10. September: Wüste und Meer
Der Wecker klingelt mich unbarmherzig aus dem Schlaf; er hätte ausnahmsweise länger dauern können, denn es war herrlich in meinem bequemen und mollig warmen Bett - zumal der erste Blick aus dem Fenster wenig verspricht.
Auf dem Weg quer durch den kleinen Garten zum Frühstück rümpfe ich die Nase. Es nieselt. Denke ich. "Das ist kein Regen, das ist Nebel", korrigiert mich Meike. Am Ende kommt's aufs Gleiche raus. Das Wetter lässt zu wünschen übrig - und erst jetzt dämmert uns, was für ein Glück wir 2012 im Dezember hatten, als der Himmel über Swakopmund makellos blau war und die Leute reihenweise zum Baden im Atlantik.
Swakopmund im Dezember 2012
Im Frühstücksraum bollert ein Ofen, schnell schließe ich die Tür, nur hinein ins Warme. Das Buffet ist klein, aber fein, das Frühstück ein Stimmungsaufheller. Dann geben wir unsere Autoschlüssel an der Rezeption ab, damit der Bushlore-Mechaniker helfen kann, und sind dankbar, dass wir unseren Ausflug trotz des Termins nicht absagen müssen. Meike und ihrer Mitarbeiterin sei Dank, die sich um unsere Angelegenheit kümmern.
Um kurz nach halb Neun klingelt der Guide von Turnstone Tours. Das Unternehmen war uns von Georg Erb empfohlen worden, dessen Klippspringer-Tour wir Jahre zuvor sehr gemocht hatten. Wir hatten sie Sandra und Christoph ans Herz gelegt, doch "Schorsch" hat sich aus dem Business zurückgezogen, besitzt nun eine Galerie in Swakop und hatte uns dennoch umgehend auf unsere fragende Mail mit einem Alternativvorschlag geantwortet.
Unser Guide ist ein vierschrötiger, zupackender Typ, der das Auto wohl zur Not auch durch die Dünen ziehen könnte. Überlege ich so bei mir, da scheucht er uns schon auf die Rückbank. Wir sind unter uns, und schon geht es los in Richtung Walvis Bay, wo wir kurz vor dem Ort an einer großen Holzplattform halten. Seit den 1930er-Jahren wird hier Guano gewonnen. Säckeweise schaukelt der kostbare Vogelmist an einem windschiefen Holzgerüst von der künstlichen Insel übers Meer. Hier wird aus Sch... Gold gemacht. Offenbar mit Erfolg.
Wieder fällt mir auf, wie bebaut der Küstengürtel nun ist. In wenigen Jahren, so prognostiziert unser Guide, werden Swakopmund und Walvis Bay nahtlos ineinander übergehen.
Als wir an der Lagune halten, ist es kaum wärmer als am Vortag. Aber immerhin trocken. Nur von Sonne keine Spur. Ein wenig bedrückt beäuge ich den trüben Himmel.
Die Wasservögel sind wie immer schön, aber ich störe mich an der Industrie drumherum. Ich kann das nicht ganz ausblenden. Anders als offenbar die Flamingos - zum Glück.
Vorbei an den Salzwerken fahren wir in Richtung des Nationalparks und dann auf dem Strand zwischen Dünengürtel und Wasserkante zum Sandwich Harbour. Das geht nur bei Niedrigwasser und ich bin froh, dass unser Timing passt.
Die Strandbewohner zeigen sich indes wenig beeindruckt von unserem Besuch.
Ohnehin haben die meisten von ihnen Besseres zu tun und tummeln sich in der Hoffnung auf fette Beute im Fahrwasser viel spannenderer Gäste. Mehrere Buckelwale schwimmen vor der Küste auf und ab, dicht umringt von Robben, die um sie herumtoben. Ein toller Anblick, wenn auch relativ weit weg, und ein unverhoffter dazu. Wir hatten einfach nicht damit gerechnet.
Vielleicht bilde ich es mir nur ein, doch so langsam wird es heller; zeigen sich sogar vereinzelt blaue Flecken am verhangenen Himmel.
Dann biegen wir plötzlich links ab. Wühlen uns die Düne hinauf. Und dann sind wir da. Mitten im Sand. Das Meer vor Augen. Wer beides liebt, ist im Paradies. So wie ich.
Der Guide lässt uns von der Leine. Wir laufen hin und her, bewundern die Landschaft und freuen uns über die Sonne, die nun auf die Lagune scheint. Pünktlich auf die Minute.
In Richtung Walvis Bay, das etwa 80 Kilometer nördlich liegt, ist es noch grau. Doch über uns klart es zusehends auf.
Die riesigen Dünen der Namib treffen hier auf den rauen Atlantischen Ozean. Eine grandiose Kombination.
Unter uns liegt der Sandwich Harbour. Eine Süßwasserlagune, die sich aus Brackwasser speist, das durch die Dünen in sie hineingelangt. Einst ein natürlicher Hafen, wurde vor mehr als 100 Jahren die Sandbank, die die natürliche Bucht schützte, zum Teil weggespült. Der Hafen, der wohl zum Walfang diente, wurde dadurch für Schiffe zu flach. Nun ist die Bucht nur noch auf dem Landweg zu erreichen und Teil des Namib-Naukluft-Parks.
Guide und Auto sind längst unten angelangt, und schließlich rennen auch wir die Dünen hinab. Das ist immer wieder ein Riesenspaß!
Bei Sandra geht's bergab...
Flamingos bevölkern die Lagune, und über uns fliegen Pelikane über den Dünenkamm.
Zum Mittag gibt's hausgemachte Lasagne, einen leckeren Salat, knuspriges Brot und Kekse. Keine Austern, kein Champagner, kein Chichi. Auch das war ein Grund, warum wir uns für Turnstone entschieden hatten.
Schampus am Mittag bekommt mir sowieso nicht. Und schon gar nicht in der Achterbahn. Sehr viel anders fühlt es sich nämlich nicht an, als wir wieder hoch in die Dünen fahren und uns dann querbeet auf den Rückweg machen. Was auch gar nicht anders möglich wäre, denn die Flut hat den Strand vorübergehend verschluckt.
Mal geht es steil in die Tiefe, dann wieder hoch hinauf. Unser Fahrer macht manchmal auf Spannung ("Ohoh, ich glaub' wir stecken fest"), doch wir vertrauen ihm. Er beherrscht sein Geschäft.
Noch einmal halten wir an einem der höchsten Punkte an. Wie schön es hier ist! Ich hatte jahrelang immer wieder überlegt, ob wir diese Tour nicht vielleicht doch einmal machen sollten. Nun bin ich froh, dass wir uns endlich dazu durchgerungen haben. Sie ist für uns ein Höhepunkt.
Schon fast aus den hohen Dünen heraus, sehen wir einige Autos mit Blick aufs Meer und Picknicktischen parken. Das seien die Touren, die wegen der Flut nicht bis zum Sandwich Harbour vordringen könnten, erklärt uns der Guide. Der Weg durch die Dünen funktioniert offenbar nur One Way, also aus den Dünen heraus, nicht tiefer hinein. Hm. Eine echte Option ist diese abgespeckte Variante nicht.
Erst am späten Nachmittag sind wir zurück. Zurück auch im Nebel von Swakop, wo er sich den ganzen Tag gehalten hat. Im Supermarkt ums Eck gehen wir einkaufen für die nächsten Tage, checken dann die Autos. Unsere Leiter ist gegen eine andere ausgetauscht, die zwar nicht neu ist, aber hält. Passt!
Am Abend dieses erfüllten Tages lege einen Leseabend ein, mache es mir im Zimmer gemütlich und damit den Weg für die anderen ins Fischrestaurant frei. Sie kommen gutgelaunt zurück, was ich aber gar nicht mehr mitbekomme. Schon längst bin ich im Reich der Träume.