THEMA: TURNHALLE- Konferenz und –Plan
17 Aug 2016 08:03 #441294
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  • fordfahrer am 17 Aug 2016 08:03
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Guten Morgen,
ja, Primärquellen sind zur Interpretation da. Das hat auch nichts mit der absoluten Wahrheit zu tun. Es bedeutet eigentlich nur, dass da keine Interationsstufe der Interpretation davor war. In der deutschen Geschichtsschreibung beruft man sich immer gern auf Standartwerke und zitiert sich gegenseitig. In der anglo-amerikanischen Betrachtung legt man sehr viel Wert auf Primärquellen. Um wissenschaftlich vorzugehen, stellt man eine These auf und begründet die dann sowohl mit Primär- als auch mit Sekundärquellen, wobei die Primärquellen hier den eindeutigen Vorrang haben. Deswegen haben die Amis auch so eine Obsession, alle möglichen Quellen zu digitalisieren und deswegen kommt man in den USA auch relativ leicht an Regierungsdokumenten ran (nach einer relativ kurzen Sperrzeit). Sowas ist bei uns undenkbar.

Zum Thema. Was ich auch interessant finde, dass man bei der Zusammensetzung auf Rassen (oder Stämme??) abstellt, nachdem man vorher eigentlich genau so eine Unterscheidung abgelehnt hat. Nach moderner Betrachtung hätte man je eher eine Wahlquote aufgestellt, also zB je 200.000 Einwohner in einem Wahlkreis einen Sitz. So hätte sich ja jeder Bürger erst mal stammeszugehörigkeitsmäßig irgendwo registrieren müssen. Und wie hätten die eine Wahl abgehalten, wenn die Stammesmitglieder nicht auf einem Haufen wohnen. Da wäre wohl noch viel Feintuning notwendig gewesen.
Aber irgendwie erinnert das an die DDR zwischen 89 und 90, als man noch Ideen zu einem besseren System hatte und nicht nur Beitrittskandidat war. So ein bisschen, wie ein Grüner Tisch in der Turnhalle. Wobei die Bezeichnung Demokratische Turnhallen Allianz wirklich geil ist und bestimmt bei uns auch für viele eine Wahlalternative wäre. B) B)

Weiss jemand, wie das dann weiter ging mit der DTA ???
Gruss
Christian
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17 Aug 2016 08:09 #441295
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  • Beginner am 17 Aug 2016 08:09
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VIelen Dank für all diese vielen Hinweise zu einem Thema, dass auf den ersten Blick nicht so in ein Reiseforum passt!

Hier noch meinen Senf: Wie Jörg und Topobär gesagt haben... Primärquellen sind mit Vorsicht zu geniessen. Sie sind zwar sehr spannend finde ich, und es machs Spass sich darin zu Vertiefen, aber man kann sie immer so biegen wie man das halt möchte. Wer versuchen möchte grössere Zusammenhänge zu verstehen muss wohl viele Fragen beantworten. Wer hat sie geschrieben? Für wen? Wer war der Leser? Wer hat sie aufbewahrt? Wo? Welche Quellen lagen dabei? Welche Quellen gibts nicht mehr? Etc, etc...

Nur als Beispiel: Guido sagt, er finde keinen Hiweis auf Weisse Bevorzugung in der Quelle. Dennoch zeigt sich unmittelbar in der Quelle, dass es ein stiktes Apartheidsystem war, weil es ja eben auf fixen Ideen von verschiedenen Ethnien aufbaut. Das Leben und vorallem die politische Mitsprachemöglichkeit eines jeden einzelnen Individuum war also definiert durch seine Rassen oder Ethinienzugehörigkeit, nicht durch eine Staatsbürgerschaft. Man kann das gut finden oder schlecht, aber um genau zu Verstehen was damals damit gemeint war braucht man sehr viel HIntergrundwissen, das ich zum Beispiel nicht habe...

Darum finde ich persönlich für Leute die sich nur mal ein bisschen ein Hintergrundwissen aneignen wollen Bücher von professionellen HistorikerInnen irgendwie einfacher zugänglich. Auch wenn dort das selbe zu beachten gilt, wie z.B. wo erscheint das Buch, wer schrieb es, wofür, etc. Wer bekennende rechtsradikale lesen möchte weiss ja nun wo er sowas finden kann. Für alle andern, wie gesagt, gibt es sehr viel gute Literatur: z:B.
Marion Wallace, Eine Gesichte Namibias
Explizit zur südafrikanischen Zeit: Jeremy Silvester et al. Namibia under South African Rule
Zur SWAPO gerade neu herausgekommen: Christian A Williams, National Liberation in Postcolonial Afirca.
Auch in Deutsch: Miescher, Giorgio: Die Rote Linie
.... und vieles mehr. Alles sind professionelle HistorikeInnen, sicher geprächt durch ihre Überzeugungen, Erfahrungen und Ideale, aber alle sind serösen Verlagen publiziert und beruhen auf jahrelanger Auseinadersetzung mit Primärquellen und Interviews.

Noch zwei Hinweise: Wer sich mit Primäquellen rumschlagen möchte oder einfach mal ein bisschen stöbern, kann in Windhoek ins National Archive (Visavis von Pension Uhland), da kann man fast alle Quellen zur Geschichte Namibias anschauen und findet auch alle Standartwerke dazu und sehr hilfreiches Personal.

Wer in der Schweiz oder Deutschand ist findet Primär Quellen und sozusagen alle Bücher zu und aus Namibia in den Basler Afrika Bibliogrpaphien (www.baslerafrika.ch). Dort gibts auch Fachleute die helfen und ausserdem regelmässige Veranstaltungen zur Geschichte Namibias.

Herzlich,
Beginner
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17 Aug 2016 09:34 #441308
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  • Guido. am 17 Aug 2016 09:34
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Hallo Beginner,
Beginner schrieb:
Nur als Beispiel: Guido sagt, er finde keinen Hiweis auf Weisse Bevorzugung in der Quelle. Dennoch zeigt sich unmittelbar in der Quelle, dass es ein stiktes Apartheidsystem war, weil es ja eben auf fixen Ideen von verschiedenen Ethnien aufbaut.
Hast Du das wirklich gelesen? Und auch die damalige Ausgangslage vor 40 Jahren berücksichtigt? Apartheid bedeutet Rassentrennung mit unterschiedlicher Bewertung und unterschiedlich Rechten eines Menschen in Abhängigkeit von seiner Rasse. Im Fall Südafrikas mit zwingender Vorherrschaft der weißen Rasse. Absolut nichts davon findet sich in dem Dokument der Turnhallen-Allianz.

Die Ausgangslage war anscheinend, dass 10 von 11 Bevölkerungsgruppen wenig zu sagen und nur eingeschränkte Rechte hatten. Zur Staatenbildung wollte man diese 10 bislang benachteiligten Bevölkerungsgruppen offenbar einbinden. Keine sollte außen vor bleiben. Dazu wollte man erst mal jeder Bevölkerungsgruppe 4 Sitze in der zu bildenden Nationalversammlung geben, damit eben keine Minderheiten außen vor bleiben. Die restlichen Sitze wollte man nach Bevölkerungsverhältnissen aufteilen. Da geht es doch ganz offensichtlich nicht darum, Rassen zu trennen sondern alle vormals getrennten Rassen - eben gerade die bislang Benachteiligten - in ein Boot zu bekommen. Angesichts der damaligen Ausgangslage halte ich das für einen ziemlich geeigneten Startpunkt und insbesondere auch aus demokratischer Sicht für einen nicht perfekten aber besseren Startpunkt, als das was die UN beschlossen hat: Einzig und allein die Ovambo-dominierte SWAPO vertritt die namibische Bevölkerung bei der Staatenbildung Namibias.

Wenn man das, was in dem Dokument beschrieben wird, als "striktes Apartheidsystem" beurteilt, dann weiß ich ehrlich nicht, auf welcher Basis man ernsthaft diskutieren will.

Erika, gib Dir einen Ruck. Das ist seit Ewigkeiten die informativste Diskussion hier. Eine Meinung kann sich ja jeder selbst bilden, aber hier wurden viele interessante Quellen angeführt, die zumindest ich vorher nicht kannte.

Beste Grüße

Guido
Letzte Änderung: 17 Aug 2016 09:49 von Guido..
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17 Aug 2016 09:44 #441309
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-> Guido und ich haben wohl gleichzeitig geschrieben ...

Lieber Beginner,
Moment, auch wenn die Anzahl der Abgeordneten auf die Stammeszugehörigkeit / Rasse abgestellt war. Apartheid ist was anderes. Man hat damals sicherlich versucht, alle Stakeholder mit ins Boot zu holen. Aber die staatlich getrennte Rassenbehandlung wollte man ja explizit nicht.

Noch mal zu Primärquellen. Das sind einfach nur Dokumente. Die zu betrachten, steht dem Wissenschaftler / Interessenten frei - und die Interpretation auch. Insofern kann man die Quellen auch nicht biegen. Man muss sie einordnen. Wenn man aber nicht dabei war, kann man nur mit Quellen arbeiten, alles andere ist Kaffeesatzleserei und Mutmaßung.

Das Problem mit Büchern, insbersondere auch über diese Zeit, ist ja aus der Diskussion eindeutig zu sehen. Klar sind die zugänglicher, aber die Autoren hatten eben ihre Thesen und versuchten diese dem Leser zu "beweisen", was teilweise nur sehr schlecht aufgegangen ist. Wenn dann der 2. und 3. vom ersten abschreibt und keine Quellenarbeit erfolgt ist, wird das immer schlimmer. Es gibt in diesem Zusammenhang de-facto wertlose Bücher, in denen Quellennachweise komplett fehlen. Man kann sich einfach mal die Arbeit machen, und eine Argumentation nachverfolgen - mit den Quellen. Da wird man Erstaunliches feststellen. Viele Aussagen der "zugänglichen" Bücher enstprechen schlicht nicht der Aktenlage.

Wir hatten das ja schon mal diskutiert. Insbesondere bei der Rolle der SWAPO und oder DDR / Kuba - Militäthilfen / Ausbildungshilfen - ostdeutsche Geheimdienstarbeit etc. gibt es extrem viel Unwissen, Klischees und politisch motivierte Falschaussagen.

In Deutschland betreiben wir das zB auch immer noch. Das funktioniert ganz einfach. Es gibt halt nur für Forschungsprojekte Geld, die von vornherein den "richtigen" Ansatz haben. Dementsprechend halt nur eine systemkonforme Finanzierung ... .

Gruss
Christian
Letzte Änderung: 17 Aug 2016 09:44 von fordfahrer.
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17 Aug 2016 11:47 #441345
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Also nachdem doch diskutierte wird, mach‘ ich’s auch…..von hier weg ist alles m. E…aber nur mit Hausverstand, aus der Wissenschaftlerdiskussion halte ich mich raus.

Ich glaube nicht, dass das von fordfahrer eingestellte Doument
namibia.leadr.msu.ed...09b7c20daf106373.pdf
das eigentliche Schlussdokument der TH-Konferenz (der TH-Plan) ist, es ist aber sicher sehr/weitgehend ähnlich, das ist aber für die eigentliche Frage auch gar nicht wichtig.
Begründung: Die Demokratische Turnhalle Allianz (DTA) wurde erst am 5. 11. 1977, nach Auflösung der THK und Gründung der Republican Party, gegründet. Aus diesem Kontext kann man daher ableiten, dass das Dokument von diesem Tag oder knapp danach stammt, also Ende 1977.

Den ersten Teil des Dokuments (S. 2 bis 7, „Constitution“) lese ich als Gründungsdokument bzw. Verfassung der DTA. Der Punkt 2.6.: "The Alliance recognizes ... and rejects discrimination on the grounds of race and color. ..." nennt somit eine Zielsetzung einer politischen Bewegung (der DTA), hat den Status eines Parteiprogramms und (noch) keine unmittelbar praktische Auswirkung auf die geltende Gesetzeslage im Land.

Ab S. 8/9 folgen dann die von der „Constitutional Conference“ der DTA (!) beschlossenen Vorschläge für eine Verfassung des zukünftig unabhängigen Staates „Republic of South West Africa/Namibia“. Wenn man die Bewertung des TH-Plans des United Nations Commissioners for Namibia: www.jstor.org/stable...ge_scan_tab_contents parallel liest, sieht man, dass obiges Dokument der DTA mit dem TH-Plan weitgehend ident ist, obwohl geringfügige Unterschiede vorliegen dürften.
Zum Dokument selber will ich jetzt nichts sagen, weil die verfassungsrechtlichen Schwachstellen in obiger Analyse plausibel angesprochen werden. Ich bin durchaus der Meinung, dass man die gute Absicht auch nach dem damaligen und nicht nur nach heutigem Zeitgeist bewerten soll. Ich halte aber auch die Experten der UN für seriös und nicht grundsätzlich voreingenommen, wofür ja auch die involvierten „Westmächte“ gesorgt haben sollten. So wurde bemängelt, dass es keinen Grundrechtekatalog gab, das Mehrkammersystem streng nach SA-Vorbild nach Ethnien/Volksgruppenzugehörigkeit strukturiert war aber vor allem, dass nirgends ein allgemeines Wahlrecht vorgeschlagen wurde bzw. nicht einmal der Wahlmodus für die Vertretungsorgane der Gruppen, die Exilanten de facto ausgeschlossen waren….…etc., siehe Landis.

Die eigentliche Frage betr. „Abschaffung der Apartheid“ ist aber ohnehin die Umsetzung und dafür hatte eine namibische „Regierung“ Ende 1977 gar keine Befugnisse. Erste legislative Befugnisse gab es nach meiner Kenntnis erst ab May 1979. Das war eigentlich der Punkt in Swakops Schilderung über Abschaffung Mitte der 70er, der mich stutzig gemacht hat. In den Folgejahren hat RSA derartige Bestrebungen massiv hintertrieben, behindert, durch Einsatz des General Administrators unterbunden, etc., das schreibt Mudge selber hier auf wenigen Seiten
www.kas.de/upload/au...ution_2010/mudge.pdf
und der wird zu diesem Sachverhalt wohl glaubwürdig sein.

Aber schließlich waren dieses und ähnliche Papiere sowieso Makulatur, weil die “internationale Gemeinschaft“ den Entwurf ablehnte, der Krieg in Angola ständig neue und wechselnde Situationen schaffte, alle Parteien dementsprechend taktierten, etc….nur Spezialisten können die permanent wechselnden Strategien der involvierten Parteien in diesen Jahren durchschauen.

Grüße, Fortsetzung folgt
Letzte Änderung: 17 Aug 2016 13:13 von leser.
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17 Aug 2016 11:50 #441347
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  • leser am 17 Aug 2016 11:47
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@ Wann und wie, wurde wie viel, von der Apartheid in Namibia abgeschafft?
Darüber habe ich hier noch nicht viel Belastbares erfahren, aber gerade das interessiert mich. In den schon genannten Quellen steht, dass ab Mitte 1979 einzelne diskriminierende Gesetze abgeschafft wurden. Ich halte das für bahnbrechend aber die übergeordnete Frage ist, ob man so ein System überhaupt durch Einzelmaßnahmen „reformieren“ kann oder ob es nicht als Ganzes abgeschafft gehört?

Begründung: Das Apartheidsystem in SA war ein äußerst komplexes und raffiniertes System von gegenseitig verzahnten restriktiven Eingriffen in jeden Aspekt des Lebens von Nichtweißen, aber auch von Weißen….wäre ein déjà-vu für Leidtragende und Kenner der kommunistischen Diktaturen. Grundsätzlich galten diese Gesetze auch in Namibia, es wurde aber auch berichtet, dass die Durchführung in Namibia nicht so krass wie in SA war, auch darüber würde ich gerne mehr erfahren.

Wie immer, liegt daher der Teufel im Detail bzw. im Kleingedruckten….man muss das Ganze kennen, um zu entscheiden, wie grundsätzlich oder kosmetisch Änderungen sind.
Wenn z. B. der „Immorality Act“ abgeschafft wird, dann bedeutet dies für ein gemischtrassisches Paar zwar, dass sie für ihre Partnerschaft nicht mehr bestraft werden, aber ohne Niederlassungsfreiheit hätten sie die gleichen Problem für ein gemeinsames Leben wie davor.
Oder, bei Abschaffung der „Pass Laws“ müssen Betroffene zwar nicht mehr fragen ob sie ihren Bezirk verlassen dürfen, ob sie aber nach ihrem freien Willen auch woanders arbeiten oder wohnen dürfen, ist damit noch nicht gesagt.
Oder, Gesetze wie der „Suppression of Communism Act“ und Folgegesetze implizierten eine potenzielle Kriminalisierung jeglicher politischen Betätigung für eine Veränderung, europäische Christ- oder Sozialdemokraten aus der politischen Mitte wären da mit ihren Ideen leicht unter Kommunismusverdacht gekommen… ließe sich ewig fortsetzen.
Wie diese Einzelmaßnahmen zur Abschaffung der Apartheid in Namibia abgestimmt waren, ist mir noch nicht klar geworden. Dazu müsste man also die Gesetzestexte und Durchführungsverordnungen studieren…und authentische Berichte über die gelebte Praxis im Alltag haben…….aber vielleicht kommt noch was dahingehend…
…hier gibt es ja einige, die Namibia aus dieser Zeit als Bürger oder Touristen kennen.
Grüße
..und mit Fakten lasse ich mich gerne von Fehlern überzeugen.
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