12.1.: Wie man die Zeit (fast) anhält
Mit der Zeit ist es so eine Sache. Sie kann verfliegen, stillstehen und sich manchmal auch ziehen wie Kaugummi. Letzteres ist zum Beispiel beim Warten der Fall. Warten auf den Zug, auf den Flieger, warten auf bessere Zeiten. Beim Reisen gilt es zunächst einmal, diese Wartezeit hinter sich zu bringen. Den Faden der Zeit dann wieder aufzunehmen. Sie auszufüllen. Und dann im besten Fall sogar zu vergessen. Das können wir in Afrika richtig gut. Dieser Tag ist der beste Beweis dafür.
Schon bei unserer Ankunft im Park hatten wir beschlossen, noch einmal zum Shetani Lava Flow zurückzukehren. Mit mehr Muße als auf der Durchreise zum Camp und nicht gerade in der Mittagshitze. An diesem zweiten und letzten vollen Tag im Tsavo West setzen wir diesen Plan um, und weil der Weg relativ weit ist, sind wir schon um kurz vor Sechs unterwegs. Die Morgenstimmung ist perfekt und der Tag viel klarer als der vorherige.
Der Kilimanjaro im Morgenlicht - von dieser Seite aus betrachtet mit nur winziger Eiskappe.
Wir lassen uns die noch angenehm kühle Luft um die Ohren wehen, während die Sonne und die aufkommende Hitze des Tages schon auf der Haut prickeln. Es geht doch nichts über den frühen Morgen an heißen Sommertagen - so ich mich denn rechtzeitig aus dem Bett schälen kann oder muss.
Wieder präsentiert der Tsavo West seine wilde Schönheit. Ich kann mich einfach nicht sattsehen daran.
Wir fahren vorbei an der Ebene, wo uns auf dem Hinweg der Elefant verfolgt hatte, und ich spüre, wie ich mich verspanne. Noch ist der Schreck nicht überwunden. Misstrauisch beäuge ich die Büsche. Doch von dem Wüterich ist nichts zu sehen und friedlich rollen wir weiter, begleitet vom morgendlichen Vogelkonzert und den neugierigen Blicken der tierischen Buschbewohner.
Als wir ankommen, steht die Sonne schon wieder hoch am Himmel. Wir haben gebummelt, es gab so viel zu sehen. Egal. Der Anblick des Lavafeldes hat auch beim zweiten Mal nichts von dem Zauber eingebüßt, den es bei unserem ersten Zwischenstopp auf uns ausgeübt hatte. Wir klettern aus dem Auto und lassen uns durch diese skurrile Landschaft treiben, die erst vor rund 250 Jahren entstand. Rein erdgeschichtlich also gestern. Sie ist hier relativ, die Zeit.
Shetani bedeutet auf Swahili " Teufel", nach einer Sage der Massai sollen zwei gigantische Feuerteufel im Kampf die Erde zum Schmelzen gebracht haben. Auf einer Länge von über zehn Kilometern durchschneidet das bis zu drei Meter breite schwarze Band die Landschaft, das sich einst von den Chyulu Hills kommend als flüssiges Gestein über das Land ergossen hat.
Auch nach mehr als zwei Jahrhunderten ist die Vegetation in der Wüste aus Lava spärlich. Nur kleine Büsche am Rand und Gräser wachsen auf dem kargen Untergrund.
Die Klippspringer sind dagegen zahlreich und kommen in dieser scheinbaren Einöde offenbar bestens zurecht.
Die Lava hat überall natürliche Picknickplätze geschaffen, wir setzen uns auf eine der Felskanten, lassen die Beine in einem Erdspalt baumeln und frühstücken mit Blick auf den Kilimanjaro. Was ist die Welt doch für ein wunderbarer Ort!
Für den Rückweg hat Livingstone eine Idee. Es soll einen neuen Weg geben, der in wenigen Kilometern Entfernung parallel zur Hauptstrecke verläuft. Er hat ihn selbst noch nicht ausprobiert, ob wir Lust hätten? Da müssen wir nicht groß überlegen...
Es ist eine herrliche Strecke. Sie führt entlang erloschener Vulkankegel, durch sattgrünes Gras.
Und immer wieder der Blick auf den Kili, der sich seit Tagen in voller Pracht zeigt.
Tiere sehen wir nur wenige, einige Vögel und Oryxe, die anders gefärbt sind als im südlichen Afrika und Pinselohren haben, aber der Weg ist wild und mein Entdecker-Gen glücklich. Je weiter wir uns von den Chyulu Hills entfernen, desto trockener wird die Landschaft.
Erst kurz vor dem Ziel kehren wir wieder auf die Hauptpiste zurück, die vorübergehend blockiert ist...
...und verbringen dann wie gewohnt die Mittagsstunden im Camp. Weil es ein besonders heißer Tag ist allerdings nicht wie sonst im Zelt, sondern am Infinitypool im schnieken Spa-Bereich. Der liegt ein wenig abseits und ist offensichtlich nachträglich entstanden. Der schicke Style will nicht so recht zum Rest des rustikalen Camps passen. Aber man liegt hier fraglos gut, mit weitem Blick in die Natur und umschwirrt von Vögeln.
Im Nacken komplett verspannt, leiste ich mir sogar im Schatten eines orientalisch angehauchten Zeltanbaus eine Massage bei einer jungen Frau, die ihr Handwerk versteht. Erfrischt starten wir in den Nachmittag, noch immer steht die Hitze.
Wir fahren nach Süden, durchqueren den Tsavo River auf einer betonierten Furt. Begegnen (friedlichen) Elefanten und einem Adler, der im hohen Gras ein Rebhuhn erbeutet und dann nach allen Regeln der Kunst zerlegt. Grausig und faszinierend zugleich.
Zeitnah kehren wir um. Dieser Teil des Parks sei weniger reizvoll, erläutert Livingstone. Nur dichter Busch und kaum zur Tierbeobachtung geeignet.
Rosy-patched bushshrike; ein wunderbarer Sänger.
Ohnehin haben wir andere Pläne. Wir fahren den Poachers Lookout hinauf, dessen Name mir überhaupt nicht zusagt, wohl aber seine Aussicht. Irgendwo da unten, jenseits der Ebene in der Mitte, liegt unser Camp.
Unsere Zeltnachbarn aus Bulgarien leisten uns Gesellschaft, wir kommen ins Quatschen, müssen den Hügel aber vor Sonnenuntergang wieder verlassen. So wollen es die Regeln, aber wir haben es nicht weit und auch vom Restaurant im Camp aus lässt sich wunderbar beobachten, wie die Sonne hinter dem Kilimanjaro versinkt.
Ein wunderbarer Abschluss unserer Zeit im Tsavo West, die leider schon wieder vorüber ist. Ich wünschte, ich könnte sie anhalten. Nur für einen Moment. Doch am nächsten Tag geht es weiter in Richtung Lumo Conservancy. Wir lieben Afrika und die kostbare Zeit, die wir dort verbringen dürfen - wenn sie nur nicht die dumme Angewohnheit hätte, doppelt so schnell zu verfliegen wie sonst.