Frühstart im Paradies
Nachts um Vier wackelt das Bett. Ein Erdbeben?! Ich schrecke hoch und erkenne schemenhaft Thomas, der unten am Bettpfosten ruckelt - ich habe mich schon mal deutlich mehr gefreut, ihn zu sehen, als um diese unchristliche Uhrzeit.
Er redet flüsternd auf mich ein, doch ich verstehe kein Wort. Seufzend zerre ich an den Ohrstöpseln. "Was ist los?", zische ich. "Die stehen alle auf", sagt Thomas in etwas ratlosem Ton und zeigt ins Dunkle, an das sich meine Augen nach und nach gewöhnen. Tatsächlich huscht ein großer Teil der jungen Dinger schon geschäftig und dabei erstaunlich leise hin und her.
Thomas hat am Vorabend nach meiner überstürzten Flucht vor den Sandfliegen verabsäumt, mit Chino unsere Startzeit zu vereinbaren und wird nun offenbar von dem Gedanken geplagt, dass wir herrenlos in der Wildnis zurückgelassen werden könnten. Eine Sorge, die ich nicht teile, denn unser junger Guide schlummert bei näherer Betrachtung in stockfinsterer Tropennacht nur ein paar Meter weiter selig in seiner moskitonetzumhüllten Koje.
Thomas, der in der ungewohnten Kulisse ohnehin viel schlechter geschlafen hat als ich, ist dennoch wild entschlossen. Lieber kein Stress nachher, und nun sind wir doch schon mal wach, argumentiert er. Ich hätte andere Argumente, weiß aber auch, da ist nun nix zu machen, und schleppe mich relativ verstimmt in den fies neonbeleuchteten Waschraum. Keine marternden Insektenüberfälle, immerhin, vielleicht auch deshalb, weil sich die Leute um mich herum derart dick mit Repellent eindieseln, dass die Fliegen von den Fliesen kippen.
Weil ich schon abends um Acht im Bett lag, bin ich trotz der frühen Stunde ausgeschlafen. Allerdings auch immer noch mucksch, als sich die Wandergruppe - umweht von einer penetranten Repellent-Fahne - gegen Fünf auf ihren langen Weg quer durch den Corcovado macht. Kein Wunder, dass sie so früh aus den Federn gekrabbelt sind.
Ich beobachte von meinem Schaukelstuhl auf der Holzterrasse, wie sich die Lichtpunkte ihrer Stirnlampen langsam in der Tintenschwärze des Waldes verlieren und dann, wie es langsam dämmert. Es knackt und kracht in den Bäumen, die Brüllaffen kommen und machen Theater. So hatte ich es eigentlich bestellt, denke ich noch immer etwas muffig; muss aber doch zugeben, diese Morgenstimmung so ganz für uns allein, das hat schon was.
Thomas organisiert sich einen Kaffee, die Station erwacht zum Leben und auch der Wald um uns herum.
Die Totenkopfäffchen plündern die Sträucher vor uns, Chino hatte es vorausgesagt, den roten Blüten zum Frühstück können sie nicht widerstehen.
Wir sind schon mitten in unserem ersten Fotorausch des Tages, da stößt unser Guide zu uns: "Ihr seid aber früh dran!" Ich rolle mit den Augen. Na, wenn der wüsste...
Zusammen ziehen wir los, die morgendliche Atmosphäre am Pazifik ist grandios und friedlich nach dem etwas unruhigen Start in den Tag.
Dann plötzlich ist Chino wie vom Donner gerührt. Flüstert, wir sollen nicht weitergehen. Das hier, so sagt er, sei gefährlicher als jede Begegnung mit einem Puma. Aber was denn nur? Bullet Ants? Ich kann keine entdecken. Der Mann spricht in Rätseln.
Chino zeigt auf einen Strauch keine fünf Meter vor mir. Genauer gesagt auf das merkwürdige kleine Ufo an seinen Zweigen. "Milk wasp", wispert er, während wir uns dem kunstvollen Bau auf Zehenspitzen nähern. Die Natur, sie erstaunt mich immer wieder.
Auch eine kleine Echse hat mehr Tricks auf Lager, als wir zunächst denken. Kaum sind wir achtlos an ihr vorbeigegangen, fährt sie wie aus dem Nichts einen großen gelben Lappen (=Kelhfahne) aus. Wer hat, der hat!
Unser Star des Morgens ist ein Ameisenbär, der sich just in dem Moment aus dem dichten Blattwerk herausschält, als wir den schmalen Pfad längsspazieren. Noch leicht verpennt (er durfte wohl etwas länger schlafen als ich) klettert er in ziemlichem Schneckentempo aufwärts.
So ganz trittsicher wirkt er nicht...
Was er dort eigentlich will, man weiß es nicht, denn oben angekommen, ist da - nichts.
Wildtiere wissen instinktiv, was für sie gut ist. Dachte ich jedenfalls. Möglicherweise ein Trugschluss. Wir werden jedenfalls ziemlich nervös, als der Tamandua da oben so freischwebend in der Luft hängt.
Ameisenbären können schlecht gucken, erklärt Chino. Das hilft nicht gerade. Ein paarmal droht das Tier nach vorne überzukippen und abzustürzen, bevor es endlich den Rückwärtsgang einlegt und umständlich wieder hinabklettert.
Erleichtert seufzen wir auf. Was in dem Tamandua vorgeht, bleibt sein Geheimnis. Doch er scheint von dieser scheinbar sinnlosen Aktion so erschöpft zu sein, dass er sich wieder zwischen den dichten Blättern verkriecht - und wie unter einem Tarnumhang verschwindet. It's magic!
Aguti, ziemlich in Eile (mitgezogen)
Zurück an der Sirena Station holen wir unsere Rucksäcke und laufen zum Strand, wo uns gegen Elf ein Boot einsammelt und in Richtung Drake Bay düst. Wir steigen allerdings nach einer Dreiviertelstunde um, von Boot zu Boot, eine ziemlich wackelige Angelegenheit, doch es klappt. Noch eine schnelle Verabschiedung von Chino, mit dem wir sehr gut ausgekommen sind, dann brausen die anderen weiter an der Küste entlang und wir darauf zu. Oberhalb der herrlichen Bucht, auf die wir zuschippern, liegt auf dem Hügel die Corcovado Jungle Lodge. Der Anblick ist atemberaubend.
Das 170 Hektar große private Gelände, das der Besitzer angeblich vor Jahrzehnten als Aussteiger entdeckt und für relativ kleines Geld gekauft hat, grenzt direkt an den Corcovado Nationalpark. Umfasst eigene Strände, eigene Wälder, riesige Gärten, zwei Pools, eine - wenn auch nach einem Beben nicht mehr wirklich zugängliche - Höhle voller Fledermäuse und, und, und...
Per Trecker werden wir vom Strand nach oben zur Lodge gebracht. Ein Service, den wir auch in den nächsten Tagen immer mal wieder in Anspruch nehmen, denn der eine Kilometer ist steil und die schwüle Hitze heftig.
Die Anlage ist ein Traum, geschmackvoll und naturnah, ...
Eine unserer ersten Entdeckungen im Garten neben unserer Cabana: Zwergboa. Mini, aber ausgewachsen.
.. nur beim Abendessen geht es für meinen Geschmack etwas zu gediegen zu. Der Sundowner in der in den Hang gebauten Open-Air-Bar mit Blick hinunter aufs Meer entschädigt für die angedeutete Steifheit beim Dinner, und unser riesiger, luxuriöser, keinesfalls aber protziger Bungalow sowieso.
Drei Nächte dürfen wir in diesem Paradies verbringen. Glücklich breiten wir uns aus, was für ein Unterschied zur vergangenen Nacht! Auch unsere neuen Nachbarn, die uns neugierig von oben betrachten, gefallen uns gut. Hier werden wir es wunderbar aushalten!