Mit dem Zug von Guantánamo nach Holguín
Montag, 6 Uhr. Mein Gepäck geschultert, laufe ich durch die morgendlichen Straßen Guantánamos Richtung Bahnhof. Ich rechne mit etwa 15 Minuten Gehzeit. Ich hätte auch für zwei oder drei CUC ein Taxi nehmen können, aber ich mag die Morgenstimmung und ich habe auch Lust mich ein bisschen zu bewegen.
Trotz früher Stunde begegnen mir auf den Straßen schon zahlreiche Menschen. Es sind Arbeiter und Angestellte, die zu ihren Arbeitsstätten eilen, wo sie für lächerlich wenig Lohn ihr Tagwerk verrichten. Gestern erzählte Yolanda, dass sie bei ihrem Halbtagsjob in einem staatlichen Restaurant gerade mal 250 Pesos CUP im Monat verdient, also etwa 8 €. Auch besserverdienende Angestellte kommen kaum über 500-600 CUP (16-20 €) Monatslohn.
Da trotz staatlicher Subventionen niemand von solchen Löhnen leben kann, betreiben viele Kubaner halb- oder illegale Nebengeschäfte. Ein befreundeter Kubaner erzählte mir einmal, dass die Attraktivität einer Arbeitsstelle in Kuba nicht durch deren Lohn definiert ist, sondern vielmehr dadurch, was man dort klauen kann. Auf dem Schwarzmarkt (bolsa negra) finden sich dann die Waren wieder, die aus den staatlichen Betrieben, Supermärkten, Hotels und Restaurants gestohlen wurden.
Während ich meinen frühmorgendlichen Gedanken nachhänge, höre ich in der Ferne das ungeduldige Hupen des Zuges. Unwillkürlich beschleunige ich meine Schritte. Kubanische Züge fahren, falls sie fahren, pünktlich los.
Guantánamo Bahnhof
Am Bahnhof ist erstaunlich wenig Betrieb. Ich habe erwartet, dass mit Gepäckstücken beladene Menschenmassen den Zug stürmen, stattdessen gähnende Leere. Lediglich ein paar verschlafen wirkende Gestalten stehen herum.
In kubanischen Zügen geht es relativ geordnet zu. Jeder Fahrgast bekommt einen nummerierten Sitzplatz zugewiesen. Stehplätze gibt es offiziell keine. In der Praxis sieht es aber oft so aus, dass die Sitzplätze gar nicht existieren, oder mehrfach verkauft werden, oder, dass unterwegs mehr Menschen zusteigen, als der Zug Sitzplätze hat. Es ist Aufgabe der Ferromosas (Zugbegleiterinnen), dafür zu sorgen, dass jeder (s)einen Sitzplatz bekommt.
Ich frage eine der Ferromosas nach Coche Tres (Waggon Nr. 3). Sie betrachtet stirnrunzelnd meinen Fahrschein. Schließlich sagt sie, Coche Tres fährt nicht nach Holguín, er wird unterwegs irgendwo an einen anderen Zug umgehängt. Sie bringt mich stattdessen zu Coche Uno (Waggon Nr. 1) und weist mir den Asiento 45 (Sitz Nr. 45) zu, was sie auch gewissenhaft in eine Liste auf ihrem Klemmbrett einträgt. Eigentlich ist das völlig egal wo ich mich setze, in dem Waggon befindet sich außer mir nur eine junge Frau und ein älterer Mann.
Im Zug
Etwas in dem Zug kommt mir seltsam vertraut vor. Als ich mich umsehe, stelle ich erstaunt fest, dass ich mich in einer total vergammelten und verschlissenen Version eines deutschen Nahverkehrszuges der 80er Jahre befinde. Überall hängen die Fetzen herunter. Alles was demontierbar ist, wurde längst demontiert. Die Fenster sind mit einer rötlichbraunen Schicht bedeckt, dadurch praktisch undurchsichtig. Ich bin nicht sicher, ob es sich dabei um Jahrzehnte alten Dreck handelt, oder ob das als Sonnenschutz aufgepinselt wurde.
Ein paar Schilder haben überlebt, ich lese dort, wo sich einmal ein Regler befunden haben muss, eine Aufschrift in deutscher Sprache: Heizung Auf/Zu.
Deutsche Bundesbahn hat in Kuba überlebt
Um 6:25 Uhr hupt es einmal kurz und fast gleichzeitig setzt sich der Zug ruckelnd und ächzend in Bewegung. Superpünktlich! Dass die Türen offen stehen stört niemand, ebenso wenig, dass ein paar Passagiere in den anfahrenden Zug springen. Andere werfen Gepäckstücke hinterher. Dann verlassen wir schaukelnd und quietschend Guantánamo.
El Tren(cito)
Unterwegs zwischen Gtmo und Holguín
Der Zug hält nicht nur an zahlreichen kleinen Bahnstationen, sondern auch an jeder Milchkanne und manchmal hält er auch, wenn es nicht einmal eine Milchkanne gibt. Ein paar Leute steigen ein oder aus, dann geht es weiter.
Allmählich wird es voller. Allerlei Landvolk mit Sack und Pack, Kind und Kegel, bevölkert die Waggons. Und natürlich gackert auch ein verschnürtes Huhn irgendwo ängstlich vor sich hin. Wenn Campesinos verreisen, nehmen sie gerne ihre Tiere mit.
Im Zug von Guantanamo nach Holguín
Ich bekomme Sitznachbarinnen. Zwei schwergewichtige Frauen mit riesigen Handtaschen lassen sich mir gegenüber nieder. Guajiras (Landfrauen), die sich für die Großstadt schick gemacht haben. Ihre Fingernägel sind entsprechend kubanischer Mode perfekt gestylt. Goldene Uhren, Ringe und Ketten machen das Gesamtkunstwerk perfekt. Schon nach kurzer Zeit schlafen sie ein. Auch die anderen Passagiere dösen vor sich hin.
Guajiras auf dem Weg in die Stadt
Händler im Zug
Der Zug schaukelt mit geschätzten 30-40 km/h durch die leicht hügelige Landschaft. Palmen, Bananenstauden, Mais- und Gemüsefelder, kleine Gehöfte ziehen an meinem Fenster vorbei. Ab und zu ein paar dürre Rinder oder Pferde.
Es wird zunehmend wärmer, da alle Fenster geöffnet sind, ist es aber erträglich. Das gleichmäßige Rattern und die sanften Schaukelbewegungen machen auch mich schläfrig und ich schließe mich dem allgemeinen Dösen an.
Unterwegs auf den kleinen Bahnhöfen...
...füllt sich der Zug rasch.
Ländliches Ostkuba
Meine Sitznachbarinnen schlafen fast die ganze Strecke
Für die rund 170km benötigt der "Lechero" fast sieben Stunden. Durch die langsame Reisegeschwindigkeit und die vielen Stopps wird es nie langweilig. Auch sind Kubaner sehr kommunikativ und schon bald nach der Abfahrt unterhalten sich die Menschen miteinander, als würden sie sich ihr ganzes Leben lang kennen. Was für ein Unterschied zu Deutschland, wo die Fahrgäste in den Zügen stundenlang wortlos aneinander vorbei starren, oder pausenlos auf ihren Handys herumtippen.
Da an mir immer noch deutliche Spuren meines Fahrradunfalles zu erkennen sind, werde ich daraufhin angesprochen und muss wieder einmal meine Geschichte erzählen. Ich bekomme Tipps zu Heilsalben, Kräutern und Medikamenten, die die Heilung beschleunigen sollen. Nicht zum ersten Mal bin ich erstaunt (und gerührt) darüber, von wildfremden Menschen so viel Anteilnahme zu erfahren.
Gegen 13.30 Uhr erreichen wir Holguín. Während die Fahrgäste eilig den Zug verlassen, bleib ich noch ein Weilchen sitzen und betrachte die abgewirtschafteten Waggons. Wie sind sie wohl hierhergekommen? Eine Spende? Wie lange wird es in Kuba noch solche Züge geben? Auch wenn die Modernisierung der Eisenbahn das Leben der Menschen erleichtern würde, so würde, zumindest für mich Yuma (verwöhnter Ausländer), ein Stück Kuba- Eisenbahnromantik verloren gehen.