Am späten Nachmittag erreichen wir Debre Berhan. Nachdem die bis 1974 in Äthiopien herrschende salomonische Dynastie (die sich auf die alten axumitische Könige berief) im Jahr 1270 der Zwage-Dynastie (Lalibela) die Macht entrissen hatte, wurde Debre Berhan unter dem neuen König Yakunno Amlak (1270-85) zur ersten Hauptstadt dieser Herrscherlinie. Die nächsten 300 Jahre bevorzugten es die salomonischen Herrschen dann allerdings, keine feste Residenzstadt zu haben, sondern wie unsere mittelalterlichen Kaiser von Pfalz zu Pfalz zu ziehen. Ein riesiger Hofstaat zog mit und so wurden die Regierungsgeschäfte jeweils direkt vor Ort erledigt. Erst Kaiser Fasilidas (1632-1667) baute dann in Gondar eine neue, ständige Hauptstadt. Aber dazu jeweils mehr, wenn wir auf unserer weiteren Reise Lalibela, Axum und Gondar erreichen werden.
Am Stadtrand kommen wir auch an den hier ansässigen Brauereien Habesha und Dashen vorbei.
Beim Hotel Getva direkt an der Hauptstraße bauen wir auf. Das Hotel gehört der bekannten Läuferin Gete Wami. Sie war Weltmeisterin und zweifache Medaillengewinnerin bei Olympia. Von ihren Preisgeldern hat sie das Hotel für ihre Familie gebaut.
Da wir etwas Zeit haben und heute ja ein kirchlicher Feiertag ist, laufen wir noch ein Stück durch die Stadt zu Kirche des Lichts Debre Birhan Selassie. Laut der Überlieferung soll der Kaiser Zara Yaqob an der Stelle ein übernatürliches Licht gesehen haben und daraufhin den Bau der Kirche angeordnet haben. Historiker vermuten, das dies 1456 stattfand und der Kaiser den Hally´schen Kometen gesehen hat.
Auf dem Weg dorthin sehen wir bereits viele Menschen in weißen Festtagsgewändern (Netala). Vor dem Gelände der Kirche halten wir wieder einen Moment. Wir sehen, das die Frauen rechts durch ein Tor auf das Gelände gehen, Männer links. Wir machen es genauso. Niemand hindert uns. Ich laufe bis vor zur Kirche. Hier sind Stühle aufgestellt. Viele junge Männer sitzen hier und beobachten mich etwas skeptisch, wie mir scheint. Nach einiger Zeit kommt ein alter Würdenträger aus einer Seitentür der Kirche und läuft quer über den Platz nahe an mir vorbei. Ich grüße ihn mit erhobener Hand und „Salam“. Er spricht mich sofort auf englisch an, fragt wie es mir geht. Ich frage ihn, ob es in Ordnung ist, wenn ich hier stehe. Er bejaht dies. Natürlich, gar kein Problem. Ich zeige auf meine Kamera, ob ich ein Foto der Kirche machen dürfe. Aber ja, meint er, ich könne sehr gerne hier fotografieren. Er verabschiedet sich von mir und geht weiter. Da die jungen Männer alle gesehen haben, wie der Würdenträger mit mir gesprochen hat und meine Anwesenheit legitimiert hat, beobachten sie mich jetzt auch nicht mehr. Jedenfalls kommt es mir so vor. Ich mache dezent 1-2 Fotos der Kirche, um die Andacht der Gläubigen , die zumeist im gartenartigen Kirchengelände hinter mir stehen, nicht zu stören.
Ich laufe ein Stück weiter, treffe dort meine Frau, welche die Kirche umrundet hat und möchte aus dieser Position noch ein Foto machen. Sofort ist ein ungepflegter Mann mit fanatischem Blick, (der kein Festtagsgewand trägt), zur Stelle und bedeutet mir, keine Fotos zu machen.
Ich lasse es. Mit solchen Menschen kann man nicht reden. Später erzählt mir meine Frau, das dieser wohl selbsternannter „Religionswächter“ ihr bereits argwöhnisch um die gesamte Kirche gefolgt ist.
Innerhalb kürzester Zeit erlebe ich hier also die die beiden Extreme des Glaubens:
Zum einen die menschenfreundliche Toleranz, ja Nächstenliebe des alten Würdenträgers, der Verständnis und Nachsicht mit mir neugierigen Touristen hat. Und dann die extreme Intoleranz des selbsternannten Religionswächters.
Wir laufen zügig zurück, da erneut dunkle Wolken aufziehen. Es regnet wieder die ganze Nacht.
Was wir während der Reise noch nicht ahnen: Es handelt sich bei den ungewöhnlichen Regenfällen möglicherweise um die ersten Vorboten eines besonders starken "Indischen Ozean Dipol", das Gegenstück zum El Nino im Pazifik.
Diese Wetteranomalie sorgt durch ungewöhnlich kaltes Wasser vor Australien für eine langanhaltende Trockenheit, was dort zu den starken Bränden geführt hat.
Vor Ostafrika dagegen führt ungewöhnlich warmes Wasser zu verstärkten Regenfällen - und diese Regenfälle haben dort mittlerweile eine riesige Heuschreckenplage in Äthiopien, Somalia, Tansania, Uganda ausgelöst. Die sich leider nach verstärken könnte, wenn dort im März die regulären Regenfälle beginnen.
Die Menschen dort treffen diese durch den Klimawandel verstärkten natürlichen Phänomene mal wieder besonders hart.
Indischer Ozean Dipol:
www.dwd.de/DE/wetter...tages/2020/1/13.html
Heuschreckenplage in Ostafrika:
www.msn.com/de-de/na...2ULf?ocid=spartanntp
www.sueddeutsche.de/...020-afrika-1.4784106
Nachtrag im Jahr 2021:
Einer Beobachtung habe ich damals keinerlei Bedeutung beigemessen.
Unser Rotel stand in dieser Nacht im Garten des Hotels direkt an der Hauptstraße nach Norden. Ich bin mehrmals in der Nacht aufgewacht durch das Brummen einer langen Kolonne von Militärtransportern russischer Bauart der äthiopischen Armee. Das äthiopische Militär verlagerte anscheinend in dieser Nacht Militäreinheiten.
Was mich im Halbschlaf wunderte: Warum fahren die nach Norden Richtung Tigray ?
Im Süden um Harar rumort es doch gerade im Gebiet der Oromo ??
Mittlerweile wissen wir, was in der Region Tigray seither geschehen ist. Es herrscht Krieg.
Die andauernden Gebete der Priester für Frieden haben nichts bewirkt. Leider.
Ob diese Militärbewegungen damals schon Vorboten des Kommenden waren oder einfach "normale" Militärbewegungen im Land kann ich natürlich nicht sagen.
Dennoch ist mir dies sofort wieder eingefallen, als die ersten Nachrichten vom Einmarsch der äthiopischen Armee in die Region Tigray mit den damit verbundenen Kämpfen bei uns ankamen.