THEMA: Reisebericht: Mit Fahrrad, Bus und Zug durch Kuba
14 Sep 2020 17:03 #594756
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Letzter Tag in Baracoa


Baracoa Malecón

Obwohl sich mein Zimmer auf dem Dach eines zweistöckigen Hauses im Zentrum Baracoas befindet, werde ich in aller Frühe von einem dieser nervigen Hähne geweckt. Zuerst kann ich es kaum glauben, ich bin doch nicht auf dem Campo. Ein Blick aus dem Fenster klärt mich auf. Ein Nachbar auf der gegenüberliegenden Straßenseite betreibt eine Hühnerzucht auf seinem Balkon im zweiten Stock, Luftlinie nur wenige Meter von meinem Bett entfernt. In Havanna hatte ich schon Balkone gesehen, die zur Schweinezucht mißbraucht wurden, aber Schweine krähen wenigstens nicht in aller Frühe.

Ein Blick auf die Uhr, es ist kurz nach vier.

Als ich aus dem Bett steige, trete ich in etwas nasses, kaltes. In meinem Zimmer haben sich überall Pfützen gebildet, stellenweise steht das Wasser knöcheltief. In der Nacht hat es gestürmt und heftig geregnet. Fenster haben in Kuba überwiegend keine Glasscheiben, sie werden über Lamellen-Fensterläden geöffnet, oder geschlossen. Wegen der Luftzirkulation hatte ich die Lamellen halb offengelassen, was bei dem nächtlichen Starkregen zu der Überschwemmung geführt hat. Zum Glück ist mein Rucksack wasserdicht, denn der steht mitten in der größten Lache.

Da ich heute nichts Besonderes vorhabe, verbringe ich den Tag mit Müßiggang. Ein bissl spazieren, in den Parks sitzen und Erdnüsse essen, den Malecon entlanglaufen und das eine oder andere Foto schießen. Ich glaube vielmehr habe ich an diesem Tag nicht gemacht.


Baracoa


Baracoa


Baracoa


Baracoa

Halt, noch etwas habe ich an diesem Tag erledigt. Ich war beim VIAZUL-Busbahnhof, denn meine Zeit in Kuba neigt sich unweigerlich dem Ende zu, und schon in wenigen Tagen geht mein Flieger von Holguín zurück nach Deutschland und so langsam aber sicher muss ich meine Rückreise planen. Der „normale“ Weg von Baracoa nach Holguín würde über Santiago führen. Das heißt, mit dem VIAZUL-Bus nach Santiago und von dort mit Bus oder Sammeltaxi nach Holguín.

Irgendwo habe ich mal gehört, dass zwischen Guantánamo und Holguín ein Zug verkehren soll. Eine Zugfahrt würde bestimmt mehr Spaß machen, als die Fahrt mit dem VIAZUL. Ich habe auf früheren Reisen schon andere Bahnstrecken Kubas kennengelernt und diese entschleunigte Art des Reisens hat durchaus seine Reize. Solange man es nicht eilig hat. Also kaufe ich ein Busticket nach Guantánamo, für den morgigen Tag.

Abends regnet es wieder, dadurch sind Straßen und Parks menschenleer. Ich empfinde die leichte Abkühlung als ganz angenehm, die Kubaner haben schreckliche Angst vor 'gripe', kaum fallen die ersten Regentropfen sind die Straßen wie leergefegt.

Ich gehe früh schlafen und diesmal schließe ich die Fensterläden und stecke ich mir ein Paar selbstgebastelte Oropax in die Ohren.
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14 Sep 2020 17:12 #594757
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Me voy pa' Guantánamo


Parque Marti mit der Iglesia Parroquial de Santa Catalina

Der Busterminal von Guantánamo liegt ein paar Kilometer außerhalb der Stadt in Richtung Santiago. Von Baracoa kommend fährt man erst durch Guantánamo hindurch und muss dann vom Busbahnhof mit einem Taxi wieder zurück in die Stadt. Eine umständliche Prozedur. Ich frage deshalb den Busfahrer, ob ich schon im Stadtzentrum aussteigen kann, was auch ohne Probleme geht.

Es ist nicht schwer, sich in Guantánamo sich zu orientieren. Die Straßen sind schachbrettartig angeordnet, in der Mitte liegt der Parque Marti und drum herum so ziemlich alles, was für mich als Touri relevant ist.

Guantánamo ist ein relaxtes Städtchen, fast ohne Fremdenverkehr. Die meisten Touristen fahren zwar auf dem Weg von oder nach Baracoa mit dem Bus durch Guantánamo hindurch, aber kaum jemand steigt aus. Das liegt wahrscheinlich daran, dass Guantánamo in den einschlägigen Reiseführern als ein für Touristen eher uninteressantes Ziel abgehandelt wird. Das hat zur Folge, dass es in Guantánamo kaum Nepper, Schlepper und Touristenfänger gibt. Ich mag Guantánamo gerade weil es dort unspektakulär zugeht, weil man in aller Ruhe kubanisches Provinzstadtleben erleben kann, ohne ständig lästige Jineteros abwehren zu müssen. Hier werden Fremde noch mit Neugier empfangen.

In einer der Seitenstraßen unweit des Parque Marti finde ich eine nette Casa. (Casa Oasis/15 CUC)). Die Casa-Wirtin versichert mir auf mein Nachfragen, dass es in der Nachbarschaft weit und breit keinen Gallo (Hahn) gibt.


Guantánamo – Parque Marti


Guantánamo – Parque Marti

Der Parque Marti ist zentraler Treffpunkt der Guantanameros. Morgens kommen die Älteren dort auf ein Schwätzchen zusammen, oder lesen die Granma (Zentralorgan der Kommunistischen Partei Kubas). Tagsüber nutzen vor allem die Jüngeren den Park als Wifi-Hotspot, abends bevölkern Familien mit Kindern den Park.
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16 Sep 2020 11:52 #594842
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Spaziergang durch Guantanamo

Es macht Spaß durch Guantánamos Straßen zu schlendern. Guantánamo ist immer noch ein ruhiges Städtchen, auch wenn der Verkehr in den letzten Jahren spürbar zugenommen hat. Altertümliche Maquinas, klapprige Ladas und Moskwitschs bevölkern zwar die Hauptstraßen, sobald man in eine Seitenstraße abbiegt, fühlt man sich in frühere Jahrhunderte zurückversetzt. Die bunt gestrichenen Häuser mit ihren schattigen Säulengängen sind meist nur ein- oder zweistöckig, hinter ihren Fassaden verbergen sich hohe, luftige Räume mit gekachelten Böden und schattigen Innenhöfen.

Ich mache ein paar Fotos, setze mich in den Parque, unterhalte mich mit dem einen oder anderen Straßenverkäufer, Rentner, oder Müßiggänger, von denen es reichlich gibt.


Guantánamo


Guantánamo


Guantánamo - – Charlie Chaplin


Guantánamo


Parque Marti


Guantánamo


Guantánamo


Guantanamera




Kubanerinnen tragen gerne Kuchen mit sich herum


Machos

Plötzlich beginnt es zu regnen. Keine erfrischende kleine Schauer, sondern ein heftiger Wolkenbruch, wie man ihn nur in den Tropen erlebt. Innerhalb weniger Minuten verwandeln sich die Straßen in braune Sturzbäche, auf denen der Müll der Stadt entlangtreibt. Leere Plastikflaschen, Verpackungen, Papier, Plastiktüten, Undefinierbares.


Regen


Guantánamo

Ich rette mich unter ein Dach und beobachte die Sintfluten. Plötzlich rufen die Leute um mich herum:

„Mira, mira, el borracho“ (Schau, schau, ein Betrunkener)

Und sie deuten auf eine Gestalt, die mitten auf der Straße durchs Wasser torkelt. El Borracho versucht eine Rumflasche einzufangen, die auf den reißenden Fluten davonschwimmt. Plötzlich stürzt er mitten in der braunen Flut in ein Loch. Einen Moment befürchte ich, er habe sich verletzt. Aber bevor ich eingreifen kann, rappelt er sich auf und torkelt weiter seiner Flasche hinterher, die sich an der nächsten Straßenecke in einem Strudel dreht. Dabei hat er erstaunlicherweise die ganze Zeit einen Zigarettenstummel im Mund. Die umstehenden Kubaner amüsiert die Szene ungemein, sie lachen, grölen, klatschen sich auf die Schenkel und filmen das Geschehen mit ihren Handys.
Letzte Änderung: 16 Sep 2020 11:53 von Gu-ko.
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16 Sep 2020 12:14 #594845
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Noche Guantanamera

Heute ist Samstag, und auf den Straßen laufen die Vorbereitungen für die „Noche Guantanamera“. Dieses Straßenfest findet ein oder zweimal im Monat statt. Die Straßen werden für den Verkehr gesperrt, es werden Verkaufsstände aufgebaut, Wattstarke Musikanlagen sorgen für die nötige musikalische Dröhnung. Die Guantanameros lieben diese Straßenfest.

Schon ab Mittag werden die Schweinchen über Holzkohlebecken gegrillt. Sie benötigen viele Stunden, bis sie durchgegart sind. Nach verbranntem Fett stinkende Rauchschwaden ziehen durch die Gassen.

Nach Einbruch der Dunkelheit geht die Party richtig los. Rum und Bier fließen in Strömen. Überall wird getrunken, gegessen und getanzt. Alles kostet nur ein paar Pesos, sodass es sich jeder leisten kann. Zu späterer Stunde gibt’s regelmäßig Schlägereien. Flaschen fliegen durch die Luft und manchmal Stühle. Spätestens jetzt sollte man sich vom Acker machen.

Natürlich lasse ich mir das Fest nicht entgehen. :woohoo:


Noche Guantanamera - Mittags beginnt das Grillen


Abends sind die Schweinchen knusprig


Noche Guantanamera


Noche Guantanamera
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20 Sep 2020 19:27 #595076
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Noche Guantanamera

Kurz nach Mitternacht ist es soweit. Eine Gruppe angetrunkener Männer gerät in Streit. Ich höre laute Stimmen, Stühle fallen, Glas splittert, Menschen um mich herum geraten in Bewegung. Ich spüre plötzlich aufkommenden Stress bei den gerade noch entspannt feiernden Menschen.

Ich war vor Jahren schon einmal in einer ähnlichen Situation, als auf einem nächtlichen Straßenfest in Santiago plötzlich die Stimmung kippte und die Menschen panikartig nach allen Seiten davonstoben. Noch bevor ich richtig begriff, was genau passierte, entstand um mich herum ein dichtes Gedränge und gleichzeitig spürte ich fremde Hände in meinen Hosentaschen. Außer einem feuchten Taschentuch fanden die zwar nichts, aber es war trotzdem eine unangenehme Situation.

Eine Frau in meiner Nähe greift mich am Arm und sagt:

„Mejor que te vayas ahora“ (Besser du gehst jetzt)

Ich schaue die Frau verwundert an. Vor mir steht eine Mulata, um die 40 Jahre alt, mit Sorge im Gesicht und einer filterlosen Zigarette in der Hand. Während sie mich vom Geschehen wegschiebt, sagt sie:

„Siempre son los negros que buscan problema“ (Es sind immer die Schwarzen, die Probleme suchen)

Da sie selbst ziemlich schwarz ist, muss ich bei der Feststellung etwas schmunzeln. Aber vermutlich spricht sie aus Erfahrung, schließlich verbringt sie schon ihr ganzes Leben in Kuba.

Wir quatschen noch ein bisschen und bevor ich mich verabschiede, lädt mich Yolanda ein, am nächsten Tag bei ihr zu Hause vorbeizuschauen. Sie wohnt zusammen mit ihrem 15-jährigen Sohn und ihrer Familie in dem Reparto (Viertel) La loma del Chivo, nicht weit vom Stadtzentrum.

Ich gebe ein vages „vamos a ver“ (mal sehen) zur Antwort und verabschiede mich.
Letzte Änderung: 20 Sep 2020 19:27 von Gu-ko.
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20 Sep 2020 19:29 #595077
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Sonntag und letzter Tag in Guantánamo


Bahnhof Guantanamo

Am Sonntagnachmittag bin ich pünktlich um 16 Uhr am Bahnhof. Eine andere Señora sitzt jetzt hinter dem Schalter. Aber sie könnte die Zwillingsschwester der ersten Señora sein. Ähnliches Alter, vergleichbares Übergewicht und genauso schläfrig.

Ihre Ansage: Im Moment gäbe es noch keine Tickets und keine Infos, ob der Zug morgen fährt. Ich soll um 18 Uhr wiederkommen.

Als ich um 18 Uhr wiederkomme sitzen etwa fünfzig Personen vor dem Bahnhof und nochmal zwanzig in der Wartehalle. Bei der Menschenansammlung handelt es sich um die berühmte kubanische „cola de espera“ (Warteschlange). Es gibt sie überall, vor Geschäften, Banken, an Bushaltestellen, vor Geldautomaten, Ämtern und auch vor Fahrkartenschaltern. Diese Warteschlangen sind nicht immer leicht zu erkennen, da die Leute nicht ordentlich hintereinanderstehen, sondern irgendwo in der Gegend herumsitzen.

Um sich in die Warteschlange einzureihen ruft man:

„Quien es el ultimo?“, oder einfach nur: „Ultimo?“. (Wer ist der Letzte?)

Und wenn sich wer meldet, hat man seinen Vordermann in der Schlange lokalisiert.

Ich frage nicht nach „el ultimo“, sondern gehe direkt zum Schalter, um mich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. Die Señora schaut mich kurz an und sagt, ich müsse warten und mich in die Cola einreihen.

Nun weiß ich von früheren Zugfahrten, dass es für Ausländer meistens separate Devisenschalter gibt. Ausländer bezahlen den 24fachen Preis eines Kubaners und ein damit verbundenes Privileg ist, dass sie dafür keine Schlange stehen müssen. Allenfalls eine Devisen-Schlange und die ist, falls vorhanden, viel kürzer.

Ich frage die Señora, ob es hier keinen Devisenschalter gibt. Sie berät sich mit einer anderen Angestellten und tatsächlich, die Devisenfahrkarten werden von der Bahnhofsvorsteherin persönlich verkauft. In einem separaten Büro.

Diese Inkompetenz kubanischer Angestellten ist mir nicht ubekannt, erstaunt mich trotzdem immer wieder von neuem.


Ferrocarriles de Cuba

Das Büro der Jefa befindet sich auf der Rückseite des Gebäudes. Sie ist gerade damit beschäftigt, ein Pollo nebst Yucca und Tostones zu vertilgen (Hühnchen mit Maniok und frittierten Kochbananen). Ich muss warten, bis sie alles fein säuberlich abgenagt und ihre fettigen Finger an einer Papierserviette abgewischt hat. Dann wendet sie sich mir zu.

„Pasaporte“

Sie füllt ein paar Formulare aus, dann:

„Siete Dollares“ (7 Dollar)

Komisch, ich dachte der Dollar wäre in Cuba längst abgeschafft? Hat sich das in Guantanamo noch nicht herumgesprochen?

Ich gebe ihr sieben CUC und bekomme dafür ein Zettelchen, auf dem man mit viel Phantasie eine Sitzplatznummer und die Nummer des Waggons erkennen kann: Coche Tres, Asiento Nueve. 
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