Ein Hauch von Hummeldumm
Am 29. Dezember steigen wir in Hamburg in den Flieger nach Frankfurt und dann in den Flieger nach Costa Rica. Ein Direktflug - eine Wohltat. Für einen geringen Aufpreis hatten wir zudem Plätze in der Premium Economy ergattert, wenn auch nur für eine Strecke. Wir entschieden uns für den Hinflug. Zurück kommt man ja irgendwie immer und wir hofften, nicht allzu erschlagen nach den schlappen zwölfeinhalb Stunden Flug am Zielort zu landen.
Ein langer Flug bleibt ein langer Flug, aber diese etwas bessere Kategorie machte tatsächlich einen Unterschied. Vor allem deshalb allerdings, weil sie anscheinend kaum jemand bucht (das erklärt das tolle Angebot). Was zur Folge hatte, dass ich meine langen Gräten (1,82 m) problemlos durch die breite Spalte zwischen den beiden leeren Vordersitzen und auf die breite Armlehne bugsieren konnte. Ich hatte also sozusagen einen Business-Liegesitz. Ich bin schon schlechter gereist.
Den normalen Mehrpreis würde ich allerdings ehrlicherweise nicht zahlen.
Klammeraffen im Tortuguero
Trotz einer guten Mütze Schlaf kommen wir abends ziemlich fertig am internationalen Flughafen Juan Santamaria an, werden dort abgeholt und zum Hotel Radisson im benachbarten San Jose gefahren, wo wir für erneut nur wenige Stunden in einen tiefen Schlaf sinken. Früh klingelt der Wecker, denn wir werden früh abgeholt. Ich hatte keine Ahnung, wie das laufen würde, und bin erstaunt über den fetten Reisebus, der uns nach einem hastigen Frühstück einsammelt. Ein Reiseleiter greift nach einem knackenden Mikro, und mir schwant Böses. Eine Butterfahrt, ich bin starr vor Schreck - habe ich das etwa ernsthaft gebucht??? Ein Hauch von "Hummeldumm" durchweht Costa Rica. Das Wetter ist so lala, ein gutes Zeichen, berichtet er fröhlich. Wenn es hier so ist, ist es auf der anderen Seite sonnig.
Die andere Seite ist die Karibikseite, wir fahren über den Continental Drive, wo die Pazifische auf die Karibische Platte trifft, mitten durch die sattgrünen, wilden Hügel des Braulio Castillo Nationalparks. Hier soll es tatsächlich noch Terra Incognita geben, und wäre Tarzan real, dann könnte das sein Zuhause sein.
Dahinter ist es mit der unberührten Natur erst einmal vorbei. Riesige Bananenplantagen wohin man schaut, schlimmste Monokultur, ein trauriger Anblick. Auch ich esse Bananen für mein Leben gern, das halte ich mir selbst vor Augen.
Irgendwo dazwischen biegen wir in eine lange Zufahrt ab, ein kleines Stück Wald, ein Restaurant, viele Reisegruppen. Sie wissen, wie Tourismus geht, die "Ticos", das muss man wirklich sagen, und sind organisatorisch ganz weit vorne. Wir werden zu einem Tisch geführt, sollen uns am Buffet bedienen, in einer Stunde geht es weiter. Aha. Wir tun wie geheißen, vertreten uns dann draußen die Beine - und entdecken ein Faultier. Nicht nur eins, sondern zwei, eine Mutter mit Jungtier, die Mittagspause ist gerettet und Thomas packt etwas unverhofft, aber begeistert erstmals die Kamera aus.
Ich frage mich, wie das eigentlich genau laufen soll mit der Fahrzeugübergabe in ein paar Tagen, und verwerfe den Gedanken wieder, wir folgen einfach unseren Papieren bzw. den Anweisungen des von uns nicht gerade herbeigesehnten Reiseführers. Der Bus spuckt uns schließlich am Ende der Straße aus, dahinter ist Schluss. Im Park gibt es keine Autos, nur Wasserstraßen, und so steigen wir in Boote um, die uns zur jeweiligen Unterkunft bringen.
Eine echte Pier gibt es nicht, nur ein sandiges Ufer. Sehr schön eigentlich, aber es ist die Hölle los. Wo wollen all die Menschen hin? Es geht drunter und drüber und ich bin erstaunt, dass am Ende offenbar alle im richtigen Boot landen. Noch komme ich nicht auf die simple Erklärung, woher dieser Ausnahmezustand rührt, von dem ich inständig hoffe, dass er einer ist und nicht die Regel.
Dann geht es los, und ich bin aufgeregt. Im Schneckentempo und in Schlangenlinien schippern wir vor allem anfangs durch die Kanäle, der Wasserstand ist trotz ergiebiger Regenfälle in den vergangenen Wochen niedrig und zunehmend ein Problem, berichtet der Bootsführer.
Viel ist zu lesen von einem "fast unberührten Regenwald", was aber so nicht stimmt. Gegen 1940 wurde in Tortuguero ("Platz, an den die Schildkröten kommen") mit dem Abholzen des tropischen Regenwaldes begonnen, die Flussarme wurden zu Kanälen ausgebaut, um den Rohstoff leichter Abtransportieren zu können. Die Vegetation entlang des Wasser ist dicht und wunderschön, besteht aber überwiegend aus Sekundärwald. Seit Mitte der 1970er-Jahre steht das Gebiet unter Schutz.
Knapp 45 Minuten sind wir bis zu unserer Unterkunft unterwegs, ein erster "Gamedrive" durch eine grüne, stille Wasserlandschaft, die Sonne strahlt vom blauen Himmel und ich kann kaum abwarten, mehr davon zu entdecken. Basilisken, Affen, Kaimane und Vögel, schon nach wenigen Metern bin ich im "Safari-Modus".
Die Pachira Lodge liegt schräg gegenüber vom winzigen Dorf Tortuguero, das wir theoretisch leicht per Wassertaxi erreichen könnten, praktisch aber nicht besuchen werden, direkt an einem der Hauptkanäle und nur wenige Meter vom Eingang des Nationalparks entfernt, den wir auf dem Weg hierher durchquert haben.
Die Anlage ist schön, aber riesig - und offenbar ausgebucht. Ein Welcome-Drink am Pool und nochmals Koffer-Chaos, die Butterfahrt, da ist sie wieder. Im großen, schlichten, aber auch schönen Zimmer in unserem rustikalen Chalet veflüchtigt sich der Eindruck, und wir kommen an. Stille, Vogelgezwitscher und summende Insekten, die Gartenanlage ist herrlich, die Lage direkt am Wasser auch und die Lodgeanlage so großzügig, dass sich die vielen Menschen darauf weit verteilen.
Ingwerblüte
Erst abends beim mittelmäßigen Buffet gibt's wieder großes Palaver. Die Fröhlichkeit der "Ticos", die allesamt als Großfamilie angerückt sind, ist allerdings ansteckend. Und so langsam dämmert selbst mir, warum die Dinge sind, wie sie sind: Am nächsten Tag ist Silvester - und die Einheimischen sind über die Feiertage ins Grüne gefahren. Hätte man natürlich drauf kommen können.
Am 1. Januar ab 10 Uhr wird die Situation jedenfalls schlagartig eine völlig andere sein.
An unserem Ankunftstag im Tortuguero steht nachmittags die erste, im Paket enthaltene Bootsfahrt an. Der Andrang ist nicht so groß wie gedacht, die "Ticos" bleiben mit Kind, Kegel und Tupperdose am Pool.
Perfekte Tarnung
Zwei Neuseeländerinnen, Mutter und Tochter, sitzen mit uns im selben Boot und wir verbringen in den nächsten Tagen viel Zeit miteinander. Einige Wochen später wird uns Rachel (die Tochter) per Whats's App geschockt berichten, dass sie in Christchurch nur 600 Meter von einer Moschee arbeitet und dort Schüsse gehört hat. Im Tortuguero ist aber auch ihre Welt noch in Ordnung und gemeinsam genießen wir die ebenso entspannte wie entspannende Tour durch eine Kulisse wie bei Indiana Jones.
Krächzend fliegen die leuchtend grünen Aras über uns hinweg, in den Bäumen turnen die Affen. Es ist einfach zu schön.