Tag 11 – nördliche Serengeti
Wenn sich ein großer Wunsch erfüllt und in Enttäuschung endet
Ich freue mich so sehr auf die beiden nächsten Reisetage, denn die beiden Hauptgründe für diese Reise rücken minütlich näher: die Chance auf ein Crossing und - für mich als Vulkanfan - der Ol Doinyo Lengai am Lake Natron.
Aber wie heißt es so schön? Überlege Dir genau, was Du Dir wünscht, es könnte in Erfüllung gehen.
Während des gestrigen Abendessens hatte ich schon mehrmals erwähnt, dass morgen der Tag der Tage auf dieser Reise für mich kommen sollte. Unser Rotationsprinzip im Wagen beschert mir heute die erste Reihe, es könnte nicht besser laufen, davon bin ich überzeugt. Für mich kann es nach dem Frühstück gar nicht schnell genug los gehen. Wir fahren durch die nördliche Serengeti, fahren über befestigte Betonpisten in Flussbetten. Im Wasser tummeln sich Hippos. Wir fahren hin und her, am Pistenrand haben sich zahlreiche Geier eingefunden. Ich frage schon ungeduldig wie ein kleines Kind, wann wir denn am Fluss sein werden.
Dann halten wir, weil wir eine grüne Schlange im Baum sehen. Moses verkündet mit (auf mich wirkender) voller Stolz mitschwingender Stimme, das sei eine grüne Mamba. Ich finde die Sichtung toll, bin aber ein wenig skeptisch, ob es wirklich eine grüne Mamba ist. Da ich aber nicht genau weiß, um welche Schlange es sich handelt, halte ich mich zurück. Später werde ich in einem Forum nachfragen und erfahren, dass es nicht ganz klar zuzuordnen ist, um welche Schlange es sich handelt, möglicherweise um eine Boomslang oder eine grüne Baumschlange, möglicherweise aber auch um eine andere Art. Es kommt auch der Hinweis, dass es keine grüne Mamba wäre, da sie in dieser Gegend nicht vorkommt. So genau wird es wohl nicht zu klären sein.
Mittlerweile nerve ich wahrscheinlich schon alle im Fahrzeug, ich möchte wissen, wann wir zum Fluss fahren.
Irgendwann stehen wir tatsächlich vor dem Fluss, ich schätze mal, 200 Meter entfernt. Links und rechts von uns steht bereits schon eine Vielzahl von Wagen und es kommen immer mehr weitere Fahrzeuge hinzu. Einerseits bin ich ein wenig beruhigt, dass wir den richtigen Platz gefunden haben, andererseits bin ich doch überrascht über die vielen Fahrzeugen. Warum, weiß ich eigentlich selbst nicht so genau, denn ich hatte damit gerechnet, aber vielleicht ist es doch etwas anderes, wenn man dann selbst mittendrin ist. Neben uns steht ein Wagen mit spanischsprechenden Touristen, diese sitzen teilweise auf dem Dach, trinken – was auch immer – und grölen. Das nervt mich so sehr, dass ich auf Spanisch rüber rufe, sie möchten doch bitte leise sein, nicht gerade zur Begeisterung der anderen in unserem Fahrzeug.
Wir warten und warten, hinter uns hat sich eine riesige Herde Gnus versammelt, auf der anderen Seite des Flusses wimmelt es regelrecht von Herden. Soweit ich erkennen kann, zumeist Gnus und Zebras. Ich frage, ob man nicht zum Ufer fahren darf und erfahre, dass die Fahrzeuge erst dann losfahren dürfen, sobald ein Teil der Herde bereits im Wasser ist. Das war mir so nicht bekannt, aber ist eine sinnvolle Regelung, wie ich finde.
Ich glaube, Gnus sind von Natur aus nicht mit besonders großer Intelligenz bedacht worden. Das folgende Schauspiel, das sich immer und immer wieder abspielt, wirkt auf mich wie eine Bestätigung. Die Herde setzt sich in Bewegung und läuft zumeist auf einer Linie los, erst langsam, dann immer schneller und stoppt am Wasser. Es wirkt auf mich, als seien sie panisch und rennen wieder zurück. Das Ganze wird begleitet von einem einzigen und unglaublichen lauten Gnu-Muhen. Ich finde es unglaublich faszinierend, diesem Verhalten der Herde zuzuschauen.
Weniger faszinierend finde ich, dass sich die Gnus ihren Weg vorbei an den vielen Safarifahrzeugen bahnen müssen und diese ohnehin schon reichlich gestresst scheinen in Anbetracht ihrer bevorstehenden Wasserdurchquerung, in der es um Leben und Tod geht. Aber wer kann ihnen den Stress verdenken?
Zur Krönung des Ganzen fahren immer mal wieder Fahrzeuge nah am Ufer entlang, obwohl es verboten ist und mehr als einmal hat sich die Herde bereits in Gang gesetzt und zum Crossing angesetzt, muss dann wieder abdrehen. Die Rangerfahrzeuge haben gut zu tun, um die Unverbesserlichen aus der No-Drive-Area zu schicken.
Ich kann es so langsam kaum begreifen, welches Verhalten sich hier abspielt und habe großes Mitleid mit den Tieren.
Dann setzt wieder eine Phase des Stillstandes ein und wir warten und warten. Mal wieder frage ich Moses, wie denn heute die Chancen auf ein Crossing stehen. Er sagt, dass die Tiere auch schon mehrmals am Tag das Crossing machen und von einem Ufer zum anderen wechseln.
Ich kann das nicht so recht glauben und erkläre kurz im Wagen, warum die Tiere hier die Flüsse überqueren, erzähle von der noch einzigen, in diesem Umfang übrig gebliebenen, natürlichen Migration auf unserem Planeten, die jedes Jahr weiter südlich in der Serengeti beginnt und bis hoch in die kenianische Massai Mara führt, um dann später im Jahr wieder zurück zu führen nach Tansania in die südlichen Gebiete der Serengeti, ein natürlicher Kreislauf, an dem weit mehr als 1 Million Tiere teilnehmen, zumeist Gnus und Zebras, aber auch einige Antilopenarten.
Wie ich im Nachhinein - dank Betti - erfahren habe, ist es so, dass die Tiere mehrfach die Seiten wechseln können, da hatte Moses Recht.
In weiter Entfernung, sodass ich kein vernünftiges Foto machen kann, sehen wir in einer Flussbiegung ein Gnu, das im matschigen Ufersaum feststeckt. Es kommt nicht mehr heraus und ein Krokodil nähert sich bereits. Irgendwann hat es das Gnu erreicht und schnappt zu. Das Gnu wehrt sich mit allen Kräften. Ich weiß nicht, wie es dem Gnu gelingt, aber es kann sich befreien und überquert schwer verletzt den Fluss und erreicht das andere Ufer. So verletzt wird es wohl keine große Überlebenschance haben.
Wir warten und warten, hin und wieder setzt sich die Gnuherde in Bewegung, um dann kurz vor dem Ziel wieder umzukehren.
Zur Mittagszeit will Moses zurück ins Camp fahren, ich bin nicht so begeistert, ich würde heute auch auf Lunch verzichten, bin aber insgeheim froh, dass meine Mitreisenden bisher auch genug Geduld aufgebracht haben und des Wartens nicht allzu überdrüssig wurden. So fahren wir also zurück ins Camp, das keine 15 Minuten entfernt liegt. Ich hoffe, dass wir später bei Rückkehr kein Crossing verpasst haben und dass wir vor allem noch ein freies Plätzchen für unser Fahrzeug finden.
Nach dem Lunch drängele ich, dass wir bitte gleich wieder los fahren. Ich bin so ungeduldig. Wir finden dann tatsächlich einen Platz für den Wagen und die Gnus haben sich noch nicht zum anderen Ufer gewagt.
Aber dann, wir warten dieses Mal gar nicht so lange, fasst sich ein kleiner Teil der Herde ein Herz und startet das Crossing. Recht schnell kommt das Kommando und alle Autos fahren los. Das, was nun folgt, habe ich in meinen kühnsten Träumen nicht erwartet. Es setzt ein regelrechtes Wettrennen ein durch ein unübersichtliches Gelände, voller Löcher. Es grenzt an ein unglaubliches Wunder, dass es zu keinem Unfall und keinen Verletzten kommt. Zum Glück fährt unser Fahrer mit großem Bedacht, wir sind daher längst nicht bei den ersten, die unten am Ufer ankommen, aber in diesem Moment bin ich für seine umsichtige Fahrweise sehr dankbar und werde mich dafür später nach dem Crossing bei ihm bedanken. Denn ein Unfall, noch dazu in dieser abgelegenen Gegend, ist auch dieses Erlebnis keinesfalls wert.
Unten angekommen sehe ich dann ein Crossing, wenn auch klein und keinesfalls so spektakulär wie in den Dokumentationen, die über den heimischen Bildschirm flirrten, aber immerhin ein Crossing. Allerdings kann ich mich nicht mehr sonderlich begeistern. Ich bin schockiert von den Massen an Touristen, zwischen deren Fahrzeugen sich die Tiere einen Weg bahnen müssen, ich bin schockiert von dem Verhalten einiger Touristen, die den Gnus den Weg abschneiden, in dem sie nah am Ufer entlangfahren, wo sie nicht dürfen, ich bin schockiert von den Touristen, die das Ganze als Happening feiern, ich bin schockiert von dem unglaublich gefährlichen, rücksichtslosen Wettrennen der Fahrzeuge um den besten Platz und das Schlimme, ich als Touristin bin heute ein Teil dessen gewesen.
Wir machen noch eine kleinere Pirschfahrt.
Während der Rückfahrt ins Camp bin ich sehr nachdenklich geworden und auch sehr enttäuscht. Ich denke an die Weisheit: Überlege Dir genau, was Du Dir wünscht, es könnte in Erfüllung gehen.
Der Tag endet mit einem wunderschönen Sonnenuntergang.