Ruth zappelte wie ein kleines Kind an Weihnachten die ganze Zeit aufgeregt auf ihrem Sitz herum. Auf Anhieb fanden wir den Markt, der uns seit drei Jahren nicht mehr aus dem Kopf gegangen war. Diesmal parkten wir die Autos auf der gegenüberliegenden Straßenseite mit den Rückwänden des Canopys so nah gegeneinander, dass sich die beiden hinteren Türen beim besten Willen nicht mehr öffnen ließen. Unsere Wertsachen waren also sicher verstaut. Dann konnte es losgehen. Ruth war eh nicht länger zu halten. Wir stürzten uns ins Gewühl.
Die Waren, Geräusche, Gerüche – die gesamte Atmosphäre lässt sich nur schwer beschreiben. Der Großteil des Platzes bestand aus schwarzem Tiefsand. Obwohl er fast vollständig mit kleinen Ständen belegt war, fuhren auf zwei Spuren regelmäßig PKWs hindurch. Da sie im Sand schlecht anhalten konnten, ohne sich evtl. festzufahren, kamen sie in zügiger Fahrt und notfalls hupend dicht an den Leuten vorbeigerauscht. Dann musste man wie herumlaufende Ziegen oder Hühner zügig zur Seite springen und Platz machen.
Gleich zu Beginn kamen wir an einem Stand mit Bohnen, Nüssen und frittierten Mopaneraupen vorbei. Die standen ja schon lange auf Ruths To-Do-Liste, bisher hatte sie sich aber noch nie dazu durchringen können. Verkauft wurden die Raupen eigentlich tassenweise, aber Ruth machte der Verkäuferin klar, dass sie nur eine einzige probieren wolle.
von Karin:
Also nicht so genau hingeschaut, wo bei dem undefinierbaren, grauen Schrumpelding vorne und hinten, wo Kopf, Haare und Füße sind, um sich nicht doch noch im letzten Moment anders zu entscheiden. Unter dem interessierten Blick der Verkäuferin biss Ruth die Hälfte ab, kaute auf dem mehligen, krümeligen Zeug herum und schluckte tapfer.
Auch der zweite Teil der Raupe wanderte in Ruths Mund, wurde dann aber als unlecker befunden. Wie ein Löffel Sand knirschte das frittierte, trockene Gebröckel zwischen den Zähnen, und Ruth fand auch Minuten später noch Krümelchen, obwohl sie eigentlich alles möglichst unauffällig in einem Taschentuch entsorgt hatte. Sie war sich relativ sicher, dass die Raupen auf diese Weise höchstens von ahnungslosen, dummen Touristen, nicht aber von Einheimischen gegessen werden. Ok, Raupe probiert. Ergebnis: Muss man jetzt auch nicht unbedingt. Haken dran.
Vorbei ging es an kleinen Lädchen, an Verkaufsständen und in der Mitte des Platzes an einem großen Haufen mit Unrat und Abfall, aus dem es an mehreren Stellen qualmte. Kinder suchten in den Resten nach Brauchbarem. In Käfigen saßen lebende Hühner und warteten auf einen Käufer – oder auch nicht.
Zu kaufen gab es Tomaten für 1, 2 und 3 Kwacha (je nach Größe und Qualität), Salate, Gewürze, diverse Früchte und Gemüseknollen, die wir nicht benennen konnten. Klamotten gab es entweder auf Kleiderbügeln oder in großen Wühlhaufen. Schuhe lagen ebenfalls auf Bergen, wobei uns nicht klar war, wie man in diesem Chaos ein passendes Paar herausfinden sollte. Man konnte Plastikbecher in allen Farben, Bottiche, Eimer und Tüten erwerben. Bunte, afrikanische Stoffe hingen gefaltet nebeneinander. Karin und Ruth schauten sich ein paar an, und sofort waren wir umringt von Verkäufern und sonstigen interessierten Leuten. Im Grunde waren wir natürlich schon aufgefallen, sobald wir den Platz betreten hatten, da wir weit und breit die einzigen Weißen waren. Selten hatten wir das Gefühl, so zu leuchten. Nachdem die ersten Stoffe erstanden waren, wurden Handyfotos mit uns gemacht, und wir wurden immer wieder mit „Hello, my friend“ angesprochen. Gleiches Recht für alle: Es wurde hin und her fotografiert. Jemand bot uns an, seinen gekochten Reis zu probieren, den er auf einem kleinen Teller bereithielt.
von Karin:
von Karin:
Irgendwann rissen wir uns los und schlenderten weiter. Es war unglaublich spannend und mit nichts zu vergleichen, was wir zuvor erlebt hatten.
Aus einem blechernen Lautsprecher erschallte im Zehn-Sekunden-Takt die immer gleiche Aufforderung, für soundsoviel Kwacha irgendetwas zu kaufen. In einer angrenzenden Ladenzeile wurden in einem Barber-Shop Haarschnitte verkauft oder künstliche Haare eingeflochten. Es war bunt, es war laut.
Wir erstanden ein paar Tomaten, außerdem wollte Ruth gerne ein quietschbuntes afrikanisches Oberteil mit wildem Muster kaufen, das sie bisher nirgendwo entdecken konnte. Also fragte sie eine Gemüseverkäuferin, die ein solches Oberteil trug. Die erklärte sich spontan bereit, uns einen entsprechenden Laden zu zeigen und marschierte auch prompt los.
Sie führte uns in den hinteren Teil des Marktes, der aus überdachten Buden bestand und den wir zuvor noch gar nicht bemerkt hatten. Enge, dunkle Gassen führten durch dieses Labyrinth von weiteren Läden und Ständen.
Hier war es dunkel und die Gerüche noch viel intensiver. Wir mussten uns sputen, um mit der Dame Schritt zu halten. Karin und Peter hatten wir bereits nach den ersten beiden Abzweigungen im Gewirr der Gänge verloren.
Nie im Leben hatten wir geahnt, wie weit sich der Markt in diesem Teil noch verzweigte. Doch unsere Führerin kannte sich aus. Unbeirrt schritt sie immer weiter, und wir hatten schon bald völlig die Orientierung verloren. Der erste Laden, den sie uns zeigen wollte, hatte geschlossen. Aber bald fand sie einen anderen Stand, der zwei der gesuchten Oberteile hatte. Ruth entschied sich für ein lila Gewand, das ihr prima passte und immerhin auch ein klein bisschen gefiel, das heißt, nicht ganz so in den Augen brannte wie die Alternative in Orange, Gelb, Grün und Schwarz.
Zurück ging es durch das Gewirr an Gängen, und Ruth war heilfroh, dass sie nur hinterherlaufen musste. Hier hätte man sie ganz prima aussetzen und loswerden können. Ein Maislabyrinth ist ein Kinderspiel dagegen. An einer Stelle wurden getrocknete Fische verkauft, an einer anderen noch ganz frische. In großen Kübeln oder einfach auf kleinen Häufchen lagen sie auf einfachen Tischen und wurden von unzähligen Fliegen umschwirrt. Der Geruch war unvorstellbar.
In rostigen Fritteusen brieten Cassava-Stückchen, von dem man auch sehr feines, weißes Mehl kaufen konnte. Werkzeuge, Nägel und Schrauben wurden angeboten. Uwe suchte nach einer kleinen Schraube mit Mutter, um unsere große Grillzange zu reparieren, wurde aber nicht fündig.
Als wir aus den Katakomben wieder zurück ans Tageslicht traten, waren wir zum einen froh, wieder frische Luft zu atmen, zum anderen aber auch ein wenig traurig, dass dieses Abenteuer schon vorbei sein sollte.
Am Stand der Gemüseverkäuferin wurde Ruth mit ihrem neuen Oberteil, das sie natürlich angezogen hatte, gefeiert und bejubelt. Wir machten noch ein Foto von unserer sehr netten Fremdenführerin. Eine bessere hätten wir wirklich nicht haben können. Dann eilten wir zu unserem Auto, um ihr als Dankeschön das Foto auszudrucken. Während Ruth noch ein paar Zeilen auf die Rückseite schrieb, entdeckten wir auch Karin und Peter wieder. Sie hatten nichts dagegen, sich noch einmal mit uns ins Getümmel zu stürzen. Zuerst suchten wir die Stände der Gemüseverkäuferinnen und fanden unsere Freundin zum Glück wieder.
von Karin: