Es ist Frühjahr 1862.
Mühesam bewegt sich die Ochsenwagen Kolonne durch die trockene afrikanische Landschaft des Bechuanaland Protektorates.
Hier und dort ein Paar goldgelbe, trockene Grasbüschel, eine Herde Gemsbokke (Oryx) am Horizont, gleissend weisse Salzpfannen zur linken und rechten Seite. Es gibt keine Spur.....die einheimischen Ortskundigen treiben und lenken die Ochsen durch die schier unendlich scheinende Halbwüste.
15 Tage sind vergangen seit verlassen der letzten Siedlung, nein, Hüttengruppe der San, als weit am nördlichen Horizont eine kleine Gruppe Sträucher auftaucht, die Stunde um Stunde anwächst, höher und höher, bis dass die Kolonne im (gefühlten) Schatten einer Gruppe riesiger, alter Baobabs zu stehen kommt.
Die Engländer erkunden die Gegend, einer von ihnen baut eine Staffelei auf und beginnt zu malen, geht immer wieder nach links, schaut kritisch zu den Bäumen hinüber, dann nach rechts, kritischer Blick auf das entstehende Bild. So geht es eine ganze Weile; dann, ein zufriedenes Nicken, das nun trockene Bild wird aufgerollt und verstaut.
Eine riesige Menge Feuerholz wird gesammelt, kleinere, trockene Bäume abgeholzt und ein grosses Lagerfeuer entfacht um die in dieser Gegend häufig vorkommenden Löwen und Hyänen abzuschrecken. Konservenbüchsen werden geleert und in die Nacht entsorgt.
Am folgenden Morgen geht der Maler, der auch der Expeditionsleiter zu sein scheint, zu den grössten der Bäume herüber, zückt sein Jagdmesser und schnitzt penibel in den Baumstamm:
"For king and country - Thomas Baines - 20th October 1862"
So ähnlich hätte sich das damals zutragen können.....und.....keiner hätte irgendein Problem darin gesehen!
Heute würde keiner (ausser vielleicht der allerletzte Rüpel!) auf den Gedanken kommen mit einem Messer die "Haut" des wunderbaren, alten, riesigen, ja, vielleicht sogar weisen (die Wissenschaft entdeckt zur Zeit erstaunliches bezüglich der Kommunikationswelt der Pflanzen) Lebewesens zu verletzen!
Bäume fällen? Abfall in die Gegend entsorgen? Feuerholz sammeln? - allesamt verpönt!
.....Fast forward um 200 Jahre.....wir sind im Frühjahr 2062 angekommen.....gleiche Gegend.....
Ein grosses, busartiges Fahrzeug mit Balonreifen (zur optimalen Verteilung des Drucks und Schonung des Bodens) bewegt sich auf die Baobabgruppe zu. 150 chinesische Touristen fotografieren durch die riesigen, geschlossenen, doppelt entspiegelten Fenster. Das Elektrofahrzeug ist hermetisch verschlossen so, dass die, für die Umwelt schädliche Atemluft, nicht nach aussen gelangen kann. Diese wird in einem geschlossenen Kreislauf wieder auf "Atemqualität" gebracht und rezykliert. Auch ist für die reisenden kaum vorstellbar, dass man vor knapp 40 Jahren noch zu zweit als Selbstfahrer in Kolonnen von stinkenden Dieselfahrzeugen (nannten sich damals Hilux, Landcruiser oder so ähnlich) die Landschaft aufgewühlt hat.
Nur der allerletzte Rüpel würde das Heute noch tun!.....meinten sie.
Ja, Moral, und auch das Gefühl für was geht und was nicht geht ist relativ und verschiebt sich dauernd. Es ist ein "shooting at a moving target"! Daher ist Moralisieren eine ganz schwierige Sache, die gut durchdacht werden will.
Zu guter letzt möchte ich noch die "Extremfrage" stellen:
"Welcher Wert hätte ein wunderschöner, unberührter, afrikanischer Park für uns, konkret, wenn niemals irgendeiner rein dürfte (die Extremform von geschützt)?"
.....ein wenig wie in der alten, philosophischen Frage: "Ist der Mond da, wenn ich nicht schaue?".....
Liebe Grüsse,
Ulli