Kapitel 8: Von Vögeln und Kaimanen
Früh klettern wir aus den Betten, denn wir haben heute eine lange Strecke vor uns. Die Laguna del Lagarto Lodge in der Nähe des Rio San Carlos an der Grenze zu Nicaragua und weitab von allem anderen ist unser Ziel.
Lautes Trommeln auf dem Dach lässt uns schon erahnen, was der Blick aus dem Haus sogleich bestätigt: Am frühen Morgen des heutigen Tages regnet es einmal mehr in Strömen. Alles ist grau in grau und nass. Wir packen unsere Koffer und haben dann das zweifelhafte Vergnügen, das Gepäck durch den strömenden Regen quer durch den Garten bis zu unserem Auto zu transportieren. Mit großen Regenschirmen hantierend wird das zum ersten Geschicklichkeitstest des Tages.
Das Wetter macht uns den Abschied von unserer wunderbaren Casita etwas leichter und bald sind wir „on the road“.
Die erste Teilstrecke bis Limón ist wie auf der Hinfahrt entspannt zu fahren – kaum Verkehr und gute Straßen.
Dann lotst uns unser Navi jedoch quer durch die recht große Stadt, was sich als durchaus stressig herausstellt, denn gewagte Überholmanöver und Vorfahrtsunklarheiten scheinen hier an der Tagesordnung zu sein. Hier sind Beifahrerin und Fahrer in ihrer Aufmerksamkeit gefordert.
Gen Nord-Westen geht es weiter auf dem uns bereits bekannten Baustellen-Highway. Wie auf der Fahrt nach Cahuita macht das auch heute wenig Freude.
Als wir endlich von dieser großen Dauerbaustelle abbiegen dürfen, wird das Fahren wieder schöner. Zuerst geht es auf gutem Teer weiter durch Plantagenlandschaften. Nach der Ortschaft Pital wird die Straße irgendwann zu einer Dirtroad, die aber ganz gut in Schuss ist. Wir durchqueren das Dorf Boca Tapada. Und dann kommt eigentlich nichts mehr… Hier macht das Fahren Spaß. Einzig die immer wieder auftauchenden Schlaglöcher sind nicht zu unterschätzen. Bis zum Rand mit Wasser gefüllt, kann man nicht erkennen, wie tief sie tatsächlich sind. Hier heißt es am besten mit Bedacht umfahren oder sich langsam hindurchtasten, wenn auf ganzer Straßenbreite Potholes vorhanden sind. Das dauert natürlich seine Zeit: Zuerst sind wir überrascht, dass unser Navi für die letzten rund 20 Kilometer eine Stunde veranschlagt und belächeln die Prognose. Aber schnell lernen wir: Waze hat in Costa Rica immer recht!
Am späten Nachmittag erreichen wir schließlich die Laguna de Lagarto Lodge – viel abgelegener kann eine Unterkunft nicht sein.
Auf einer Anhöhe über der namensgebenden Lagune erhebt sich das Haupthaus.
Wir werden herzlich willkommen geheißen. Carlos, der Manager der Lodge, ist ein sehr freundlicher Mann, der uns das Gelände und unser Zimmer zeigt, das auf der Veranda nahe dem Restaurantbereich liegt. Hier gibt es Hängematten und große Sessel. Und der Blick reicht hinunter auf die Lagune und auf die verschiedenen Futterplätze für die heimische Vogelwelt.
Die Einfachheit unserer Zimmer überrascht uns dann etwas: In den zwei Räumen gibt es zwar beinahe alles Nötige: Betten, Nachttisch, Ventilator. Nur einen Schrank vermissen wir bei drei Nächten Aufenthalt dann doch. So müssen wir aus unseren Koffern leben, die, an der Wand stehend, bald ein Refugium für unzählige winzige Ameisen werden sollten…
Das vorhandene Inventar ist schon etwas abgewohnt und unter den Betten müsste auch einmal jemand auf Staubmaus-Jagd gehen…
Aber man ist ja nicht an diesem Ort, um im Zimmer abzuhängen – dafür wäre die Zeit am gefühlten Ende der Welt auch wahrlich zu schade.
Und so schauen wir uns die Umgebung an. Die Bananen, die zum Anlocken der Vögel dienen, sind zu dieser Tageszeit bereits fast aufgefuttert. Trotzdem findet sich einiges an Federvieh ein.
Wir können beispielsweise Frau und Herrn Great Curassow (Tuberkelhokko - einer meiner deutschen Lieblingsnamen
) beobachten.
Besonders freuen wir uns aber über Fischertukane. Einen von ihnen können wir bei der Insektenjagd beobachten.
Bald neigt sich der Tag seinem Ende entgegen. Das Abendessen wird am Tisch serviert – es ist wirklich schmackhaft. Dabei wird deutlich, dass außer uns kaum jemand zu Gast ist. Nur zwei weitere Pärchen sind anwesend. Das ist der Reiz der Nebensaison.
Wir werden von Henri angesprochen – seines Zeichens Nachtwächter und Faktotum der Lodge. Er spricht überraschend gutes Deutsch und rührt intensiv (!) die Werbetrommel für seine Kaiman-Tour. Er meint, dass es heute Abend trocken bleiben würde und morgen bestimmt regne, wir also unbedingt gleich nach dem Essen gemeinsam mit ihm zu seinen Schützlingen gehen sollten. Mit acht Dollar pro Erwachsenen ist die Tour für CR-Verhältnisse ein echtes Schnäppchen und so sagen wir zu – auch wenn derartige Aktivitäten eigentlich nicht ganz unser Ding sind. Aber es ist auch schwierig, auf Henris Werben mit einem Nein zu reagieren…
Nach dem Essen geht es also runter zur Lagune. Mit uns kommt noch eines der beiden Gästepärchen. Und Pustekuchen: Kaum gehen wir los, schon beginnt es zu regnen… So viel zu Henri als Wetterfrosch.
Henri – ausgestattet mit einem langen Stab und einem Beutel mit Fleisch – ruft alsbald in die Dunkelheit: „Aggressivo! Mama Hässlich! Amigo! Eva!“ Ja – er hat jedem seiner Schützlinge einen Namen gegeben, auf den die Tiere kurioserweise tatsächlich reagieren. Henri kennt die Kaimane von klein auf und ist mit jedem von ihnen per du. Eine absolut schräge Situation.
Der Ruf verklingt und kurz darauf schält sich Aggressivo aus der nassen Dunkelheit – ein Riese im Vergleich zu den Kaimanen, die wir bisher gesehen haben.
Henri spricht auf das Tier ein – es gehorcht aufs Wort und ändert wie befohlen seine Position.
Nun werden wir eingeladen, den großen Kaiman zu berühren. Wir zögern. Henri redet uns gut zu. Unsere Kleine traut sich schließlich als erste. Die Tapfere.
Und dann passiert es: Hinter uns in der Schwärze der Nacht – gar nicht weit entfernt – kracht es.
Alles erschrickt fürchterlich – Aggressivo gerät in Bewegung, ich schnappe instinktiv unsere Kleine und gehe auf Abstand zu dem großen Kaiman, meine Frau nimmt unsere panische Große auf den Arm. Hektische Taschenlampenstrahlen verraten es: Ein weiterer großer Kaiman ist gerade nicht weit hinter uns die Böschung hinabgedonnert und gegen einen Baum gekracht.
Das ist zu viel für unsere Große – sie will unbedingt wieder zur Lodge zurück. Henri beteuert, dass so etwas in zwanzig Jahren noch nicht passiert sei – die Kaimane kämen sonst wohl nicht von hinten bzw. von schräg oben…
Wir vier finden die Situation überhaupt nicht komisch. Das andere Gästepaar nimmt es weitaus lockerer. Meine Frau schleppt unsere Große also zurück zur Lodge. Unsere kleine Tochter möchte erstaunlicherweise gern noch weitere Kaimane sehen…Damit sie, die ja Aggressivo am nächsten war, die Sache besser verarbeiten kann, bleiben wir zwei also bei Henri und den anderen.
Wir gehen weiter den Weg hinab und treffen bald auf einige erst kürzlich geschlüpfte Kaimane. Der jugendliche Kaiman Amigo wird von unserer Kleinen entdeckt.
Und schließlich zeigt sich auch Mama Hässlich – meine unangefochtene Namensfavoritin. Immer leuchten wir umsichtig nach hinten, denn anfangs werden wir von dem noch hungrigen „Böschungs-Kaiman“ verfolgt. Eine solche Echse im Schutz der Dunkelheit hinter sich zu wissen, ist kein sehr angenehmes Gefühl.
Schnell ist die Tour vorbei – sie hat inklusive des Störfalls etwa eine halbe Stunde gedauert – und wir sind zurück in der Lodge. Unserer Großen wurde dort ein großer Lolli geschenkt, der seine Wirkung nicht verfehlt hat. Sie kann schon wieder lachen.
Würden wir diese Tour noch einmal machen? Ich denke nicht. Dies ist nicht die Art von Wildtierbeobachtung, die wir mögen. Es ist zwar durchaus interessant zu sehen, wie sehr die Kaimane an „ihren“ Menschen gewöhnt sind, aber das ist uns (auch ganz unabhängig von dem blöden und sicher nicht ungefährlichen Zwischenfall) zu viel Zirkus.
Und so gehen wir mit etwas gemischten Gefühlen in unsere Betten. Auf den Schreck schlafen die Damen heute zu dritt und ich bleibe allein im zweiten Zimmer.
Der nächste Tag stellt die gefiederten Gäste der Laguna del Lagarto Lodge in den Mittelpunkt. Außerdem werden wir eine Bootsfahrt auf dem Rio San Carlos unternehmen.