La Loma del Chivo (Der Ziegenhügel)
Nachdem alles erledigt ist, überlege ich, was ich mit meinem letzten Abend in Guantanamo anfangen soll. Da fällt mir die Einladung der gestrigen Nacht ein. Ich habe mir die Adresse nicht wirklich gemerkt, aber ich erinnere mich, dass Yolanda sagte, sie wohne in derselben Straße in der sich die „Casa del Changüí“ (Kulturhaus zur Pflege des Changüi) befinde und ich könne jeden auf der Straße dort nach ihr fragen, alle würden sie kennen.
Um nicht mit leeren Händen aufzutauchen, kaufe ich ein tiefgefrorenes Hühnchen und ein paar Getränke, stecke sie in eine Plastiktüte und mache mich auf den Weg zum Ziegenhügel. Das Hühnchen hält die Getränke schön kühl, denn obwohl die Sonne schon tief steht, ist es immer noch heiß in Guantanamos Gassen.
La Loma del Chivo
Die Loma del Chivo ist nicht gerade das beste Viertel Guantanamos. Der schwarze und damit ärmere Bevölkerungsanteil ist hier besonders hoch. Die Straßen und Gehwege sind rissig, die Häuser bis in die oberen Stockwerke vergittert. Abends mischt sich dumpfer Reggaeton mit rhythmischem Changüí und melancholischem Son.
Halbwüchsige Schwarze lungern auf den Straßen herum, oder spielen Pelota (Baseball). Ältere Herren sitzen im Schatten ihrer Veranden und spielen Domino. Mütter stillen ihre Babys vor ihren Häusern. Noch mehr, als anderswo in Kuba, habe ich den Eindruck, dass sich das Wohnzimmer der Menschen direkt auf der Straße befindet. Obwohl ich als Ausländer hier reichlich exotisch wirken muss, werde ich kaum beachtet.
Und, als ich nach Yolanda frage, scheint sie tatsächlich jeder zu kennen.
„Busco a Yolanda, una chica que vive en esta calle.“ (Ich suche Yolanda, eine Frau, die in dieser Straße wohnt.)
„Yolanda? Ella vive en la casa de la esquina.“ (Yolanda wohnt im Haus an der Ecke)
La Loma del Chivo
La Loma del Chivo
La Loma del Chivo
La Loma del Chivo
La Loma del Chivo
Dann stehe ich vor dem Haus an der Ecke. Türklingeln gibt es in Kuba selten, um sich bemerkbar zu machen, klopft und ruft man, bis jemand kommt. Ich klopfe mehrmals an die Tür und rufe laut:
„Yolanda“
Noch einmal: „Yolanda“.
Überraschend schnell erscheint sie aus den Tiefen des Hauses, eine filterlose Zigarette in der Hand blickt sie mich verwundert an.
„Ay mira, veniste, entra, entra.“ (Oh, schau an, du bist gekommen, komm rein)
Im Eingangsbereich liegt eine schmächtige Gestalt regungslos auf einem zerlumpten Lager.
„Mi tio“, stellt sie vor, „llegó borracho en la noche“. (Mein Onkel, er kam letzte Nacht betrunken nach Hause)
Eine ebenfalls ziemlich dürre, ältere Frau taucht aus einer dunklen Ecke auf und mustert mich neugierig.
„Mi tia“ (Meine Tante)
Ich sage: „Hola“ und die Tia grinst mich zahnlos an.
Yolandas Haus ist eines dieser schmalen, aber tiefen Häuser, nur ein Zimmer breit, dafür aber drei oder vier Zimmer tief. Und am Ende schließt sich noch ein kleiner Patio an, in dem zwischen allerlei Schrott ein paar Hühner gackern.
Yolanda zieht mich in ein Zimmer. Es ist ein kleiner fensterloser Raum, darin ein Bett, ein Stuhl, ein uralter Ventilator. Auf einer kleinen Kommode flimmert ein SW-Fernsehgerät, in den Fächern darunter Bücher und die Schulhefte ihres Sohnes. In einer Zimmerecke eine Elektrokochplatte und ein paar Kochutensilien, in der anderen Ecke ein Altar für die Santos (Heiligen). Die Wände sind grob verputzt und wurden wohl vor längerer Zeit mal mit wässriger Farbe gestrichen. Hier wohnt sie zusammen mit ihrem 15-jährigen Sohn.
Sie strahlt mich an mich an und sagt: "Sientate" (setz dich)
Ich drücke ihr die Tüte mit dem tiefgekühlten Hühnchen und den Getränken in die Hand und setze mich aufs Bett. Da das Zimmer kein Fenster hat, ist die Luft heiß und stickig. Schon nach kurzer Zeit läuft mir der Schweiß den Rücken hinab. Sie sieht es, schaltet den Fernseher aus und dafür den Ventilator ein. Beides zusammen funktioniert nicht.
Yolandas Kochnische
Dann beginnt sie mit den Vorbereitungen fürs Kochen. Hühnchen zerlegen, Reis von Steinchen und Dreck säubern, Zwiebeln und Gemüse schneiden. Immer wieder kommen Leute in das kleine Zimmer. Ihr Sohn, dessen Freunde, Nachbarinnen und die Tante.
Yolanda lacht und meint, sie sind neugierig, sie wollen den Yuma (Ausländer) sehen.
Dann sagt sie nüchtern und fast beiläufig einen Satz, der mich berührt:
„Hier kannst du den Grad der Armut sehen in dem ich lebe.“
Eine Zimmerecke ist für die Santos reserviert
Die Zubereitung des Hühnchens dauert etwa zwei Stunden. Die Getränke verteile ich an die Tante und an Yolandas Sohn. Das Essen ist ausgesprochen lecker. Keine Ahnung wie sie das mit den wenigen Zutaten geschafft hat, vielleicht haben die Santos aus der hinteren Ecke ein bisschen mitgeholfen.
Bald verabschiede ich mich, denn ich muss morgen früh raus. Ich verspreche wiederzukommen, falls es mich noch einmal nach Guantanamo verschlagen sollte. Als ich zu meiner Casa zurücklaufe, sind die dunklen Straßen menschenleer. In vielen Häusern flimmern die Fernsehgeräte, es ist Telenovela Zeit und die will in Kuba niemand verpassen.