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22. September, Teil II: Mehr Spotted Cats - aber anders
Zum landschaftlich Spektakulärsten, was die Masai Mara zu bieten hat, zählt der Mara River. Wenn sein Ufer nicht gerade im Übermaß von Autos bevölkert ist, weil sich ein mögliches Crossing anbahnt, sind Setting und Stimmung entlang des Stroms grandios. Und wo Wasser ist, ist ohnehin Leben - wenn auch zuweilen ein ziemlich bequemes. Ziemlich beste Freunde Aber eben auch manchmal das Gegenteil davon, die Hochzeit der Crossings hat deutliche Spuren hinterlassen. Nicht alle Tieren kommen beim gewagten Versuch der Flussüberquerung ungeschoren davon, und an einer Kehre haben sich etliche verendete Gnus angestaut. Die gestopften Krokodile, in der Mara aufgrund des Nahrungs-Überangebots im XXL-Format, interessiert das nicht die Bohne. Anders als die nimmersatten Geier, die von Kadaver zu Kadaver fliegen und am liebsten alles für sich hätten. Sie kriegen auch im Überfluss den nackten Hals nicht voll und bekämpfen sich so heftig, dass sie nicht nur Federn lassen, sondern sogar Fetzen von Fleisch. So viele Geier auf einem Haufen haben wir noch nie gesehen. Was kein Wunder ist, denn sie leben im Schlaraffenland. Ein Großteil der Gnus hat sich vorerst in Richtung Serengeti verabschiedet, doch das Ende der Crossings ist noch nicht erreicht - und somit kein Engpass in Sicht. Eine Schlange begegnet uns (Grass Snake?)... ...und schon fast zurück im Camp stoppen wir an einem einzelnen Baum, der uns seit Tagen fasziniert. Er ist für Mara-Verhältnisse außerordentlich groß und belaubt und damit ein Hotspot für Vögel aller Art. Mit der Kamera sind sie zwischen all den Zweigen kaum zu erwischen, doch dann endlich: ein Amethystglanzstar, eine Erstsichtung für uns. Der schöne Vogel hat sichtlich Mühe, sein Mittagessen zu vertilgen, das wir nicht näher definieren können. Aber wir freuen uns sehr über diese Sichtung. Viel kann an diesem Tag eigentlich nicht mehr kommen. Denken wir. Doch falsch gedacht. Das Beste kommt zum Schluss. Zwei Autos stehen nah der Stelle, wo wir zwei Tage zuvor die Servale beobachtet hatten. Sie werden wohl umgezogen sein, meint Livingstone, und wir riskieren einen näheren Blick. Positionieren uns hinter einem der beiden Autos, denn nur aus einem bestimmten Winkel können wir in den hohlen Baumstamm vor uns hineinspähen. Darin, erläutern unsere Vorderleute, seien zwei kleine Servale. Mein Adrenalinspiegel steigt, doch viel ist nicht zu sehen. Nur manchmal eine schattenhafte Bewegung im Baum. Das Paar vor uns ist seit Stunden hier und wartet darauf, dass sich die Kätzchen zeigen. Das sind ernüchternde Aussichten, denn das Licht ist an diesem Nachmittag dürftig und wird mit der Dämmerung nicht besser. Vielleicht, wenn die Mutter von der Jagd heimkehrt? Ich wende mich an Livingstone. Doch der hat seine eigene Theorie. "I think this guy is too close", sagt er und zeigt das Auto vor uns, dessen Crew schließlich die Geduld verliert. Sie fahren. Und sind kaum weg, da stecken die Servale die Köpfchen aus dem Versteck. Jetzt zeigt sich: Es sind nicht die Katzen, die wir zwei Tage zuvor beobachtet haben. Diese sind noch viel kleiner - und einfach zum Klauen süß. Livingstone ruft den anderen Guide per Funk zurück, und der macht auf dem Absatz kehrt. Fährt allerdings nicht in die vermeintliche Lücke vor uns, die er hinterlassen hat. Nicht aus Rücksicht auf uns, sondern weil ihm wohl dämmert, was das Problem gewesen war. Er parkt nun seinerseits hinter uns, sehr zum Ärger seiner Gäste, die trotz langer Optiken mit ihrem Schicksal hadern. Was ich aber nur am Rande mitbekomme. Ich bin viel zu abgelenkt - und auch zu begeistert, um irgendein Haar in der Suppe zu finden an diesem abermals ereignisreichen Tag. |
Letzte Änderung: 16 Feb 2022 22:19 von Beatnick.
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23. September, Teil I: Jagdfieber
Nach dem unentschlossenen Wetter am Vortag beginnt der Morgen vielversprechend. Der liebe Gott backt Plätzchen, hätte meine Ruhrpott-Oma zu diesem Spektakel am Firmament gesagt. Vielleicht muss er noch üben, denn sie verkokeln wohl gerade. Der Himmel brennt. Das Licht, die Farben, ich bin schlagartig putzmunter. Die Stimmung ist leicht, der Tag unverbraucht. Und immer die Frage, was er wohl bringen wird... Auch ein Topi läuft zur Höchstform auf und wirft sich in die Brust. Was für ein Angeber! Denke ich und denkt wohl auch die bewusste Dame, denn sie zeigt dem Verehrer die kalte Schulter, der wie ein Dressurpferd um sie herumtänzelt. Die kleinen Sevale in der Nachbarschaft sind in ihrem Baumstamm versteckt, aber nicht allein zu Haus. Noch ist die Mutter nicht ganz wach. Doch die Pflicht ruft. Beim Laufen sehen wir, dass sie einen verkürzten Schwanz hat. Ob das schon immer so war oder sie ein Stück verloren hat, kann Livingstone nicht sagen. Es raschelt überall im vielen Gras, das sich über die Weiten der Mara erstreckt. Die Ohren der Katze drehen sich unentwegt und reagieren auf das kleinste Geräusch. Dennoch bleibt die Jagd wohl ein mühsames Geschäft. Wir schauen gebannt und entdecken nur per Zufall einen weiteren Jäger auf der anderen Seite des Autos. Anders als der Serval klaubt der Ground hornbill einen Fang nach dem anderen aus dem hohen Gras. Dann setzt die Katze zum Sprung an. Taucht ab und dann wieder hoch - mit einer Ratte im Maul. Da wird nicht lang gefackelt. Ratzfatz ist das Nagetier verputzt. Schließlich verlassen wir die Servalmutter, die wohl den ganzen Tag weiterjagen wird. Für ihre Jungen braucht sie eine Menge Milch. Die letzten Wolken haben sich verzogen, es ist ein heißer Tag. Die Zebras zieht es früh ans Wasser. Ein Kollege funkt Livingstone an. Selten genug, dass er dem Beachtung schenkt. Diesmal schon. Ob wir einen Leoparden sehen wollen? "It's a bit of a drive." Na klar wollen wir das! Die 20 Minuten Fahrerei sind nicht der Rede wert, doch als wir eintreffen, sind schon eine Menge Autos da. Wir überlegen kurz, bleiben aber, quasi als letzte Amtshandlung vor der Mittagspause. Mit etwas Mühe und fahrerischem Geschick ergattern wir einen Platz. Der Leopard liegt nicht weit von uns entfernt auf einer Anhöhe inmitten eines tiefen Grabens und starrt mal mehr, mal weniger interessiert in Richtung einer kleinen Gruppe von Gnus, die sich allerdings auf unserer Seite der Senke zusehends von ihm entfernt. Auf diese Distanz hat er keine Chance. Doch der Leopard ist gerissen und denkt voraus. Plötzlich machen die gewohnt wankelmütigen Gnus kehrt und galoppieren auf den Graben zu - nun schlägt seine Stunde. Der Leopard sprintet schnurstracks los und wirft sich ohne zu zögern und mit seinem ganzen Gewicht in die Kluft, direkt einer der Antilopen an die Kehle. Beide purzeln den Hang hinunter und verschwinden aus unserem Blickfeld. Als wir in einem weiten Bogen auf die andere Seite gelangen, ist die Messe schon gelesen. Wir schnell das alles ging! Ich bin ganz verdattert - und auch beeindruckt vom dem Leo: Was für ein Brocken, und dann dieser Blick... |
Letzte Änderung: 21 Feb 2022 18:10 von Beatnick.
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23. September, Teil II: Zwischen Sunset und Servalen
Nach dem intensiven Vormittag sind wir im Kopf bequem. Aufnahmestopp. Die Ereignisse sacken lassen, neu booten. Was dabei hilft? Herden gucken. Am liebsten Zebras. Zebras gucken beruhigt. Habe ich schon öfter festgestellt. Wie gern hätt' ich eins am Schreibtisch. So für die Nerven. Bummelig spät kommen wir im Camp an. Essen wie immer am Fluss, hauen uns dann aufs Ohr. Ich mag diese mittägliche Ruhe und Trägheit. Alles ist so friedlich und die Natur surrt leise vor sich hin. Die Runde am Nachmittag beginnt in der Nachbarschaft. Das wird zur Gewohnheit. Anders als der Anblick der kleinen Servale. Der nutzt sich nicht ab. Die Kleinen turnen herum, unter den wachsamen Augen der Mutter, die wir am Vormittag haben jagen sehen. Ein kleiner Boxenstopp im Schatten, dann macht auch sie sich auf den Weg. Und der Nachwuchs verschwindet im Versteck. Sicher ist sicher. Wir kehren zum Leo zurück. Der hat sein Verdauungsschläfchen gerade beendet und ist wieder am Riss, der kaum anders aussieht als Stunden zuvor. Kein anderes Tier traut sich heran oder ist überhaupt in der Nähe. Vielleicht, weil der Leo so imposant sein. Oder seine Zähne. Oder beides. Er hat gute Argumente. Sehr hungrig scheint er nicht zu sein. Ein kleiner Snack, dann verschwindet er wieder im Busch. Bleibt aber dicht dabei. Verschenkt wird hier nichts. Wir fahren ziellos durch die Gegend, es ist eine schöne Stimmung... ...und sie wird besser, je tiefer die Sonne sinkt. Die Sonnenauf- und -untergänge in der Mara gelten als speziell, und das zu Recht. Die Farben können intensiv sein und manchmal sogar explodieren. Wie an diesem Abend. Das Feuerwerk ist vorbei, das Licht verschwunden. Kaum mehr was zu sehen, nur eine Bewegung rechts im Gras. "Stopp", rufe ich, eher instinktiv, doch da ist die Serval-Mama mit dem verkürzten Schwanz - und schwer verliebt. Sie reibt sich an einem ollen Skelett, schleckt es immer wieder ab - wo die Liebe hinfällt. "My Goodness", sagt Livingstone, und meint nicht nur die skurrile Szene: "Die Servale fallen euch vor die Füße, ohne dass wir überhaupt danach suchen." |
Letzte Änderung: 26 Feb 2022 22:30 von Beatnick.
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24. September: Migration
Bislang hatte Livingstone offenbar klare Vorstellungen davon, wie wir den Tag gestalten würden. Doch an diesem Morgen überrascht er uns mit einer simplen Frage: "What do you want to see?" Nicht, dass ihm nichts mehr einfallen würde. Das wird wohl nie passieren. Aber seit wir "The spotted cat" gefunden haben und dann auch gleich mehrfach, ist seine persönliche Todo-Liste offenbar geschrumpft und lässt Platz für Notizen. Anders ausgedrückt: Wir sind bei den Zugaben angelangt, und das deckt sich mit unserem eigenen Empfinden. Der Faktor Zeit, den wir in der Mara großzügig berücksichtigt haben, zahlt sich spürbar aus. Die Antwort ist allerdings gar nicht so einfach. Nach einigem Überlegen wünscht sich Thomas ein Crossing und ich mir - fast schon bescheiden, aber dafür von Herzen - noch einmal Löwen. Da ihn dieser Wunsch in der Mara vor keinerlei Probleme stellen wird, kümmert sich Livingstone zunächst einmal um Auftrag Nummer eins. In den vergangenen Tagen hat es immer wieder geregnet, vor allem nachts und vor allem in der Serengeti. Mit der Folge, dass die Crossings am Mara River wieder begonnen haben. Die Gnus sind überall, und in ihrem Schlepptau die Räuber. Einer trägt seine Beute mitten durch die Herde. Wie pietätlos. Das Bein eines Artgenossen so direkt vor der Nase, was sollen die Gnus da denken? Denken sie überhaupt? Sie wirken ungerührt. Am Lookout Hill finden wir Hyänen an einem Riss. Es könnte ihr eigener sein, muss aber nicht. Im benachbarten Gebüsch machen die Vögel Theater. Ein anderer möglicher Verursacher treibt sich herum. Der Leopard verschwindet im dichten Busch. Und scheucht dabei einen Hasen auf, der hakenschlagend erst an unserem Auto vorbei, dann quer über die Ebene und schließlich hügelaufwärts flitzt; dicht gefolgt von einem aufgeregt jaulenden Schakal. Beide tauchen auf der anderen Seite des Hügels ab, wo wir später nichts entdecken. Meister Lampe hatte nicht nur schnelle Beine, sondern wohl auch ganz schön Dusel. Am Mara River ist die Stimmung friedlich - und verheißungsvoll. Auf beiden Seiten des Ufers nähern sich Gnus. Was nichts heißen muss. Auch Livingstone wagt keinerlei Prognose, sondern teilt sich zwei aussichtsreiche Abschnitte mit einem Kollegen auf. Wir beobachten den einen, er den anderen. Jetzt hilft nur Geduld. Wir frühstücken im Auto mit Blick auf den Fluss, es wird ein heißer Tag. Ich nicke ein, vergesse, wo ich bin. Und habe beim Aufwachen doch nichts verpasst. Thomas, der sture Westfale, glaubt dennoch weiter an seine Chance. Mittags kommt der kleine Hunger - und guter Rat ist teuer. Nicht auf eine Ganztagestour eingerichtet, haben wir kein Lunchpaket dabei. Nur zögernd entschließen wir uns zu einem Boxenstopp im Camp, das nicht gerade um die Ecke liegt, sondern eine gute halbe Stunde entfernt. Man kennt das ja, kaum kehrt man den Rücken, überschlagen sich die Ereignisse. Murphy und ich, wir mögen uns nicht. Ist dem Hunger egal. Er siegt. Nur ein schneller Happen, schon fahren wir zurück. Verzichten unterwegs auf einen Schlenker zu einem Nashorn nebst (einigermaßen erwachsenem) Kalb. Nicht wegen des möglichen Crossings, sondern weil sich dort eine veritable Blechlawine angesammelt haben soll. Die armen Nashörner dürften kaum zur Ruhe kommen. In der Mara (leider) eine echte Rarität, wird wohl fast jeder Guide die seltene Gelegenheit nutzen, die Big 5 vollzumachen. Die Entscheidung ist schon deshalb gut, weil das Crossing beginnt, just als der Fluss in Sicht kommt. Nun geht es wie immer ganz schnell. Die wartenden Autos, durch die Nashorn-Option in überschaubarer Zahl, rasen hinunter ans Ufer und suchen sich eine Position. Wir wechseln noch einmal, der Winkel ist nicht optimal, überall Gegenlicht, aber so ist die Natur; sie macht, was sie will, und wann sie es will. Hinter uns sichern die Ranger den langen Strom der Tiere ab, damit ihn kein Auto durchbrechen kann. Eine traurige Notwendigkeit, wie wir 2018 schmerzlich feststellen mussten. Das Wasser schäumt. Die Tiere wühlen sich hindurch, Staub, Chaos und Angst. Ein Krokodil nähert sich, verbreitet Panik, mehr nicht. Zu satt, zu vollgefressen, zu faul. Die Gnus wollen ausweichen, bloß schnell aus dem Wasser. Der Fels ist rutschig, eine gefährliche Mission, doch sie bleiben unversehrt. Die einen haben Angst vor der eigenen Courage und kehren um,... ...andere sind spät dran. Dann ist das Crossing vorbei. Und Thomas' Joker aufgebraucht. Kein weiteres Crossing in Sicht, und so verlassen wir den Fluss, der nun wieder still daliegt. Sehen am Horizont Gnus in langen Reihen ziehen - und wollen dahin. Was für Anblick! Zigtausende Gnus, eine gefühlt endlose Linie, auf dem weiteren, aber auch weniger gefährlichen Weg über den Sand River in die Serengeti. In weiten Bögen setzen wir uns an die Spitze, lassen die Antilopen auf uns zulaufen, sind mittendrin in der Migration. Das gleichförmige Gemöpe der Gnus klingt mir die ganze Nacht in den Ohren. Viele Kilometer begleiten wir die Tiere. Kein anderes Auto. Natur pur und pures Glück. An der Grenze ist Schluss. Die Sonne steht tief und unser Weg ist weit. Viel Glück in Tansania und passt auf euch auf! Denke ich, als sich der Strom der Gnus in die Serengeti ergießt. "My Goodness", sagt Livingstone: "Tomorrow the Mara will be empty." |
Letzte Änderung: 07 Mär 2022 19:48 von Beatnick.
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25. September, Teil I: Umzug
In der Nacht hat es wieder geregnet. Grund genug offenbar für die Gnus, die Verlagerung ihres Lebensmittelpunkts in die Serengeti noch einmal zu überdenken. Die weite Graslandschaft ist jedenfalls voller Tiere, als hätte es die lange Karawane am Vortag nicht gegeben. Die Sonne tut sich erneut schwer an diesem Morgen. Unsere kleinen Nachbarn mögen keine nassen Pfoten und schütteln sie wie im Protest, sind aber dennoch kaum zu bändigen. Nur einen Tag haben wir die kleinen Servale nicht gesehen, doch was haben sie nicht alles dazugelernt! Zum Beispiel das Klettern. Behände balancieren sie auf den toten Ästen und tollen darauf herum, zwei Tage zuvor waren sie noch nicht einmal hinaufgekommen. Die Mutter beobachtet mit Argusaugen das wilde Treiben ihrer Sprösslinge, greift aber selten erzieherisch ein. Das natürliche Klettergerüst ist schwer begehrt und auch für uns ein Glücksfall, denn so auf dem Präsentierteller lassen sich die Kätzchen perfekt beobachten. Möglich, dass diese Exponiertheit aber auch zum Problem wird. Jedenfalls geht die Mutter schließlich weg von ihrer Behausung, wie wir denken zur Jagd, doch die Kleinen verlassen wie auf einen unsichtbaren Befehl hin den Kletterbaum und heften sich an ihre Fersen. Livingstone schaltet gleich. Sie suche ein neues Zuhause, erklärt er uns. Vielleicht, weil die neuen Skills der Katzenbabys eine Gefahr darstellen und Feinde anlocken. Oder weil der hohle Baumstamm zu klein geworden ist. Oder es einfach an der Zeit ist. Wir folgen der Familie in den mittlerweile gewohnt weiten Bögen, doch nun entdecken andere Autos den kleinen Konvoi und stoßen dazu. Taktisch unklug und zudem für die Tiere störend, fahren manche Wagen den Katzen leider direkt hinterher und einmal auch so nah auf, dass sich das Muttertier umdreht und empört faucht. Empört bin ich auch. Von diese Rücksichtslosigkeit, die uns leider auf Safaris immer wieder begegnet. Längst nicht nur, aber vor allem in der Mara, wo die Tierdichte auf kleinem Raum hoch und das Offroadfahren trotz Verbots gang und gäbe ist. Nicht jeder weiß damit umzugehen, und wo Guide draufsteht, steckt längst nicht immer ein Guide drin. Wir überlegen, die Sichtung zu verlassen, doch Livingstone beruhigt: "These guys will leave soon." Und tatsächlich fahren die Autos zügig weiter. Sie gehören zusammen, eine große Gruppe, und die hat bestimmt noch viel vor. Die Big Five an einem Tag. Oft versprochen von den Veranstaltern in Kenia und sogar möglich, aber weit weg von dem Naturerleben, das wir mit Livingstone suchen. Kaum einen halben Kilometer von der alten Behausung entfernt stoppt die Familie. Bezieht ein neues Appartement. Wenn auch nicht wie bislang ein Penthouse mit Ausblick, sondern im Souterrain. Dazu ein Altbau. Die Kleinen fremdeln und inspizieren ihr neues Reich rund um das Erdloch ganz genau. Flitzen von rechts nach links, ums Gebüsch herum, dann in die Höhle hinein und wieder heraus. Irgendwann ist die Aufregung vorbei. Verschwindet der Nachwuchs im Loch und die Mutter zur Jagd. Und wir fahren weiter. Wieder geht es am Talek entlang. Eine lange, herrliche Fahrt,... ... während der uns nicht nur,... ...aber vor allem Vögel begegnen. Im offenen Grasland beobachten wir Elefanten und drollige Szenen. Der Kleinste rennt den Vögeln hinterher und versucht sie zu verscheuchen. Was mit dem noch ungelenken Rüssel nur leidlich gelingt. Trotzdem macht er immer weiter - und Übung schließlich den Meister. Dann Zebras. Die schmusen so schön. Denken wir. Doch das Gegenteil ist der Fall. Denn zwei der Tiere gehen sich hart an. Immer wieder. Eine halbe Stunde schauen wir zu. Sind von der Intensität gebannt, überrascht und manchmal auch erschrocken. Wie anstrengend es sein muss, die ganze Zeit so zu ringen. Sich zu zwicken und zu beißen. Stutenbissigkeit. Worum es wohl eigentlich geht? Es bleibt ihr Geheimnis. |
Letzte Änderung: 14 Mär 2022 19:24 von Beatnick.
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25. September, Teil II: Ein Löwenbaby verschwindet
Als sich die zankenden Zebras zusehends entfernen, fahren wir weiter. Mittlerweile steht die Sonne hoch am Himmel und sorgt erneut für einen warmen Tag. Viele Tiere tun das, was sie eben in der Hitze zu tun pflegen: Sie suchen sich ein schattiges Plätzchen und schlafen sich die Sorgen weg. Wie diese beiden faulenzenden Löwinnen, für die ich meinen Wunsch-Joker vom Vortag ("More lions") glücklicherweise nicht ziehen muss. Darüber sind wir uns schnell einig. Ein bisschen mehr Action sollte es schon sein. Es wird eine bittere Lektion: Mit seinen Wünschen sollte man vorsichtig sein. Denn an diesem Vormittag bekommen wir noch viel mehr Action als uns lieb ist... Weil Livingstone gerade wieder ohne Funk fährt, ist es purer Zufall, dass wir in der Ebene unter uns eine Blechansammlung erspähen, wie wir sie bei diesem Aufenthalt (zum Glück) noch gar nicht hatten. Das muss etwas sehr Spektakuläres sein. Vielleicht die Geparden-Brüder, oder - so tippt Livingstone - eben Löwen. Was nun? Nichts wie weg, lautet der erste Impuls. Aber was wird da Tolles sein? Fragt die Neugier. Auch das Fernglas bringt kein Licht ins Dunkel, als wir hügelabwärts rollen. Zu viele Autos umkurven - naja was auch immer. Schließlich entdecken wir in der Ferne eine Löwin - mitsamt ihrer beiden Babys, die hinter ihr herpurzeln. Der Adrenalinpegel steigt schlagartig, doch es bleiben Zweifel. Wollen wir wirklich den großen Bogen fahren, der nötig wäre, um auf die andere Seite des Grabens zu kommen, der uns von den Löwen und dem ganzen Getümmel trennt? Uns da reinstürzen? Den Tieren zusätzlichen Druck machen? Die Antwort lautet Nein, und Livingstone hat die zündende Idee: Wir lassen das Schicksal entscheiden. Auf unserer Seite der Senke ganz allein, bringt er uns in eine möglicherweise aussichtsreiche Position. Wechselt die Löwin die Seite, sind wir bereit, ohne sie weiter behelligen zu müssen. Bleibt sie drüben, haben wir Pech; aber auch die Massen gemieden. Also Motor aus und abwarten. Viel können wir nicht von dem erkennen, was sich jenseits des Grabens abspielt. Nur wildes Rangieren und viel Staub. Und dann passiert tatsächlich das Wunder. Läuft die Löwin auf den Erdspalt zu, taucht darin ab - und schließlich auf unserer Seite wieder auf. Wir sind im Himmel. Keine Chance für die Karawane, zeitnah auf unsere Seite zu wechseln, und für einen Moment ist es so still und idyllisch, wie es wohl auch sein sollte. Wir lassen die Katzen auf uns zulaufen. Als die Mutter eins der Kleinen noch im Maul trägt, ist unser Glück perfekt. Es könnte der ideale Abschluss eines grandiosen Vormittags sein und auch dieses Kapitels. Doch der Faktor Mensch funkt dazwischen, wie leider so oft. Ein Massai, ohnehin offroad unterwegs, hat sich nun offenbar in den Kopf gesetzt, das Unmögliche möglich zu machen und versucht, durch eine scheinbar nicht ganz so steile Passage des Grabens zu uns zu gelangen. Das kann sichtbar nichts werden, und so kommt es, wie es kommen muss. Er bleibt stecken. Aussteigen in Gegenwart der Löwin können er und seine Gäste nicht. Und so rangiert er links hinter uns, dass der Motor dröhnt und die Steinchen fliegen. Der Lärm ist penetrant und unerträglich. Finden nicht nur wir, sondern findet offenbar auch das Löwenbaby, das nicht getragen wird und die Nachhut bildet. Als es in unserem Rücken in die Nähe des röhrenden Ungetüms kommt, nimmt es Reißaus, flitzt an uns vorbei über die Ebene und dann hinunter in den Graben, wo die Familie zuvor herausgeklettert war. Einmal sehen wir es noch weit entfernt auf der anderen Seite, dann rennt es wieder hinab, kommt aber nicht wieder rauf. Wo ist es hin? Wir sind erschrocken. Vielleicht, so denke ich mir, rennt es durch den Graben und dann zur Mutter. Die hat von all dem nichts mitbekommen und ihre erste Fracht in einem Gebüsch weit hinter uns abgeladen. Livingstone teilt diese Hoffnung, die sich jedoch zerschlägt: Nach zehn Minuten bangen Wartens taucht die Mutter auf. Allein. Sie sucht das Gelände ab und ruft, allerdings ohne Erfolg; wohl auch, weil der Guide noch immer feststeckt und weiter ein Heidengetöse veranstaltet. Ich bin am Boden zerstört. Zumal der Graben etwas Wasser führt und die Mutter unverrichteter Dinge zum anderen Baby zurückkehrt. Beide bleiben verborgen im Busch. Ist das schon das traurige Ende dieses Dramas? Ich mag kaum daran denken, und tue es doch. Livingstone klärt mich auf, versucht zu trösten. In 80 Prozent der Fälle fänden die Tiere ihren verlorenen Nachwuchs wieder. Doch er wirkt mitgenommen und ist es wohl auch. Und so beobachte ich weiter mit bangen Blicken den Graben, ob das Wunder nicht doch noch passiert. Das Kätzchen nicht plötzlich wieder auftaucht. Die Ranger rücken an. Machen dem steckengebliebenen Guide Beine. Lesen ihm erst die Leviten und schubsen ihn dann mit der Stoßstange raus aus dem Schlamassel. Er macht sich aus dem Staub. Sprichwörtlich. Nur zwei Autos sind geblieben, eins davon sind wir, ich kann jetzt nicht weg. Muss wissen, ob das gut ausgeht. Ein Ranger klettert in den Graben - die anderen halten Wache - und taucht wieder auf. Mit leeren Händen. Mein Herz hatte vor Hoffnung höher geschlagen und rutscht nun wieder in die Hose. Mit einem lauten Plumps, der mich erschüttert. So ein Elend. Alles verbuscht und dornig, erfahren wir später, als die Ranger zu uns stoßen. Sie werden die Situation weiter im Blick behalten. Lassen der Natur erst einmal ihren Lauf, bevor sie nach einiger Zeit eine intensivere Rettungsaktion starten. Auch in der Mara ist ein Löwe ein kostbares Gut. Wir fahren zurück zum Camp. Bedrückt und traurig. Mittag ist längst vorbei, doch wir bekommen noch was. Und ich kaum etwas runter. Die Erlösung folgt am Nachmittag. John, Guide und Mitinhaber des Malaika Camps, ist der Überbringer der Freudenbotschaft. Er hatte Kontakt mit den Rangern. Die Mutter hat das Baby gefunden, die Familie ist wieder vereint. Ich falle ihm fast um den Hals. Und könnte heulen vor Glück. Der Nachmittagsdrive geht fast an mir vorbei, ich bleibe in Gedanken. Denke an das Glück, den kostbaren, stillen Moment mit den Löwen. Und an das Chaos, die Wut und Angst danach. Neuankömmling bei den Topis Zum Abschluss noch zwei Leoparden im selben Baum. Das Licht ist schon schlecht, der Himmel bewölkt, und so setzen wir auf den nächsten Tag; unseren letzten vollen in der Maasai Mara, die einmal mehr ihre beiden Gesichter so extrem gezeigt hat: das schöne wie auch das hässliche. |
Letzte Änderung: 21 Mär 2022 23:18 von Beatnick.
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