Nun führt unsere Reise in den Ostafrikanischen Graben hinab auf etwa 1.600 Meter. Am Grabenbruch halten wir an einer Stelle mit Obsidianvorkommen. Ein kleines scharfes Steinchen verirrt sich dabei auch in unsere Tasche.
Wir erreichen Ziway am gleichnamigen See und bauen unser Rotel im Hof des Hotel Bethelhem auf. Die Anlage ist sehr gepflegt und sauber. Außerdem liegt sie nur wenige Meter vom See entfernt.
Unsere Reiseleiterin ruft uns zusammen. Wir müssen etwas besprechen.
Vor einige Tagen haben Moslems in Harar eine christliche Kirche angezündet. Die Region ist zur Zeit sehr unruhig. Der lange schwelende Konflikt zwischen den Oromo und Amharen bricht immer wieder aus. Wir erfahren, das dies wohl nicht immer so war. Früher fühlten sich alle Einwohner Äthiopiens als Äthiopier. Noch unter dem diktatorischen und grausamen Mengisto-Regime von 1977 bis 1991 wurde die Einheit der Äthiopier betont. So spielte es wohl in der Bevölkerung keine entscheidende Rolle, wer Oromo, Amhare oder von sonstiger Ethnie war. Auf unseren Fahrten durch Äthiopien haben wir in allen Regionen auch dieses Mit- und Nebeneinander der verschiedenen Ethnien erlebt: In Gebieten der Oromo gab es neben Moscheen auch immer christliche Kirchen. Und in den Gebieten der Amharen und Tigray neben Kirchen auch immer Moscheen.
Aber unter Meles Zenawi ab 1995 bis 2012 wurde die regionale Identität der Ethnien in den Vordergrund gestellt. 1998 wurden die Verwaltungsregionen neu nach ethnischen Gruppen aufgeteilt. Was angesichts der oben erwähnten Vermischung der Bevölkerungsgruppen in allen Landesteilen natürlich schwierig war und für Konflikte sorgen sollte. Es entstanden die Regionen Oromia, Amharta, Tigray, Somali, Afar und drei weitere Regionen, welche die kleineren Ethnien zusammenfassen. Die Regionen erhielten größere Befugnisse. Unter anderem auch jeweils eine regionale Polizeitruppe aufzustellen. Heute fühle sich kaum noch jemand in erster Linie als Äthiopier. Viele identifizieren sich jetzt anscheinend zuerst mit ihrer Ethnie.
Traditionell waren die im Norden lebenden christlichen Amharen und Tigray die wichtigsten und somit staatstragenden Volksgruppen in Äthiopien. Entsprechend fühlen sich die Oromo als zweitgrößte Volksgruppe bis heute benachteiligt. Zumal die Oromo historisch gesehen erst spät endgültig ins äthiopische Herrschaftsgebiet integriert wurden und vorher sowohl von amharischen Christen, aber auch vom südlichen Königreich Kaffa bis ins 19. Jahrhundert als Sklaven gefangen und verkauft wurden.
Aktuell hat Äthiopien mit Abiy Ahmed jetzt zwar erstmals einen Oromo als Ministerpräsidenten (der für seinen Friedensschluss mit Eritrea den Friedensnobelpreis erhielt), aber bei den Oromo gärt es immer noch. Der Internetaktivist und Regierungskritiker Jawar Mohammed, ebenfalls ein Oromo, half Abiy Ahmed ursprünglich an die Macht. Mittlerweile haben die beiden Männer sich aber entzweit und der radikalmuslimische, von Saudi-Arabien unterstützte Jawar Mohammed kritisiert jetzt auch die aktuelle Regierung. Zunehmend erhält der bisher eher ethnisch begründete Konflikt zwischen Oromo, Amharen und Tigray jetzt auch noch eine immer stärkere religiöse Dimension. Die Oromo sind Musline, die Amharen und Tigray orthodoxe Christen.
Heute betrachten viele Äthiopier das brutale Mengisto-Regime aufgrund der damals herrschenden nationalen Einheit sogar wieder in einem positiven Licht. In Diktaturen werden eben neben den freiheitlichen auch die radikalen Kräfte unterdrückt und an ihrer Entfaltung gehindert. Bei vielen Menschen herrscht große Angst vor einem Krieg. In der Woche vor unserer Ankunft haben Priester in allen orthodoxen Kirchen in Äthiopien 7 Tage lang rund um die Uhr für den Frieden gebetet. Und diese Gebete wurden auch rund um die Uhr wie üblich per Lautsprecher nach draußen in die Orte übertragen.
Wir wussten schon, das Äthiopien mit über 80 unterschiedlichen ethnischen Volksgruppen eine der komplexesten und vielfältigsten Staaten Afrikas ist. Das wir uns aber nun so intensiv mit dieser Tatsache auseinandersetzen müssen, hätten wir nicht geahnt.
Jetzt ist es jedenfalls so, dass vom Militär alle Straßen nach Harar gesperrt wurden und der Notstand in der Region ausgerufen wurde. Wir können also morgen nicht nach Osten Richtung Harar aufbrechen. Das gesamte Programm unserer ersten Reisewoche ist somit hinfällig.
Unsere Reiseleiterin schlägt vor, am nächsten Tag in einer gewaltigen Fahretappe ca. 370 Kilometer nach Süden bis Arba Minch zu fahren. Raus aus dem Gebiet der Oromo. Was bleibt uns auch anders übrig ?
Bei Abendessen im Hotel lernen wir erstmals Injera kennen. Es handelt sich um ein weiches, säuerliches und schwammartiges Fladenbrot, welches aus der glutenfreiem Hirseart Teff, oft unter Zugabe des ertragreicheren Sorghum, hergestellt wird und bei kaum einer äthiopischen Mahlzeit fehlen darf. Einigen schmeckt es nicht so, aber wir mögen es.