THEMA: Island 2020: Als Corona ganz weit weg war
25 Jan 2021 19:13 #604894
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  • Beatnick am 25 Jan 2021 19:13
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Schlussakkord in Mordor

Wie schnell drei Wochen vergehen. Denke ich auf dem Weg in Richtung Reykjanes. Auf der Halbinsel verbringen wir unsere letzte Nacht, bevor wir zu einer denkbar unchristlichen Zeit im Morgengrauen nach Hause fliegen. Was schade ist. Wie gerne würde ich noch bleiben - ein nur allzu bekanntes Gefühl am Ende all unserer Touren. Fernweh, schon bevor die Reise zu Ende ist - das muss mir erst mal einer nachmachen. :pinch:

Isländische Erinnerungen: Am Raudisandur


An Reykjavik, wo wir im Vorjahr eine grandiose Zeit hatten, rauschen wir diesmal vorbei. Lieber kein Stadtbesuch in Zeiten von Corona.





Fast alle Reisenden kennen Reykjanes. Schließlich liegt hier ganz im Südwesten der internationale Flughafen Keflavik. Ansonsten wird die Halbinsel oft übersehen. Was ich bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen kann, denn im Sommer 2019 war die erste halbe Stunde auf Island nach unserer Ankunft in Keflavik ein kleiner Schock. Das sollte mein Sehnsuchtsort sein? Endlose schwarze Lavafelder, karg, öde, trostlos: Wir sind in Mordor gelandet! Der Anblick wirkte jedenfalls wie eine eiskalte Dusche auf mein enthusiastisches Gemüt. Der Reiz von Reykjanes, einer der vulkanisch aktivsten Regionen Island, und seine triste Schönheit erschlossen sich mir erst auf den zweiten Blick.



Wir übernachten wie im Vorjahr in Vogar. Einem Ort, der nicht gerade durch architektonische Pracht besticht, sondern vor allem durch seine praktische Lage nur gut 35 Kilometer von Reykjavik und rund 15 Kilometer vom Flughafen entfernt. Von hier ist es auch zur wohl beliebtesten Attraktion der Insel nicht weit: der Blauen Lagune. Ihr warmes, mineralreiches Wasser, quasi ein Abfallprodukt des benachbarten Geothermalkraftwerks, soll Heilkraft haben und wahre Wunder wirken. Was ich so nicht bestätigen kann. Jedenfalls entstieg ich den Thermalbecken 2019 nach Ablauf unseres mühsam erkämpften Zeitfensters nicht gerade als Venus von Milo - trotz Gratis-Gesichtspackung, die das einzig erschwingliche an dieser ansonsten kostspieligen Veranstaltung blieb.

Andere mögen zu anderen Schlüssen kommen: Für uns war diese durchgetaktete Massenabfertigung bei unserer zweiten Reise 2020 keine Wiederholung wert. Wer sich zu einem Besuch des vermeintlich verheißungsvollen, wenn auch nicht durchweg sauberen Spa entschließt, muss früh dran sein und monatelang vorher reservieren - oder auf bereits erwähnte Alternativen wie am Myvatn zurückgreifen.

Eine Stippvisite bei der Blauen Lagune lohnt trotzdem. Denn direkt neben dem Wellness-Tempel ist ein Teil der Lagune mit ihrem milchig-blauen Wasser inmitten des zerklüfteten Lavafeldes "Illahraun" ("Lava des Bösen") frei zugänglich. Spektakulär, fotogen - und gratis. :)





Westlich davon liegt das Hochtemperaturgebiet Gunnuhver. Hochaktiv, dampfend und ziemlich düster. Nach einer Explosion in einer der heißen Schlammquellen im Jahr 2014 musste das Gebiet zeitweise gesperrt werden, es zischt, raucht und blubbert gewaltig. Ganz besonders in Islands größtem Schlammloch mit einem Durchmesser von 20 (!) Metern. Die Midlina, die Brücke zwischen den Kontinenten in der Nähe, haben wir ausgelassen. Die Drift der amerikanischen und eurasischen Kontinentalplatten verbreitert den Graben jedes Jahr um circa zwei Zentimeter.

Endzeit-Stimmung bei Gunnuhver 2019


Besser als das trostlose Gunnuhver und sogar richtig gut gefällt uns Seltun. Weshalb wir unseren ersten Besuch von 2019 ein Jahr später bei glücklicherweise viel besserem Wetter wiederholt haben. Das Schwefelfeld liegt zwischen den Städten Grindavik und Hafnarfjördur an der Straße 42. Kurz davor schimmert der Graenavatn, ein kleiner See in einem Explosionskrater, intensiv türkisblau.



Unter dem Hochtemperaturgebiet brodelt der Vulkan, der keine Rücksicht auf feine Nasen nimmt. Es stinkt nach faulen Eiern - Augen auf und durch.







Holzstege führen vorbei an bunter Erde und blubberndem Schlamm. Das Gebiet ist nicht ganz so imposant wie Hverir am Myvatn, aber imposant genug.





20 Minuten, dann sind wir durch. Doch wir wollen noch auf den Berg, der Seltun überragt. Er ist steil und der Untergrund rutschig, eine Kette zum Hochziehen, damit klappt's. Der Blick von oben ist groß. Als sich die Sonne verzieht, machen wir das auch.

Der See Kleifarvatn in die eine...


...und der Graenavatn in die andere Richtung.


In Vogar wohnen wir wieder im Motel Arctic Wind. Nette Besitzer, die gegenüber eine neue Pizzeria betreiben, blitzsaubere Zimmer und eine tolle Gemeinschaftsküche, perfekt ausgestattet. Wir plündern unsere Fresskiste. Resteessen mit Pasta, Brot und Tütensuppe, zwei Schweizer sind gerade angekommen und warten auf ihr Testergebnis. Fünf Tage später müssen sie einen weiteren Test absolvieren. Die Dinge ändern sich, und kurz darauf sowieso. Island macht die Schotten dicht. Zumindest so gut wie.

Für uns endet die Reise am nächsten Morgen um Fünf mit der Autoabgabe, dem Transfer zum Flughafen und schließlich dem Rückflug. Alles unkompliziert, wie die gesamte Tour, auf der Corona so weit weg war. Für eine kurze, tolle Zeit, glücklich und unbeschwert, in einem faszinierenden, berauschenden Land, das uns beiden so sehr ans Herz gewachsen ist. Takk fyrir, Island! Und auch takk fyrir an alle, die mitgelesen und uns virtuell begleitet haben!

Ein abschließendes Fazit folgt.

Letzte Änderung: 25 Jan 2021 20:34 von Beatnick.
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01 Feb 2021 19:56 #605773
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Das Fazit: Eine tolle Reise und ein großer Wunsch

Diese Reise überhaupt antreten zu können, war alles andere als selbstverständlich - und hatte mit Timing und Zufall zu tun. Andalusien fiel aus, Island ließ uns rein und wir schlugen kurzerhand zu.

Auch wenn die Insel nicht wie leergefegt war, weil die Isländer ihre Ferien im eigenen Land verbrachten, so war die Qualität des Reisens doch eine andere als beispielsweise im Jahr zuvor. Erst wenige Wochen waren bei unserer Ankunft verstrichen, seit sich Island dem internationalen Tourismus zumindest in Teilen wieder geöffnet hatte. Die Hotspots waren deutlich weniger überlaufen und vor allem keine der mir so verhassten Reisebusse unterwegs. Das zu erleben, war sicherlich ein Privileg. Von Glück möchte ich nicht sprechen. Dafür war uns das Unglück, das Corona mit sich brachte, viel zu bewusst.

Einsam am Raudisandur


Dennoch: Auf Island, zu der Zeit fast frei von aktiven Fällen, war Corona praktisch kein Thema - und rückte auch für uns angenehm in den Hintergrund. Drei Wochen dauerte unsere Realitätsflucht. Es hätten auch sechs sein dürfen. Angebote wie "In einer Woche rund um Island" oder "Die Höhepunkte Islands in 9 Tagen" gibt es zuhauf. Natürlich ist das möglich. Aber sinnvoll? Eher nicht.







Die grandiose Natur, ihre Vielfalt zu entdecken und zu begreifen, kostet Zeit. Hinzu kommt der Faktor Wetter. 2019 hatten wir großes Glück und in den 15 Tagen fast durchgehend Sonne. So wolkenlos blau hat sich uns der Himmel diesmal kaum gezeigt. Immerhin blieb es oft genug so trocken, dass wir unserer Aktivitäten durchziehen konnten. Doch vor allem die erhoffte Mitternachtssonne ließ uns im Stich. Was schade war.

Mitternachtssonne am späten Abend am Jökulsarlon - so richtig will sie nicht.


Interessanterweise hatten wir oft gutes Wetter in den Bereichen der Insel, die wir noch nicht kannten (Hvitserkur, Latrabjarg, Westfjorde) und Regen an den Plätzen, die wir im Vorjahr wolkenfrei erlebt hatten (Myvatn, Snaefellsnes). Das war immerhin akzeptabel ;) .

Hvitserkur bei Sonnenschein


Die Isländer hatten insgesamt einen harten Winter hinter sich mit viel Schnee und großer Kälte. Schotterpisten waren teilweise erst kurz vor unserem Abflug freigegeben worden. Der Sommer fiel dann alles in allem normal aus - anders als der Traumsommer 2019 mit Wärme und Sonne, den wir bei unserer Premiere erwischt hatten. Einige Wochen nach unserer Rückkehr 2020 gab es dann ein zweiwöchiges Hoch mit stahlblauem Himmel und Sonnenschein satt. Nur hatte sich da das Corona-Zeitfenster schon wieder geschlossen.

Grundsätzlich ist Island immer schön. Aber sobald die Sonne scheint, explodieren die Farben. Gerade dann ist der Suchtfaktor immens. Wir hatten im vorletzten Sommer zu viel davon und sind wohl abhängig fürs Leben.

Traumsommer auf Island 2019 - Sonne satt


Zu den Besonderheiten der zweiten Reise zählen unsere intensiven Begegnungen mit den Puffins. Wir wussten, wir würden sie in dieser Jahreszeit sehen. Ahnten aber nicht, an wie vielen Orten und wie zahlreich. Viele Stunden haben wir mit und bei ihnen verbracht; es war keine Minute zuviel.





Unverhoffte Begegnung: Polarfuchs in Mödrudalur


Über die Route hatte ich mir viele Gedanken gemacht. Viel im Netz gestöbert und gelesen. Das hat sich ausgezahlt. Die Strecken waren entspannt und die relativ großzügigen Zeitfenster haben uns die nötigen Puffer geboten, um überall bei akzeptablen Wetterbedingungen das zu unternehmen, was wir uns vorgenommen hatten. Noch immer gibt es in diesem kleinen Land wahnsinnig viel zu entdecken, die Wunschliste ist nicht kürzer, sondern eher länger geworden...

Thomas bei der Arbeit am Aldeyjarfoss


Was waren die Höhepunkte? Ehrlich gesagt alles. Island ist ein Gesamtkunstwerk von atemberaubender Schönheit.







Auch wir sind dem Charme der legendären Westfjorde erlegen, wo die Uhren spürbar anders ticken und der Massentourismus noch nicht gnadenlos zugeschlagen hat.



Ganz schön viel Wasser: Dynjandi im Herzen der Westfjorde


Doch das Hochland, die Südküste, die zauberhafte Halbinsel Snaefellsnes - all das hat seinen eigenen Reiz. Die wohl größte Überraschung waren die stillen Ostfjorde mit ihrer wilden, ungezähmten Natur; vielleicht einer der letzten Geheimtipps der Insel, die schwer damit zu kämpfen hat, dass ihr die vielen einzigartigen Naturwunder nicht zum Verhängnis werden. Corona hat der Landschaft eine Atempause verschafft, die sie wohl dringend benötigt. Die Spuren des Massentourismus sind dennoch unübersehbar, auch in einem zwangsläufig viel ruhigerem Reisejahr.

Landmannalaugar im Hochland


Diamond Beach


Haifoss


Unser Toyota RAV4 war der perfekte Wegbegleiter und wir haben es genossen, auch abseits der makellosen Asphaltstraßen unterwegs zu sein. Die Folgen sind einigermaßen fatal, denn nun sind wir für alles andere verdorben. Dumm nur, dass gerade das Auto in einem der teuersten Reiseländer der Erde finanziell extrem ins Kontor schlägt. Da müssen wir nun durch, auch bei einer dritten Island-Reise.

Unterwegs in den Westfjorden


Mit Island geht es uns wie mit Afrika: Je öfter wir dort waren, desto häufiger wollen wir hin. Und so werden hoffentlich noch viele Reisen auf die Insel aus Feuer und Eis folgen. In Kombination mit Färöer, mit weiteren Touren ins einsame Hochland, mit Neuentdeckungen und Wiederholungen. Zu anderen Jahreszeiten mit anderen Möglichkeiten. Mitternachtssonne, Nordlichter und Eishöhlen, da geht noch einiges.

Unterwegs im Hochland


Schreit nach einer Wiederholung: Pakgil


Mein Traum wäre eine Reise der Nase nach. Den Wetterbericht checken und los. Der Sonne hinterher, zumindest dem Licht. Als Nicht-Camper und in der Hauptreisezeit leider ein aussichtsloses Unterfangen.

Vor allem aber träume ich von einer Zeit ohne Corona. Vom Reisen überhaupt. Von Freiheit und sorglosen Plänen. Namibia und Südafrika sind gebucht, beides schieben wir vor uns her. Noch keine Lücke gefunden, die der Job verträgt. Es gibt Schlimmeres. Natürlich. Aber schön ist auch anders.



Ich hoffe, dass sich die Dinge bald zum Guten wenden. Der Stillstand aufhört, die Welt sich weiterdreht, uns offensteht. Es nicht eine Laune des Schicksals ist oder besonderem Wagemut geschuldet, dass eine Reise stattfindet. Die Neiddebatte endet und auch die um die Moral. Auf Island war die Welt in Ordnung, Corona kein Thema. Für eine kurze Zeit. Eine Wohltat!

Normalität. Alltag. Gesundheit. Und Reisen; nach Island, nach Afrika, nach Frankreich oder auch nur zwei Haustüren weiter. Zur Party von Freunden, zu einem Forumstreffen. Das wünsche ich mir. Und euch.

Bis dahin alles Liebe und bleibt gesund!

Sjáumst - Tschüss,
Betti





Letzte Änderung: 04 Feb 2021 17:06 von Beatnick.
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