Kapitel 5: Wetterglück geht, Sichtungsglück bleibt (17.10.2018)
Heute wache ich frühmorgens um kurz nach vier Uhr auf und fühle mich munter. Ich mache mich leise ausgehfertig und schleiche aus der Hütte, ohne den Rest der Familie zu wecken. Draußen empfangen mich Nässe und Kälte. Der Wind der Nacht hat eine neue Wolkendecke über den Kruger gelegt, aus der es beständig nieselt. Das freut mich einerseits für die Natur, andererseits muss ich zugeben, dass es mir schon ein wenig die Laune drückt. So macht jedenfalls ein Spaziergang im Camp wenig Spaß.
Ich vertreibe mir also die Zeit wartend in unserer Hütte, bis ich gegen 5.15 Uhr in unseren Bus steige, um allein eine kurze frühmorgendliche Runde zu drehen.
Das Tor ist bereits um 5.20 Uhr geöffnet und so fahre ich ohne die Begleitung anderer Fahrzeuge in den Park. Langsam wird es heller – die Sonne wird aber bei der derart dichten Bewölkung erstmal keine Chance haben… Aber: Was solls – Tierbeobachtungen sind trotzdem möglich, die Fotos werden zwar etwas weniger farbenfroh, aber das kennen wir ja bereits von den ersten Tagen dieser Reise…
Also frisch ans Werk: Der frühe Vogel fängt die Katze…
Und tatsächlich: Ich steuere den nahen Sunset Dam an und siehe da: Eine Löwin liegt am Straßenrand am Ufer des Sees und wirft mir müde Blicke zu. Ich leiste ihr in den nächsten Minuten Gesellschaft und bin weitaus mehr an ihr interessiert, als sie an mir. Ich freue mich: Noch bevor die Sonne wirklich aufgegangen ist, die erste Löwin. So kann ein Tag im Kruger beginnen!
Bald bekommt sie Gesellschaft von einem stattlichen Löwenkater, der plötzlich lautlos aus meinem toten Winkel heraustritt und direkt neben meinem geöffneten Fenster steht.
Das unerwartete Auftauchen und der Umstand, dass das enorme Tier quasi in Griffweite steht, lassen mich durchaus erschrecken – die Fensterscheibe fährt nach oben.
Er hat aber nur Augen für sie. Alsbald steht sie auf und macht sich daran, am Ufer des Sees entlangzuspazieren. Er folgt ihr auf dem Fuße und lässt nur von ihr ab, um seinen Löwendurst zu stillen. Unglaublich, wie ausdauernd ein solches Tier trinken kann.
Dann beeilt er sich, der Löwin zu folgen und beide verschwinden am jenseitigen Seeufer im dichten Busch. Was für ein schöner Tagesauftakt – auch ohne Sonnenschein.
Mein eigentliches Ziel für den heutigen Morgen ist aber unser Rissbaum. Auf dem Weg dorthin begegnet mir eine Tüpfelhyäne. So langsam macht sich der Eindruck breit, dass Hyänen auf dieser Reise zum allmorgendlichen Empfangskomitee gehören. Das hatten wir in dieser Weise auch noch nie.
Den Leopardenbaum finde ich dann aber verwaist vor. Es sind zwar noch Rissreste vorhanden, aber viel Fleisch lässt sich da nicht mehr finden. Fraglich, ob die Leopardin noch einmal zurückkehren wird. Wir jedenfalls werden sie nicht wiedersehen.
Ich fahre zurück ins Camp und treffe meine Familie bereits wach an. Wir frühstücken gemeinsam und werfen unser gesamtes Geraffel zusammen, denn heute werden wir Lower Sabie verlassen und uns auf den Weg nach Satara machen. Darauf freuen wir uns besonders, denn Satara haben wir seit 2014 nicht mehr besucht und bei unserem letzten Besuch hat uns die offene Gegend, in der das Camp liegt, sehr gut gefallen.
Unseren Aufenthalt in Lower Sabie haben wir auch dieses Mal wieder genossen. Das lag natürlich einerseits an den schönen Sichtungen der letzten Tage, aber auch daran, dass die Kinder hier viel Auslauf hatten und der Pool in Fußnähe war. Die Aussichtsterrasse finden wir – trotz des Rummels – auch immer wieder schön und „Mugg and Bean“ ist für uns unter den Restaurantbetreibern im Nationalpark von der Auswahl (und meist auch von der Qualität gesehen) der beste. Dass wir in Lower Sabie keine eigene Dusche und kein eigenes WC hatten, hat uns überhaupt nicht gestört. Das Sanitärhaus liegt schließlich in unmittelbarer Nähe der „Huts“ und war durchgehend gut sauber gehalten. Will man also im Bereich der Unterkünfte Geld sparen, so ist diese Unterbringungskategorie meines Erachtens gut weiterzuempfehlen.
Aber weiter geht’s…
Auch bei der zweiten Abfahrt des Tages ist das Wetter noch nicht besser geworden. Bevor wir den Sabie gen Norden queren, fahren wir noch einmal zum Sunset Dam. Im gegenüberliegenden Flussbett ruhen jetzt drei Löwinnen auf der Sandbank im Nieselregen. Wir beobachten sie kurz, aber da alles so grau in grau ist und wir auch keine große Aktivität erwarten, fahren wir bald weiter.
Auf der Brücke halten wir kurz für einen Pied Kingfisher.
Und dann bleibt es lange Zeit ruhig. Unter tiefhängenden Wolken und durch leichten Sprühregen geht unsere Fahrt über die H-10 in Richtung des Rastplatzes Tshokwane. Auf dem Weg dorthin zeigen sich nur sehr wenige Tiere und die Landschaft kann ihren Reiz wetterbedingt kaum entfalten.
Irgendwann stoßen wir dann aber auf einen Rietbock, der nahe an der Straße frisst. Über die Sichtung dieser im Kruger seltenen Antilopenart freuen wir uns sehr, denn bisher sahen wir Rietböcke (wenn überhaupt) immer im hohen Ufergras und damit weitgehend verdeckt. Dieses Exemplar präsentiert sich uns trotz des trüben Wetters aber durchaus fotogen.
Wir sehen auf der weiteren Fahrt einige Hornraben und begegnen zum ersten (und einzigen) Mal auf dieser Reise einem Klippspringerpaar.
Nördlich von Tshokwane führt die Straße dann nah am Flussbett des N’waswitsontso entlang. In diesem werden wir in den nächsten Stunden eine der spannendsten Sichtungen dieser Reise erleben dürfen, die sich am besten als im weitesten Sinne fünfaktiges Drama mit pyramidaler Struktur in Anlehnung an G. Freytag beschreiben lässt.
Also: Vorhang auf.
Am Straßenrand eines kleinen Turnouts sehen wir einige Autos stehen. Hier muss es also etwas zu sehen geben, denken wir, denn ansonsten herrscht weit und breit Leere in der Landschaft. Und so beginnt der erste Akt, die Exposition. Den Zuschauenden werden die handelnden Figuren vorgestellt und ein Konflikt wird vorgezeichnet.
In unserem Fall sind die Handelnden:
Ein noch junger Löwenkater, der am Rand des Flussbettes sitzt und einen schon recht mitgenommen aussehenden Gnukadaver bewacht.
Einige Geier, die in den nahen Bäumen geduldig darauf warten, den Rissrest weiterverwerten zu können.
Und ein Clan von insgesamt elf Tüpfelhyänen, die nach kurzer Zeit die Bühne des Flussbetts betreten.
Der Löwe liegt wachsam auf seinem Riss. Von der ihm gegenüberliegenden Seite des Flussbettes her ziehen die Hyänen auf. Zuerst – in noch weiter Entfernung zum Löwen – trotten die Hyänen locker neben- und hintereinander her, schnüffeln mal hier und mal dort.
Je näher sie dem Flussbett kommen, desto zielgerichteter werden aber die Bewegungen. Die Matriarchin bellt mit aufgerichtetem Schwanz „Befehle“, der Clan organisiert und verteilt sich, während er sich langsam dem Löwen nähert, strategisch geschickt in verschiedenen Winkeln zum Zielobjekt.
Der sich entspinnende Konflikt ist klar: Die elf Hyänen wollen das Gnu, der Löwe möchte es naturgemäß aber nicht herausgeben, schließlich ist es die Beute seines Rudels. Es steht elf zu eins. Dafür ist die eins beträchtlich größer und stärker als jedes einzelne Exemplar der elf. Wird der Vorteil der Masse die Kraft des Einzelnen aufwiegen können? Mit dieser Frage schließt der erste Akt.
Wir sind gespannt uns beobachten fasziniert. Was wird der zweite Akt, der nach Freytag die steigende Handlung enthält, wohl bereithalten?
Die Bühne ist bereitet. Und das zur Mittagszeit!
Fortsetzung folgt.