Erg Amguid – Hassi Messaoud
Es geht auf Mittag zu. Wir befinden uns auf einer weiten Sandebene. Mit mehreren Motorrädern sind wir in zügigem Tempo in breiter Front nebeneinander unterwegs. Urplötzlich bocken die Motorräder wie wild gewordene Rodeopferde. Wir sind in ein Feld mit Sandwehen geraten, welches wir durch den hohen Sonnenstand nicht erkannt haben. Bei Sandwehen handelt es sich um bis zu 30cm hohe betonharte Sandverwehungen. Man kann sie am besten mit den Riffeln vergleichen, die man vom Wattenmeer oder sandigen Stellen in Fließgewässern kennt, nur dass hier der Sand nicht vom Wasser, sondern vom Wind geformt wurde.
Das einzige was jetzt hilft ist aufstehen, Kupplung ziehen, auf die langen Federwege der Motorräder vertrauen und ausrollen. Das klappt auch bei allen sehr gut. Einzig Rüdiger ist einem falschen Reflex erlegen. Anstatt der genannten Maßnahmen hat er sich für eine Vollbremsung entschieden. Ein fataler Fehler. Beim Abbremsen federt das Motorrad vorne stark ein. Dadurch fehlt beim nächsten Buckel der benötigte Federweg. Die Folge ist unausweichlich das Überschlagen von Maschine und Fahrer.
Wir sind sofort bei Ihm und auch der LKW ist kurz danach zur Stelle. Jetzt bewährt es sich, dass wir Stefan als Beifahrer im LKW mit dabei haben. Bislang hatte es als Beifahrer nur ein paar unterstützende Hilfstätigkeiten bei den Reparaturen und Mahlzeiten, ansonsten aber eine sehr entspannte Reise. Jetzt schlägt seine Stunde, denn er ist als ausgebildeter Rettungssanitäter genau für solch einen Notfall mit dabei.
Rüdiger ist bei Bewusstsein, hat aber starke Schmerzen. Den Helm hat es Ihm halb vom Kopf gerissen und es ist viel Blut zu sehen. Die größte Sorge ist eine Wirbelsäulenverletzung. Aktuell ist das Rückenmark nicht verletzt, Rüdiger kann seine Beine bewegen, aber die Gefahr ist damit nicht gebannt. Vorsichtig wird der Helm entfernt und sofort eine Genickstütze installiert. Danach wird er auf eine Vakuumtrage gebettet.
Während Stefan den Verletzten weiter untersucht und versorgt, verladen wir Rüdigers Motorrad und räumen die Ladefläche des LKW um, damit Rüdiger und Stefan dort transportiert werden können. Das viele Blut hatte seine Ursache im zu locker geschlossenen Kinngurt seines Helms. Dadurch konnte sich die Schnalle über das Kinn schieben und hat dieses bis Einschließlich der Unterlippe tief aufgerissen sowie 2 Zähne ausgeschlagen.
Rüdiger braucht jetzt dringend ein Krankenhaus mit Röntgengerät. Das nächstgelegene befindet sich in Hassi Messaoud. Bis dorthin sind es noch 750km. Zum Glück ist die Strecke ab Bordj Omar Dris asphaltiert. Sowie Rüdiger erstversorgt ist, verladen wir Ihn und brechen dann sofort auf.
Zunächst geht es noch durch traumhafte Wüstenlandschaften, aber so richtig entspannt sitzt dabei niemand auf seinem Motorrad
Wir schaffen es gerade noch vor Sonnenuntergang die Asphaltstraße zu erreichen und sind darüber alle sehr erleichtert. Im Dunkeln in Gelände zu fahren wäre kein Spaß gewesen. Selbst auf der Straße fühlen wir uns nicht wirklich wohl, denn Geländemotorräder zeichnen sich nicht gerade durch übermäßig gute Beleuchtung aus. Aus diesem Grund befinden die Motorräder alle dicht vor dem mit Fernlicht und Zusatzscheinwerfern fahrenden LKW.
In Hassi Messaoud bestätigt sich dann mein guter Eindruck algerischer Krankenhäuser. Obwohl wir erst spät abends ankommen, liegt Rüdiger in kürzester Zeit unter dem Röntgengerät. Bald darauf gibt es Entwarnung. Weder die Wirbelsäule, noch ein anderer Knochen sind gebrochen. Auch die starken Schmerzmittel zeigen Wirkung und so wird Rüdiger im LKW bis Djerba mitfahren. Wir verlassen die Stadt und schlagen nur wenige Kilometer später unser Camp in der Wüste auf.
Dieser Unfall bestätigt wieder einmal die These, dass sich in der Sahara auf 40.000 Personenkilometer mit dem Motorrad ein schwerer Unfall ereignet.