05.10.2016 Ngorongoro-Krater NP – Die Arche Noah Afrikas –
Kampf auf Leben und Tod
Es ist noch düster und kalt, als Carlos den Motor startet und sich unser Toyota Landcruiser in Bewegung setzt. Die Fahrt zu unserem heutigen Ziel wird etwas länger dauern.
Zunächst kraxeln wir die Abbruchkante hoch und dann weiter in Richtung Karatu. Entlang der B144 - der Hauptverkehrsstraße die von Arusha über Karatu , über den Ngorongoro-Krater und in die Serengeti bis nach Kenia führt - ist zunächst noch viel fruchtbares Land und landwirtschaftlicher Anbau zu sehen.
Ein Blick in den Himmel lässt nicht wirklich Gutes erahnen – es wird immer grauer und dicke, dunkle Wolken formieren sich am Himmel .
Angekommen am Gate mit Informationszentrum erledigt Carlos die Anmeldeformalitäten, während wir uns ein wenig umschauen. Im Vergleich zu gestern im Lake Manyara NP ist hier am Gate mal richtig was los. Ein Safariauto nach dem anderen fährt an, darunter aber auch lokale Busse und Kleintransporter.
Nachdem der Papierkram erledigt ist, trennen uns nur sieben - aber sehr beschwerliche - Kilometer vom Krater, den wir über das Lodoare-Gate erreichen. Aber statt traumhaften Einblicken in den spektakulären Krater ist uns zunächst nur dickster Nebel vergönnt – zum Teil sieht man wieder einmal die Hand vor Augen nicht !
Ein Bus ist auf der schmierigen Sandpiste in den Hang gerutscht und der Bergungsversuch ist gerade in vollem Gange. Aber unser Carlos meistert auch diesen Streckenabschnitt gewohnt sicher mit Ruhe und Gelassenheit .
Ich befürchte bei dieser Suppe werden weder vom noch im Krater irgendetwas zu sehen bekommen – aber Carlos versichert uns, dass im Krater immer gute Sicht herrscht. Ich möchte ihm ja gerne glauben – positives Denken soll bekanntlich helfen .
Wir bewegen uns immer weiter auf dem Kraterrand im Halbkreis um den südlichen Teil des Kraters, um dann über eine der drei offiziellen Rampen zum Kraterboden hinabzufahren. Tatsächlich lichtet sich der dichte Nebel und wir bekommen einen vagen Vorgeschmack und Einblick in den Krater.
Unten angekommen begegnen wir ein paar jungen Maasai mit ihrer Viehherde. Den Massai ist es erlaubt, im umliegenden Gebiet zu siedeln und auch ihr Vieh bis auf den Boden des Kraters zum Weiden zu führen. Carlos spricht mit den jungen Männern in etwas barschem Ton, verrät uns aber nicht, um was es genau ging.
Der Krater ist der weltweit größte seiner Art und umfasst eine Fläche von 304 Quadratkilometern. Der Kraterboden selbst befindet sich auf 1700m Höhe und die Kraterwände steigen um bis zu weiteren 600m hinauf. Der Durchmesser des Kraters beträgt zwischen 17 und 21 Kilometern.
Hierher kommt man in der Regel mit großen Erwartungen, denn der Ngorongoro weist die höchste Raubtierdichte Afrikas auf und gilt nicht umsonst als Arche Noah Afrikas.
Wir haben unsere Ansprüche an besondere Sichtungen jedoch bereits im Vorfeld heruntergeschraubt - wohl wissend, dass die Zeit der großen Migration längst vorbei ist. Wir freuen uns an jeder noch so kleinen Spezies, der wir begegnen werden.
In den europäischen Wintermonaten kommen rund 1,4 Millionen Gnus und Hunderttausende Zebras und Gazellen auf ihrer jährlichen Runde durch die Savannen im Westen des Schutzgebiets. Hier gebären die Gnus Anfang des Jahres zeitgleich ihre Kälber. Sie fressen sich an dem mineralreichen Gras satt, bis sie dann im Mai weiter in den Westen der Serengeti ziehen.
Carlos berichtet, dass den anderen Tieren im Krater der Sinn nicht nach Wandern steht und sie in der Regel auch hier bleiben. Warum sollten sie auch wandern? Sie finden hier alles, was sie brauchen!
Tatsächlich werden wir binnen weniger Stunden Afrika im Miniaturformat erleben. Der ehemals gigantische Vulkan ist heute ein unvergleichliches Tierparadies und entfaltet eine ganz besondere Magie - die Unmengen an Jeep-Kolonnen durch den Krater, von denen häufiger berichtet wird, werden heute für uns auch ausbleiben .
Wir werden glücklicherweise keine wilde Hatz auf die „großen“ Sichtungen oder permanenten Austausch über Funk mit anderen Fahrzeugen erleben. Wir wollen uns heute eher auf den „Nebenschauplätzen“ im Krater bewegen und schon bald können wir ungestört die ersten Tiere beobachten:
Schwarzhalsreiher gibt es irgendwie immer und überall zu sehen
Den Kronenkranich (Nationalvogel von Uganda) allerdings sehen wir heute zum ersten Mal – ein wunderschönes Exemplar
Carlos steuert einen Hippo-Pool an, als die geschulten „Bush-Eyes“ eine Bewegung im hohen Gras ausmachen .
"Lion!"
Außer uns hat bislang nur noch ein weiterer Wagen die Löwen im Visier – alle anderen fahren an uns vorbei – die Löwen sind allerdings auch nur sehr schwer auszumachen.
Wir zählen zunächst einen, bemerken aber kurze Zeit später noch weitere verdächtige Bewegungen.
Nun kommt Carlos‘ jahrelange Erfahrung ins Spiel: „See the buffalo behind us?!“
Ok - ein einsamer Wasserbüffel ist hunderte von Metern in der völlig entgegengesetzten Richtung zu sehen. Was uns Carlos damit nun sagen will ?
Carlos analysiert die Lage durch sein Fernglas. Die Antwort ist eher knapp : „The buffalo is limping!“
Aber der Büffel ist doch ewig weit von den Löwen entfernt – gut, er bewegt sich schon in etwa in die Richtung der Löwen – aber ich würde da jetzt noch keinen Zusammenhang sehen .
Carlos ist felsenfest der Meinung, dass hier etwas im Gange ist: „Let’s wait and see!“
Tatsächlich läuft der Büffel offensichtlich geradewegs in sein Verderben – mittlerweile sind nun auch insgesamt 5 junge männliche Löwen in höchster Alarmbereitschaft .
Ich habe noch den Reisebericht von Beatnick (Bettina) im Kopf – wir werden doch nicht ernsthaft einen Kampf oder gar Kill erleben?
Mittlerweile scheinen auch andere Fahrzeuge bemerkt zu haben, dass hier etwas im Busch ist – allerdings bleibt es zunächst bei einer überschaubaren Anzahl an Beobachtern. Das wird sich im Laufe der nächsten 20 Minuten allerdings deutlich ändern – wovon ich aber nichts mehr mitbekommen werde.
Carlos bringt uns und den Wagen zunächst einmal in eine bessere Stellung – noch haben wir die freie Auswahl für unsere Parkposition.
Und es kommt tatsächlich, wie es kommen muss! Wie aus dem Nichts spurten die Löwen in Richtung des Büffels und haben ihn blitzschnell umzingelt.
Normalerweise hat ein einzelner Löwe so gut wie keine Chance, einen ausgewachsenen gesunden Büffel erfolgreich zu erlegen. Bei fünf Löwen gegen einen lahmenden Büffel werden die Karten allerdings neu gemischt!
Uns bleiben noch wenige Sekunden Zeit, uns seelisch und moralisch auf das nun Folgende vorzubereiten. Meiner Mutter wird etwas angst und bange – ich weiß bis heute nicht so wirklich, ob sie vielleicht doch lieber davongefahren wäre. Carlos hatte schon Gäste, die in ähnlichen Situationen darum gebeten haben weiterzufahren!
Die Löwen scheinen ein eingespieltes Team zu sein – den anfänglich mutigen Versuchen der Gegenwehr weichen sie geschickt aus.
Carlos bringt unseren Wagen in eine nochmals günstigere Position – und wir werden Zeuge eines Erlebnisses, das wir ganz sicher nicht wieder vergessen werden!
Bedauerlicherweise sind so gut wie alle Fotos unscharf – meine Hände zittern vor Aufregung und die mehrmalige Rangiererei trägt auch nicht zur besseren Stabilisierung bei. Außerdem ist das Geschehen weiter entfernt – in solchen Situationen wünscht man so eine Megaspezial-Fotoausrüstung mit Riesentele (in den Nachbarautos übrigens sehr zahlreich vorhanden).
Gut zu beobachten ist die ausgeklügelte Angriffsstrategie der Löwen. Die Beute wird von den Löwen mit mehreren Sätzen angesprungen. Durch die Wucht des Aufpralls wird ein kleineres Beutetier schnell aus dem Gleichgewicht gebracht. Bei diesem stattlichen Büffel reicht diese Taktik alleine allerdings nicht aus. Ein zweiter Löwe wird dem Büffel die Hinterläufe vom Boden reissen.
Nachdem der Büffel zu Fall gebracht wurde, stehen die Löwen vor einer sehr schwierigen Aufgabe, was dem Büffel bedauerlicherweise einen fürchterlich langsamen Todeskampf bereiten wird.
Carlos erklärt uns, dass große Beutetiere von Löwen normalerweise durch einen Kehlbiss getötet werden. Bei einem mächtigen Büffel ist dies allerdings so gut wie nicht möglich, da die Zähne des Löwen zu kurz sind, um größere Blutgefäße zu erreichen. Es bleibt dem Löwen lediglich der Versuch, die Luftröhre abzudrücken.
Allerdings gelingt auch das dem mit dieser Aufgabe betrauten Löwen nicht. Deshalb versucht er kurze Zeit später den Büffel quasi zu ersticken, indem er sein Maul über das des Büffels presst.
Auch dieser Versuch zeigt keinerlei Wirkung - ein zweiter Löwe muss zu Hilfe kommen.
Natürlich umkreisen auch die Hyänen bereits das Geschehen – sie werden vermutlich später nicht leer ausgehen, wenn sich die Löwen erst einmal satt gefressen haben.
Da unsere Fotos allesamt nicht wirklich gut gelungen sind, stelle ich an dieser Stelle noch unser Video ein. Es zeigt unbearbeitet und in voller Länge das Geschehen - lediglich zwei getrennt aufgenommene Sequenzen wurden zusammengeführt.
Aber bitte Vorsicht! Die Aufnahme ist definitiv nichts für zart besaitete Gemüter!
Wir haben den langsamen und sicherlich qualvollen Tod des Büffels als sehr grausam empfunden – und wir knabbern noch heute an diesem Erlebnis.
Auf uns wirkte das Erlebte einerseits faszinierend aber auch schockierend zugleich. Uns wurde in diesen Minuten in voller Dramatik vor Augen geführt, wie grausam die Natur tatsächlich sein kann.
Aber uns ist ebenso bewusst, dass dies der natürliche Lauf der Dinge ist. Das Leben besteht unvermeidbar aus Geburt und Tod, fressen und gefressen werden. Ein Raubtier kann in der Wildnis nunmal anders nicht überleben – diese Löwen werden für die nächsten Tage satt werden.
Dennoch tief beeindruckt und sehr still - jeder von uns für sich in Gedanken versunken - verlassen wir den Ort des Geschehens, noch weit bevor das große Festmahl beginnt.
Von unseren weiteren Erlebnissen und Eindrücken im Krater berichte ich dann erst im nächsten Kapitel. Ich denke auch den virtuell Mitreisenden tut eine Pause erst einmal ganz gut…
Vielen Dank für Deinen interessanten und auch spannenden Bericht aus Tansania. Carlos hat die Situation ja super erkannt!!!
Mit dem Kilimanjaro ist es uns ähnlich gegangen. 4 Tage wollte er sich nicht zeigen - obwohl eigentlich strahlender Sonnenschein war. Die Wolken um den Kili waren ziemlich hartnäckig
Auf uns wirkte das Erlebte einerseits faszinierend aber auch schockierend zugleich. Uns wurde in diesen Minuten in voller Dramatik vor Augen geführt, wie grausam die Natur tatsächlich sein kann.
Mit "faszinierend aber auch schockierend zugleich" hast du es auf den Punkt gebracht - ganz großes Kino! Ein Erlebnis, das man nicht so schnell vergisst!
Danke für die tollen Fotos und den schaurig-schönen Film!
Oh je, ich glaube, ich wäre wie deine Mutter am liebsten weggefahren. Allein beim Lesen hat sich mein Magen zusammengezogen.
Puh! Okay, auch Löwen brauchen Fressen, um zu überleben. Außerdem gibt es viel mehr Büffel als Löwen.