Fortsetzung
Schauer prägen den heutigen Mittag. Wir vertrödeln die Zeit auf der Aussichtsterrasse und genießen große Obstteller – ein warmes Mittagessen erscheint bei den herrschenden Witterungsverhältnissen nicht wirklich attraktiv. Ein vorbeikommender Coati sorgt dabei für willkommene Abwechslung.
Pünktlich zu unserer Nachmittagsaktivität klart das Wetter glücklicherweise auf und so brechen wir frohen Mutes gemeinsam mit den zwei Belgiern zu unserer geführten Wanderung durch den Regenwald auf. Das Gelände der Lodge beherbergt ein großes Stück privaten Waldes, das durchzogen ist von einfachen und engen Pfaden. Hier kann man Stunden verbringen. Und sollten wir noch einmal zur Laguna del Lagarto Lodge zurückkehren, würden wir die Trails auch gern stärker nutzen.
Sobald man den dichten Wald betritt, umfängt einen grünes Zwielicht. Die Pfade sind von den regelmäßigen Regenfällen der letzten Zeit aufgeweicht und schlammig. Da ist es gut, dass man sich in der Lodge Gummistiefel ausleihen kann (auch in Kindergrößen!). Immer wieder sinken wir mindestens Knöcheltief in den Schlick ein und verursachen beim Rausziehen der Stiefel laut schmatzende Geräusche.
Die Vegetation ist hier wahnsinnig dicht. Nur wenige Meter kann man nach links und rechts ins Dickicht blicken, dann schließt sich der immergrüne Vorhang gänzlich. Sollten hier Tiere in der Nähe sein, würden wir sie wohl kaum sehen.
Daher ist es von großem Vorteil, einen Guide dabei zu haben. Heute Nachmittag führt uns Michael, der ansonsten den Service im Restaurant übernimmt. Der junge Mann ist sehr kenntnisreich und weiß, wohin er schauen muss, um kleines Regenwaldleben zu entdecken.
Und so sehen wir bald unseren ersten Strawberry Poison-dart Frog (Erdbeerfröschchen). Dieser prächtige Geselle ist wirklich winzig. Michael nimmt ihn vorsichtig auf die bloße Hand. Hautkontakt scheint unbedenklich zu sein – das Gift sollte jedoch nicht in die Blutbahn gelangen.
Auf dem weiteren Weg durch den Dschungel werden wir von Donnergrollen begleitet. Es hört sich noch weit entfernt an und so gehen wir frohen Mutes weiter – denn bei Gewitter, so hatte es uns Lodgemanager Carlos erzählt, sollte man besser nicht im Wald unterwegs sein.
Die nächste Sichtung unserer Wanderung führt uns den Endgegner vor Augen. Michael präsentiert uns eine Bullet Ant (Vierundzwanzig-Stunden-Ameise), deren Giftstich der schmerzhafteste des Insektenreichs sein soll. Nach dem Stich-Schmerzindex des US-Insektenforschers Justin O. Schmidt, der die Stärke von Schmerzen auf einer Skala von 1,0 bis 4,0+ beschreibt, steht das Insekt bei 4,0+. Die Schmerzen werden oft beschrieben, als würde man bei lebendigem Leib verbrennen. Sie lassen nach etwa 24 Stunden nach – daher der deutsche Name der Ameise. Vorsichtig nähern wir uns mit dem Makro…
Bald können wir ein weiteres Erdbeerfröschchen entdecken. Michael schleppt bereits seit einiger Zeit einen dicken Ast mit sich herum, der einige hübsche Pilze beheimatet. Nun löst sich dieses Rätsel: Sein Plan war es, uns einen Blue-Jeans-Frog in einem dieser Pilze zu präsentieren. Das ist sicher hübsch anzusehen, uns aber eine Künstlichkeits-Umdrehung zu viel.
Unsere Große wird derweil immer stiller und blasser. Ein Blick in ihre Augen und eine „Stirn an Stirn-Kontrolle“ zeigen uns: Hier entwickelt jemand Fieber mitten im Regenwald. Da wir auf einem Rundweg unterwegs sind, ergibt es keinen Sinn mehr umzukehren. Tapfer bestätigt sie uns, weitergehen zu können.
Dann kommt das Donnergrollen immer näher und plötzlich öffnen sich die himmlischen Schleusen. Ein Sturzregen prasselt mit unbändiger Gewalt herab und verwandelt die ohnehin matschigen Wege in kleine Bachläufe. Zum Glück haben wir Regenzeug und auch unsere Drybags für die Kameras dabei, denn nach kurzer Zeit stehen wir da wie geduscht.
Und es hört nicht auf. Unablässig fallen Fluten vom Himmel herab, durch die wir uns den Weg bahnen – immer das fiebernde Kind im Blick. Durch den Regen sieht man kaum mehr etwas, die Ohren sind von lautem Rauschen gefüllt. Und so stapfen wir mit gesenkten Köpfen voran. Bald ist die Nässe so präsent, dass sie fast schon wieder egal ist. Ein Erlebnis für alle Sinne entfaltet sich.
Wir müssen größere Steigungen überwinden – zum Glück haben wir allesamt Wanderstöcke dabei, denn hier wird der Wanderpfad zum schnell fließenden braunen Bach. Es ist verwunderlich, dass wir hier ohne Stürze durchkommen.
Als dann etwas Langes und Dickes über meine Stiefel streift, schreie ich unvermittelt auf.
So sehr habe ich mich lange nicht erschreckt! Eine große Schlange bahnt sich in Wahnsinnstempo ihren Weg über den Pfad und klettert geschickt die ihn säumende Vegetation hinauf. Michael identifiziert das Tier als Bird-eating Snake. Meiner Frau gelingt trotz der anhaltenden Regendusche und des herrschenden Schummerlichts tatsächlich ein Fotobeweis.
Michael zeigt uns auf dem weiteren Weg noch schnell einen Ort, der ein guter Platz für die Beobachtung des red-capped Manakin sei. Bei dem herrschenden Regen tut das natürlich nichts zur Sache. Wir versuchen uns trotzdem, die Stelle für später zu merken.
Bald sind wir dann aus dem Wald heraus und zurück in unseren Zimmern. Nun widmen wir uns erstmal der Pflege unserer Großen. Sie wird sich erstmal ausruhen müssen – zum Glück reisen wir stets mit gut gefüllter Reiseapotheke, einen Arzt wollen wir hier nicht benötigen müssen...
Viel passiert nicht mehr am heutigen Tag. Der Regen hält bis nach Einbruch der Dunkelheit an und so vergehen noch ein paar ruhige Stunden bis zum Abendessen, die wir im Zimmer und in den Hängematten verbringen.
Das Essen ist wieder gut. Ab heute sind wir auch nicht mehr fast allein, denn am Nachmittag haben sich einige Birder-Pärchen eingefunden, die nun die Restaurant-Terrasse mit uns bevölkern.
Plötzlich aber regt sich etwas im Schatten. Nur wenig entfernt von unseren Tischen hat sich eine Black-and-white Owl (Bindenhalskauz) im Schutz der Dunkelheit im anhaltenden Regen niedergelassen. Wir sind begeistert über diese letzte Sichtung des Tages. Und auch unsere Große kann sich schon wieder etwas freuen. Eulen zu sehen, ist immer etwas ganz Besonderes für uns. Und auch die Belegschaft ist sehr angetan. Diesen Vogel sehen sie seit Monaten wieder zum ersten Mal in der Nähe der Lodge.
Mit diesen Eindrücken geht es ins Bett und wir hoffen dabei, dass das Fieber bald vergangen sein wird.