Ilizi – Hannover
Schon kurz nach dem Röntgen kommt der Arzt mit der Diagnose – Oberschenkelhalsbruch. Ich dachte immer so etwas passiert nur alten Menschen.
Am liebsten würde mich der Arzt gleich operieren. Die Aussicht hier in einem Buschkrankenhaus mit fraglicher Hygiene solch einen Eingriff durchführen zu lassen schreckt mich schon gehörig ab, aber ich will die hilfsbereiten Menschen hier auch nicht vor den Kopf stoßen. Als für alle Seiten gesichtswahrende Erklärung bringe ich vor, solch eine schweren Eingriff lieber mit dem Beistand meiner Familie durchzustehen zu wollen. Familie ist hier sehr wichtig und so haben alle Verständnis für meine Entscheidung. Um das Bein bis zur OP ruhig zu stellen, wird eine typisch afrikanische Lösung erdacht. Ich bekomme um den Fuß einen kiloschweren Gips, in dem an der Ferse ein alter Besenstiel im rechten Winkel eingefügt wird. Das funktioniert auch sehr gut und bis auf gelegentliche Muskelkrämpfe im Bein bin ich schmerzfrei.
Nicht nur für mich ist die Reise hier in Ilizi zu Ende. Auch Kathrin steigt aus, um meinen Rücktransport zu organisieren und mich im Krankenhaus zu betreuen. Für die alltägliche Pflege gibt es in afrikanischen Krankenhäusern meist kein Personal; dafür sind die Angehörigen zuständig. Für alles, was Kathrin hier für mich getan hat bin ich Ihr noch immer unendlich dankbar.
Gleich am nächsten Morgen fängt Kathrin an den Rücktransport zu organisieren. Hierbei und auch bei vielen anderen Dingen wird Sie von der Familie unseres Tourguides unterstützt.
Grundsätzlich ist die Sache mit dem Rücktransport klar. In unserer ADACplus-Mitgliedschaft ist weltweiter Krankenrücktransport enthalten. Die Schwierigkeiten beginnen aber schon damit, ein internationales Telefon zu finden. Wie sich herausstellt gibt es in ganz Ilizi einen internationalen Anschluss und der befindet sich in Privatbesitz. Glücklicherweise ist der Besitzer, wie alle Menschen die wir in Algerien kennengelernt haben, sehr hilfreich und bietet Kathrin jederzeit Zugang zum Telefon. Die Kosten erstatten wir selbstverständlich.
Die erste Reaktion des ADAC ist ein leichter Unglauben über unseren Standort. Die mussten wahrscheinlich erst einmal auf der Landkarte nachsehen. Dorthin hatten sie noch nie einen Einsatz. Deshalb muss auch der Arzt erst einmal die Diagnose bestätigen. Dann ist aber auch schnell klar, dass ich mit einem Sanitätsflugzeug ausgeflogen werde. Da es mit Algerien keinerlei Vorerfahrungen gibt, muss seitens des ADAC einiges organisiert werden und Kathrin soll sich an nächsten Tag wieder melden, dann hofft man uns einen Termin für die Rückholung mitteilen zu können.
Währenddessen wird mir im Krankenhaus auch nicht langweilig. Gefühlt die Hälfte der Einwohner Ilizis kommen bei mir vorbei und erkundigen sich nach meinem Befinden. Hier scheint ansonsten nicht viel los zu sein und ich bin das allgemeine Stadtgespräch. Alle wollen mich sehen und kennenlernen. Grundsätzlich habe ich aber ein Einzelzimmer. Für Kathrin hat man ein zweites Bett reingestellt, so dass Sie auch nachts bei mir sein kann. Für die reichliche Verpflegung sorgt die Familie unseres Guides, was besonders hoch anzurechnen ist, da derzeit Ramadan ist.
Am Nachmittag trifft auch der Rest unserer Gruppe in Ilizi ein. Alle besuchen mich noch einmal und wünschen mir gute Besserung. Für sie geht die Tour morgen weiter.
Mein Motorrad wird abgeladen, da es in meinem Reisepass eingetragen ist und ich ohne Motorrad ausreisen werde, wird es erst einmal in einem Zollhof eingelagert.
Das Telefonat mit dem ADAC am nächsten Tag bringt gute Neuigkeiten. Das Flugzeug für meinen Rücktransport wird am folgenden Morgen in Nürnberg starten und gegen Mittag in Ilizi eintreffen. Für Kathrin wurde auch bereits ein Rückflug über Algier und Paris gebucht. Auch diese Kosten übernimmt er ADAC, ebenso wie Organisation und Rücktransport meines Motorrades.
Am nächsten Mittag geht es dann zum Flughafen. Nachdem ich die Zeit im Bett recht schmerzfrei verbracht habe, ist das jetzt sehr unangenehm. Wir stehen mit dem Krankenwagen auf dem Vorfeld des Flughafens und pünktlich, kurz nach Mittag, setzt der Mini-Düsenflieger zur Landung an. Jetzt ist auch klar, weshalb Kathrin hier nicht mitfliegen konnte. Da passt keine Maus mehr rein. Direkt hinter Pilot und Copilot befindet sich auf der einen Seite der Platz für die Trage und gegenüber die Schränke für die medizinische Ausrüstung. Direkt im Anschluss daran sitzen Notarzt und Rettungssanitäter kuschlig eng beieinander und dann ist der Flieger auch schon wieder zu Ende.
Der Arzt lässt sich die Röntgenbilder und den Befund aushändigen. Seine erste Einschätzung hört sich nicht so gut an. Bei einem solchen Bruch ist ein Gefäßabriss nicht ungewöhnlich und sollte das bei mir der Fall sein, wäre ein künstliches Hüftgelenk erforderlich. Bei meinen Freizeitaktivitäten wäre das eine Katastrophe.
Kommen wir aber zu den naheliegenden Problemen. Ich frage mich schon die ganze Zeit, wie ich durch die kleine Einstiegsluke in den Miniflieger kommen soll. Die Lösung für dieses Problem ist ein Pharmacocktail der es in sich hat. Ich bekomme Dormicum und Ketamin. Das macht müde, glücklich und man sieht bunte Farben. Für Kathrin bietet sich ein ganz anderer Eindruck. Während man mich ins Flugzeug stopft schreie ich vor Schmerz wie am Spies. Schon krass, sie solche Drogen Körper und Geist voneinander trennen können. Ich bekomme davon jedenfalls nichts mit und fühle mich prächtig. Freue mich vielmehr auf die nächste Runde, denn ich muss ja auch wieder auf dem Flieger rausgebracht werden.
Wer jetzt denkt, dass es auf direktem Weg zurück nach Deutschland geht, kennt die algerische Bürokratie nicht. Wie Ihr Euch erinnert, steht noch mein Motorrad in meinem Reisepass. Solange es da drin steht, darf ich das Land nur zusammen mit meinem Motorrad verlassen. Da das in dem kleinen Flieger natürlich nicht möglich ist, müssen wir eine Zwischenlandung in Algier einlegen. Dort kommt dann extra ein Zollbeamter an Bord, der mein Motorrad aus dem Reisepass austrägt. Gleichzeitig muss ich einen Wisch unterschreiben, dass das Motorrad nicht in Algerien verbleibt, sondern separat von mir außer Landes gebracht wird. Gegen Mitternacht landen wir dann endlich in Hannover.
Der Krankenhausaufenthalt hat uns im übrigen keinen Cent gekostet. Das gesamte algerische Gesundheitssystem ist kostenlos. Nicht nur für die einheimische Bevölkerung, sondern auch für alle Gäste des Landes.
Kathrins Rückflug ging dann erst 2 Tage später und um diese 2 Tage beneide ich Sie sehr. Nachdem ich aus dem Krankenhaus ausgezogen war ist Kathrin ins Haus unseres Guides umgezogen und hat dort das authentische Leben der sesshaft gewordenen Tuareg miterlebt. Höhepunkt war das abendliche Fastenbrechen, wofür die Frauen fast den gesamten Tag mit der Vorbereitung beschäftigt waren.