausgefallen und sie soll sehr empfehlenswert sein. Diesmal verzichten wir freiwillig, denn die Gletscher im Westen und die Gletscherlagune im Osten in Reichweite - wir wollen tief eintauchen in diese Landschaft aus Eis, auf die wir uns so sehr gefreut haben.

Letzte Änderung: 09 Nov 2020 14:35 von Beatnick.
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