Aufs Glatteis geführt
Reisen macht süchtig, das wissen wir alle nur zu gut. Ich bin schon ziemlich lange abhängig, und die Enttäuschungen hielten sich in all den Jahren sehr in Grenzen. Eine der wenigen erlebten wir 2015 auf einer Neuseeland-Rundreise. Da waren wir schon in voller Montur auf dem Weg zum Helikopter, der uns auf dem Fox-Gletscher absetzen sollte, als der Trip wetterbedingt buchstäblich in letzter Sekunde gecancelt wurde - aus der Traum vom Gletscher-Trekking. Ich war daher gleich doppelt froh, dass es auf dem Perito Moreno vergleichbare Touren gibt.
Unsere Wahl fiel auf das "Mini Trekking", quasi die kleine Schwester der "Big Ice Tour", bei der zwar doppelt so lange gewandert wird, die allerdings auch doppelt so viel kostet. Wieder werden wir morgens am Hotel abgeholt, und per Bus geht es in den rund 50 Kilometer entfernten Los Glaciares Nationalpark. Dort fahren wir weitere 20 Kilometer durch einen schönen Wald, in dem ich sogar einen Fuchs erspähe, bis sich uns der erste Blick auf den berühmten Perito Moreno eröffnet.
Das Wetter macht auf Diva, ist launenhaft und unberechenbar, zuweilen aber schön. Der Bus stoppt an einer kleinen Anlegestelle, von hier schippert uns ein Boot über einen Seitenarm des Lago Argentino hinüber zur anderen Seite, wo die Gletscherwanderung startet.
Es ist nur eine kurze Fahrt, aber sie ist spektakulär. Fast auf Tuchfühlung gleiten wir an der Gletscherzunge vorbei und die zerklüfteten Eismassen ragen riesig über uns auf.
Wir laufen zuerst zu einer rustikalen Hütte, denn wir sollen nur das Nötigste mitnehmen und unser Gepäck in den Schließfächern zurücklassen. Ich streife vorsorglich meine Regenhose über und tue gut daran, denn als wir ein kurzes Stück am Strand entlang und durch ein Waldstück wandern, beginnt es zu nieseln.
Am äußersten linken Rand des Gletschers liegt das Perito Moreno Base Camp, wo unsere kleine Gruppe mit Steigeisen ausstaffiert wird.
Im empfinde die sperrigen Dinger nur im ersten Moment als Klotz am Bein, schnell kommen wir gut zurecht. Wie die Lemminge gehen wir in einer langen Linie hintereinander auf den schmalen Gletscherpfaden. Es läuft sich erstaunlich leicht auf dem Eis, und ich kann es kaum abwarten, weiter hinaufzusteigen.
Doch daraus wird so bald nichts, denn eine einzelne Dame legt den Laden völlig lahm. Sie hat nicht nur ganz offensichtlich während der Einweisung die Ohren auf Durchzug gestellt und rutscht nun trotz der Steigeisen immer wieder nach hinten ab, sondern bleibt zudem alle zwei Meter stehen, um sich von ihrem jugendlichen Lover in Gipfelpose ablichten zu lassen.
Vom Fleck sind wir noch nicht gekommen und die nachfolgende Gruppe rückt schon spürbar nah. Ein Hoch auf den Guide, denn er fackelt nicht lange. Er klemmt sich Madame halb unter den Arm und schleift sie regelrecht den Gletscher hoch. Thomas und ich ergreifen zudem weitere Vorsichtsmaßnahmen und lassen uns ganz ans Ende der Gruppe zurückfallen. So können wir im Rahmen des Erlaubten zumindest ein kleines bisschen selbstbestimmt gehen.
Es ist eine leichte Wanderung und - daran habe ich keine Sekunde auch nur den geringsten Zweifel - völlig ungefährlich. Und so können wir uns vollständig auf die zerklüftete Gletscherlandschaft mit tiefen Spalten und kleinen Tümpeln, in denen sich knallblaues Wasser gesammelt hat, konzentrieren.
Um uns herum schimmert es weiß, türkis und blau, es ist eine bizarre Kulisse mit von der Natur modellierten Eisskulpturen. Einfach toll! Längst hat die Sonne den Regen abgelöst.
Die Zeit vergeht wie im Flug, schließlich steigen wir nach etwas mehr als einer Stunde zu einer improvisierten Bar hinab, wo (laut Thomas nicht besonders guter) Whiskey mit Gletschereis auf uns wartet. Das von meiner Oma zeitlebens hochgeschätzte vormittägliche "gute Tröpfchen für den Kreislauf" erzielt bei mir allerdings seit jeher das genaue Gegenteil und so verzichte ich in Anbetracht der frühen Stunde dankend.
Zurück am Camp geben wir unsere Steigeisen ab und laufen gemächlich durch den Wald zurück zur Hütte.
Dort brennt nun im offenen Kamin ein Feuer, an dem wir unsere durchfeuchteten Sachen trocknen, es ist urgemütlich. Zwei Französinnen gesellen sich zu uns, die eine hat Geburtstag und packt standesgemäß eine Flasche Schampus aus. Schon wieder so ein früher Tropfen, also diese Franzosen, sie haben schon irgendwie Stil...
Nach einer ausgiebigen Pause geht es zurück aufs Boot ...
... und schließlich per Bus zu einem sechs Kilometer entfernten Parkplatz. Hier ist es ziemlich trubelig, denn wir sind ganz in der Nähe der Gletscherbalkone. Von (barrierefreien) Wegen und Aussichtsplattformen bietet sich aus verschiedensten Perspektiven ein fantastischer Blick auf den Perito Moreno, der allerdings an diesem Tag im hinteren Bereich ziemlich verhangen ist.
Der Perito Moreno ist weder der größte noch der höchste Gletscher Patagoniens, aber dennoch der bekannteste. Denn er ist nicht nur schön und extrem leicht zugänglich, sondern auch einer der wenigen Gletscher der Erde, der nicht schrumpft. Regelmäßig "kalbt" er in den Lago Argentino, und die uns vom Guide vorgegebene Stunde ist schon beinahe um, da werden wir Zeuge dieses imposanten Naturspektakels: abgebrochene Eismassen, groß wie ein Häuserblock, stürzen unter lautem Getöse ins Wasser.
Wir sind froh, auch diesmal wieder großzügig geplant zu haben, denn am nächsten Tag werden wir auf eigene Faust noch einmal wiederkommen. Mit eigenem Auto, ganz viel Zeit und ohne großen Plan. Es ist unser "Bonustag" in El Calafate. Wir nehmen's, wie's kommt - und auf jeden Fall gelassen.