THEMA: 2x Algerien (ein Reisebericht)
01 Jul 2020 15:16 #591294
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Zweite Anreise nach Algerien

Dieses Mal war die Anreise wesentlich bequemer. Nur der Begleit-LKW mit unseren Motorrädern ging in Genua auf die Fähre nach Tunis. Wir Motorradfahrer flogen zusammen mit vielen Pauschalurlaubern direkt nach Djerba. Ich kam mir in dieser Gesellschaft merkwürdig deplatziert vor. Treffpunkt auf Djerba war ein Mittelklasse-Allinclusiv-Hotel. Wir Teilnehmer waren auch nicht zusammen geflogen, sondern jeder von seinem nächstgelegenen Flughafen. So lernten wir uns sowie Eddy und Gregor erst auf Djerba kennen. Ich hatte gleich den Eindruck, dass wir eine sehr nette Gruppe sein werden und wurde in dieser Ansicht auch nie während der Tour enttäuscht.

Der LKW war schon morgens angekommen und da ich als einer der letzten erst am späten Nachmittag landete, waren die Motorräder bereits entladen, als ich eintraf. Jeder überprüfte noch einmal sein Motorrad und seine persönliche Ausrüstung, bevor die Tour dann mit einem gemeinsamen Abendessen offiziell begann.

Am nächsten Tag ging es dann in einem Rutsch bis an die algerische Grenze.



Was ich bei der Durchquerung von Djerba sah überzeugte mich noch immer nicht. Die gesamte Insel ist topfeben und karg. Keinerlei natürliche Erhebung ragt mehr als 4m über den Meeresspiegel. Was macht man hier im Urlaub? Man kann doch nicht die ganze Zeit nur in der Sonne liegen, den Hautkrebs pflegen und sich besaufen.

Danach war die Anreise aber wesentlich interessanter als bei der ersten Tour. Wir waren viel weiter im Süden Tunesiens und fuhren die ganze Zeit am Rand der Sahara. Hier in Tunesien allerdings noch durchgehend auf guten Asphaltstraßen. Nur gelegentlich wurde noch ein wenig Landwirtschaft betrieben.



Sehr gut gefallen hat mir die Durchquerung des Chott el-Jerid. Um diese Begeisterung zu teilen, muss man allerdings große „leere“ Flächen mögen.




Westlich von Nefta schlugen wir uns dann für die erste Nacht im Zelt in die Büsche.




Der Grenzübertritt am nächsten Tag war genauso zeitaufwändig wie bei der ersten Tour. Allerdings fuhren wir diesmal noch ein wenig weiter und wurden dafür mit einem sehr schönen Übernachtungsplatz in einem Dattelpalmenhain belohnt.



Die Ernte war gerade im vollen Gange und so fragten wir, ob wir ein paar Datteln kaufen können. Wir gaben umgerechnet rund 10DM und waren dann doch sehr überrascht, dass wir für diesen geringen Betrag einen Berg Datteln erhielten, der eine ganze Reisetasche füllte und für die gesamte Gruppe als permanente Zwischenmahlzeit über die gesamte Tour ausreichte.



Letzte Änderung: 02 Jul 2020 17:04 von Topobär.
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03 Jul 2020 16:17 #591441
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Auf schnellstem Wege in den Süden



Da wir heute die längste Etappe der Reise vor uns hatten, standen wir sehr früh auf. Das morgendliche Prozedere hatte sich inzwischen gut eingespielt. Gregor war immer als erster auf den Beinen und unser aller Wecker, wenn er mit den Vorbereitungen zum Frühstück begann. Bis zum Frühstück hatten wir Zeit die Zelte abzubauen und unsere Sachen so weit zu packen, dass sie auf den LKW verladen werden konnten. Dann gab es ein reichhaltiges leckeres Frühstück. Um die Zubereitung des Essens kümmerte sich Gregor, manchmal mit Eddy als Küchenhilfe. Tischdecken und Abwasch waren Aufgabe der Teilnehmer. Im Gegensatz zur ersten Reise mussten wir auch nicht auf dem Boden sitzen, sondern hatten Biertischgarnituren dabei. Eine echte Luxusreise

Dann wurde gemeinschaftlich der LKW beladen. Bereits auf Djerba hatte uns Gregor dabei sein System erläutert, damit alles rein passt und bei Bedarf auch schnell gefunden wird. Erstaunlich, wie viel in solch einen LKW rein passt.



Auch heute sollten wir den Asphalt erst ganz am Ende des Tages verlassen, denn wir wollten so schnell wie möglich in den Süden Algeriens, mit seinen fantastischen Landschaften.

Erster Zwischenstopp war dann in Touggourt. Das hatte gleich mehrere Gründe. Zum einen mussten wir hier unser Laissez-passer bei den Behörden abholen. Ohne einen solchen Passierschein, auf dem unsere geplante Strecke vermerkt ist, darf man die offiziellen Straßen im Süden nicht verlassen. Außerdem war an der Vorderradaufhängung des LKW etwas gebrochen und musste geschweißt werden.
Während sich Eddy um den Passierschein und Gregor um die Reparatur kümmerten, machten wir uns auf die Suche nach Baguette und frischem Gemüse für die nächsten Tage.



Von Touggourt aus geht es dann auf guter Strecke direkt Richtung Süden. Zu Anfang begleiten uns noch für kurze Zeit die Oasengärten der Stadt und dann gibt es nur noch Sand, Sand, Sand. Wir durchqueren den Grand Erg Oriental.

Auf Höhe von Hassi Messaoud waren reichlich Zeugnisse der Erdölexploration zu sehen, aber schon bald darauf gab es links und rechts der Straße wieder nichts als Sand.

Je weiter wir nach Süden kamen desto dunkler wurde der Sand. Es hatte fast den Eindruck, als hätte es hier vor kurzem sehr stark geregnet.




Hassi Bel Guebour als Ort zu bezeichnen wäre schon übertrieben. Trotzdem war es für uns ein wichtiger Versorgungspunkt. Hier gab es die letzte Tankstelle und das letzte Cafe bis Ilizi. Beides wurde von uns aufgesucht. Im Cafe tranken wir selbstverständlich den traditionellen The de Tuareg. Sehr starken und sehr süßen schwarzen Tee.



Das Highlight von Hassi Bel Guebour sind aber die etwas südlich gelegenen Quellen. Hier konnten wir uns das letzte Mal für längere Zeit einer umfassenden Körperpflege widmen.

Letzte Änderung: 03 Jul 2020 16:23 von Topobär.
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08 Jul 2020 15:53 #591751
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Hassi Bel Guebour – Gara Khannfoussa




Südlich von Hassi Bel Guebor verändert sich das Landschaftsbild deutlich. Der Sand und die Dünen verschwinden und werden von Schotterflächen ersetzt aus denen sich immer wieder niedrige Tafelberge und Kegelberge erheben.

Die Straße wir schmaler und geht schon bald in eine Piste über.





Auch hier muss es vor kurzem geregnet haben, denn auf und neben der Piste sind immer wieder Pfützen.





Hinter Bordj Omar Driss verschwinden wir dann endgültig in der Wüste. Es geht hinaus auf eine unendlich erscheinende Reg-Ebene. Da es bei dieser Landschaftsform vollkommen egal ist, wo man übernachtet, fahren wir einfach so lange bis sich die Sonne dem Horizont nähert und schlagen dann an dem Punkt unser Lager auf.





In der Dämmerung bauen wir die Zelte auf. Dabei achten wir alle zunächst darauf, wo Peter sein Zelt hinstellt, um das eigene Zelt dann so weit wie möglich davon entfernt aufzubauen. Bis ich Peter kennenlernte wusste ich nicht, dass ein Mensch so laut schnarchen kann. Erschweren kommt noch hinzu, dass bei Peter schlafen nie ohne schnarchen geht. Kaum stehen die Zelte, ist es auch schon dunkel.

Seit geraumer Zeit meinen wir in der ferne Motoren zu hören, sind uns dessen aber nicht ganz sicher.

Während der Koch- und Essbereich beim LKW immer gut beleuchtet ist, sind wir bei den Zelten auf unsere Stirnlampen angewiesen. Die Zeit in der Gregor und Eddy das Essen zubereiten, nutzt der Rest für Wartung und Reparatur der Motorrädern. Irgendetwas ist da immer zu erledigen. So sind wir alle weit im Camp verteilt, als plötzlich ein Ruf in französisch durch die Dunkel schallt. Umgehend kommt von Gregor eine kurze und vom Ton her sehr eindringliche Ansage an die Gruppe: „Verhaltet Euch ruhig und bewegt Euch kein Stück!“ Danach antwortet er auf französisch in die Dunkelheit. Es folgt ein kurzer Wortwechsel und dann löst sich eine uniformierte Person aus der Dunkelheit. Gregor zeigt unsere Papiere und dann kommt die erlösende Ansage, dass wir uns entspannen können und zum LKW kommen sollen. Gleichzeitig treten rings um uns herum schwer bewaffnete Soldaten aus der Dunkelheit, die Waffen aber zum Glück geschultert.
Die Situation klärt sich auf. Die Armee ist noch immer auf der Suche nach Rebellen. Da man in der Dunkelheit nicht klar erkennen konnte, wer oder was wir sind, hatte man uns erst einmal umstellt um dann die Situation zu klären. Das war mit Sicherheit eine der gefährlichsten Situationen, in der ich mich in meinem Leben befand. Ich darf gar nicht darüber nachdenken, was passiert wäre, wenn nicht alle strikt Gregors Anweisung befolgt hätten. Wäre da einer mit einem Werkzeug in der Hand aufgestanden, hätte das in der Dunkelheit leicht mit einer Waffe verwechselt werden können; eine fatale Verwechslung, wenn mehrere entsicherte Maschinengewehre auf einen gerichtet sind.

Zum Glück ist alles gut gegangen und man sieht auch den Soldaten die Erleichterung an, dass es sich bei uns nur um harmlose Motorradtouristen handelt. Auf den Schreck laden wir den ganzen Trupp erst einmal zu einer Runde Cola ein. Wir haben Unmengen an Getränkedosen dabei und Cola wir von den Algeriern immer gerne getrunken.

Anschließend zieht die Patrouille weiter und wir widmen uns unserem verspäteten Abendessen. Ich weiß nicht mehr, was es auf der Tour so alles zu essen gab, aber es war ausnahmslos lecker.

Am nächste Morgen stellte sich uns allen das Problem, wie man in solch einer Landschaft sein morgendliches Geschäft verrichten soll. Hier gibt es weder Busch, noch Fels oder Düne, hinter denen man in Deckung hätte gehen können. Die Lösung war eine umgekehrte Sternfahrt. Man setzte sich auf den Motorrad, fuhr 1 km in die Wüste, stellte das Motorrad quer und hocke sich dahinter. Das Klopapier wurde gleich an Ort und Stelle verbrand, denn niemand will weiße Fahnen durch die Wüste flattern sehen.



Das erste Ziel des Tages ist, den Gara Khannfoussa zu finden. Der Gara Khannfoussa ist ein markanter Hügel aus schwarzem Gestein, welcher sich aus den Sandebenen des Erg Issaouane erhebt und den Eingang zur Gräberpiste markiert.
Ihr müsst bedenken, dass die Tour in Zeiten vor der Verbreitung des GPS in der Allgemeinheit stattfand. Wir waren nur mit Karte und Kompass unterwegs. Deshalb hatten Landmarken, wie der Gara Khannfoussa, eine enorme Bedeutung für uns.

Die Reg-Ebene hatten wir dann auch schnell hinter uns und erreichten die Ausläufer des Erg Issaouane, wo wir erst einmal Luft aus den Reifen der Motorräder und des LKW ließen.



Während Gregor mit dem LKW versuchte eine möglichst leichte Strecke durch das Dünenmeer zu finden, tobten wir uns in diesem Sandkasten für große Kinder richtig aus. Dabei behielten wir aber immer den LKW im Blick. Der war sozusagen das Zentralgestirn um das wir kreisten.

Bei einer längeren Auffahrt bliebt der LKW plötzlich stehen und kam auch nicht wieder in Gang. Da gab es wohl wieder ein technisches Problem. Bald darauf waren wir alle beim LKW. Gregor war schon mit dem Kopf in den Tiefen des Motorraums verschwunden. Der Motor brachte plötzlich nicht mehr genug Leistung für den Anstieg. Grund war ein geplatzter Druckschlauch vom Ladeluftkühler zum Motor. Den hatten wir auch nicht als Ersatzteil dabei und da zeigte sich zum ersten Mal die ganze Klasse von Gregor als Mechaniker. Wenn es ans Improvisieren geht zeigt sich der wahre Meister. Mit einer aufgeschnittenen Coladose und Kabelbindern und einem Stück Motorradschlauch als Dichtung wurde der defekte Druckschlauch geflickt. Funktionierte tadellos und hielt die gesamte Tour.

Es konnte weiter gehen.







Als der Gara Khannfoussa endlich in Sicht kam, war schon etwas Erleichterung zu spüren, denn ohne GPS fehlt halt die letzte Sicherheit, ob man den richtigen Kurs hat.



Bald darauf konnten wir einen ersten Blick in das weite Tal zwischen Erg Issaouane und den Bergen werfen, durch welches die Gräberpiste führt. Was wir da sahen, lies die uns bevorstehenden Herausforderungen der nächsten beiden Tage bereits erahnen.

Letzte Änderung: 13 Jul 2020 10:03 von Topobär.
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09 Jul 2020 14:37 #591801
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Topobär schrieb:
Verhaltet Euch ruhig und bewegt Euch kein Stück!“ Danach antwortet er auf französisch in die Dunkelheit. Es folgt ein kurzer Wortwechsel und dann löst sich eine uniformierte Person aus der Dunkelheit. Gregor zeigt unsere Papiere und dann kommt die erlösende Ansage, dass wir uns entspannten können und zum LKW kommen sollen. Gleichzeitig treten rings um uns herum schwer bewaffnete Soldaten aus der Dunkelheit, die Waffen aber zum Glück geschultert.
Die Situation klärt sich auf. Die Armee ist noch immer auf der Suche nach Rebellen. Da man in der Dunkelheit nicht klar erkennen konnte, wer oder was wir sind, hatte man uns erst einmal umstellt um dann die Situation zu klären. Das war mit Sicherheit eine der gefährlichsten Situationen, in der ich mich in meinem Leben befand.

Hallo Thomas,

wir können gut nachvollziehen, dass es Situationen gibt die sehr gefährlich sind.

Uns ist es in Guatemala während der Militärdiktatur ähnlich ergangen. Wir sind mit einem „Hühnerbus" unterwegs gewesen.
An einer Miltär-Straßensperre wurde der Bus gestopt. Alle Insassen vom Bus sind in einem rüden Befehlston aufgefordert worden den Bus zu verlassen. Erst die Männer und dann die Frauen.
Bei uns lagen die Soldaten mit einem Maschinengewehr auf uns gerichtet im Straßengraben und beobachteten jede Bewegung der Indigenes. Zu unserem Glück sind keine Guerillas im Bus gewesen.

Viele Grüße
Hartwig
Letzte Änderung: 09 Jul 2020 15:30 von Tinochika.
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09 Jul 2020 17:27 #591807
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  • CuF am 09 Jul 2020 17:27
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....da läuft einem ja das Wasser im Munde zusammen!



....wahnsinnig spannender Bericht - vielen Dank! Es wäre zwar nichts mehr für meine alten Knochen, aber auf diese Weise reise ich weiter gerne mit!
Gruß von
Friederike
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13 Jul 2020 10:06 #592005
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@Hartwig:
Ohne die vielen bewaffneten Konflikte, könnte das Reisen weltweit so entspannt sein. Gerade die Sahara leidet darunter extrem. Derzeit noch viel stärker als damals.

@Friederike:
Es bleibt spannend. Landschaftlich wird es sogar noch schöner.
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