THEMA: comme les gagas - eine Reise mit KINDERN
25 Sep 2012 18:57 #255526
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11.07.12 Fahrt von Tana nach Antsirabe

Bereits am Morgen in aller Frühe, es ist bestimmt noch vor dem Mittag, müssen wir unsere sieben Sachen (es sind deren 4 Koffern) wieder bepacken und unsere Herberge verlassen. Vorab geniessen wir aber noch ein wunderbares Petit déjeuer mit allem Drum und Dran: Confiture, Parisette und Spiegelei, im tropischen Garten des Hotelrestaurant.

Autsch! War das eine Nacht… ich liebe ja eigentlich harte Betten... aber in dieser Nacht hat da nicht nur meine Seele geschlafen, nein auch jedes einzelne Glied an meinem Körper! Bloss diese lassen sich nicht so leicht wieder aus ihrem Tiefschlaf erwecken. Also wage ich mich anfänglich kaum zu rühren, ohne gleich vor Schmerzen abzujammern. Harte Betten in Ehren, aber jenes hat einen Härtegrad zu viel abbekommen.

Da ist ja noch das Geld! Wir müssten noch ein Paar von diesen "Ariaris" haben, mit denen man sich hier den Alltag bestreitet. Für Claude ist das kein Problem, er hat bereits einen "Geldboten" ins Hotel bestellt, um das Geschäft im stillen ungestörten Kämmerlein abzuwickeln. Der Kurs liegt bei 3 Euro 20. Sprich, ungefähr 4 Franken für 10'000 jener Ariaris. So wechsle ich vorderhand mal 800 Euros. Tja, das ergibt dann nach der "Milchbüechli - Rechnung", runde zweieinhalb Millionen Ariaris... lieber Leser, meine Augen hättest du sehen sollen, als ich mein Portemonnaie bereithalte, der Bote einen grossen Koffer voller Geld herbei schiebt und mir mehrere Bündel abgezählter Banknoten überreicht! Ich weiss nicht mehr so genau, wo und wie wir uns gegenseitig das viele Geld reinschieben, aber urplötzlich ist PE zum vierten mal schwanger und meine Proportionen ähneln eher jenen eines Vielbierkonsumenten. Aber: Juhui... jetzt haben wir's doch noch geschafft, wir sind Millionarios!



Unbestellte Reisfelder mit Tanarive im Hintergrund

Die Fahrt mit einem nigelnagelneuen Toyota Landcruiser führt uns durch die verstopften, durchlöcherten Strassen von Tanarive (Antananarivo), raus auf die mit Reisterrassen gesäumte Landstrasse RN7 in Richtung Antsirabe. Immer wieder durchbrechen wunderschön geschmückte, farbenfrohe Früchte- und Gemüsestände das einheitliche Landschaftsbild. Ab und an gönnen wir uns einen grossen Bund Bananen für 1'000 Ariaris (ca. 40 Rappen).
In der südlichen Hemisphäre ist es während unserer Anwesenheit Winter. Alle laufen sie mit dicken Daunenjacken und wärmenden Kappen aus der europäischen Kleidersammlung herum. Logisch, denn schliesslich liegt die Temperatur nur knapp über 20 Grad, und nachts sinkt sie gar unter die 15 Grad Marke. Die Reisfelder sind noch kahl, nur ab und zu sehen wir einen Bauern beim Umgraben oder es wird ein Zebu-Ochse durch den Match getrieben, der so seinerseits eigentlich dasselbe tut wie der Bauer, umgraben eben. Wer nicht das Feld bestellt, der versucht den restlichen Lehm aus dem Sumpf der Terrassen zu heben. Aus diesem Lehm werden dann, mit Hilfe einer grossen Holzverschwendung in einer Art aufgetürmten Meiler, Ziegelsteine gebacken. Schöne rote, von Hand geformte Bauklötze, die aber leider nur selten ihr Geld wert sind.





Über das Mittagessen brauch ich nicht grosse Lettern zu vergeuden. Essen ist nicht wirklich die grosse Stärke der madagassischen Kultur: Es gibt Reis oder Reis mit Fisch oder noch Maniok mit etwas Knochenfleisch, vielleicht noch Huhn und Bohnen. Alles andere sind Ideen aus dem westlichen Ausland, die zu kochen dann aber meisst in Meisterwerke der an Unmöglichkeit grenzenden Gerichte gipfeln. Nun gut, unsere Kinder sind von ihrer Natur her gegenüber fremd Aussehendem, nicht aus der mütterlichen Küche stammenden Essen, sehr zurückhaltend. So müssen die Köche meist noch Omeletten oder Spaghettis in die Pfanne hauen. Einheimisches bleibt in ihren Gaumen hängen und muss anderweitig entsorgt werden. Da nützen oft auch strenge, erzieherische Worte wenig. Und wenn ich ganz ehrlich bin…
Also, nach diesem eher flüssigen (weil Süssgetränk und Fruchtsalat) Mittagslunch besuchen wir in einem kleinen Örtchen namens Ambatolampy eine Alupfannengiesserei. Gusspfannen aus Aluminium, für eine doch eher minderbemittelte Käuferschaft.



Restaurantküche mit besagten Aluminiumtöpfen

Mit einfachsten Mitteln und natürlich Barfuss schmelzen die Frauen, Männer und Kinder des Dorfes alles was aus Alu ist oder irgendwie wie Aluminium aussieht, in kleinen Schmelztiegeln ein, formen aus Lavasand ein "Pfannennegativ" und giessen diese Form mit dem Schmelzgut aus. Das alles geschieht mit wenigen, professionell eingeübten, exakten Handgriffen und das Ergebnis sieht auch wirklich ansprechend aus. Da die Schmelze oft nicht nur aus reinem Aluminiummüll, sondern auch aus hochgradig verseuchten Blei-, Quecksilber- und sonstigen gifthaltigen Stoffen besteht, birgt das Kochen in solchen Pfannen ein sehr hohes Risiko für den Hersteller sowie für den Endbenutzer. Ein guter Akzent aber bleibt allemal: Mit Ausnahme der verwunschenen "Einkaufschräschelsecklis" bleibt in diesem Land wohl kaum ein Abfallprodukt ungenutzt, unrecycliert auf der Müllhalde liegen.

Antsirabe ist ein ehemals französisches "Thermalbäder-Städtchen". Anhand der kolonialen Prunkbauten aus der Blütezeit des Tourismus kann man sich heute noch ungefähr vorstellen, wie es hier noch in den Sechzigerjahren zu und her gegangen sein muss. Leider verkommen solche ehemaligen Juwelen im heutigen Madagaskar vollends. Niemand zeigt Interesse an einem Weiterführen der nicht wirklich geliebten französischen Kulturgüter. Aber auch niemand hat Geld, schon gar nicht die Regierung, solche Bauten neu aufleben zu lassen und zu renovieren. Man benützt sie einfach noch, solange es eben irgendwie geht. Antsirabe ist auch die neue Heimat von Claude. Hier hat er sein kleines Häuschen, seine "adoptierte" Familie für die er den Lebensunterhalt bezahlt und seinen Schosshund "Bruce" - eine Dogge ist ein Spielzeug dagegen! Claude’s Ehefrau, ist eine einheimische Professorentochter. Auch sie betätigt sich als Reisebegleiterin, allerdings für einen französischen Konzern.



Bahnhof von Antsirabe

Unser Hotel liegt am Stadtrand. Es ist eigentlich eine Hotelfachschule für angehendes Hotelfachpersonal, die einst von Lausanne aus finanziert und geführt wurde. Und welch eine Ehre für uns Madagaskar-Greenhörner: Exakt an diesem Abend findet die Abschlussprüfung im Bekochen und servieren der Gäste statt, und wir sind als Schweizer natürlich herzlich willkommen und eingeladen. Mhhhhh, dieses Essen schmeckt ausgezeichnet... Wir geniessen unsere Meerfrüchte-Fischlasagne, das „Cebu-fillet a la forestier“ und das Dessert, ein „mousse au chocolat“, mit all unseren vorhandenen Geschmacksnerven. Exzellent! Die Rechnung bezahlt natürlich Claude!

Letzte Änderung: 26 Sep 2012 21:14 von lope.
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25 Sep 2012 19:58 #255539
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"Einkaufschräschelsecklis" ?!?

Einkauf-Schrä-Schels-Ecklis?

Einkaufs-Chräs-Chels-Ecklis?

Einkaufs-Chräsch-Elsecklis?

Einkauf-Schräschel-Secklis?

Einkaufsch-Räschel-Secklis?

Mir ist die Zunge im Hals kleben geblieben...

Panischer Griff zur Notfallpackung Ricola...
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25 Sep 2012 20:23 #255547
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Trotz intensiver Begleitung von Gästen die Schwyzer Deutsch mit mir reden kann ich noch nicht die verschiedenen Nuancen unterscheiden. Mit Lope und den Kindern die zum Glück nicht wie viele Schweizer versucht hatten Hochdeutsch mit mir zu reden habe ich viel gelernt-offensichtlich nicht genügend. :evil:
Project a vivid image of what you seek into the Landscape of your life and what greets you on your way will be the images of your own creation.
urlaub-auf-madagaskar.com
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Crashkurs Schwiizerdütsch:

Einkaufs-Chräschel-Seckli sind Supermarkt-Raschelknister-Tüten, also auf Hochdeutsch: unweldbelastende Plastiksäcke. "Chräschel" ist Berndeutsch, also nicht mal ich verwende diesen Ausdruck. Kauft euch am Besten eine XXL-Packung Ricola, es war bestimmt nicht der einzige Halskratzer. :laugh:


PE
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26 Sep 2012 16:35 #255639
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12.07.12 Wanderung ausserhalb von Betafu (wo es viele Dächer hat)

Am Morgen des neuen Tages lässt sich Claude etwas Besonderes einfallen: Er lädt unsere ganze Familie zu sich nach Hause ein und kocht uns ein gemütliches Frühstück. Genauer, seine Haushälterin kocht die Milch, den Kaffee und die Eier. Die Hausangestellte und ihre Tochter sind Claudes „adoptierte“ Familie. Justine kommt aus sehr schwierigen Verhältnissen, lebte am Ende mit ihrem Kleinkind von der Strasse, bis sie Claude verarmt am Wegrand aufliest. Er kennt die Frau von früher, erkannte ihr grosses Herz und wusste daher genau, auf was er sich da einlässt. Heute lebt die Frau ein neues, total anderes Leben, schaut während Claudes und Nicoles Abwesenheit zum kleinen Anwesen, sorgt sich um den Haushalt und die Haustiere. Im Gegenzug erhält sie von Claude alles Nötige und noch ein bischen mehr, und das Töchterchen darf eine gute Schulbildung in einer renommierten Privatschule besuchen, ein Privileg, das nicht viele Einheimische auf der Insel kennen. Als Schutz gegen allfällig ungebetene Gäste bewacht Mastiff "Bruce", ein Bulle von einem Hund, die kleine Familie. Claudes Leitspruch in diesem Zusammenhang lautet: "Versuche nicht, die ganze Welt zu retten, aber du kannst versuchen, eine kleine Welt glücklicher zu machen." Die scheue Frau verdankt es ihm mit ehrlicher, ergebener Loyalität.




So, und jetzt ist es an der Zeit, für einmal die eingerosteten Beine etwas in Schwung zu bringen. Und dass das sogar unsere Kleinen akzeptieren, nimmt Claude seinen Sabberhund Bruce mit auf die Wanderung. Der Weg führt uns hinaus, entlang an den Reisfeldern, in die kleinen Siedlungen ausserhalb des Städtchens Betafu. Es ist das erste Mal, dass wir den Kontakt zu den Bauern auf den Höfen und in den Feldern geniessen können. Und für dies ist so ein Spaziergang genau das Richtige. Schon von beginn weg schliessen sich drei junge Frauen unserer Gruppe an. Es sind Schülerinnen auf dem Heimweg. Anfänglich verhalten sie sich sehr scheu und zurückhaltend, sie sind aber sehr interessiert und ständig am tuscheln und kichern, bleiben dennoch stets auf Distanz. Ob da wohl noch Bruce das Seinige dazu beiträgt?




Bei einem kleinen Hof lauern uns die Kinder auf, sie springen, spielen und lachen und bald darauf weiss es die ganze Gegend, dass da Vasaha's im Anmarsch sind. Wenn etwas hier ausgezeichnet funktioniert, dann das Buschtelefon. Auf uns aufmerksam geworden, bittet uns eine Frau auf ihr Grundstück. Es entsteht sofort ein reges Treiben und bald stehen mindestens 20 Personen rund um uns herum. Jetzt ist auch klar, was unser Besuch bewirken soll: endlich mal ein weisses Kind in ihre Arme zu schliessen, die helle Haut zu berühren. Sofort werden DI und MA in die Obhut der Frauen genommen. Es entsteht ein richtiges kleines Festchen, es wird gelacht und gejohlt. Uns wird dabei klar gemacht, dass sie die beiden Kinder nicht mehr zurückgeben wollen. DI und MA machen gute Mine zu diesem Spiel, aber bald geben sie den Hofbewohner zu verstehen, dass es jetzt genug der Festerei und der Betoucherei sei, sie möchten jetzt wieder zurück zu den Bleichgesichtern.

Wir winken einander nochmals freundlich zu und verlassen die Gärten der Lehmhütten, um unseres Weges weiter zu gehen. Die Dorfkinder bleiben uns natürlich erhalten, sie begleiten uns auf Schritt und Tritt, aber immer in sicherer Entfernung. Und die drei Schülerinnen?! Die haben sich ihrer Scheu entledigt! Sie packen sich DI an den Händen und marschieren mit ihr dem Weg entlang. Unsere Wanderung verläuft weiter durch die Felder der fruchtbaren Gegend. Überall werden Gemüse, Mais und Zuckerrohr angebaut. Auch der Reis steht schon zum Ausstecken bereit. Die Terrassen ziehen sich weit durch die Hänge des kleinen Tals, und überall, wo man uns erblickt, schauen die Menschen auf und winken uns lachend zu. Ja doch, in dieser Gegend sind wir angekommen, da fühlen wir uns wohl, ja fast ein bischen zuhause.




In einem Pousse-pousse, einer art Rikscha auf madagassisch, erkunden wir am späten Nachmittag das kleine Städtchen Antsirabe, bevor's dann bereits um 18.00 Uhr wieder einnachtet. Die "Busbus"-Taxisprinter zeigen uns mit viel Stolz all die Sehenswürdigkeiten und die ehemaligen Kolonialbauten. Sie wissen auch immer grad sofort, was sich nun zu fotografieren lohnt, auch wenn da die Geschmäcker doch etwas auseinanderdriften! Im Gegensatz zur asiatischen Rikscha, sind die Pousse-pousse kleine einachsige Kutschen, die ohne technische Hilfe, nur durch die Muskelkraft der immerzu springenden Männer gezogen werden. Durch die ideale Gleichgewichtsverteilung der Passagiere hängen die arbeitenden "Busbusfahrer" schier in den Deichselstangen und brauchen so oft nur noch die Beine zu bewegen, ohne dabei gross ihr eigenes Körpergewicht mitzutragen.

Am Abend besuchen wir kurz den Gemüse- und Fleischmarkt von Antsirabe. Der Appetit auf ein schönes saftiges Steak kann einem beim Anblick der hängenden Schweinehälften inmitten der rumschwirrenden Fliegen bald mal vergehen. Daher gönnen wir uns anschliessend beim spanisch-französischen "Italiener" noch eine wirklich feine Pizza und verabschieden uns danach ins "weiche" Bett.

Übrigens: Nach unserer Wanderung wurde Bruce von einem kleinen bissigen Köter angegriffen. Der gemütliche und liebenswürdige Bruce wusste sich nicht zu wehren und konnte nur mit der Hilfe von Herrchen Claude aus dieser misslichen Situation befreit werden. .....Dabei hätte unser Bruce diese Strassenmischung glatt in einem Bissen runterwürgen können. .....der Ärmste!
Letzte Änderung: 26 Sep 2012 21:18 von lope.
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27 Sep 2012 06:52 #255679
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Ein wirklich toller Reisebericht.

Gibt's denn auch ein Foto von Bruce?
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