Ein Vogelparadies am gefühlten Ende der Welt
Unser Tagesziel heißt Boca Tapada am Rio San Carlos, wir kennen es von unserer ersten Reise und freuen uns riesig darauf. Vom Boot, das uns quer durch den Tortuguero zum Ausgangsort gebracht hat, klettern wir in einen Bus und warten. Und warten. Warten ziemlich lange, obwohl der Bus voll ist und scheinbar abfahrbereit.
Laguna del Lagarto Lodge
Auf Nachfrage klärt der Fahrer auf: Wir warten auf einen zweiten Bus, der noch nicht fertig ist. Später lese ich, dass die Busse speziell auf dieser Strecke im Konvoi fahren, nachdem es mehrfach Überfälle auf Touristen gegeben hatte. Ich kann mir fast nicht vorstellen, wie das gehen soll an einer so stark befahrenen Straße, aber es wird natürlich stimmen. "Die Kriminalität in Costa Rica nimmt zu", lese ich auf der Seite des Auswärtigen Amtes. Auch das ist bestimmt wahr, wir für unseren Teil haben uns bei beiden Reisen allerdings immer gut aufgehoben und sicher gefühlt und nicht mehr als die üblichen Sicherheitsregeln beachtet. Dass das nur einmal nicht gelang, war dann unsere eigene Schuld und blieb zudem ohne Konsequenzen (späteres Kapitel).
Wir halten am selben Restaurant (El Ceibo) wie auf dem Hinweg, das als "landestypisch" angekündigte Mittagessen schmeckt ähnlich fad und wir haben es kaum beendet, da werden wir angesprochen: "Euer Auto ist da." Wir hatten uns schon gefragt, wie das eigentlich läuft und unsererseits die Dinge laufen lassen, und tatsächlich: Die "Ticos" haben es wirklich drauf. Die Übergabe ist flott erledigt und schon sind wir unterwegs auf eigenen vier Rädern, was wir als absolutes Privileg empfinden nach der Enge im arg gekühlten Bus.
Erst westwärts und dann stramm gen Norden fahren wir, vorbei an gigantischen Ananasplantagen, landen schließlich auf der Schotterstraße, die ich als Straße des Schreckens in Erinnerung hatte, die aber diesmal vergleichsweise plan daherkommt und somit ihren Schrecken verloren hat. Die Plantagen enden, der Regenwald beginnt, das Dorf Boca Tapada ist ein wenig größer geworden seit 2012, aber immer noch beschaulich. Dahinter kommt nicht mehr viel, nur sattes Grün und vereinzelt Lodges, am Ende der Straße und auch am gefühlten Ende der Welt sind wir da.
Die Abgeschiedenheit, der Vogelreichtum und die Geräusche des Regenwaldes, die wir 2012 nirgends so intensiv erlebt hatten wie hier, haben uns zurückkehren lassen zur Laguna del Lagarto Lodge, und diesmal gleich für drei Nächte.
Der durchdringende, auffällige Ruf des Montezuma Oropendola, mein persönliches Synonym für Regenwald-Kulisse schlechthin, ist allgegenwärtig und empfängt uns auch diesmal, ansonsten Ruhe und Beschaulichkeit. Zeit, so kommt es mir auch diesmal wieder vor, spielt keine Rolle an diesem Ort. Was für Luxus!
Die Lodge selbst ist schlicht, aber sehr gepflegt und liegt nicht nur fantastisch inmitten des Regenwaldes, sondern auch an einer Lagune mitsamt Kaimanen und allem Pipapo.
Besonders formschöner Pilz an der Lagune...
Die Betreiber haben seit unserem ersten Besuch investiert, neu ist das warme Wasser in den Cabanas, auch das Holzdeck im Restaurant-Bereich wurde ausgebaut.
Thomas 2012 auf dem Holzdeck, Zentrum des entspannten Lodge-Lebens mit toller Aussicht und Blick auf die allgegenwärtigen Vögel.
Dort treffen wir Adolfo, der es vom Koch zum Manager der Lodge gebracht hat und ganz aus dem Häuschen ist, dass wir wiedergekommen sind. Thomas hat es an diesem Ort sieben Jahre zuvor zu zweifelhaftem Ruhm gebracht, als er nach einem Handlauf griff und plötzlich wie am Spieß schrie. Ich bin wohl eine schlechte Gefährtin, denn mein erster Impuls war ehrlicherweise nicht Mitleid, sondern Scham. Zumal sich als Verursacher der rätselhaften Attacke eine Ameise herausstellte, die noch selbstmörderisch an seinem Handballen baumelte. "Männer!", dachte ich bei mir und wollte das scheinbar übertriebene Drama schon vergessen, als der Guide, mit dem wir im Wald unterwegs gewesen waren, beim Anblick des rund zwei Zentimerer kleinen (oder auch großen) Insekts sichtlich erblasste.
Eine Bullett-Ant hatte Thomas erwischt, so genannt, weil sich ihr Biss anfühlt, als werde man angeschossen. Das klang übel und ich entwickelte ein gewisses Schuldbewusstsein, nicht zuletzt, weil Thomas noch immer keuchend nach Luft rang.
Einst gehörte es zu den Ritualen der Ureinwohner, dass junge Männer ihre Hand in einen mit diesen Ameisen befüllten Handschuh steckten. So wurden sie zum Mann
. Da Thomas zumindest altersmäßig dieses Stadium schon längst erreicht hatte, schien ihm das kein Trost zu sein. Anders als der Heldenstatus, den er fortan bei den Mitarbeitern der Lodge genoss. Besonders im Barkeeper fand er einen verständigen Freund, der ihn am Abend der schicksalhaften Begegnung mit hinlänglich Rum zwecks "innerer Desinfektion" versorgte. Einzelne Stimmen behaupten, das habe geholfen...
Mal abgesehen von tropischen Ameisen ist die Lodge ein Eldorado für Birder und Vogelliebhaber. Weil das Schutzgebiet in privater Hand ist, werden die Tiere angefüttert, wie überall in Costa Rica außerhalb der Nationalparks. Ich kann nicht sagen, ob es ihnen schadet, hatte aber nicht den Eindruck (was natürlich nichts heißen muss). Artenvielfalt und Beobachtungsmöglichkeiten sind jedenfalls fantastisch.
Man kann einiges unternehmen in der Umgebung, doch im Prinzip reicht es, in den Gärten auf Kolibri-Pirsch zu gehen...
...oder Stunden auf dem Holzdeck zu verbringen, wo den gesamten Tag über Papageien, Tukane und andere farbenfrohe Vögel kommen und gehen - ganz besonders in den Morgenstunden.
Mehr als einmal wird unser Frühstücksei kalt oder auch unser Abendessen, weil wir kaum die Kameras aus der Hand legen. Dabei ist das kleine abendliche Buffet mit das beste Essen auf dieser Reise. Schlicht, aber schmackhaft und authentisch. Bullett-Ants hin oder her: Wir haben es einfach ins Herz geschlossen, dieses kleine Paradies am gefühlten Ende der Welt.