THEMA: Kurze Geschichten - Sehen und gesehen werden
19 Jul 2011 06:13 #196232
  • leofant
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  • leofant am 19 Jul 2011 06:13
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So, hier kommt wieder was "kleines, kurzes"

Gruß Walter

Sehen und gesehen werden

Wenn man sich mit dem Jeep auf der Pirsch befindet und unvermittelt auf Löwen trifft ist das Verhalten der Raubkatzen gegenüber dem Wagen und seinen Insassen für mich immer wieder faszinierend. Obwohl wir im Jeep hin- und herrutschen um besser fotografieren zu können, erscheinen den Löwen die Insassen und das Fahrzeug als eine Einheit. Ich finde es absolut aufregend, wenn die Katzen sich ganz nah am Wagen aufhalten, mir sogar in die Augen schauen, aber mich anscheinend trotzdem nicht als Individuum und damit als mögliche Beute erkennen. Allerdings wird man von den Guides immer wieder daran erinnert nicht aufzustehen (das ist in offenen Fahrzeugen ohne Dach problemlos möglich) und sich auch nicht aus dem Fahrzeug herauszulehnen, denn das würde die Löwen dann doch neugierig machen. Wir haben selbst erlebt, dass die Tiere sehr wohl auf Menschen, die nicht mit der Fahrzeugsilhouette verschmelzen, reagieren



Wir sind auf einer Tour im Central Kalahari Game Reserve unterwegs. Es hat in dieser Saison bereits viel geregnet und das goldgelbe Gras links und rechts der schmalen Sandpiste ist schon recht hoch und behindert die Sicht. Damit wir so viele Tiere wie möglich entdecken können haben wir nicht nur einen Fahrer dabei sondern auch einen Tracker (Spurenleser). Der sitzt allerdings nicht auf dem Beifahrersitz des Jeeps, sondern sein Sitz ist vorne seitlich am Wagen angebracht. So „schwebt“ der Tracker über der Piste und kann im Sand ungehindert die Tierspuren erkennen und deuten. Jetzt ist Scooper, so ist der Spitzname unseres Trackers, allerdings gerade abgelenkt und unterhält sich mit Balepi, dem Fahrer. Scooper ist ein sogenannter Buschmann, er gehört zum Stamm der Khoi San, die schon seit Menschengedenken in der Kalahari leben. Natürlich wollten wir von ihm auch seinen richtigen Namen wissen, mussten aber sofort einsehen, dass die komplizierten Klicklaute der San für unsere europäischen Zungen einfach zu schwierig sind.

Während Scooper und Balepi sich also irgendeinen Witz erzählen, entdeckt Ruth einen Löwenkopf, der aus dem hohen Gras hervorlugt. Das Tier schaut sich sehr interessiert unser Fahrzeug an. Während wir langsam näher kommen erscheint noch ein zweiter Kopf. Ruth ruft unseren Begleitern warnend: „Achtung, Löwen!“ zu. In diesem Moment steht die erste Katze auch schon auf und kommt zur Sandpiste.



Balepi stoppt den Jeep abrupt und legt den Rückwärtsgang ein. Lachend erklärt er: „Das ist jetzt kein guter Platz für Scooper, die Löwen sehen hungrig aus!“. Wir fahren rückwärts um eine Biegung und Scooper krabbelt über die Motohaube auf den Beifahrersitz. Dann bewegen wir uns wieder vorwärts direkt auf die Tiere zu. Inzwischen sind noch zwei Löwen erschienen, die Gruppe besteht also jetzt aus vier Raubkatzen. Die zwei Löwen, die uns zuerst entdeckt haben kommen immer näher. Wir können die Gedanken der Tiere förmlich spüren: „Das gibt´s doch nicht, eben war doch da noch etwas neben dem Wagen, das hat doch ausgesehen wie Beute!“. Während eine Katze direkt an Ruths Seite am Wagen entlang schleicht (hätte sie sich hinaus gelehnt, hätte sie ihn anfassen können) und uns eindringlich mustert hat Balepi den Motor ausgemacht und kommentiert mit dramatisch klingender Stimme das Geschehen: „… und die Löwen kommen immer näher. Sie haben mächtigen Hunger und wollen Scooper zum Abendessen. Wo ist Scooper plötzlich? Eben haben sie ihn noch deutlich gesehen. Er muss doch irgendwo hier sein!“ Ruth mag dem Löwen direkt neben ihr nicht mehr in die Augen schauen und legt sich quer über meine Knie. „Balepi, Du bist verrückt, sei jetzt endlich still!“ zischt sie unserem Fahrer zu. Der kichert nur vor sich hin und hört natürlich nicht auf, mit dramatischer Stimme zu reden. Scooper grinst nur breit und die Löwen teilen sich auf. Zwei beziehen ihre Position hinter dem Jeep, zwei bleiben vor uns; die Piste ist also blockiert. Und immer wieder erkennen wir das große Fragezeichen in den Augen der Raubkatzen: „Wo ist unsere Beute plötzlich hin?“.



Obwohl ich damit beschäftigt bin ein paar schöne Schnappschüsse zu machen regt sich in meinem Hinterkopf ein ungutes Gefühl. Es ist klar, die Löwen haben genau gesehen, dass etwas an unserem Autos sein muss, das vielleicht fressbar ist. Trotzdem kommen sie nicht auf die Idee, in unseren Jeep hinein zu springen und sich die ganze Angelegenheit mal von nächster Nähe aus anzusehen, warum nicht?
Während ich beginne, mich mit diesem Gedanken intensiver zu beschäftigen, stehen die Löwen plötzlich auf, werfen einen letzten Blick auf unser Fahrzeug und marschieren quer durch das hohe Gras zu einem neuen Ziel. Ruth fragt Balepi: „Was macht Dich so sicher, dass die Löwen uns in Ruhe lassen?“ Balepi antwortet: „Löwen verhalten sich wie alle Katzen. Solange sie nur neugierig um uns herum schleichen müssen wir uns keine Sorgen machen. Erst wenn sie sich auf den Boden drücken und ihren Schwanz durch die Luft peitschen lassen, dann wird es höchste Zeit, den Platz zu verlassen. Außerdem waren alle vier noch ziemlich jung, die trauen sich noch nicht so viel.“ Vermutlich hat Balepi recht, wir sind auf jeden Fall froh, dass wir nicht die ersten Touristen sind bei denen es heißt:

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19 Jul 2011 06:26 #196238
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  • maddy am 19 Jul 2011 06:26
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Hallo Walter,
Tolle Bilder, vielen Dank!

Gruss aus Sodwana
Maddy
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19 Jul 2011 06:28 #196239
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  • ANNICK am 19 Jul 2011 06:28
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Hi Walter,

Mensch, ein Geschenk für die Augen!B)

Danke für die tollen Aufnahmen.:)

Es grüsst
Annick
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19 Jul 2011 08:37 #196268
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  • eggitom am 19 Jul 2011 08:37
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Tolle Geschichte und grossartige Aufnahmen; gibt's davon demnächst eine Sammlung?

Gruss
Thomas
Für mich ist Denkmal ein lebenslanger Imperativ, der aus zwei Wörtern besteht
(Fritz Grünbaum)

Reisebericht: 50 Tage NamBots (PDF ganz am Ende)
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19 Jul 2011 13:36 #196308
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  • Bazi am 19 Jul 2011 13:36
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Tolle Geschichte, danke. Hast Du noch mehr?
Bazi
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20 Jul 2011 05:58 #196412
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  • leofant am 19 Jul 2011 06:13
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@ alle
vielen Dank für euren Zuspruch !

@ eggitom
eine Sammlung ? da werde ich mal drüber nachdenken ....

@ Bazi,
ein paar kleine Geschichten habe ich ja schon ins Netz gestellt:

Affentheater
www.namibia-forum.ch...hendurch.html#195828

Ein Wochenende im Busch
www.namibia-forum.ch...-im-hluhluwe-np.html

Schwergewichtiger Besuch
www.namibia-forum.ch...-ein-fast-neuer.html

Ich denke ich werde noch ein paar Geschichten in den nächsten Tagen veröffentlichen.
Gruß Walter
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