Pilón - Media Luna
Um 6 Uhr klopft Dalia an meine Zimmertür:
„Desayuno“ (Frühstück)
Ich bin, dem nachbarlichen Hahn sei Dank, schon seit halb vier Uhr wach. Noch ein paar weitere Nächte und ich hätte ihm den Hals umgedreht. Gut daran ist, dass ich schon alles gepackt habe und mein Fahrrad abfahrbereit auf dem Hof steht.
Auch Dalias Mann ist aufgestanden, um mich zu verabschieden. Ich muss den beiden versprechen, mich bald zu melden und zu erzählen, wie es mir auf meiner weiteren Reise ergangen ist. Dann winken sie mir noch eine Weile hinterher, während ich langsam die holperige Straße Richtung Ortsausgang fahre.
Es war fast unmöglich gewesen, in Pilón Verbandsmaterial zu bekommen, weder im Hospital, noch in der Apotheke. Dalia gelang es nach einigen Telefonaten eine schon etwas angestaubte Mullbinde zu organisieren. Um Arm und Bein gewickelt hoffe ich damit die immer noch offenen Wunden vor Staub und Sonne zu schützen.
Pilon liegt schnell hinter mir. Das Sträßchen ist in gutem Zustand und zunächst eben. Ich bin froh, dass es endlich weitergeht. Ich werfe einen letzten Blick auf Pilón, das im dunstigen Licht der aufgehenden Morgensonne wie ein verschlafener Fischerort wirkt, was es ja auch ist.
Der erste Anstieg lässt nicht lange auf sich warten. Wenige Kilometer hinter Pilon windet sich die Straße in mehr oder weniger steilen Serpentinen den Berg hinauf. Wald wechselt mit Busch, dazwischen nackte Felsen, an die sich agavenartige Pflanzen klammern.
Nach den erzwungenen Ruhetagen freuen sich meine Beinmuskeln wieder aktiv sein zu dürfen. Ich trete trotz der Steigung flott in die Pedale. Dummerweise verrutschen durch die Bewegungen immer wieder die Verbände. Die Reibung ist schmerzhaft und auch der Schweiß, der in die Wunden läuft, ist alles andere als angenehm.
Irgendwann wickle ich die nutzlos gewordenen Verbände ab. Doch dann kommt ein neues Problem. Die kräftig gewordene Sonne brennt auf meinen aufgeschürften rechten Arm. Da die Sonnenbestrahlung noch unangenehmer als Reibung ist, wickle ich ein (sauberes) T-Shirt um den Arm. So geht es einigermaßen, aber angenehm ist etwas anderes.
Alto del Mareon – Gedenkminute für die Revolutionäre
Zweimal komme ich an revolutionären Gedenkstätten vorbei, La Aguadita und Alto del Mareon, wo Castro, Che Guevara & Co. einst die Revolution vorantrieben.
Landstraße zwischen Pilón und Media Luna
Nachdem ich die Ausläufer der Sierra Maestra überquert habe, führt mich eine schnurgerade Landstraße durch eine flache, offene Landschaft. Zuckerohrfelder bis an den Horizont, ab und an durchfahre ich kleine, bäuerliche Ortschaften.
Auch auf dieser Strecke sind nicht viele Fahrzeuge unterwegs. Aber nach der Einsamkeit der Küstenstraße kommt mir die Landstraße geradezu verkehrsreich vor. Anfangs begegnen mir hauptsächlich Pferdekarren, Kutschen und Reiter, später zunehmend auch motorisierte Fahrzeuge, Traktoren, Camiones und PKWs.
Da meine heutige Tages-Etappe nur etwa 45 km beträgt, habe ich reichlich Zeit und trödle vor mich hin. Ein paar Mal raste ich an schattigen Stellen und schaue dem Verkehr der Landstraße zu:
Auf der Landstraße zwischen Pilón und Media Luna
Öffentlicher Personennahverkehr
Auf der Landstraße zwischen Pilón und Media Luna
Maquina - Landstraße zwischen Pilón und Media Luna
Auf der Landstraße zwischen Pilón und Media Luna
Die Gebrüder Castro sind auch im hintersten Landeszipfel präsent
Media Luna
Trotz Trödelei und vieler Pausen erreiche ich mein Tagesziel schon gegen Mittag. Media Luna ist mir sofort sympathisch. Ein kleiner Ort, überschaubar, unspektakulär und untouristisch. Viele Häuser sind aus Holz gebaut und haben luftige Veranden. Das verleiht dem Ort etwas Karibik-Charme.
Media Luna
Media Luna hat auch einen hübschen Parque mit einem verspielten Pavillon und schattigen Bäumen, unter denen man die Hitze des Nachmittags gut aushalten kann.
In der einzigen Casa Particular des Ortes bekomme ich problemlos ein Zimmer. Das Haus hat eine Terrasse mit Schaukelstühlen auf der man gemütlich abhängen und dem Treiben auf der Straße zuschauen kann.
Casa Paricular El Almendro in Media Luna
Pedro, mein Zimmervermieter, erzählt, dass ich seit über zwei Wochen sein erster Gast sei. Media Luna liegt nicht gerade an den gängigen Touristenrouten und außerdem ist zurzeit keine Saison. Manchmal übernachten Radfahrer in seinem Haus, die wie ich die Küstenstraße entlangfahren, oder Touristen, die individuell mit dem PKW unterwegs sind.
Da wird mir bewusst, dass ich, seit ich Santiago verlassen habe, nur zwei Ausländer gesehen habe. Der erste kam mir unweit von Chivirico (bei der kaputten Brücke) entgegen, ein Profi-Radler, durchtrainiert und mit Hightech-Ausrüstung. Er war so schnell an mir vorbei, dass ich kaum „hola“ hinterherrufen konnte, den zweiten sah ich im Wifi-Parque in Pilón.
Media Luna
Media Luna hat sogar einen Strand. La Doctora aus Pilón gab mir den Rat mit auf den Weg, ich solle wo immer möglich, im Meer baden, das Salzwasser würde den Heilungsprozess beschleunigen.
Also, vamos a la playa.
Ich radle einen staubigen Feldweg Richtung Strand. Plötzlich sehe ich eine Ansammlung von Menschen, die einen Reiter anfeuern, der in mörderischem Tempo auf ein Drahtseil zureitet, das in etwa zwei Meter Höhe über den Weg gespannt ist. An dem Draht sind nebeneinander drei Ringe befestigt. Der Reiter versucht in vollem Galopp einen bleistiftgroßen Stift durch einen der Ringe zu stoßen. Das sieht unheimlich schwierig aus, und muss tatsächlich noch viel schwieriger sein.
Das Publikum hat seinen Spaß. Die Guajiros (Landvolk) wetten, trinken Rum aus Plastikbechern und johlen und schreien jedes Mal, wenn sich ein Reiter in hohem Tempo den Ringen nähert.
Reiterspiele in Media Luna
Ein bleistiftgroßer Stift muss durch einen der Ringe gestoßen werden
Ich schaue dem wilden Treiben eine Weile zu, doch dann brennt mir die Sonne zu sehr auf den Schädel und ich fahre weiter zum Strand. Der ist klein, fast menschenleer und wird es wohl nie in die Liga berühmter Strände Kubas schaffen, aber um etwas im Wasser herum zu planschen und meine Wunden vom Schmutz des Tages zu reinigen, ist es perfekt.
Während ich im Wasser plansche kommt eine Familie mit kleinen Kindern vorbei. Ich höre, wie die Mutter zu den Kindern sagt:
„Mira, mira un turista“ (Schau, schau ein Tourist)
Ich muss grinsen.
Viele Touristen scheinen sich tatsächlich nicht nach Media Luna zu verirren.
Auf dem Rückweg zur Casa mache ich einen Stopp in der Cafeteria El Sudito. Der lange und heiße Tag hat mich durstig gemacht und dagegen hilft kaltes Bier bekanntlich am besten. Es ist eine staatliche Cafeteria und dementsprechend bescheiden ist das Angebot: Bier, Rum, Zigarren und Zigaretten und von allem nur eine Sorte.
An den Tischen sitzen Campesinos, auf den Tischen steht Presidente-Bier. Ich hole mir auch ein Presidente-Bier und setze mich an einen freien Tisch. Das Bier schmeckt etwas wässrig, ist aber schön kalt. Obwohl ich in dieser Umgebung recht exotisch wirken muss, beachtet mich niemand. Die meisten trinken schweigend ihre Cerveza.
Ich sehe, wie ein älterer, wettergegerbter Mann zum Tresen geht und sich fünf Päckchen Criollos sin filtro (filterlose Zigaretten) geben lässt. Er riecht nacheinander an allen Päckchen und wählt dann eines aus. Die anderen gibt er dem Cantinero zurück.
Ein anderer Gast bekommt ein großes Glas Rum. Er nimmt einen tiefen Schluck, schüttet den Rest in die hohle Hand und reibt sich damit Gesicht und Arme ein. Sichtlich erfrischt verlässt er das Lokal.
Und ich bestelle noch ein Presidente.