THEMA: Altkleiderspenden sinnvoll?
02 Feb 2022 11:27 #636164
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  • loser am 02 Feb 2022 11:27
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Für folgend werde ich sicherlich gerügt werden.
Vor ein paar Jahren haben in einem westafrikanischen Staat (den ich vergessen habe) die einheimischen Händler wegen der sich an keine Regeln haltenden chinesischen Konkurrenz gemeutert, so dass die Regierung diese scharf einbremste. Nach ein paar Monaten musste das wieder zurück genommen werden, weil nun die Bevölkerung wegen Mangels an Allem meuterte. Das sagt eigentlich alles.

Das Dilemma besteht nämlich nicht nur wegen Kaputtmachens heimischer Produktions- und Handelsstrukturen durch "skrupellose fremde Mächte", sondern auch und vor allem wegen des Fehlens einer heimischen Produktion für viele Dinge des täglichen Bedarfs.
Und das vom Anfang an. Eigentlich hatten viele schwarzafrikanische Staaten wohl nie eine wirkliche Chance oder Voraussetzung zum Aufbau einer diversifizierten Volkswirtschaft, weil mit derart maroder und unterentwickelter Infrastruktur einfach nie etwas zeitgemäß und kostengünstig produziert werden konnte. Das Klein-Klein mit einfachster Technik funktionierte so recht und schlecht für die damals geringe Bevölkerungszahl, konnte aber nie von Dauer sein, wenn sich die Bevölkerungszahl alle 30 Jahre verdoppelt. Dazu kamen Jahrzehnte schlechter Regierungsführung, Korruption, Kriege und Instabilität, etc. Das Ausbleiben westlicher Investitionen im Güterbereich hatte Gründe.

Seitens der EU sind aber längst Mechanismen in Kraft gesetzt, nach denen sich geschädigte Länder gegen Überschwemmung mit Hühnerflügeln udgl. wehren können. Wenn diese nicht genützt werden, hat das andere Gründe.

Auch beim Handel sind Schwarzafrikaner längst selber „part oft he game“, indem sie selber nach China zu den großen Messen und Handelszentren fahren und dort direkt einkaufen, also nicht bei heimischen Produzenten, so überhaupt vorhanden.

Das mit der Drohung an Kenia bei Blumenimporten war glaube ich anlässlich der Verhandlungen zur Nachfolge des Cotonou-Abkommens und ist eine eigene Thematik und für die betroffenen Länder eine harte Nuss, weil Importzölle in Ländern mit großer „informeller“ Wirtschaft eine einfache und effiziente Form von Steuereinhebung sind.

Die “Weitergabe“ von gebrauchter Kleidung halte ich aber unbedingt für sinnvoll und ich finde es gut, dass sich immer mehr junge Leute bei uns nur mehr so einkleiden. Sie nennen das aber „vintage“ was viel besser klingt als gebraucht oder „second hand“ ;) . Den armen Leuten ist es sowieso egal, wie das genannt wird. Abgestellt gehört der Export von textilem u. a. Müll und das wäre relativ einfach. Dieser gehört in die Müllverbrennung und/oder zum Recycling.
Letzte Änderung: 02 Feb 2022 11:54 von loser.
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02 Feb 2022 13:26 #636175
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  • BikeAfrica am 02 Feb 2022 13:26
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loser schrieb:
Das Klein-Klein mit einfachster Technik funktionierte so recht und schlecht für die damals geringe Bevölkerungszahl, konnte aber nie von Dauer sein, wenn sich die Bevölkerungszahl alle 30 Jahre verdoppelt. Dazu kamen Jahrzehnte schlechter Regierungsführung, Korruption, Kriege und Instabilität, etc. Das Ausbleiben westlicher Investitionen im Güterbereich hatte Gründe.

Ein Paradebeispiel dafür ist Zimbabwe. Von Mugabe runtergewirtschaftet bis zur völligen Armut, während Mugabe selbst als Multimilliardär gleichzeitig zu den reichsten Menschen der Welt gehörte.
Richtig skurril wurde es dann von 2006-2009 während der Hyperinflation. Um die Inflation zu bekämpfen, ließ Mugabe immer mehr Geld drucken. Für die Herstellung von Münzgeld war gar kein Geld mehr da. Wer noch Münzgeld besaß, gab es nicht mehr aus, da es zumindest noch einen Materialwert hatte.
So gab es Geldscheine zu einem Cent. Ich war 2006 nach der ersten Inflation im Land. Die alten 1.000-Dollar-Scheine wurden weiterhin verwendet, waren jetzt aber nur noch einen Dollar wert. Diese Abwertung um drei Nullen war jedoch nichts gegen die beiden nächsten Wellen der Inflation. Ich meine, insgesamt wurde der Zim$ um 23 Nullen abgewertet. Am Ende gab es einen 100 Trillion Dollar Schein und die Währung wurde ausgesetzt. Das Land hatte am Ende nur noch ein offizielles Staatsvermögen um die 200 US$ und nicht mal mehr das Geld, um Papier kaufen zu können, um darauf Geld zu drucken.
Geld verlor so schnell seinen Wert, dass ganze Bündel von Geldscheinen von Kindern als Bauklötze genutzt wurden.

Übernachtungspreise für Europäer waren damals zehnmal so hoch wie für Zimbabwer. Das war so vorgeschrieben. Gleichzeitig war der Wechselkurs auf der Bank zehnmal schlechter als auf dem Schwarzmarkt, wo der Tausch allerdings riskant war. Ich bin heute im Nachhinein der Meinung, dass ich in Zimbabwe komplett mit Falschgeld unterwegs war, denn die Barschecks, die ich im Umtausch bekam, sind im Standard Catalog of World Paper Money gar nicht aufgelistet. Sie sahen auch aus, als wären sie einfach auf einem Farbdrucker (einseitig) auf Fotopapier ausgedruckt. Da aber ständig neue Geldscheine, Barschecks, Tankgutscheine usw. herauskamen, blickte auch niemand mehr durch. Ich habe neun von diesen Dingern ausgegeben und den zehnten nach einem Umzug noch nicht wiedergefunden.

Ähnlich, wenn auch nicht so extrem, verhält es sich in vielen anderen Ländern auch.

Gruß
Wolfgang
Mit dem Fahrrad unterwegs in Namibia, Zambia, Zimbabwe, Malawi, Tanzania, Kenya, Uganda, Kamerun, Ghana, Guinea-Bissau, Senegal, Gambia, Sierra Leone, Rwanda, Südafrika, Eswatini (Swaziland), Jordanien, Thailand, Surinam, Französisch-Guyana, Alaska, Canada, Neuseeland, Europa ...
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02 Feb 2022 15:18 #636188
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loser schrieb:
Vor ein paar Jahren haben in einem westafrikanischen Staat (den ich vergessen habe) die einheimischen Händler wegen der sich an keine Regeln haltenden chinesischen Konkurrenz gemeutert, so dass die Regierung diese scharf einbremste. Nach ein paar Monaten musste das wieder zurück genommen werden, weil nun die Bevölkerung wegen Mangels an Allem meuterte. Das sagt eigentlich alles.
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Das Dilemma besteht nämlich nicht nur wegen Kaputtmachens heimischer Produktions- und Handelsstrukturen durch "skrupellose fremde Mächte", sondern auch und vor allem wegen des Fehlens einer heimischen Produktion für viele Dinge des täglichen Bedarfs.
Und das vom Anfang an. Eigentlich hatten viele schwarzafrikanische Staaten wohl nie eine wirkliche Chance oder Voraussetzung zum Aufbau einer diversifizierten Volkswirtschaft, weil mit derart maroder und unterentwickelter Infrastruktur einfach nie etwas zeitgemäß und kostengünstig produziert werden konnte.
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Die “Weitergabe“ von gebrauchter Kleidung halte ich aber unbedingt für sinnvoll und ich finde es gut, dass sich immer mehr junge Leute bei uns nur mehr so einkleiden. Sie nennen das aber „vintage“ was viel besser klingt als gebraucht oder „second hand“ ;) . Den armen Leuten ist es sowieso egal, wie das genannt wird. Abgestellt gehört der Export von textilem u. a. Müll und das wäre relativ einfach. Dieser gehört in die Müllverbrennung und/oder zum Recycling.

Ich beziehe mich nur auf den Titel des Threads. Wie alles hat auch diese Medaille zwei Seiten, was sich für mich jedoch anhört, als ob die Schuld bei den Schwarzafrikanern zu suchen sei. Wenn ich an die Gespräche mit meiner Schwester zurückdenke, so erinnere ich mich, dass die regionalen Stoffhändler und Schneider bei den nach wenigen Jahren wiederholten Besuchen verschwunden waren. Sie fand keine Stoffe mehr, um sie zu Tischwäsche, Gardinen o.ä. verarbeiten zu lassen. Die entsprechenden Marktstände hatten solchen mit abgetragenen Textilien aus Europa usw. Platz gemacht. Wie in solchen Fällen auch bei uns, werden sich die Betreiber angepasst, andere Verdienstmöglichkeiten gesucht haben, sofern sie nicht arbeitslos geworden sind.

Komisch, dass wir ganz fix und auf Dauer in der Lage sind, die Hilflosigkeit in den afrikanischen Ländern auszunutzen, anstatt auf großer Basis Hilfe zur Selbsthilfe zu installieren. Glauben wir wirklich, dass wir die Guten sind? Da muss ich lachen! Leider müssen die einfachen Menschen in Afrika unsere marktpolitischen Interessen und Fehler ausbaden.

Es ist in meinen Augen ein großer Unterschied, ob wir gut erhaltene Kleidung an Secondhandläden weiterverkaufen oder selbst solche Kleidung tragen, was ich ebenfalls begrüße. Ober ob wir mit Ramschtextilien, die in die Tonne gehören, in Afrika Geschäfte machen. Beispiel labberige T-Shirts mit Werbeaufdruck! Das letztere hat nichts mit Nachhaltigkeit zu tun. Es ist demütigend für die afrikanischen Menschen sowie der sog. christlichen Nächstenliebe auf unseren Fahnen unwürdig.

Meint freshy
Letzte Änderung: 02 Feb 2022 15:20 von freshy.
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02 Feb 2022 17:55 #636209
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Hallo ,
hier ein Artikel zum Thema , gestern in der " ZEIT "
www.zeit.de/news/202...%2Fwww.google.com%2F

Gruß Dieter
seit 1959 u.a. : 4xMarocco, 2xTunesien, 2xAlgerien-Mali, Ägypten-Sudan, 4xNamibia-Botswana-Simbabwe, Israel, 2xKanada, 3xUSA, 4xAustralien, 2xNeuseeland, Mexico, Europa total ,Türkei ,Zypern,
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03 Feb 2022 13:57 #636264
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Guten Tag Freshy, ich sehe das Zumüllen afrikanischer Märkte mit minderwertigen Schrottkleidern genauso kritisch wie du. Ein mindestens gleich großes Problem für einheimische Erzeuger sind aber auch Importe von billigster Neuware aus dem asiatischen Raum.
Ich habe daher nur etwas weiter ausgeholt, weil die Problematik weit über das Altkleiderthema hinausgeht. Man müsste (Welt)Handelsökonom (mit Spezialgebiet: Textil und Afrika) sein, um die Auf- und Abschwünge der Textil- und Bekleidungsfertigung in Afrika im Detail erklären zu können. Als z. B. die asiatischen Billigproduzenten in den 70er/80er Jahren vom europäischen und US-amerikanischen Markt durch Quoten und Zölle ausgesperrt waren, haben sie große Fertigungen in afrikanische Staaten verlagert (auch nach Namibia, was hier auch schon Thema war), weil diese Staaten auf diesen Märkten mit Quoten bevorzugt und geschützt waren. Nach der hauptsächlich von China durchgesetzten Marktöffnung in USA und in der WTO, hatten diese Umgehungskonstruktionen ihren Zweck und Wert verloren und wurden rasch wieder dicht gemacht. Ca. eine Viertelmillion Beschäftigte verloren ihre Arbeitsplätze.
Genaueres hier
www.un.org/africaren...t-costs-african-jobs

Wenn die von dir geschilderten Stoffe vom Markt verschwunden sind, kann das aber auch bloß nur die gleichen Gründe haben, wie bei uns auch. Kleinstrukturierte Produktion und Handel wird von Massenware und -vertrieb aus dem Markt gedrängt und überlebte nur im Höchst- oder Niedrigstpreissegment. Das ist ein weltweites Phänomen.
Grüße, Werner
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03 Feb 2022 14:05 #636267
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freshy schrieb:
Ich beziehe mich nur auf den Titel des Threads. Wie alles hat auch diese Medaille zwei Seiten, was sich für mich jedoch anhört, als ob die Schuld bei den Schwarzafrikanern zu suchen sei.

Ob „Schuld“, na ja? Selbstverständlich meine ich nicht, dass die Schwarzafrikaner Schuld an der Überschwemmung mit unserem Textilmüll haben. Ich hatte die unzureichende Eigenproduktion angesprochen. Man kann nämlich mit gutem Gewissen sagen, dass es afrikanischen Staaten nicht gelungen ist, wichtige Konsumwünsche und –erfordernisse ihrer Bevölkerung aus eigener Kraft (Produktion) zu bedienen. Zu Vieles muss importiert werden. Damit ist auch ein (Groß)Teil von Eigenstaatlichkeit futsch, weil die Devisen für den Konsumgüterimport für sie schwierig zu verdienen sind. Wie schon eingangs gesagt, sind die Gründe dafür mannigfaltig, mangelndes unternehmerisches Engagement im Aufstellen von Produktion für nachgefragte Produkte könnte aber schon auch eine Rolle spielen.
Ein Beispiel mit Österreichbezug.
Ab den 1960er Jahren etablierten sich Vorarlberger (!) Stickereien am nigerianischen Markt mit farbenprächtigen Stoffen mit floralen Mustern und Spitzenprodukten, die auf alte nigerianische Traditionen zurückgehen. Fast schon skurril, dass der Wunsch nach farbenprächtiger Familien- und Landestracht aus dem fernen Ländle gestillt wurde bzw. werden musste. „Austrian Lace“, solo oder in Stoffen verarbeitet, oder einfach nur schöne Stoffe unter dem Lace-Label, waren jahrelang DER Platzhirsch und Renner bei modebewussten Nigerianern der Yoruba u. a. Ethnien. Der Detailhandel vor Ort war in nigerianischer Hand, hauptsächlich Frauen, die mit Bargeld und Reiseproviant nach Lustenau zum Einkaufen reisten, eine direkte Telefonverbindung gab es (noch) nicht. Das Ländle boomte vom nigerianischen Markt. Ab den 1980er Jahren waren sie aber längst von den chinesischen Anbietern kopiert und mit billiger Massenware aus den Markt gedrängt. Austrian Lace und Stoffe reüssieren heute nur mehr im Hochpreissegment als Prestigeprodukt, high end fashion.
iamschick.com/fashio...eativity-in-nigeria/
Folgende Fragen drängen sich (mir) auf: Es gab/gibt eine stark nachgefragte Produktgruppe, die praktisch eine totsichere Bank ist, eingefahrene Vertriebs- und Marketingstrukturen. Warum fanden sich nicht schon längst nigerianische Unternehmer, die sagten, das machen wir selber? Textilindustrie gibt es ja. Oder bildet unsere Leute aus, wenn ihr weiter verkaufen wollt, oder kauft unsere Baumwolle oder irgendwas…. irgendeine Umwegrentabilität müsste doch wenigstens drin sein. Warum kam die Konkurrenz für das Ländle aus China und nicht aus Nigerien?
Indien hat es vorgezeigt, als es vor Jahrzehnten den großen internationalen Konzernen sagte. Wenn ihr bei uns verkaufen wollt, müsst ihr auch bei uns produzieren. Basta! Und umsatzbezogene Lizenzgebühren (als verdeckte Gewinnausschüttung vor Steuer) lassen wir auch nicht zu.
Austrian Lace mag dafür jetzt ein schlechtes Beispiel sein, weil es volkswirtschaftlich ein Zwergerl ist. Ich wollte mein Argument nur mit einem konkreten Beispiel unterlegen
Grüße
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