THEMA: Reisebericht: Mit Fahrrad, Bus und Zug durch Kuba
31 Jul 2020 14:26 #592894
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Ankunft in Holguin und Fahrt nach Santiago


Internationaler Flughafen "Frank País" in Holguin

Die meisten Touristen, die nach Ostkuba fliegen, landen auf dem internationalen Flughafen "Frank País" in Holguin. Holguin liegt etwa 60km von dem Feriengebiet Guardalavaca entfernt, dessen Sandstrände vor allem von Pauschalurlaubern besucht werden. Mein Ziel, Santiago de Cuba, liegt in der entgegengesetzten Richtung, etwa 170 km südlich von Holguin.

Wie schon bei früheren Einreisen werde ich an der Passkontrolle zunächst fotografiert, dann muss ich ein paar Fragen nach dem Grund meines Aufenthaltes beantworten und meistens wollen sie noch wissen, wo man zu wohnen gedenkt. Verboten ist das Übernachten bei Privatpersonen, Freunden oder Bekannten. Man muss also entweder ein Hotel angeben, oder eine Casa Particular, eine staatlich lizenzierte Privatunterkunft.

Nachdem ich alle Fragen beantwortet habe, komme ich ohne größere Verzögerungen durch die weiteren Zollformalitäten. Vielleicht liegt es daran, dass ich nur ein einziges Gepäckstück dabeihabe. Die Zöllner konzentrieren sich auf die Reisenden, die mit Bergen von Koffern, Kartons und Reisetaschen ankommen. So wie z.B. die Kubanerinnen auf Heimaturlaub, die Gepäckwagen vor sich herschieben, auf denen sie ihre Habe zu mehreren Metern hohen Türmen gestapelt haben. Sie werden zu den seitlich stehenden Tischen gewunken und nach gründlicher Inspektion geht das Gefeilsche um die Höhe des zu entrichtenden Zolls los... ;)

Vom Flughafen bringt mich ein Sammeltaxi nach Santiago. Es ist ein gigantischen US-Oldtimer aus vorrevolutionären Zeiten, eine "Maquina", wie die Kubaner diese Gefährte nennen. Der Wagen ist so breit, dass auf den Sitzbänken locker fünf Personen nebeneinander Platz hätten. In einer Maquina nach Santiago zu fahren vermittelt gleich zu Beginn Kubafeeling. Kubafeeling vermitteln allerdings auch die stinkenden Camiones (LKWs), hinter denen wir herfahren und die den Innenraum zeitweise in eine Gaskammer verwandeln, bis der Fahrer endlich überholt.


Zuckerrohr

Ich sitze am offenen Fenster und lasse mir den warmen Fahrtwind um die Ohren streichen. Dunkle Gebäude huschen vorbei, später Dörfer mit kleinen Häusern, staubigen Straßen und spinnennetzartig gespannten Stromleitungen. Dann, bis zum Horizont, Weideland und Zuckerrohrfelder. Das weiche Licht der Abendsonne lässt die Gegend schöner aussehen, als sie tatsächlich ist.

Als wir nach etwa zweieinhalb Stunden Fahrt die ersten Häuser Santiagos sehen, ist es längst dunkel.


Es ist dunkel, als wir in Santiago ankommen


Santiago

Schließlich setzt mich der Fahrer des Sammeltaxis vor einem unscheinbaren Haus unweit des Zentrums ab. Das Haus, die Casa Tita, ist eine Casa Particular, also eine private Zimmervermietung. Die Casas Particulares sind eine preisgünstige Alternative zu den staatlichen Hotels und da man direkt bei Kubanern zuhause wohnt, ergeben sich oft interessante und hilfreiche Kontakte. In der Regel bekommt man ein sauberes Zimmer mit Doppelbett, Dusche und WC, Aircondition, oft auch Kühlschrank und TV. Das kostet je nach Saison und Ort zwischen 12 - 25 CUC. (1 CUC, oder Peso Convertible genannt, entspricht 1 USD)

Ich habe mein Zimmer in der Casa Tita für die ersten drei Nächte über Airbnb reserviert. Ich plane drei Tage in Santiago zu bleiben. Übermorgen bekomme ich mein Fahrrad, das ich von Deutschland aus bei „Profil-Cuba-Reisen“ gemietet habe. Ich hätte, wie schon auf früheren Touren, mein eigenes Rad mitbringen können, aber diesmal habe ich mich entschieden eins zu mieten, hauptsächlich aus Bequemlichkeit, so spare ich die Mühen der Verpackung und des Transports.


Santiago de Cuba


Santiago de Cuba

Trotz der späten Stunde werde ich herzlich begrüßt. Mein Zimmer ist klein, fensterlos, fast ein bisschen düster, aber es hat einen Zugang zu einer Terrasse mit Tischchen und Stühlchen und üppigen tropischen Pflanzen, die aus rostigen Dosen und Plastikbehältern wachsen.

Aber das einzige, was ich heute noch brauche, sind eine Dusche und ein Bett.
Letzte Änderung: 31 Jul 2020 14:32 von Gu-ko.
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02 Aug 2020 19:52 #593015
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In Santiago de Cuba


Santiago de Cuba

Es ist noch dunkel, als der Hahn des Nachbarn zu krähen beginnt. Befreundete Hähne antworten aus allen Himmelsrichtungen, dann ist es für ein paar Minuten ruhig, aber sobald ich wieder eingeschlafen bin, geht die Kräherei von vorne los.
Das ist grausam. Bald gebe ich es auf schlafen zu wollen, setze mich auf meine kleine Terrasse und warte auf den Morgen.

Ab etwa 6 Uhr tauchen Händler auf der Straße auf. Man hört ihre singenden Rufe lange bevor man sie sieht:

„Huevos, el huevo, pan, mantequilla“. („Eier, Brot, Butter!)

Manche haben eine Trillerpfeife dabei um auch noch die letzten Schlafmützen zu wecken. An die kubanische Geräuschkulisse werde ich mich erst noch gewöhnen müssen.

Inzwischen knurrt mein Magen gewaltig. Meine letzte Mahlzeit war das dürftige Abendessen im Condor-Flugzeug. In den meisten Casas Particulares kann man Frühstück bekommen, aber Zadis, die außer Zimmervermieterin auch noch Ärztin ist, ist im Krankenhaus bei ihrer Arbeit. Also muss ich mir selbst etwas organisieren.

Als ich im Jahre 2001 das erste Mal nach Kuba kam, war es außerhalb der Touristenresorts manchmal schwierig, etwas Anständiges zu essen zu finden. Es gab nur staatliche Geschäfte und Restaurants und deren Angebot war oft von schlechter Qualität, oder schlichtweg ausverkauft. Vor ein paar Jahren wurde den Kubanern erlaubt, private Kleinunternehmen zu gründen. Daraufhin entstanden überall Cafeterias, Pizzerias und kleine Restaurants, sodass die Verpflegung heute kein Problem mehr ist. Und auch die Qualität ist deutlich gestiegen.


Cafeteria Kenia

Es dauert nicht lange, bis ich eine Cafeteria entdecke. Durch ein vergittertes Fenster kann man von der Straße aus Bocaditos (belegte Brötchen), Tortilla, Sandwiches, Café, Pizza und Getränke bestellen. In den Cafeterias bezahlt man in Moneda Nacional (CUP), nicht zu verwechseln mit dem Peso Convertible, dem CUC.

Zu den Besonderheiten Kubas gehört das Zweiwährungssystem. Zum einen gibt es die „Moneda Nacional“ (MN), auch „CUP“ genannt und parallel dazu den „Peso Convertible“ auch „CUC“, oder „Devisa“ genannt. Für Ausländer ist es am Anfang recht verwirrend, da man oft nicht weiß, ob die Preise in CUC oder CUP ausgezeichnet sind.

Umgerechnet wird wie folgt: 1 CUC = 24 CUP = 1USD = ca. 0,85 €

Mein Frühstück, Brötchen mit Rührei, 4 Cafecitos und ein Batido de Guayaba (Guaven-Smoothie) kostet gerade mal 20 Pesos MN, also etwa 0,75€. Ich frage mich, wie die Leute bei solchen Preisen Gewinn erwirtschaften können.


Santiago – Im Morgenlicht ist Santiago am schönsten (zum Fotografieren)


Geiler Oldtimer vor meiner Casa in der Calle Santo Tomás


Santiago wurde auf vielen Hügeln erbaut
Letzte Änderung: 02 Aug 2020 20:00 von Gu-ko.
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02 Aug 2020 19:55 #593017
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Santiago Sightseeing


Revolutionäres Santiago

Da ich mein Fahrrad erst morgen bekomme, habe ich einen Tag Zeit, durch Santiago zu streifen. Santiago ist eine lebhafte und auch eine hübsche Stadt. Ich verliere mich gerne in den schmalen, bisweilen steilen Sträßchen und Gassen der auf Hügeln gebauten Altstadt. Man kann stundenlang umherbummeln, historischen Gebäude und Kolonialhäuser bewundern und Musikkneipen besuchen, die die Straßen nach Sonnenuntergang mit den Rhythmen der Live-Bands erfüllen.

Mit den Motorradtaxis kommt man überall hin, und das schnell und für wenig Geld. Allerdings braucht man gute Nerven, wenn sie mit hoher Geschwindigkeit durch die löchrigen und verkehrsreichen Straßen brettern. Die engen Straßen der Innenstadt sind mehr oder weniger schachbrettartig angeordnet, die Kreuzungen unübersichtlich. Die Fahrer scheinen sich darauf zu verlassen, dass alle Verkehrsteilnehmer die Vorfahrtsregeln einhalten und rasen, ohne die Geschwindigkeit zu reduzieren, über nicht einsehbare Kreuzungen. Das ist manchmal gruselig.


Parque Cespedes - Kathedrale Nuestra Señora de la Asunción

Der zentrale Platz von Santiago ist der Parque Cespedes. An seiner Südseite steht die Kathedrale Nuestra Señora de la Asunción, an seiner Nordseite das Ayuntamiento (Rathaus), von dessen Balkon aus Fidel Castro einst den Sieg der kubanischen Revolution verkündete. Leider fegte Hurrican Sandy im Jahre 2012 fast alle Bäume des Parks weg, sodass man dort kaum noch ein schattiges Plätzchen findet.


Parque Cespedes - Ayuntamiento

Den besten Blick über den Parque Cespedes, und über weite Teile der Altstadt bis hinunter zum Hafen, hat man von der Dachterrasse des Hotels Casa Granda.

Ich lasse jetzt, ohne viel zu kommentieren, ein paar Fotos folgen, die auf meinen Streifzügen durch Santiago entstanden:


Santiago - Palacio Provincial


Santiago – Motorrad-Taxis


Santiago


Santiago


Santiago


Santiago


Kubaner sind leidenschaftliche Dominospieler


Santiago


Santiago


Enramadas – Die zentrale Einkaufsstraße Santiagos


Santiago
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02 Aug 2020 19:57 #593018
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Santiago – Ich bekomme mein Fahrrad


Santiago - Hafen

Am nächsten Tag bringen die kubanischen Angestellten von Profil-Cuba-Reisen mein Fahrrad in die Casa. Leider erst nachmittags, sodass der erste bezahlte Tag für meine Tour verloren ist.

Das Fahrrad ist technisch in Ordnung und macht den Eindruck, als würde es die geplante Strecke durchhalten. Ich mache gleich eine Testrunde, die Schaltung schaltet perfekt, die Bremsen tun auch was sie sollen. Lediglich die Reifen hätte ich mit etwas dicker gewünscht. Noch ein Kritikpunkt ist der Flaschenhalter, er ist zu klein für die kubanischen 1,5 Liter Wasserflaschen.

Im Eingangsbereich der Casa, zwischen Topfpflanzen und Schaukelstühlen, bereite ich das Fahrrad für meine Tour vor. Sattel- und Lenkertaschen, Werk- und Flickzeug habe ich aus Deutschland mitgebracht. Die Lenkertasche macht etwas Probleme, weil die Maße der Halterung nicht mit den Maßen des Lenkers übereinstimmen. Aber nach einigem hin- und her passt auch das.

Ich werde nur das Nötigste mitnehmen. Alles was ich nicht direkt für die Tour brauche, kann ich in der Casa zur Aufbewahrung zurücklassen.

La Abuela (die Oma) sitzt wie gewohnt in ihrem Schaukelstuhl neben der Eingangstür und beobachtet mein Tun. Natürlich will sie wissen, was ich vorhabe. Als ich ihr erzähle, dass ich alleine mit dem Fahrrad die Sierra Maestra umrunden will, sagt sie kopfschüttelnd:

„Ay, ay, madre mia, que cosa“. („Meine Güte, was für eine Sache“)

Dann schlurft sie in eines der hinteren Zimmer und kommt mit einem alten Hut zurück. Er erinnert an einen dieser Fischer- oder Anglerhüte, mit einer breiten Krempe ringsherum. Sie reicht mir den Hut mit den Worten:

„Pa‘que el sol no te queme“. („Damit dich die Sonne nicht verbrennt.“)

Und damit keine Missverständnisse aufkommen fügt sie noch hinzu:

„Prestado, no regalado“ („Nur geliehen, nicht geschenkt.“)

Der Hut ist alt, hässlich und fleckig, aber ich nehme ihn gerne. Ein Sonnenschutz für den Kopf fehlt mir tatsächlich noch.

Zu diesem Zeitpunkt ahne ich nicht, dass dieser Hut für eine dramatische Wendung meiner Radtour verantwortlich sein wird.


Sanriago - Catedral Basílica de Nuestra Señora de la Asunción

Einen letzten Sundowner nehme ich auf der Dachterrasse des Hotels „Casa Granda“ ein. Der Blick über den Parque Cespedes bis zum Hafen ist immer wieder schön, vor allem abends, wenn das Licht der untergehenden Sonne den Himmel und die Stadt golden färbt. Während es langsam dunkel wird, kann ich einen ersten Blick auf die Ausläufer der Sierra Maestra werfen, die in der Ferne im Dunst versinken.

Morgen kann es losgehen. :)

Hasta Mañana.
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04 Aug 2020 11:03 #593082
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Santiago de Cuba - Chivirico

Um 6 Uhr klopft es an meine Zimmertüre.

„Desayuno“ (Frühstück)

Ich habe so fest geschlafen, dass mich nicht einmal der Hahn in Nachbars Garten wecken konnte.

In der Küche erwartet mich ein Frühstück, das ausgereicht hätte, eine Kleinfamilie satt zu machen. Normalerweise habe ich um diese Zeit noch keinen Hunger, aber heute haue ich rein was geht, wer weiß, wann es wieder etwas zu essen gibt.

Als ich vor Sonnenaufgang die Casa verlasse, sind Santiagos Straßen noch dunkel und fast menschenleer. Das Fahrrad ist beladen wie ein Packesel und ich muss mich erst noch an das veränderte Fahrverhalten gewöhnen. Ich frage mich, ob ich nicht doch zu viel Gepäck dabeihabe, allerdings machen schon die 6l Wasser einiges an Gewicht aus. Ein Wasserverbrauch von 6-7 Litern an einem heißen Fahrradtag ist nicht ungewöhnlich.

Unterwegs ist es manchmal schwierig, an unbedenkliches Trinkwasser zu kommen. Zwar kann man an jeder Hütte um Wasser bitten, aber man weiß nie, aus welchen Tanks oder Kübeln dieses geschöpft wird. Zur Sicherheit habe ich einen Vorrat an Micropurtabletten (Wasserdesinfektion) dabei.

Die Straße Richtung Chivirico ist leicht zu finden. Inzwischen sind schon ein paar Camiones und Pferdekutschen unterwegs, beladen mit Menschen auf dem Weg zur Arbeit. Noch ist die Luft angenehm kühl. Die ersten Strahlen der Morgensonne tauchen die Landschaft in ein sanftes Licht. Ich freue mich auf den Tag.


Zwischen Santiago und Chivirico

Kubanische Camiones ziehen gerne fettige, schwarze Rauchfahnen hinter sich her. Vor allem, wenn sie in den unteren Gängen beschleunigen. Vermutlich ist der Diesel von schlechter Qualität, oder die Motoren zu versifft, um eine halbwegs saubere Verbrennung zu erreichen. Jedes Mal, wenn mich so ein Luftverpester überholt, werde ich minutenlang in eine Rußwolke eingehüllt. Ich versuche dann die Luft anzuhalten, bis sich der schlimmste Gestank verzogen hat. Beim Radfahren kann man die Luft allerdings nicht lange anhalten…:blink:

Doch schon wenige Kilometer hinter Santiago gehört mir die Straße praktisch alleine. Immer seltener tauchen Fahrzeuge auf, der Verkehr wird ländlicher, gelegentlich eine Maquina, Pferdegespanne, oder Reiter.


Küstenstraße zwischen Santiago und Pilon

Ich komme gut voran, das Fahrrad läuft wie von selbst. Ich überhole Radfahrer und Pferdekutschen, ab und zu winkt mir ein Campesino hinterher. Kleine Gehöfte und bunte Holzhäuschen flitzen vorbei. Schlanke Palmen, die in Gruppen beieinanderstehen, setzen hübsche Akzente in die Landschaft. Und dann sehe ich endlich das Meer. Tiefblau und glitzernd liegt es vor mir.

Die Straße führt jetzt entlang der Küste, vorbei an kleinen Stränden, die Playa Bueycabon, Playa El Frances oder Mar Verde heißen. Diese Strände sind nicht vergleichbar mit den Touristenstränden in Varadero oder Guardalavaca. Sie sind dunkel, oft steinig, dafür fast immer menschenleer.


Die Küstenstraße zwischen Santiago und Pilon ist einsam und verkehrsarm, eine Traumstrecke für Radfahrer

Gegen 10 Uhr mache ich an der Playa El Frances eine erste Pause. Der Strand ist sandig und es gibt knorrige Bäume, die Schatten spenden. Es könnte ein hübscher Ort sein, wenn nicht reichlich Plastikmüll, zerdrückte Bierdosen und Glasscherben herumlägen. Vermutlich wird der Strand an Wochenenden von Santiagueros besucht und es gibt niemand, der anschließend saubermacht.

Ich futtere ein paar Kekse und einen Schokoriegel. Dann springe ich ins Wasser und wasche mir den Schweiß von den Knochen. So langsam wird es warm und die erste 1,5l Wasserflasche ist bereits leer.

Als ich weiterfahre, es ist später Vormittag, wird es richtig heiß. Es kommen ein paar Anstiege, die zwar nicht besonders steil sind, aber durch die Hitze, die zudem von der Straße reflektiert wird, ist es sehr schweißtreibend. Es gibt kaum Wind, stellenweise fahre ich wie durch einen Backofen. Zum Glück habe ich den Hut von La Abuela dabei. Ohne ihn hätte ich einen ordentlichen Sonnenbrand im Nacken und auf der linken Gesichtshälfte bekommen.

Schon gegen Mittag erreiche ich das Motel Guama. Das Motel liegt wenige Kilometer von Chivirico, meinem Tagesziel, entfernt. Die Lage ist toll, man hat von den Chalets einen schönen Ausblick auf die Bucht mit ihren Mangroveninseln. Der Standort und der günstige Preis (15 CUC) machen es zu einem Übernachtungs-Tipp auf dieser Küstenstrecke.


Motel Guama

Spontan beschließe ich die Nacht dort zu verbringen. Das Motel Guama ist, wie praktisch alle kubanischen Hotels, staatlich. Es ist für kubanische Touristen konzipiert, Ausländer dürften hier in der Minderheit sein. Die Angestellten solcher Hotels sind oft schlecht ausgebildet, unmotiviert und hoffnungslos unterbezahlt.

In der Rezeption sitzt eine gelangweilte Angestellte. Sie ist gerade dabei, ihre Fingernägel zu maniküren, als ich eintrete. Ohne ihre Tätigkeit zu unterbrechen, oder mich zu begrüßen, sagt sie:

„Todo completo“ (alles belegt)

Das ist irgendwie seltsam, denn ich sehe weder Autos noch Menschen auf dem Gelände. Keines der Chalets sieht bewohnt aus.

Ich frage deshalb mehrmals nach, ob nicht doch ein Zimmer frei sei, aber die Rezeptionistin bleibt dabei:

„Todo completo“

Schließlich meint sie, sie könne mir helfen, eine andere Unterkunft zu finden. Es gäbe in Chivirico eine Casa Particular, dort könne ich ein Zimmer bekommen. Sie drückt mir die Visitenkarte der Casa in die Hand und beschreibt den Weg.

Ich fahre enttäuscht weiter.


Ich bin nicht der einzige Radfahrer

Chivirico

Also fahre ich weiter bis Chivirico. Chivirico (ca. 5000 Einwohner) ist der letzte größere Ort bis Pilon. Es gibt zwei oder drei Casa Particulares, einen Laden, eine Bank, ein CUC-Restaurant und ein Peso-Restaurant.

Kaum sehe ich die ersten Häuser von Chivirico spricht mich ein Kubaner an. Er stellt sich als Casa-Besitzer vor und möchte mir ein Zimmer vermieten. Wie sich herausstellt, hat die Rezeptionsangestellte vom Motel bei ihm angerufen und meine Ankunft angekündigt.

Jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Natürlich war das Motel nicht ausgebucht. Es ist in Kuba üblich, dass die Casa-Besitzer für die Vermittlung eines Gastes eine Provision bezahlen. Die Motelangestellte bekommt für jeden weitergeschickten Touristen 5 CUC/Nacht Vermittlungsbebühr. Damit verdient sie wahrscheinlich mehr, als mit ihrem regulären Gehalt. Und sie hat weniger Arbeit im Hotel. Auch das ist typisch für Kuba.

Viel zu tun gibt es in Chivirico nicht. Im kleinen Peso-Dorfrestaurant an der Hauptstraße esse ich zu Abend. Das einzige Gericht ist Oveja en Salsa, Arroz und Tostones (Schafbraten mit Soße, Reis und frittierte Bananenscheiben) für 33 CUP (ca. 1.60€). In den staatlichen Peso-Restaurants macht man nicht immer die besten Erfahrungen, aber hier haben sie das Essen wirklich lecker hingekriegt. Ich bestelle gleich noch eine zweite Portion.

Auch heute gehe ich früh schlafen. Meine Casa liegt im Zentrum Chiviricos. Alle Nachbarn haben ihre Fernseher, oder Musikanlagen, auf Anschlag gedreht, dazu mischt sich das Kläffen der Hunde und das allgemeine Geschnatter und Geschrei kubanischer Barios. Trotzdem schlafe ich schnell ein. Vielleicht habe ich mich schon etwas an die kubanische Lärmkulisse gewöhnt.
Letzte Änderung: 05 Aug 2020 19:15 von Gu-ko.
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07 Aug 2020 11:55 #593224
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Chivirico – La Mula

Normalerweise bin ich kein ausgesprochener Frühaufsteher, aber als Radfahrer, insbesonders in Kuba, tut man gut daran, zeitig aufzustehen. Morgens ist die Luft noch angenehm kühl und das goldene Licht der Morgensonne verzaubert die Landschaft. Wenn möglich versuche ich noch vor Sonnenaufgang aufzubrechen.

Mein heutiges Tagesziel ist der Campismo „La Mula“. Campismos sind keine Campingplätze, wie man vermuten könnte, sondern Ferienanlagen, geschaffen für den nationalen Tourismus, also für Kubaner. Inzwischen erlauben manche Campismos auch Ausländer als Gäste. In Campismos kann man einfache Häuschen mieten, für die Verpflegung gibt es ein Restaurant und oft noch eine Devisen-Bar, in der Rum und Bier verkauft wird.

Auf den nächsten 100 km ist der Campismo La Mula die einzige Übernachtungsmöglichkeit.


Der frühe Morgen ist die beste Zeit um Fahrrad zu fahren

Bevor ich aufbreche erwartet mich noch das Frühstück. Die meisten Casas Particulares bieten ihren Gästen für 3 - 5 CUC Frühstück an. Wenn ich nicht mit dem Fahrrad unterwegs bin, ziehe ich es oft vor, in Cafeterias zu frühstücken. Erstens ist es dort deutlich billiger (ca. 0,5 - 1 CUC) und zweitens habe ich morgens meistens noch keinen großen Hunger und da wäre so ein reichhaltiges Casa-Frühstück einfach zu viel.

Aber als Radfahrer ist ein gutes Frühstück essenziell. Wenn man in Kuba in einsameren Gegenden unterwegs ist, weiß man oft nicht, wann und wo und was man als nächstes zu essen bekommt.

Und meine Casa-Wirte wissen was ein Radler braucht. Der Frühstückstisch ist vollgepackt mit gebratenem Schinken, frittierten Bananen, Käse, Eier, Früchten, Kaffee, Saft und Brot. Eines muss man den Chiviriqueños lassen, von Essen verstehen sie etwas. Als ich den letzten Krümel vertilgt habe, befürchte ich fast zu platzen. Heute werde ich keine weitere Nahrung brauchen.


Es geht weiter, immer die Küste entlang

Durch das üppige Frühstück wird es etwas später bis ich losfahre. Die Sonne ist bereits ein ganzes Stück über den Horizont geklettert und deutlich zu spüren. Auch wenn die Luft noch kühl ist, werde ich in ein bis zwei Stunden wieder das Gefühl haben, durch einen Backofen zu fahren.

Da ich von Osten nach Westen fahre, habe ich die Sonne im Rücken, was viel angenehmer ist, als von vorne gebraten zu werden. Um Kopf und Nacken zu schützen setze ich schon bald wieder den alten Hut von La Abuela auf. Der sieht zwar etwas lächerlich aus, erfüllt aber seinen Zweck.


Küstenstraße zwischen Chivirico und Pilon



Die Landschaft wirkt trocken, die Berghänge sind mit dornigen Büschen und gedrungenen Bäumen bewachsen, die winzigen Felder der Campesinos karg und steinig. Entlang der Küste klammern sich stachlige Säulenkakteen an steile Felsen. Das Meer ist nie weit entfernt, die dunklen Strände sind jedoch so steinig, dass es schwierig sein würde, mehr als die Füße im Meer zu baden. Die Menschen wohnen in strohgedeckten Holzhäuschen, die oft von Kakteenhecken eingezäunt sind. Manche winken mir zu, als ich vorbeifahre, andere starren nur ausdruckslos hinter mir her.

Als ich einmal kurz anhalte um ein Foto zu machen, kommt eine junge Frau aus einem der Häuschen gerannt und ruft mir zu:

„Yuma, casate conmigo“. (Ausländer, heirate mich)

Ich fahre schnell weiter. ;)


Strohgedeckte Holzhäuschen

Gegen 10 Uhr erreiche ich einen winzigen Ort namens Uvero. Ein paar Häuser, ein Miniladen, eine Cantina. Wasser kann ich nirgends kaufen, da der Miniladen geschlossen ist. In der Cantina haben sie immerhin Pomos de Naranja (Orangenlimonade) und Cerveza (Bier). In Kuba muss man nehmen, was es gerade gibt. Also trinke ich zwei Flaschen Orangenlimonade, süß und klebrig, aber kalt und um den süßen Geschmack wieder loszuwerden, spüle ich ein Bierchen hinterher.

Dann sitze ich ein Weilchen im Schatten eines akazienähnlichen Baumes und betrachte das Leben von Uvero. Viel gibt es da allerdings nicht zu sehen, ein paar Leute schlurfen die Straße entlang, andere chillen im Schatten der Veranden ihrer Häuser, oder der Bäume. Niemand bewegt sich schnell, oder eilig, kein Fahrzeug, kein Motorengeräusch stört die Stille. Nur ein paar Grillen zirpen und etwas weiter weg, das Rauschen der Brandung. Die Szenerie wirkt so einschläfernd, dass ich tatsächlich fast eingeschlafen wäre, hätte mich nicht ein älterer Campesino angesprochen. Wie fast jeder Kubaner, mit dem ich mich unterhalte, fragt er mich zuerst, woher ich komme und wohin ich gehe. Als er hört, dass ich Deutscher bin, erzählt er stolz, dass seine Tochter in Deutschland lebt:

„Mi hija vive en Alemania, Dusseldoff“ (Meine Tochter lebt in Deutschland, Düsseldorf)

Wie in ländlichen Gebieten nicht ungewöhnlich, mündet unser Gespräch in eine Einladung. Er erwähnt seine Frau, die eine gute Köchin sei und sein Haus, das „muy fresco“ und „muy tranquilo“ (sehr kühl und sehr entspannt) sei. Ich könne dort auch übernachten und erst morgen weiterfahren.

Ich bin immer wieder erstaunt über die Gastfreundschaft dieser einfachen Landmenschen. Der Mann macht nicht den Eindruck, als wolle er aus der Einladung irgendwelche materiellen Vorteile ziehen, er ist einfach nur freudlich und einen Ausländer im Haus zu haben, ist in dieser abgelegenen Gegend eine Abwechslung. Einen Moment überlege ich die Einladung anzunehmen. Aber nur einen Moment, dann erwidere ich, dass ich heute noch nach La Mula fahren möchte. Vielleicht das nächste Mal?

Er schreibt seine Adresse auf einem Papierfetzen und geht seines Weges. Und ich fahre meines Weges.

Kurz hinter Uvero treffe ich auf eine ziemlich kaputte Brücke. Sie wurde schon vor Jahren bei einem Hochwasser zerstört, aber nie repariert. Trotzdem wird sie von Fußgängern und „leichteren“ Fahrzeugen weiterhin benutzt. Für die anderen gibt es eine Umfahrung durch das Flussbett. Aktuell ist der Fluss knochentrocken, aber ich könnte mir vorstellen, dass zu bestimmten Jahreszeiten Wasser fließt und es dann nicht einfach ist, durchzukommen.


Die zerstörte Brücke bei Uvero






Je weiter ich Richtung Westen komme umso einsamer und wilder, aber auch schöner wird die Gegend. Die Bergzüge der Sierra Maestra werden schroffer und steiler, manchmal stürzen fast senkrechte Felswände zur Küste hinab.

Ich muss ein paar Anstiege bewältigen, aber nichts Dramatisches. Für die 45 km von Chivirico nach La Mula benötige ich zwar fast 5 Stunden, aber das liegt nicht am Schwierigkeitsgrad, sondern an den vielen Stopps, die ich einlege. Ich halte oft, fotografiere, genieße die Landschaft, unterhalte mich hier und da mit einem Campesino.


Null Verkehr


Einsame Playas
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