• Seite:
  • 1
  • 2
THEMA: Auswandern nach Namibia?
06 Aug 2007 15:34 #44929
  • Yoshikawa
  • Yoshikawas Avatar
  • Yoshikawa am 06 Aug 2007 15:34
  • Yoshikawas Avatar
Moin zusammen,

immer einmal wieder kommt das Thema „Auswandern“ auf die Tagesordnung im Forum. Ich möchte hier jetzt nicht groß auf den Gegensatz zwischen Ratio und Emotion eingehen, noch möchte ich die Entscheidung und die Motivation der bisherigen oder zukünftigen Auswanderer hinterfragen. Ich möchte mich hier einmal mit den Rahmenbedingungen beschäftigen, denen jeder Auswanderer, ob er will oder nicht, unterliegt, es sei denn, er wäre finanziell völlig unabhängig oder verlebte seinen rentenabgesicherten Lebensabend im Ausland, hier also in Namibia.

Wer seinen Lebensunterhalt also durch Arbeit im Land verdienen muss, ist einerseits in das Regelwerk eingebunden, welches der Staat ihm setzt, andererseits ist dieses Regelwerk wiederum durchaus abhängig von der Situation, der der Staat hinsichtlich der Einflüsse der regionalen bis globalen Entwicklungen unterliegt. Jede individuelle Entscheidung, die im Kleinen grundsätzlich funktioniert, kann durch vom Individuum nicht beeinflussbare Einflüsse in ihr Gegenteil verkehrt werden.


Wirtschaft:

Namibias BIP (Bruttoinlandsprodukt) wird zu rund 55% im Dienstleistungssektor (im wesentlichen Tourismus) und nur zu rund 20% in der Rohstoffgewinnung und –verarbeitung erwirtschaftet. Bergbau steht für knapp 11% des BIP, jedoch nur für ~6.000 Arbeitsplätze.

Die Landwirtschaft stellt 70% aller Arbeitsplätze zur Verfügung und steht für knapp 6% des BIP, wobei die ungefähr gleich großen Flächen der kommerziellen und der kommunalen Farmen für rund 4% bzw. knapp 2% des BIP stehen. Hierbei ist zu beachten, dass nur ~1% der Fläche Namibias landwirtschaftlich nutzbar ist.

Namibia hat ein andauerndes strukturelles Haushaltsdefizit, welches nach der aktuellen Planung in den Jahren 2007 und 2008 durch Haushaltsüberschüsse abgelöst wird, bevor es in den Jahren danach wieder in ein Defizit übergeht. Strukturelles Haushaltsdefizit bedeutet, dass grundsätzlich zu wenig Geld in die Kasse kommt, um die notwendigen laufenden Ausgaben tätigen zu können. Die Staatsschulden, von denen ungefähr 18% Auslandsschulden sind, werden laut Haushaltsplanung, nach einer Verringerung auf 12,5 Milliarden NAM$ im nächsten Jahr, 2009 auf 13 und 2010 auf über 14 Milliarden NAM$ steigen.

Namibias Wirtschaft ist wegen der historischen Entwicklung in extremem Ausmaß von Südafrika abhängig. Insbesondere der Tourismus ist zusätzlich von „weichen“ Faktoren, wie dem subjektiven Sicherheitsempfinden abhängig. Wie schnell hier eine veränderte Situation zum Ausbleiben der Touristen führen kann, konnte man in der Vergangenheit in Europa schon mehrfach beobachten.


Gesellschaft und Politik:

Die Wohlstandsverteilung in der namibischen Gesellschaft ist extrem ungleichgewichtig, und dieses Ungleichgewicht hat sich seit der Unabhängigkeit noch verstärkt. Eine Veränderung ist wenig wahrscheinlich, da selbst, wenn es ein Bildungssystem gäbe, was den Namen verdiente, in Namibia gar nicht genug Arbeitsplätze der Qualität geschaffen werden könnten, um z.B. mit Asien zu konkurrieren.

Die Auswirkungen von AIDS auf Staat und Gesellschaft dürften noch nicht ihren Höhepunkt erreicht haben. Hier hat der gerade zurzeit in Namibia Schlagzeilen machende Verfall des öffentlichen Gesundheitswesens sicherlich starke Auswirkungen auf die Zukunft.

Polizei– und Justizwesen kommen ihrer Aufgaben nicht nach. Ein Weg zur Besserung ist während der letzten Jahre nicht erkennbar. Im Gegenteil: Es scheint immer schlimmer zu werden. Angesichts dieser Tatsache scheint es sich für Kriminelle zunehmend zu lohnen, auch die weit verstreuten Farmen und Lodges als Ziele zu sehen.

Die Versorgungsinfrastruktur steht an mindestens zwei Fronten unter Stress. Auf der einen Seite werden z.B. Telefonkabel und Sonnenkollektoren immer wieder geklaut, die dann auf Kosten der Betreiber und, letztlich, ihrer Kunden wieder installiert werden müssen. Risikobehaftet ist das nicht wirklich, weil: Siehe Polizei und Justiz! Auf der anderen Seite sind staatlicherseits offensichtlich viel zu wenig Mittel vorhanden, um die vorhandene Infrastruktur (z.B. Straßen) und Versorgung (z.B. Strom) auf dem bei der Unabhängigkeit übernommenen Level zu halten, geschweige denn sie den gestiegenen Anforderungen anzupassen.

Ein Konsens über den Staat und den Weg zu einem Staatsvolk (obwohl aus verschiedenen Volksgruppen zusammen gesetzt) existiert nicht. Die Dominanz der SWAPO auf der einen Seite ruft das tiefe Misstrauen aller anderen, die nicht an den Fleischtöpfen der Regierung sitzen, hervor.

Der zurzeit in der SWAPO ablaufende Machtkampf ist nicht transparent. Auch das Regierungshandeln ist in zutiefst strittigen gesellschaftlichen Themen häufig weder transparent noch schlüssig. Als Beispiel sei hier die immer wieder angeforderte, aber nicht gelieferte Präzisierung hinsichtlich der Kriterien für die Landenteignung genannt.


Schlussfolgerungen:

Die von mir oben genannten Punkte sind natürlich nur als kleines Anreißen von Punkten gedacht, die in ihrer späteren Entwicklung Auswirkungen auf das Leben eines zum Broterwerb in Namibia „verdammten“ Auswanderers haben.

Zunächst einmal würde ich mir als potentieller Auswanderer bewusst machen, dass das Schicksal Zimbabwes, wenn auch nicht in allen Ausprägungen, und die Wandlung Mugabes im Laufe der Zeit in Schwarzafrika nicht die Ausnahme sondern die Regel gewesen ist.

Dann würde ich mir Gedanken darüber machen, ob es hinsichtlich der Abhängigkeit Namibias von Südafrika Entwicklungen geben könnte, die auch dort Auswirkungen haben. Was geschieht zum Beispiel, wenn die dort seit einiger Zeit steigenden Preise für Grundnahrungsmittel Namibia erreichen? Was, wenn der angenommene WM-Boom wegen der dort unkontrollierbaren Gewaltkriminalität oder der Auswirkungen des Zusammenbruchs in Zimbabwe nicht zustande kommt?

Wie wird z.B. mein Hotel laufen? Habe ich genug Inlands– oder Regionalkunden, mit denen ich mein Auskommen habe? Was passiert, wenn die Finanzmittel des Staates irgendwann einmal nicht mehr ausreichen, um Air Namibia immer wieder die Schulden zu streichen? Was, wenn meine Kunden über Johannesburg kommen müssten, dies aber wegen der ständig steigenden Gepäckdiebstähle nicht mehr tun wollen? Was, wenn die Preispolitik des Beherbergungsgewerbes den Touristenstrom abschneidet? Vertrauen zu gewinnen, dauert sehr lange, es zu verspielen geht schnell!

Wer finanziert das bald wieder zunehmende Staatsdefizit? Was, wenn ausländische Kreditgeber oder Entwicklungshilfegeber diese einstellen? Wer zahlt dann die Zeche? Wie viele Bed&Breakfasts, die Steuern zahlen, und wie viele Touristen würden benötigt, um das auszugleichen? Wie wahrscheinlich ist das?

Wie können ausreichend viele Arbeitsplätze für die Arbeitslosen geschaffen werden? Produktion ist unter den gegebenen Bedingungen in Namibia vergebliche Liebesmühe, siehe Ramatex. Die Minenindustrie bietet kaum Arbeitsplätze, und die kommerziellen Farmer, investieren die im jetzigen Klima noch?

Was passiert, falls nach der Entscheidung im SWAPO–Machtkampf eine ZANUfikation der Partei eintritt? Die Partei hat meines Wissens die Mehrheit, um Verfassungsänderungen allein durchführen zu können. Präsidentschaft auf Lebenszeit wäre dann nur einen Parlamentsbeschluss weit weg.

Für mich folgte daraus: Unter gar keinen Umständen die Schiffe am Strand verbrennen!


Gruß, Michael


P.S. Links zu den Zahlenlieferanten:

Hier eine schon etwas ältere Analyse zur Situation in Namibia nach der Wahl 2004:
http://www2.dias-online.org/files/laenderberichte/Namibia_2005.pdf
Auswärtiges Amt:
http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/Namibia/Wirtschaft.html
CIA World Fact Book:
https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/wa.html
Das 2007er-Budget in einer Zusammenstellung von PriceWaterhouseCooper:
http://www.pwc.com/na/eng/pdf/pwc_Albe2007_08slides.pdf
Hier eine ältere Zusammenfassung des Finanzministeriums:
www.mof.gov.na/assets/budget/budgetsummary.pdf
Eine privatwirtschaftliche Bewertung des Haushalts 2004:
http://www.sarpn.org.za/documents/d0000768/index.php

Post geändert von: Yoshikawa, am: 06/08/2007 19:18<br><br>Post geändert von: Yoshikawa, am: 06/08/2007 19:20
Der Administrator hat öffentliche Schreibrechte deaktiviert.
06 Aug 2007 15:49 #44934
  • BaliHai
  • BaliHais Avatar
  • Beiträge: 382
  • BaliHai am 06 Aug 2007 15:49
  • BaliHais Avatar
hallo!

Tolle Ausführungen!
Ich würde beim Auswandern nach Namibia (wie bei jedem anderen Land) auch alle diese Dingen bedenken - das ist aber auch der Grund warum ich noch hier bin...

Ich beneide Leute die diese Dinge nicht so wichtig nehmen und alles entspannter sehen und in den Tag hinein leben!

Fakt ist, dass unsere doch ziemlich abgesicherte Existenz hier in Europa nicht leicht auch wo anderes zu finden ist....

:dry:
Der Administrator hat öffentliche Schreibrechte deaktiviert.
06 Aug 2007 15:56 #44936
  • Joerg
  • Joergs Avatar
  • Beiträge: 3173
  • Dank erhalten: 479
  • Joerg am 06 Aug 2007 15:56
  • Joergs Avatar
Hallo Michael!
Wieder mal eine excellente Nachforschung.
Interessante Fakten und Zahlen.
Wie Du richtig hast anklingen lassen, wenn man genug Geld hat kann man in Afrika suuuuper leben. Ich kenne Leute die auch jetzt noch sehr gut in Zimbabwe leben, ob das so bleibt wenn man im Ausland nicht mehr einkaufen darf ist eine andere Frage.
Gruss

Joerg

Es gibt NIX, das es nedd gibt
Der Administrator hat öffentliche Schreibrechte deaktiviert.
06 Aug 2007 15:59 #44937
  • klausul
  • klausuls Avatar
  • Sehnsucht ist auch eine Sucht
  • Beiträge: 283
  • klausul am 06 Aug 2007 15:59
  • klausuls Avatar
Hallo Michael,

Das ist eine sehr gute Beschreibung der Situation und für mich live erlebtes bei Bekannten die den Schritt gewagt haben,
Ich habe aus den von Dir geschilderten Erwägungen ein Investment von dem man Leben muss ausgeschlossen. Ich werde neu nachdenken wenn ich in Rente bin.
Wer in Namibia arbeiten muss wird nicht viel mehr Safari erleben wie aus einer europ. Arbeitssituation mit 30 Tagen Urlaub und geregeltem Einkommen, LH-Goldcard und AOK-Versicherung.

Klaus
Vorsicht: infiziert mit virus namibiense
Der Administrator hat öffentliche Schreibrechte deaktiviert.
06 Aug 2007 18:47 #44959
  • Guido.
  • Guido.s Avatar
  • Guido. am 06 Aug 2007 18:47
  • Guido.s Avatar
Hallo Michael,
Bergbau steht für knapp 11% des BIP, jedoch nur für ~6.000 Arbeitsplätze, was ungefähr 3% der Bevölkerung entspricht.
Das ist etwas verrutscht? 6.000 Arbeitsplätze sind etwa 0,3% der Bevölkerung.
Namibia hat ein andauerndes strukturelles Haushaltsdefizit,
Laut AA haben die schon seit 2 Jahren einen Haushaltsüberschuss. Insgesamt steht Namibia in Sachen Staatsverschuldung erheblich besser da als Deutschland.
Die Staatsschulden, von denen ungefähr 18% Auslandsschulden sind, werden laut Haushaltsplanung, nach einer Verringerung auf 12,5 Milliarden NAM$ im nächsten Jahr, 2009 auf 13 und 2010 auf über 14 Milliarden NAM$ steigen.
2 Milliarden davon wurden sinnfrei für Air Namibia verpulvert.
Angesichts des wohl chronisch unterfinanzierten Polizei-, Justiz- und Gesundheitsapparates finde ich es absurd, das Namibia sich aus Prestigegründen eine chronisch extrem defizitäre internationale Airline leistet. Im Geschäftsjahr 2004/2005 hat Air Namibia bei 512 Millionen Umsatz 200 Millionen Verlust eingefahren. Pro umgesetztem Dollar machen die 40 Cent Verlust auf Kosten der Steuerzahler. Das ist völliger Wahnsinn. Air Namibia ist einfach zu klein und zu finanzschwach, um existieren zu können. Das Argument der Regierung, das Air Namibia zahlungskräftige Touristen ins Land holt, greift auch nicht. Andere Länder haben auch keine eigene internationale Airline und trotzdem viele Touristen. Schon heute bringt Air Namibia via Frankfurt und London weniger als 10% der Touristen ins Land.
Wie können ausreichend viele Arbeitsplätze für die Arbeitslosen geschaffen werden? Produktion ist unter den gegebenen Bedingungen in Namibia vergebliche Liebesmühe.
Als industriellen Produktionsstandort halte ich Namibia auch für sehr unattraktiv. Aber ich denke, dass die noch sehr viele Arbeitsplätze im Tourismusbereich schaffen könnten. In dem riesigen Land leben ja nur 2 Millionen Menschen. Zum Vergleich: In Deutschland arbeiten 2,8 Millionen Menschen in der Tourismusindustrie.

Guido<br><br>Post geändert von: login37, am: 06/08/2007 18:57
Der Administrator hat öffentliche Schreibrechte deaktiviert.
06 Aug 2007 19:27 #44964
  • Yoshikawa
  • Yoshikawas Avatar
  • Yoshikawa am 06 Aug 2007 15:34
  • Yoshikawas Avatar
Moin Guido,

Du hast natürlich mit der Prozentrechnung der 6.000 völlig Recht! :blush: Weiß auch nicht mehr, welche Vergleichszahlen in meinem Entwurf mich da irritiert hatten. Danke, ich habe den Beitrag an der Stelle berichtigt.

Was die im AA-Link beschriebenen zwei Überschussjahre angeht, so sagt der PWC-Link, der nun hoffentlich funktioniert, dass es 2005 ein Minus von 2,9% und 2006 von 1,1% gegeben hat. Es gibt ja auch in Namibia Nachtragshaushalte.

Das Namibia hinsichtlich der Verschuldung besser dasteht als Deutschland, sehe ich nicht ganz so. Deutschland hat seinen jetzigen Status seit 1949 \"erarbeitet\", Namibia seit 1990. Wenn Deutschland versuchte, seine Staatsschuld zu verringern, so könnte es sich auf seine immer noch leistungsfähige Wirtschaft stützen. Und, wer weiß, vielleicht würden sich ja auch die Vermögenserben im Falle eines Falles doch nicht lumpen lassen.

Ich bezweifle, dass Wirtschaftskraft und privates Vermögen dies in Namibia bewirken könnten. Dies ist jedoch nur Spekulation, und ich kann sie auch nicht durch Zahlen als Indizien stützen.

Gruß, Michael<br><br>Post geändert von: Yoshikawa, am: 06/08/2007 21:12
Der Administrator hat öffentliche Schreibrechte deaktiviert.
  • Seite:
  • 1
  • 2