THEMA: „La Puna deja huellas“ oder „Im Höhenrausch“
10 Nov 2022 19:38 #655206
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  • Sabine26 am 10 Nov 2022 19:38
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Klasse, Konni, dass Du auch dabei bist! Ich freue mich. Gleich geht es weiter, auch wenn es noch eher ein etwas geruhsamer Tag wird.
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10 Nov 2022 19:45 #655208
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Tag 3 – Salta
Salta, immer noch „La Linda“

 
Ich habe gut geschlafen, es war doch eine sehr lange Anreise. Vom Verlassen meines Zuhauses bis zur Ankunft in der Finca Valentina war ich 25 Stunden unterwegs. Zum Ankommen empfinde ich es ideal, zwei Nächte in Salta auf einer Höhe von etwa 1.200 Metern zu verbringen. Außerdem bevorzuge ich es sehr, langsam in eine Reise einzusteigen und nicht gleich am ersten Tag volles Programm zu haben. In Salta bin ich bereits das dritte Mal, das erste Mal waren wir vor 12 Jahren in der Stadt, als ich mit meinem Mann und zwei Freunden unterwegs war und ein weiteres Mal vor 5 Jahren in der gleichen Besetzung. Bei dieser Reise haben wir allerdings nur übernachtet, um am folgenden Tag direkt nordwärts aufzubrechen in Richtung Bolivien. 
 
Den Besuch im MAAM (Museo de Arqueología de Alta Moñtana) lassen wir auf meinen Wunsch hin aus, da ich das Museum bereits kenne. Das MAAM wurde gegründet, nachdem im März 1999 auf dem Gipfel des Vulkans Llullailco (6.739 Meter) drei Kindermumien der Inkas gefunden wurden. Mein Guide parkt in einer Parkhalle direkt an der zentralen Plaza 9 de Julio. Dort kann ich nicht umhin, einen Wagen, dessen Aussehen mich fasziniert, auf meiner Speicherkarte festzuhalten. Als mein Guide sieht, dass ich diesen Wagen fotografiere, bricht er in schallendes Gelächter aus, denn dieser gehört einem Freund von ihm und es scheint trotz des Aussehens ein sehr zuverlässiges Gefährt zu sein. Zumindest werde ich mich in zwei Tagen davon überzeugen, als er mir zeigt, welche Strecke die beiden in diesem Vehikel zurückgelegt haben. Ich denke bei mir einmal wieder, beurteile niemanden und auch kein Vehikel nur nach dem Aussehen.
 



 
Unser erstes Ziel ist das Cábildo. Das Rathaus beherbergt das Museo del Histórico del Norte, in dem unter anderem alte Gefäße für die Asche von Verstorbenen ausgestellt sind. Diese wurden mitsamt Inhalt im Boden der Häuser vergraben, sodass die Ahnen immer nah bei der Familie sein konnten. Im Innenhof des Cábildo führt eine Gruppe älterer Damen mit ihren selbstgebauten Blasinstrumenten aus Papier, die mich unwillkürlich an Vuvuzelas erinnern, einen Samba auf. Diese namensgleiche, aus dem Indigenen stammende Musik, klingt so ganz anders, viel trauriger und melancholischer, als der bekannte Samba aus Brasilien. Ich erfahre von meinem Guide, dass tatsächlich die einzige Gemeinsamkeit beider Musikrichtungen der Name ist. Bisher hatte ich noch nie von diesem Samba gehört, wieder etwas gelernt. 













 
Die Kathedrale hatte bei unserem ersten Besuch geschlossen, diesmal kann ich hineingehen. Interessant finde ich, dass die auf den ersten und entfernten Blick prachtvolle Ausstattung sich vielfach als Bemalung entpuppt. Hier war einfach nicht genug Geld vorhanden, um die Kirche ähnlich prachtvoll auszustatten, wie ich dies zum Beispiel in Quito gesehen habe. In dieser Kathedrale befindet sich die letzte Ruhestätte von Martín Miguel de Güemes, einem Held Saltas, der sich besonders im Unabhängigkeitskampf hervorgetan hatte. Neben ihm sind noch weitere Persönlichkeiten im Panteon des las Glorias del Norte bestattet.
 






 
Da sich vor der wunderschönen Iglesia San Francisco mit dem 50 Meter hohen Campanile doch einige Menschen aufhalten, diese seinerzeit bei unserem ersten Besuch nicht geschlossen hatte und wir uns den Innenraum ansehen konnten, reichen mir heute ein paar wenige Fotos von außen.
 
 


 
Auf dem Weg zurück zum Wagen kann ich einfach nicht widerstehen und erwerbe ein plüschiges Lama. Es ist einfach zu süß und ich taufe es auf den Namen Juanita Blanca. 
 



 
Mein Guide überlässt mir für das folgende Ziel die Wahl, Seilbahn oder Auto, ich entscheide mich für Letzteres und damit fahren wir zu dem Aussichtspunkt auf dem Cerro San Bernardo. Von hier oben kann man die Stadt sehr gut überblicken. Es gibt einige kleine Wasserkaskaden und rundherum stehen Ceiba-Bäume und Lapachos, dessen Blüten in Pink, Gelb und Grün blühen können. 
 
Salta wird gerne als die schönste Stadt Argentiniens bezeichnet und trägt den Beinamen „La Linda“. Mir gefällt sie nach wie vor auch sehr gut mit ihren spanisch geprägten Bauten im Ortszentrum und dem äußerst angenehmen Klima.
 



 
Zum Abschluss fahren wir noch nach San Lorenzo zur dortigen Quebrada. San Lorenzo liegt zwar höher als Salta, ist aber viel grüner, da sich der Ort, in dem sich wohlhabendere Einwohner Saltas niedergelassen haben, nicht mehr im Bereich der Anden befindet, sondern bereits in den Yungas. Insgesamt reißt mich diese Quebrada alles andere als vom Hocker, mein Guide wollte mir hauptsächlich zeigen, dass es unweit der Anden das Grün der Yungas gibt. Mein Ziel ist jedoch die Puna, der ich mich ab morgen so langsam nähere. Möglicherweise wäre mein Urteil zur Quebrada de San Lorenzo in der Regenzeit und/oder mit der Sichtung eines Tukans anders ausgefallen.
 
Die verbleibenden Stunden genieße ich noch auf der Finca, wo ich abends wieder sehr gut esse. Nach einem etwas geruhsameren Einstieg freue ich mich nun sehr auf den morgigen und die folgenden Tage.
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11 Nov 2022 19:35 #655316
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Tag 4 – Salta - Cachi
Hat man die Wand des Bischofes gemeistert, wird man mit einem bezaubernden Ort belohnt

Morgens zeigt mir die unglaublich freundliche Managerin der Finca noch weitere Zimmer, die ich mich sehr gerne anschaue. Pünktlich fährt mein Guide mit dem Pickup vor, der uns die nächsten knapp zwei Wochen als treuer fahrbarer Untersatz dienen soll. Zur Ausstattung gehört selbstverständlich ein gutes Reserverad, aber auch fünf Kanister mit jeweils 20 Liter Diesel sind auf der Ladefläche befestigt. Außerdem führen wir ein satellitengestütztes Gerät mit uns, über das mein Guide mehrmals pro Tag unseren Standort an die Agentur melden wird, damit im hoffentlich nicht eintretenden Fall der Fälle Rettung nahen kann. Ausreichend Wasser ist ohnehin an Bord.

Mein kleines Abenteuer kann nun also beginnen, wobei es sich allerdings die nächsten zwei Tage noch sehr in Grenzen halten wird, von Abenteuer kann da eigentlich noch nicht die Rede sein. Ich habe ganz bewusst die folgenden beiden Nächte in Cachi eingeplant, da zum einen dieser Ort auf 2.280 Metern ideal ist, um mich langsam, aber stetig an die Höhe zu gewöhnen und zum anderen haben wir damals als Selbstfahrer die Route von Salta nach Cafayate via der Valles Calchaquíes bereist. Dummerweise hatte ich diesen Abschnitt nicht optimal geplant, sodass für Cachi nicht viel mehr als ein Fotostopp übrig blieb. Aber alleine dieser Stopp zeigte mir seinerzeit, wie bezaubernd ich diesen Ort finde. (Wer gerne mehr über diese Selbstfahrerreise lesen möchte, findet diese unter dem Titel „Atem(be)raubende Landschaften, ein Auto mit Soroche und Geschichten von Pisco, Torrontés, Quilmes und Submarino“ auf meiner Seite.)

Nicht lange, nachdem wir Salta verlassen haben, lassen wir irgendwann auch zeitweise die Asphaltstraße hinter uns – zumindest für einen Teil der Passage der Cuesta del Obispo. Der Name bedeutet so viel wie Bischofswand und soll auf einen Bischof zurückzuführen sein, der vor ein paar Hundert Jahren den Abstieg ins Tal gewagt hat. Ich weiß nicht, ob er nicht wieder herausgefunden hat und daher der Name des Bischofs nicht bekannt ist oder ob es einen anderen Grund dafür gibt.

Waren wir auf dieser Strecke vor 12 Jahren so gut wie alleine unterwegs, hat jetzt der Verkehr zugenommen. Immer wieder finden sich am Straßenrand einzelne Verkaufsstände, aber von Massentourismus kann beileibe keine Rede sein. Würde ich diesen Abschnitt nicht bereits als sehr einsam kennen, würde ich ihn nun als äußerst wenig frequentiert beschreiben.

Am Himmel über uns kreisen Vögel. Ich frage mich, ob es sich um Kondore handelt, ich kann es nicht richtig erkennen. Mein Guide erklärt mir, dass es Jotis sind, ebenfalls Aasfresser, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Kondoren haben, jedoch viel kleiner sind und bei Weitem nicht so hoch fliegen. Unterscheiden kann man die Arten sehr gut dadurch, wenn man weiß, dass bei Jotis die Flügel im Flug zur Seite, während sie bei den Kondoren eher nach vorne zeigen. Nicht zum letzten Mal auf dieser Reise mit Guide werde ich feststellen, dass man mit einem guten Guide, seinen Wissensschatz erweitern kann. Leider habe ich in der Vergangenheit schon ganz andere Erfahrungen mit Guides gemacht.

Mein Guide hält für einen Fotostopp; ich laufe etwa 200 Meter die hier noch asphaltierte Straße hinunter, da ich einen kleinen Verkaufsstand gesehen habe. Hinter dem Tisch sitzt ein kleines Mädchen, ich frage sie nach ihrem Alter und erhalte die Antwort, sie sei drei Jahre alt. Die Mutter tritt hinter einer Plane vor, lächelt mich freundlich an und ich kaufe einen kleinen Schlüsselanhänger mit Stofflama für wenig Geld. Fast am höchsten Punkt mit Aussicht auf die sich in Serpentinen heraufschälende Straße halten wir das nächste Mal. Waren wir damals alleine, haben sich hier mittlerweile einige Verkaufsstände mit Gewürzen, Wurst und Queso de Cabra (Ziegenkäse) ausgebreitet. Es werden auch Ritte mit Pferden angeboten. Als man mir dies anbietet, lächle ich freundlich, schummele jedoch ein wenig, da ich gerade eher an Fotos und Erinnerungen als an Konversation interessiert bin, und antworte, dass ich leider nichts verstehe. Daraufhin lässt man mich auch sofort wieder in Ruhe. Mehr noch, nachdem ein weiterer Pferdebesitzer mich anspricht, sagt ihm der andere, dass ich nichts verstehen würde und sofort wendet man sich den wenigen anderen argentinischen Touristen zu.





Beim Piedra del Molino, dem „Mühlstein“, haben wir den höchsten Punkt für heute erreicht. Hier auf 3.457 Metern steht nicht nur der Mühlstein, sondern auch die kleine Capilla San Rafael, in der sich im dunklen Innenraum auf einem Tisch Zigaretten und Cocablätter für Pachamama finden – Opfergaben, die typisch sind für die allgegenwärtige Vermischung des katholischen und indigenen Glaubens.





Mein Guide lässt mich einige Kilometer später an einem Pfad aussteigen. Ich laufe alleine eine Weile zu einem Aussichtspunkt. Ich empfinde es als sehr angenehm, dass er mich nicht auf Schritt und Tritt begleitet. Würde ich das wollen, würde er das tun, aber so habe ich meinen Freiraum.

Wie durch Zauberhand führt ein kerzengerades Asphaltband von 18 Kilometern durch die Ebene der Recta Tin-Tin. Ein wenig schmunzeln muss ich über den Zebrastreifen hier in der Einsamkeit der Hochebene. Überall aus dieser Ebene ragen meterhohe Kandelaberkakteen, die jetzt im Frühjahr Blüten tragen. Diese Kandelaberkakteen können eine Höhe von 10 Metern erreichen und müssen erst 50 Jahre alt werden, bis sie blühen. Das ist das Gebiet des Parque Nacional Los Cardones und hier befindet sich auch ein sehr kurzer Weg entlang dieser stacheligen Riesen im Parque Nacional Los Cardones. In vielen dieser Kakteen haben Spechte ihre Löcher in den Stämmen hinterlassen.





Am Ende des schnurgeraden Asphaltbandes befindet sich ein größerer Verkaufsstand unterhalb einiger Ruinen. Von hier aus hat man einen schönen Blick auf den Nevado de Cachi (6.380 Meter) mit seinen weißen Eisfeldern in der Ferne vor blauem Himmel. Eine Familie verkauft Gewürze und Eingemachtes, auch mein Guide deckt sich ein. Von ihm erfahre ich, dass diese Familie mit nur einem Tisch vor einigen Jahren ihr Geschäft begonnen hat und nun immer weiter expandieren konnte, weil ihre Produkte so gut sind, dass sogar viele Argentinier von weiter entfernt anreisen, um diese zu erwerben.





Im kleinen Ort Payogasta bitte ich um einen Fotostopp, weil mir eine Häuserzeile so gut gefällt. Payogasta hat eine unregelmäßige Struktur, d. h. der Ort ist nicht in Quadrate aufgeteilt, auch wenn der Ort auf Elemente der spanischen Kolonialzeit zurückzuführen ist. Die Häuser sind vielfach aus Adobe gefertigt und zumeist unterschiedlich groß, verfügen jedoch fast immer über einen Patio, auch wenn dieser nicht selten klein ausfällt. Ich laufe ein wenig umher, bevor mich einige Zeit später mein Guide wieder einsammelt.





Nun ist es nicht mehr weit bis Cachi mit seinen etwa 5.500 Einwohnern. Wir fahren zu meinem gebuchten Hotel, dem El Cortijo, das nicht allzu weit entfernt von der zentralen Plaza liegt. Kaum habe ich es betreten, weiß ich, diese Unterkunft war die richtige Wahl und ebenso, dass ich um Buchung eines hochwertigeren Zimmers mit Terrasse gebeten habe. Hier werde ich mich die nächsten zwei Nächte so richtig wohlfühlen, davon bin ich überzeugt.








Da ich bereits schon am Morgen meinem Guide gesagt habe, worin insbesondere meine Interessen liegen und worin eher weniger, fragt er mich, ob wir zum Friedhof fahren sollen. Sehr gerne, lautet meine Antwort. Er lässt mich am Eingang des auf einem Hügel außerhalb des Ortes liegenden Friedhofs aussteigen und wird auf mich warten. Ich soll mir so viel Zeit nehmen, wie ich möchte. Ausgiebig schaue ich mich um, mache Fotos, staune über die Lage des Ortes und fühle mich zwischenzeitlich tatsächlich ein wenig „scared“, bin ich hier doch so ganz alleine unterwegs. Nach einiger Zeit verlasse ich diesen Ort und mein Guide bringt mich zurück zum Hotel. Wir besprechen geschwind die Zeit der Abholung für den Folgetag und den Rest des Nachmittags habe ich für mich ganz alleine.











Nach einem kurzen Stopp auf meinem Zimmer und einem Telefonat mit meinem Mann gehe ich ins überschaubare Zentrum des kleinen, bezaubernden Ortes. Langsam verspüre ich Hunger, es ist jedoch zu spät für Mittagessen und zu früh für Abendessen. Ich finde ein Restaurant, das geöffnet hat und wähle die einzige Speise, die um diese Uhrzeit im Angebot ist, Empanadas. Ich entscheide mich für zwei Empanadas mit Quinoa- und eine mit Queso-Füllung, die alle ausgezeichnet schmecken werden. Als Nachtisch hole ich mir in der Panadería gegenüber ein Teilchen mit Vanillepudding, mit dem ich mich auf einer Bank im kleinen Park niederlasse.

Kaum verspeist gehe ich in die Kirche und halte diese sowie das angrenzende Museum auf meiner Speicherkarte fest. Ich schlendere durch mehrere Gassen, in denen mir nur hier und da einige Einheimische begegnen. Alle grüßen mich äußerst freundlich. Ich finde Cachi einfach nur bezaubernd, auch wenn es nicht mehr ganz so im Dornröschenschlaf liegt wie noch vor 12 Jahren und sich mehr dem Tourismus geöffnet hat.




















Es ist kurz nach 19:00 Uhr, als ich durch die Tür meines Hotels trete. Es war ein wirklich schöner Tag.
Letzte Änderung: 11 Nov 2022 19:39 von Sabine26.
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12 Nov 2022 16:32 #655373
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Tag 5 – Cachi (Tacuil)
Weinprobe, in dem bis vor kurzem höchst gelegenen Weinanbaugebiet, ein wütendes Langohr und gefiederte Hubschrauber in ihrem natürlichem Lebensraum


Heute steht ein Ziel auf dem Programm, über das ich weder zuvor in Reiseführern gelesen hatte, noch hatte ich zuvor überhaupt jemals davon gehört: Tacuil. Als ich im Vorfeld mit meiner Agentur in Argentinien korrespondierte und fragte, was ich mir am heutigen Tag anschauen könnte, schlug man mir das Weingut Tacuil vor. Alleine die Fahrt in dieses Tal wäre diesen Abstecher wert, so oder ähnlich, las ich in der E-Mail. Ich schaute in meinen Atlas, wo genau das Ziel liegen würde. Mir gefiel dieser Vorschlag und so fand sich zusätzlich eine Weinprobe inkl. Mittagessen auf meinem Routenplan wieder.

Kurz vor Seclantás fährt mein Guide einen kleinen Umweg zu einer Poncho-Weberei, nachdem er mich zuvor fragte, ob ich mir diese anschauen möchte. Diese Weberei, wird nicht oft besucht, da sie nicht an der direkten Verbindungsstraße liegt. So stehen wir beide alleine vor dem kleinen Gebäude, als der Eigentümer aus der Tür tritt und uns begrüßt. Mein Guide und er kennen sich. Ich bekomme ein wenig gezeigt und fühle mich zu keiner Zeit in irgendeiner Weise gedrängt, etwas zu kaufen. Eher im Gegenteil, ich stelle dem Weber einige Fragen, die alle freundlich beantwortet werden, auch nachdem klar ist, dass ich ohne Poncho oder Schal die kleine Manufaktur verlassen werde. Mein Guide erzählt mir später, dass dieser freundliche Herr den Poncho webte, den Papst Franziskus anlässlich seines Besuches in Salta überreicht bekam; sicherlich eine unglaublich große Ehre für ihn und seine Familie.





In Seclantás halten wir für ein Foto der rosa Kirche „Nuestra Señora del Carmen de Seclantás“ mit ihren hellblauen Farbtupfern an Kuppeln und Pforte. Direkt gegenüber befindet sich eine Schule, Aufgabe scheint zu sein, die Kirche zu malen. Die Schülerinnen und Schüler sitzen verteilt vor ihrem Schulgebäude und zeichnen fleißig das kleine rosafarbene Schmuckstück, wie ich bei einem Blick auf ihre Zeichenblöcke feststellen kann.





Leider hatten wir seinerzeit überhaupt keine Zeit, um uns Molinos anzuschauen. Zum einen wegen meines Planungsfehlers, zum anderen hatten wir uns zu allem Überfluss verfahren, verloren mehr als 2 Stunden und fanden uns in Brealito wieder. Nun stelle ich fest, wie bedauerlich es ist, dass wir Molinos nicht anschauen konnten. Was für ein entzückender Ort, der unzählige Fotomotive über die Kirche „San Pedro de Nolasco de los Molinos“ aus dem 17. Jahrhundert hinaus bietet. Weit und breit kein anderer Tourist, während ich alleine durch die pittoresken Straßen ziehe und dem örtlichen Kulturzentrum gegen ein geringes Eintrittsgeld von 50 Pesos einen Besuch abstatte. Ich bin absolut begeistert von diesem entzückenden Ort, der so aufgeräumt wirkt und wo die Zeit stillzustehen scheint.














Hinter Molinos biegen wir ab. Die Straße wird enger und sandiger. Hier gibt es Passagen, die mich unweigerlich an das Damaraland in Namibia erinnern. Hinter dem kleinen Ort Colomé, wo ich in ziemlich genau einer Woche zwei Nächte auf dem namensgleichen Weingut gebucht habe, verengt sich die Straße ein weiteres Mal. Die Piste steigt an, die Kurven nehmen zu, während die Einsehbarkeit der Windungen zeitgleich abnimmt.





Nachdem wir einen kleinen Pass bewältigt haben, bietet sich mir ein wunderschöner Blick ins Tal auf Tacuil. Ich bin begeistert, welch ein Idyll liegt da vor meinen Augen; rundherum sand- und ockerfarbene Felsen, unten im Tal leuchten die Weinreben in Grün. Die verbleibende Strecke ist nichts für Personen mit Höhenangst. Die Piste ist gerade breit genug für ein Fahrzeug und neben mir auf der Beifahrerseite blicke ich immer wieder in einen ungeschützten Abgrund. Wie ich mir schon dachte, ist diese Piste während der Regenzeit oftmals nicht passierbar. Ich frage mich einmal mehr, was machen die Menschen nur bei einem Notfall, die in solcher Abgeschiedenheit leben.

Wir werden sehr freundlich von Raoul begrüßt, der den Familienbetrieb Dádalos in 5. Generation führt. Für meinen Geschmack begrüßen mich allerdings die Hunde auch zu freundlich, um nicht zu sagen, zu stürmisch. Sogleich werden diese zurück gerufen. Wir sind die einzigen Besucher. Mir scheint, dass sich tatsächlich eher selten ausländische Touristen hierher verirren, eine Voranmeldung ist ohnehin obligatorisch.

Auf der Terrasse mit unglaublich schönem Blick auf die Weinreben im Tal nehmen wir Platz. Ist das eine Wohltat für die Seele. In fließendem Englisch erfahre ich, dass sich hier bis vor kurzem das höchste Weinanbaugebiet befunden hat, bis zu dem Zeitpunkt, als man sich entschloss, auch in Tibet Wein anzubauen. Die Weinreben, auf die wir in diesem Moment schauen, befinden sich in 2.400 Metern Höhe; zu Tacuil gehören aber auch Weinreben, die auf 2.700 Metern wachsen. Die Höhe und die Trockenheit findet sich in der Haut der Trauben wieder, diese ist später hauptverantwortlich für die besondere Qualität der Weine. Ich koste einen Torrontés, der einzige Wein, der seinen Ursprung in Argentinien hat sowie drei weitere Rotweine des Weingutes. Ebenso interessant ist für mich zu hören, dass sich Colomé bis zur Jahrtausendwende im Eigentum der Familie Dádalos befand. Als die große Wirtschaftskrise Argentinien ergriff, man sich aber von Colomé trennte und verkaufte.

Aus dem Lehmofen werden Köstlichkeiten für das Mittagessen serviert. Hier lässt es sich wirklich aushalten, dieser Blick, diese Ruhe, diese Abgeschiedenheit. Herrlich!
Irgendwann müssen wir Abschied nehmen und unseren Rückweg antreten. Die Verabschiedung fällt ebenso freundlich aus wie die Begrüßung. Ich bin sehr dankbar für diesen Tourvorschlag der Agentur, den ich selbst nie eingeplant hätte.












Tags zuvor habe ich meinem Guide von unserem Missgeschick erzählt, dass wir uns verfahren hatten und wieder umdrehen mussten, nachdem wir uns in den unzähligen, unbeschilderten Abzweigungen der verschiedenen Pisten nicht mehr zurechtgefunden hatten. Da ich jedoch den kurzen ersten Teil unserer ungeplant befahrenen Piste als sehr schön in Erinnerung habe, hatte ich ihn daher gefragt, ob wir möglicherweise statt Strecke über Molinos bis Seclantás die Route via Lago de Brealito fahren könnten, denn mein Atlas weißt dort eine Piste aus. Mein Guide war sofort Feuer und Flamme, er müsse allerdings klären, ob diese Piste zurzeit befahrbar sei. Ich ahne einmal mehr, dass es damals eine gute Entscheidung war, nicht weiterzufahren, sondern umzukehren. Jetzt vernehmen meine Ohren, die Wunschstrecke sei befahrbar, mehr noch, genau diese sei er einmal mit seinem Freund in besagtem Wagen gefahren, den ich vor zwei Tagen in Salta fotografiert hatte. Ich weiß nicht, ob der Wagen vorher schon so aussah oder erst, nachdem sie die Strecke gefahren waren. Jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, weiß ich, ich hätte diese Frage stellen sollen. Auf jeden Fall werde ich einige Stunden später wissen, was dieses Vehikel zu leisten imstande ist.

Mein Guide erzählt mir, dass wir eine kaum frequentierte, einsame Piste fahren werden, der Lago de Brealito wunderbar sei und selbst Einheimische selten bis gar nicht dorthin führen. Ich bin gespannt. Tatsächlich ist die Strecke zeitweise sehr abenteuerlich. Ich kann die enge Piste mit den seitlichen, nicht gesicherten Abgründen kaum fotografisch festhalten, aber definitiv möchte ich diese nicht alleine als Selbstfahrer bewältigen. Aber so, ganz vertrauend auf die Fahrkünste meines Guides und auf unseren Wagen, kann ich die Fahrt genießen, ein wenig Abenteuer kann richtig Spaß machen.








Nach längerer Fahrzeit erreichen wir den See, glücklicherweise ohne irgendeine Form des Gegenverkehrs. Ich laufe ohne Begleitung meines Guides auf eine Halbinsel, die sich in der Regenzeit zu einer Insel wandelt und werde das einzige Mal auf dieser Reise ein mulmiges Gefühl haben. Am Ufer grasen Esel. Plötzlich stürmt von weiter her einer dieser zuweilen recht starrköpfigen Vertreter seiner Art heran, begleitet von lautem Getöse, das für mich eindeutig nach wütenden Schimpftiraden klingt. Er legt ein enorm hohes Tempo an den Tag. Weit und breit gibt es nichts, wohin ich mich in Sicherheit bringen könnte, das Auto und mein Guide sind weit entfernt. Greifen Esel Menschen an? Diese Frage schießt mir durch den Kopf, und ich kann sie nicht beantworten, ich weiß es nicht. Aber ein Esel könnte zum Problem für mich werden? Viel eher hätte ich, bleiben wir bei Vertretern der Fauna, mit Schlangen, Spinnen, Hunden oder gar dem raren Puma gerechnet. Die einzige Waffe zur Gegenwehr, die mir bliebe, ist meine Kamera, die ich ihm um die langen Ohren hauen könnte. Zu meinem großen Glück und meiner noch größeren Erleichterung stoppt er in nicht allzu weiter Entfernung bei seinen Artgenossen. Möglicherweise galt sein Gebaren gar nicht mir, aber den Rückweg werde ich sicherheitshalber in großem Bogen antreten.

Nach dieser Aufregung werden wir tatsächlich mit Kolibri-Sichtungen belohnt. Diese Vögel halten sich unweit des Wagens in Palán Paláns auf. Ich liebe diese gleichlautenden Doppelnamen und wenn ich dann noch darüber nachdenke, dass Kolibris hier Picaflores genannt werden, Picaflores in Palán Paláns – das gefällt mir. Umso schöner empfinde ich die Sichtung, da diese gefiederten Hubschrauber nicht mit Zuckerwasser angelockt werden, wie es leider mittlerweile in einigen touristischen Hotspots üblich ist, um Touristen das bestmögliche Foto zu ermöglichen. Eine Vorgehensweise, mit der ich mich so gar nicht anfreunden kann. Als wir das Gebiet verlassen, erfahren wir von der Dame, die sich um diesen Ort kümmert, dass vor zwei Tagen der letzte Wagen vor Ort war. Mein Guide drückt ihr einen Müsliriegel in die Hand, über den sie sich sehr freut. Puh, wieder einer dieser Momente, der mir demütig vor Augen führt, wie gut es mir geht.


















Wieder zeigt die Uhr 19:00 Uhr an, als ich nach einem langen, aber wundervollen Tag das Hotel betrete. Ich telefoniere mit meinem Mann, so wie es scheint, werde ich die nächsten 5 bis 7 Tage dafür keine Möglichkeit haben. Morgen werden wir über den Abra del Acay mit seinen fast 5.000 Metern nach Tolar Grande fahren – die Puna ruft.
Letzte Änderung: 12 Nov 2022 16:39 von Sabine26.
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Wer sich an einer Karte und dem Tag-für-Tag-Reiseverlauf orientieren möchte, diese habe ich auf meiner Seite online gestellt:

www.passionate-about...puna-2022-reiseroute
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14 Nov 2022 12:10 #655493
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Sabine26 schrieb:

Auf dem Weg zurück zum Wagen kann ich einfach nicht widerstehen und erwerbe ein plüschiges Lama. Es ist einfach zu süß und ich taufe es auf den Namen Juanita Blanca. 
Bei diesem Blick wäre ich sicherlich auch schwach geworden und ihr Name gefällt mir auch sehr gut. :kiss:
Sabine26 schrieb:
Warum hattest Du jetzt nicht mit 2 Nächten Colomé gerechnet? Die Strecke zwischen Tolar Grande und El Peñon könnt Ihr vielleicht irgendwann mal nachholen.
Colome + Museum war bei uns damals ein Tagesbesuch, gerne hätten wir dort übernachtet, aber irgendwie wäre ich nicht auf die Idee gekommen, dort zwei Nächte zu verweilen. Deshalb war ich verblüfft und bin umso mehr auf Deinen Tag dort gespannt. Der Lago de Brealito ist Klasse, davon hatte ich noch nichts gelesen.
Ob wir jemals noch einmal nach Argentinien fahren? Ehrlich ich weiß es nicht, so schön es dort ist und vielleicht gerade, weil uns diese Reise so begeistert hatte, wären die Erwartungen unermesslich hoch. Dazu hat sich seit unserer Reise 2014 vieles verändert. Und dann stecken mir die ständigen „Plan B Reisen“ in den Knochen. Vielleicht wenn diese endlich der Vergessenheit angehören.
Jetzt freue ich mich erst einmal bei Dir „mitfahren“ zu können.
Viele Grüße
Elisabeth
Letzte Änderung: 14 Nov 2022 12:10 von sphinx.
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