Tag 5
Im Morgengrauen pellten wir uns aus den Federn. Die Nacht war etwas weniger kühl als jene zuvor, doch ohne den als Bettdecke umdesignten, aufgezogenen Schlafsack ging es nicht. Die Bialetti wurden aufs Gasfeuer verfrachtet und, während die Kaffeeessenz sich durch deren Aluminiumvorrichtung durchpresste, brachten wir unser mobiles Wohn-, Aufbewahrungs- und Schlafgemach auf Vordermann. Zügig rollten wir nach dem Kaffeegenuß vom Acker. Heutiges Ziel war die White Lady Lodge am Brandberg. Alles in allem eine überschaubare Strecke. Kurz bevor wir in Hentie’s Bay waren, bogen wir links auf die asphaltierte C35 ab. Die Bauweise der Straße entzückte den gestrigen Fahrzeuglenker, konnte er doch so rascher der Mondmarsvenuslandschaft den Rücken kehren; alles im Wissen, daß ab den Bergen in der weiten Ferne die Welt für ihn interessanter aussehen würde. Das Glück war ihm nur kurz hold, denn nach wenigen Kilometern transformierte sich das dunkle Bitumenband in eine längere Baustelle und wir mußten links davon mit reduzierter Geschwindigkeit auf Gravel fahren. Das war es dann mit „Mal schnell entkommen“. Ich kicherte mir innerlich hinter dem Lenker sitzend einen Wolf und genoß, so wie am Tag zuvor, diese Einöde. In Uis machten wir im Cactus & Coffee Spätfrühstückeinkehrschwung. Die Außentemperatur war really hot und umso mehr freute ich mich auf ein Kaltgetränk und, da der Magen mittlerweile geräuschvoll aufbegehrte, deftige Kost. I love Iced Coffee und was lag es näher, diesen zu bestellen, befand er sich doch auf der Karte des Lokals; dazu ein warmer Wrap (so wurde das Ding, glaube ich, auf der Menükarte bezeichnet) mit Käsefüllung. Die Bestellungen wurden aufgenommen und somit war Zeit, sich des Etablissements Pflanzenvielfalt zu widmen. Sehr, sehr schön.
Derweil brachte die junge Frau die Getränke zu unserem schattigen Outdoorgartentisch. Schon als ich mich dem letzteren aus der Ferne näherte, machte ich im Geiste ein dickes Häkchen an meine Liste der Enttäuschungen. Vor mir präsentierte sich ein blasser, kaum hellbeigefarbener Eiskaffee wie in altmodischen deutschen Eisdielen mit einfältigen italienischen Namen üblich. In der Mitte des Glases vermutete ich, richtigerweise, wie sich herausstellte, Vanilleeis. Alles getoppt mit einer Sahnehaube und… Der Knaller: Eine Schokoladenmokkabohne. Genervt nippte ich an diesem Mix und suchte vergeblich etwas Kaffeegeschmack zu eruieren. Aber alles Schnauben und Grollen half ja nix. Ich tröstete mich damit, daß gleich eine mit geschmolzenem Käse gefüllte Weizenteigtasche ihr Debüt vor mir absolvieren und meine Laune heben würde. Aber auch dieses, von mir vorschnell inszenierte Trostpflaster löste sich in Schall und Rauch auf. Von Wegen dahinschmelzender Cheese… Das lauwarm gerollte Etwas war mit Käseraspeln gefüllt, die sich bei der dem Wrap quantitativ minderbemittelten zuteilkommenden Zubereitungszeit und -hitze nicht in ein sich ziehendes Etwas verwandelten – nein, die Käsekrümel waren so, wie der Koch sie aus der dem Kühlschrank entnommenen Tütenverpackung in die Mehlteigrolle gestreut hatte: Fest und kalt. Trotz, daß mir die Pflanzen das Herz aufgehen ließen und ich gerne das eine oder andere weitere Minütchen Zeit mit Florabewundern verbracht hätte, nee. Meine Enttäuschung erreichte einen Level, der dazu geeignet war, mich geradeweg auf kerniges Krawallbürsten zu bringen. Auf der noch restlich verbleibenden Fahrtstrecke zur White Lady Lodge fragte ich mich, wie es möglich ist, einen Iced Cofffee so zu verhunzen. Der Begriff kann doch nicht fehlinterpretiert werden – oder? Iced Coffee. Das ist, wörtlich übersetzt, ein geeister, na gut… eisgekühlter Kaffee oder ein Kaffee mit Eis(würfeln). Aber doch kein braunes Brühchen garniert mit Ice Cream plus Cream plus Schokomokkabohne. Das wäre ja dann ein Eiskaffee wie man ihn zwar in Deutschland aber nicht in Italien vorfinden kann. Kaffee also mit Eis im Sinne von Speiseeis oder jenes in Kaffee getränkt und zuzüglich Schlagsahne obendrauf. Egal jetzt – ich war so ziemlich genervt.
Meine Wogen glätteten sich jedoch bei unserer Ankunft auf der White Lady Lodge. Das Einchecken war rasch über die Bühne gebracht und wir durften uns eine Campsite aussuchen. Wir wählten unter den vielen freien Stellplätzen einen großzügig zugeschnittenen, parkten uns dort ab, öffneten des Bushlapas Dach- und Seitenzelt und gaben meinem Drang nach, uns umgehend zum Swimming Pool zu begeben.
Zwar hatten wir an der Reception nach einem Afternoon-Drive im Ugab Riverbed zum Elefantentracking nachgefragt, doch dieses wurde aufgrund der Trockenheit sich nicht in der Nähe befindlichen Dickhäuter zur Zeit nicht angeboten. Darum waren wir im Grunde auch nicht böse, denn uns stand bei der Mordshitze eher der Kopf nach Sprüngen ins kühle Naß. Trotz magerer Nahrungsmittelaufnahme meinerseits an diesem Vormittag, war mir der Hunger aufgrund meines vorgenannten Cactus & Coffee-Desasters vergangen. Zwei alkoholfreie Bier mit Grapefruitgeschmack sollten reichen, mich über den Mittag und Nachmittag zu bringen. Bevor diese jedoch prickelnd meinen Rachen runterrauschten, ereignete sich ein kleines, aber deswegen nicht minder zu bewertendes, unschönes Ereignis. Im Outdoorspa-Bereich angekommen fanden wir noch zwei freie Liegen unter einem Schattendach vor. Die beiden anderen Pritschen unter dem Holzverschlag waren von zwei eher blaßfarbene Damen, taxiert knapp unterhalb des gemeinhin bekannten Mittleren Alters, okkupiert. Die eine, spargeldürr und mit spitzer Nase, widmete sich ausgiebigst ihrem Smartphone. Die andere, körperlich etwas mehr im Fleisch stehend, aber nicht übermäßig, erwiderte meine Frage nach Verfügbarkeit der beiden weiteren Liegen mit einem akzentfreien deutschen „Ja doch“. Kaum hatte ich meine Siebensachen auf die zum Schattensonnenbad als frei deklarierte Holzetagere gelegt, drückte mir die smartphonecleane der beiden ein Gespräch auf die Backe. Jetzt bezeichne ich mich selbst ja ab und zu als eloquentes Arschloch, doch so schnell von null auf 100 – meine Fresse, das hatte das Zeug, um in einer RTL oder Pro-Sieben-Show zu landen. So erfuhr ich u. a., daß das Dämchen die vierte Generation von Deutschen in Namibia repräsentierte. Es folgte im Verlauf dann die Erzählung ihrer Familienhistorie und die ihres letzten Aufenthaltes in damals Covid-Deutschland. Die Ausführungen letzteres betreffend gipfelten dann in der Aussage, daß sie es ja gar nicht verstehen könnte, warum „Ihr“ in Deutschland Hinz und Kunz ins Land laßt und deshalb „Ihr“ „Euch“ auch nicht wundern braucht, wenn da so mach Schurke und Sozialschmarotzer darunter ist, der, anstatt froh über die Möglichkeit eines eigenen wirtschaftlichen Aufschwunges in Self-made-Manier zu sein, lieber den Gott einen guten Mann sein und „Euch“ dafür zahlen läßt. Ja, so etwas wäre auf alle Fälle hier nicht möglich; ebenso wie „Eure“ Hysterie und Wegsperrmanie während der Pandemie, die dazu beitrug, daß sie rasch wieder zurück nach Namibia kehrte. Smalltalk tut ja auch in den eigenen Ferien immer gut, doch auf solch reaktionäres Geplänkel bin ich ebenso allergisch, egal ob im oder nicht im Urlaub, wie auf einen mir als Iced Coffee angedrehten Eiskaffee. Bevor ich wieder auf der Krawallbürstenbereitschaftsebene vom späten Vormittag ankommen und vermutlich ungalant werden konnte, drehte ich mich auf den abgelatschten Gummiabsätzen meiner noch ausgelatschteren Birkenstockschuhe um und steuerte ein alternative Liegemöglichkeit im Schatten, die sich just in jenem Moment auftat, an. Eigentlich stand mir nach solch einem Auftritt der Kopf weniger nach Nullpromillebier als vielmehr nach hochprozentigem Destillat in jeder Geschmacksrichtung. Selbstredend vermied ich es im Verlauf des Nachmittages tunlichst, in nur irgendeiner Weise auch nur den geringsten Blickkontakt mit dem Deutsch-Südwest-Girl aufzunehmen. Noch so eine Story und der Tag wäre komplett gelaufen gewesen. Aber das Abkühlen im Pool und das Dösen unter dem Ausweichholzbaldachin gaben ihr Bestes, dann doch noch einen relaxten Nachmittag zu garantieren. Bevor wir ein Feierabendsavanna, dieses Mal mit % ausgestattet, auf unserer Campsite zischen ließen, inspizierten wir noch das Campingareal in schönem Spätnachmittagslicht. Am Rande des Ugab fanden wir zwei sogenannte Elephantenbrunnen vor, die verhindern sollen, daß die grauen Dickhäuter auf die Campsites kommen und sich dort an Wasserhähnen austoben oder sich die Ablutionblocks zum Durststillen vorknöpfen.
Während die gut gekühlten Savanna-Flaschen Kondenswassertropfen ansetzten, wurde ordentlich Feuer gemacht, anschließend ein weiteres Vakuumfleischpaket gezückt und dessen Bratresultat dann mit einer großen Portion Griechischem Salat mit Feta verspeist. Obwohl wir seit gefühlt einem Jahrhundert uns immer wieder konstatieren, wie a) schrecklich trocken der südafrikanische Schafsmilchkäse und b) dazu noch teuer ist, kommen wir nie umhin, bei Spar, Shoprite & Kollegen keinen großen Bogen um die runden Kunststoffdosen zu machen. Immer wieder landet die eine oder andere Feta-Packung in unserem Einkaufswagen. Vermutlich gehört unser Lamento bezüglich der fehlenden Fetacremigkeit ebenso zu unserem Afrika-Trip wie dutzende Packungen von übersüßen Nuttikrustkeksen, Glover Krush Mangofruchtsaft aus der Kühltheke, die Halbliterflaschen Savanna und das obligatorische kaputte, rohe Ei aufgrund der Rüttelpisten und/oder der zahlreichen Potholes auf den Asphaltstraßen. Mit vollem Bauch und ohne die sprichwörtlichen 1000 Schritte sollst Du gehen kraxelten wir in unser Hochparterreseitenbett und schickten uns an, die Buchseiten zu wiederholen, die wir am gestrigen Abend zwar gelesen, doch aufgrund Müdigkeit nicht sinnentnehmend zu uns genommen hatten. Und ganz nebenbei... Wer will bei einem Thriller denn nicht wissen, wer das nächste Serialkilleropfer war…?!?