10.1., Teil II: Into the Wild
Die Strecke vom Amboseli Nationalpark zum Tsavo West gefällt uns richtig gut. Vor allem, weil die Landschaft nicht hinter dem Gate urplötzlich ihr Gesicht ändert, sondern ursprünglich und naturnah bleibt. Kein Asphalt, keine Menschenmassen, kaum Infrastruktur. Natürlich treffen wir viele Massai und ihr Vieh, aber auch Zebras und Giraffen. Und auch der mit 5.895 m höchste Berg Afrikas bleibt ein ständiger Begleiter. Die rund 130 Kilometer zum nächsten Ziel, für die wir rund drei Stunden brauchen, vergehen wie im Flug.
Wir bewundern aus der Ferne die Chyulu Hills mit den vielen grasbewachsenen Vulkanbergen, die bestimmt einen Besuch wert sind, aber zumindest nicht diesmal Teil unseres Plans, und fahren schließlich über das Chyulu Gate in den mit 9.000 km² riesigen Nationalpark hinein.
Nur wenige Kilometer hinter dem Gate erreichen wir den Shetani (=Teufel) Lava Flow. Weil diese Reise relativ kurzfristig entstand, hatte ich mich im Vorfeld kaum mit den Gegebenheiten in den einzelnen Parks befasst. Umso begeisterter sind wir nun vom ungewöhnlichen Anblick des 200 Jahre alten erstarrten Lavastroms, der die üppig grüne Landschaft wie ein schwarzes Band durchzieht.
Wir dürfen aussteigen und sind völlig gefangen von der Mondlandschaft, die - von der Hitze abgesehen - eher an Island erinnert als an Afrika. Schnell steht fest: Wir wollen noch einmal wiederkommen. Morgens und mit mehr Zeit. "Really? It's far", bemerkt Livingstone, freut sich aber, dass wir uns so freuen.
Kurz hinter dem Lavastrom wird der Busch dichter. Hier Tiere zu entdecken, könnte schwierig werden. Wir wissen das und genießen umso mehr jede Sichtung in diesem fantastischen Setting.
Livingstone ist im Tsavo West ganz anders gefordert als im Amboseli oder erst recht in der Mara, wo die Fahrer (wenn sie wollen) perfekt miteinander vernetzt sind. Schon aufgrund der schieren Größe ist er auf sich gestellt. Spuren lesen, die Gewohnheiten der Tiere kennen und die richtigen Schlüsse ziehen - darauf kommt es nun an. Es sind Herausforderungen, die ihm zu gefallen scheinen. Und uns auch. Ein Hauch von Abenteuer umweht unser Auto.
Erst recht, als wir auf halber Strecke zum Camp Gesellschaft bekommen. Livingstone hatte uns bereits am Gate vor den Elefanten im Tsavo West gewarnt; einstmals bejagt und im wilden Tsavo zuhause, sind sie nicht unbedingt auf Kuschelkurs. Und so peilt unser Guide erst einmal vorsichtig die Lage, als wir den ersten Giganten in einiger Entfernung entdecken.
Er tut gut daran. Denn plötzlich entdeckt uns der Elefant - und sprintet los. Wie schnell er ist! Und wie sauer! Ich bin fasziniert. Aber auch starr vor Schreck.
Livingstone nicht. Zum Glück. Er macht kehrt und gibt Gas. Vollgas. Der rasende Elefant bleibt dran, mit wehenden Ohren und erhobenem Rüssel. Man, ist der schlecht drauf. "Is he still there?", fragt Livingstone ein paarmal und ich bejahe. "Oh my Gooood!" Wir fliegen dahin, der Elefant hinterher. Das kannte ich bislang nur im Film. Nun ist es Realität. Wenn auch surreal.
Nach einer gefühlten Ewigkeit lässt der Elefant von uns ab. Endlich. Livingstone dreht sich lachend um: "I told you!" Kann man wohl sagen. Was für ein Erlebnis. Bloß gut, so überlege ich laut, dass die "man-eating lions of tsavo" schon lange tot sind. "But not their relevants...", meint Livingstone vielsagend und zwinkert. Na schönen Dank.
So ganz ist der zornige Eli noch nicht fertig. Rast im Eiltempo zurück und scheucht mit seinen XXL-Stoßzähnen eine Horde Paviane auf die Bäume, ehe er schließlich im Busch verschwindet und den Weg für uns frei macht. Der Schreck bleibt. Hinter jeder Kurve wittere ich in den nächsten Tagen Gefahr. Wenigstens ein bisschen.
Am Mittag kommen wir ungeschoren im Severin Safari Camp an, wo wir die nächsten drei Nächte verbringen werden, beziehen ein großzügiges Zelt und drehen noch eine kleine Runde. Das Gras steht hoch und gibt der Landschaft einen eigenen Reiz. Die Regenzeit war wohl auch hier ergiebig.
Am Abend gibt es an einem der drei Wasserlöcher im Camp Besuch von Büffeln und Antilopen, eine friedliche Stimmung mit Buschkonzert. Ich sitze am Feuer und sauge die Atmosphäre auf. Genieße die Wildnis, das Gefühl von Freiheit und Einsamkeit, das längst keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Noch nicht einmal im afrikanischen Busch.