THEMA: Was für ein Land
12 Okt 2007 15:45 #50521
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  • Gforce am 12 Okt 2007 15:45
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In dem ein Heiliger übers Wasser lief, Rentner Beach-Buggies fahren und Antilopen die Autofahrer bedrohen

Im Norden des Landes, an der Grenze zu Angola und im Caprivi-Streifen (das ist der langgezogene Zipfel Namibias, der sich zwischen Angola, Sambia und Simbabwe im Norden und Botswana im Süden erstreckt), gibt es auch heute noch viele Missionsstationen. Neben den kirchlichen Aufgaben ist das Gesundheitswesen eine bedeutende Herausforderung für diese Stationen. In diesem, von ganzjährigen wasserführenden Flüssen durchzogenem Gebiet, liegen die einzelnen kirchlichen Anwesen meist nicht an einer der wenigen Strassen, sondern dort, wo die Menschen schon seit Jahrhunderten siedeln, im Busch, am Ufer einer der vielen Flüsse. Da sieht man schon mal einen Pater oder eine Schwester im (Motor-)Boot auf dem Weg ins Nachbardorf, um die Messe zu lesen oder um den Medikamenten Nachschub abzuliefern.
Aus der „guten alten Zeit“ erzählt man uns folgende Episode: Ein Pater, sportlich, groß und stark, hatte neben seinen beruflichen Aufgaben eine Fülle privater Interessen. Er war z.B. begeisterter Großwildjäger (damals, als das moralisch noch nicht in Zweifel gezogen wurde, in den Fünfzigern,). Als die Jägerei dann untragbar wurde, gab sich der Pater anderen Leibesertüchtigungen hin, wie Waldläufen, Boxen oder Gewichtheben. Als er eines Tages das Missionsboot kommen sah, kam ihm die Idee, das Wasserskilaufen zu erlernen.
Er begann mit dem Bau von Wasserskiern. Als diese zu seiner Zufriedenheit geraten waren, setzte er die Schwester Oberin, trotz ihrer Proteste, an das Ruder des Motorboots und gebot ihr, kräftig Gas zu geben! Nach einigen Misserfolgen gelang es dem Pater recht bald, sicher auf den Skiern zu stehen. Voller Freude ließ er sich nun in hohem Tempo über den Fluss ziehen. Seine Gemeinde (Kann man hier von schwarzen Schafen sprechen?) verfolgte das Geschehen völlig fassungslos. Ihr Pater konnte übers Wasser laufen! Es dauerte einige Monate, dann erreichte den Pater ein Schreiben des Bischofs aus der Hauptstadt: er möge sich doch bitte ein anderes Hobby zulegen, Jesus hätte bereits das Copywrite zu dieser Story!

Viele alte Menschen scheinen uns hier rüstiger zu sein, als in Deutschland, auch die Lebenserwartung erscheint uns größer. Man sieht 75-jährige Farmersfrauen mit dem Geländewagen zum Einkaufen nach Windhoek fahren, einen 79-jährigen Allround Adligen (einer aus der Castell Sippe) beim Karneval in der Bütt, bei der Niederwildjagd an vorderster Front. Diese Altersklassen sind bei vielen Veranstaltungen und Freizeitaktivitäten vertreten, es ist gut zu sehen, das es auch im hohen Alter noch andere Möglichkeiten gibt, als die Endstation Altersheim. Ob nun aber die Jungs um die 80 im Beach Buggy herumflitzen müssen, bei dem Verkehr hier!
In Namibia gibt es ca. 115 000 Autos, davon ca. 50 000 in der Hauptstadt. Namibia ist ungefähr 3-mal so groß wie Deutschland. Es leben etwa 1.2 Mio. Menschen hier, davon 80% bim Norden...

Mit dem Autofahren in diesem Land ist das so eine Sache. Nicht das Linksfahren ist das Problem, sondern die endlosen Entfernungen. Wenn man in Deutschland von Frankfurt nach München fährt, sind diese ca. 400km deswegen ein Problem, weil der Verkehr so stark ist, hier ist die Entfernung Windhoek – Etosha Park etwas größer, aber es gibt so gut wie keinen Verkehr. Das wiederum verleitet, bei den frühlingshaften Temperaturen von 33 Grad Außentemperatur, zu Träumereien, die Konzentration was die Konzentration schärft, nicht der Berg in 100km Entfernung, nicht das entgegenkommende Auto, alle 40km eines. Das führt dazu, dass man an den unglaublichsten Stellen Bremsspuren ins Abseits führen sieht. Auf kerzengerader Straße plötzlich eine Bremsspur in den Straßengraben, warum? Die Hitze drückt aufs Gemüt, die Gedanken sind ganz woanders, HOPPLA, da kommt ein anderes Fahrzeug, Lenkrad verrissen und ab in den Graben. Die Zweite, viel gefährlichere Variante geht wie folgt: In der Dämmerung oder Nachts fahren alle Fahrzeuge mit eingeschalteten Nebelscheinwerfern, soweit vorhanden, oder mit allem (Fern-) Licht, welches am jeweiligen Fahrzeug vorhanden ist. Wenn man, wie hier üblich, eine Straße 40km weit einblicken kann, dann ist dies „Scheinwerferei“ wahnsinnig lästig und führt bei den (bekannten) Neuankömmlingen zu überheblichen Lästereien. Wenn man aber am eigenen Leib erfahren, wie häufig in der Dämmerung, oder wenn es stockdunkel!!! Ist, Wild über die Straße wechselt, dann bekommt man einen leibhaftigen Begriff für Gefahr. Nehmen wir nur zwei Wildarten, die am häufigsten die Autofahrer bedrohen. Warzenschweine – völlig unerschrockene Tiere, bis zu 150kg schwer, kreuzen häufig die Straßen. Ihre Farbe ist Teerstraßengrau, so hat man keine Chance, diese Biester in der hiesigen Dunkelheit und / oder bei Gegenlicht rechtzeitig zu erkennen. 150kg bei 100km/h gegen einen PKW heißt Schrott. Kudus – bis zu 250kg schwer, eine sehr schöne Antilopenart, hirschgroß, sind die häufigsten „Feinde“ der Autofahrer.
Allein auf dem Weg zum/vom International Airport Windhoek, fällt wöchentlich eine Autoladung diesen Brocken zum Opfer. Die Beine dieser Antilopen enden etwa auf der Höhe der Motorhaube eines Pkws, die 80cm langen, gewundenen Hörner durchbohren die Autoinsassen bei einer Kollision.
Wenn diese Gefahren alle paar Kilometer am Straßenrand drohen, dann macht das Fahren zu dieser Tageszeit überhaupt keinen Spaß mehr. Einigermaßen sicher fährt man nur mit einem relativ hohen Geländewagen, eine starke Bullbar (Rammschutz) vor der Motorhaube ist allerdings Voraussetzung! Über eingeschaltete Nebelscheinwerfer im Süden Afrikas spotten wir schon lange nicht mehr.

Allgemein gesagt, kann der „typische Namibier“ einem deutschen Autofahrer nicht das Wasser reichen: die erfahrenen Autofahrer fahren als ob sie alleine auf der Straße wären, auf mehrspurigen Straßen immer rechts, analog zu den Hempels in Deutschland, die immer links fahren müssen. Blinken wegen einem Richtungswechsel nur je nach Tagesform. Ampelrennen sind in Windhoek sehr beliebt: bei Grün hetzen die Leute los, als gelte es einen Formel 1 Start zu gewinnen. An der nächsten (roten) Ampel das gleiche Spiel: zackiges Niederdrücken des Gaspedals, bei Grün dann in einer Gummirauchwolke losfetzen, bis zur nächsten (roten) Ampel. Hei, macht das Spaß!
Die „neuen“ Autofahrer sind mit noch größerem Misstrauen zu beachten. Wer von diesen Taxi- oder Regierungswagenfahrern hat eigentlich einen Führerschein? Die Fahrzeuge mit den „unauffälligen“ grünen GRN-Nummernschildern gehen ja eigentlich gerade noch. Die Überholen ja nur schlingernd mit 140km/h oder mehr, in einem von der UNO hinterlassenen Geländewagen, obwohl nur 120km/h erlaubt sind. Aber die Taxis, die völlig alleine auf den Straßen unterwegs sind, fahren innerorts nach einem erfolgreichen Ampelstart erst mal zwischen 80 und 100km/h, um sofort auf 0km/h abzubremsen, wenn am Straßenrand eine dunkle Hand winkt. Meist ist es dann der 20ste Insasse eines (Taxi-) Kleinbusses, aber wer nimmt das hier schon so genau? Kleinlich ist man dagegen nur in Deutschland, wo höchstens 9 Leute in einen Kleinbus sitzen dürfen, vorausgesetzt, der Fahrer hat einen Personen Beförderungsschein. Aber hier...? Was für ein Papier ist das denn? Wenn es also mal kracht, dann aber richtig. Das heißt, Anzahl der Insassen = Anzahl der Toten, oder mit erheblichem Glück, der Schwerverletzten. Aber bei einem Unfall sind sofort und überall helfende Hände zur Stelle. Geld und Wertsachen befinden sich beim Eintreffen der Ambulanz nicht mehr im Besitz des (vermeintlichen) Toten. Schließlich kann man in Afrika alles gebrauchen, es wäre ja auch wirklich schade um die schönen Dinge, würden diese mit in den Sarg wandern. Ist doch noch nicht gestorben? Sah aber fast so aus! Recycling nennt man das wohl.
Aber alle Ossis müssen sich doch auch erst an den „West-„ Standart beim Autoverkehr gewöhnen. Wie viel Unfälle passieren jeden Tag durch untrainierte DDRler, die sich einfach überschätzen?
Genauso ist es hier: Regieren lernen, Demokratie lernen, Autofahren lernen. Alles neu, alles im Aufbruch. Großmut tut Not!


STOP!

Das Ding ist ungefähr 10 Meter lang, hat sechs Räder und auf denen rollte es langsam aus der Ausfahrt heraus. Und weil auf der Ladefläche soviel Zeugs liegt, dass der Fahrer nicht sehen kann, steht extra einer da, der schauen soll, wieweit die Lorry noch zurückstoßen kann. Einweiser heißt das im Beamtendeutsch.
Und neben diesem Einweiser steht ein Auto. Und die Lorry rollt und rollt und der Einweiser schaut und winkt. Und dann bohrt sich die Lorry im Schritttempo in den Pkw. Eine Sekunde später sagt der Einweiser erst „ai“ und dann schreit er ganz laut „STOP“. Dabei steht die Lorry längst, weil so ein Auto ganz schön bremst. Und solche Geschichten braucht man sich gar nicht auszudenken, da braucht man nur zugucken. Im März vor der amerikanischen Botschaft, da stand das Auto vom Militärattache im Weg. Oder im Juni in der Ausfahrt eines Großhändlers. Und dazwischen wahrscheinlich noch öfter, aber man kann ja nicht überall sein.
Was das soll? Eigentlich nur der Ausdruck der Verwunderung. Unfälle gibt es immer und überall. Aber mit solcher Dramaturgie – alle Umstehenden staunen und raunen sich zu, dass der gleich dem anderen reinfährt, und der macht das wirklich – vorgetragen, kann man automobile Zwischenfälle nur selten erleben.


Die Sicherheitsbedürfnis aller Politiker ist aus bekannten Gründen überaus hoch. Bei afrikanischen Politikern aber besonders. Vor einiger Zeit war der Präsident des Nachbarlands Botswana, Quett Masire, in Namibia zu Besuch. Masire gilt als ausgesprochner Sicherheits Fanatiker. Solch ein Gast ist für Windhoeks Alltag ausgesprochen lästig. Straßen werden gesperrt, Gebäude geräumt. Grimmige Männer mit Maschinenpistolen bestimmen das Straßenbild. So weit, so schlecht. Man kennt das aus dem Fernseher, wenn Gorbi und & Co. Nach Deutschland kommen. ABER, Sam Nujoma (unser Präsident), zeigt Quett Masire (der aus Botswana), die Naturschönheiten Namibias. Er fliegt mit ihm nach Etosha (dem größten und schönsten Tierreservat des Landes), steigt dort in einen Hubschrauber und dann fliegen beide gemeinsam in geringer Höhe über diese Landschaft. Vor lauter Aufregung über dieses Fluggerät, rasen alle Tiere in wilder Panik davon, verfolgt von den beiden Präsidenten, denen dieses Schauspiel große Freude bereitet.
Die Sicherheitsleute „schützen und bewachen“ derweil die beiden vom Boden aus. Mit irrsinnigem Tempo rasen die Bodyguards in Geländewagen dem Hubschrauber hinterher. Mit 140km/h, wie Augenzeugen berichten, drängen sie verschüchterte Touristen rüde von den Wegen und steigern das Unbehagen der Tiere beträchtlich! Als Tourist darf man in Etosha, völlig zu recht, nur 40 – 60km/h fahren. Aber was sind schon Touristen?

Wer das Glück hat, unserem Präsidenten auf der Straße zum Windhoek International Airport zu begegnen, dem wird dieses Erlebnis unvergessen bleiben. Vor Kurzem ging das so:
Auf dem Weg vom Flughafen zur Stadt fuhr ein BMW. Als er über eine Bergkuppe kam, blickte er in die aufgeblendeten Scheinwerfer der Präsidenten-Eskorte, die ihm, mit hohem Tempo, auf beiden Straßenseiten entgegen kam. Mit einer Vollbremsung rettete der BMW sich in den Straßengraben. Ein Stück hinter im fuhr ein Tourist in einem Miet-Golf. Er kam über die Bergkuppe, blickte in die aufgeblendeten Scheinwerfer der Präsidenten-Garde und rettete sich, mit einer Vollbremsung, in den Straßengraben. Nur, da stand ja schon der BMW! Hinter dem Golf fuhr ein weiteres Fahrzeug Richtung Stadt. Er kam über die Kuppe – richtig – erblickte die Lichter und fuhr in des Graben. Nur, da standen ja schon der BMW und der Golf!
Nachdem die präsidiale Kavalkade vorüber war, krabbelten drei Autolenker aus ihren Wracks und wunderten sich über gar nichts mehr. Nun muss die Polizei gegen die Präsidenten-Eskorte ermitteln. Der arme Richter musste die Klage der drei Autofahrer aufnehmen. Ob das seiner Karriere förderlich sein wird? Wird es zu einer Gerichtsverhandlung kommen? Wenn ja, wie wird das ausgehen?
Es ist alles ganz spannend hier.

Die Story ist nicht mehr ganz frisch, aber immer aktuell!

:dry:
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