... Los gehts ...
Nach einem Nachtflug komme ich gegen 5:30 Uhr bei völliger Dunkelheit und (im Flugzeug durchgesagten) 25 Grad am Lungi Airport in Sierra Leone an.
Da man den Flughafen auf der anderen Seite einer Bucht gebaut hat, ist die Fahrt in die Hauptstadt Freetown etwas umständlich. Die Straßenverbindung ist fast 200 km lang und führt zudem über heftige Pisten. Eine Taxifahrt unter Mitnahme des Fahrradkartons fällt also aus.
Direkt vom Flughafen gibt es eine Helikopterverbindung nach Aberdeen, einer Strandregion im äußersten Westen Freetowns. Außerdem gibt es einen überteuerten Shuttle zu einem Hoovercraft und einer Schnellbootverbindung, die ebenfalls Aberdeen ansteuern. Ich entscheide mich für die Fähre, die etwa 20 km südlich ablegt und direkt in die Stadt fährt. Das bedeutet, mich vom Fahrradkarton zu verabschieden (für den Rückflug wird sich schon eine Möglichkeit finden) und das Fahrrad am Flughafen startklar zu machen. Dadurch bin ich mit Abstand der letzte Passagier, der den Flughafen verlässt. Also warten vor dem Flughafen eine Menge lästiger Leute, die mir einen Transport oder eine Unterkunft aufschwätzen wollen oder Geldwechsel anbieten. Da ich den aktuellen Kurs nicht kenne und noch nicht weiß, ob das Geldtauschen auf der Straße nicht vielleicht wie in manchen Ländern verboten ist, verzichte ich darauf, vor allem aber auch, weil eine Menschentraube (Polizisten sind auch in dem Getümmel) um mich herum steht und auf mich einredet. Dieser Moment kurz nach der Ankunft in einem afrikanischen Land ist fast überall genauso nervig. Jeder will scheinbar den Neuankömmling übers Ohr hauen. Sobald es hell ist, fahre ich los.
Es ist Sonntagmorgen, der Verkehr sehr gering und die Straße ganz ok. Die Menschen unterwegs winken freundlich und der Start fühlt sich gut an.
An der Fähre wartet bereits ein einheimischer Rennradler, mit dem ich später ins Gespräch komme. Am Fährterminal kann ich bei einem Geldwechsler auch 50 Euro in Leones wechseln. Der Kurs ist nicht so gut wie am nächsten Tag auf der Bank, aber fair und ohne versuchte Tricks. So habe ich erst einmal etwas Geld und kann vor allem auch die Fähre und die erste Übernachtung bezahlen. Die Überfahrt dauert zwischen 45 und 60 Minuten und Anthony, der Rennradler fragt mich, wo ich übernachten will. Ich habe mich fürs YMCA entschieden und Anthony zeigt mir den Weg und radelt vor mir her durch den chaotischen Verkehr. Auf manchen Straßen geht es in beiden Richtungen kaum voran. Dann fährt man als Radfahrer hier zwischen den Autos, die in die gleiche Richtung wollen und dem Gegenverkehr, so lange die Straße breit genug ist. Ab dem Clocktower geht es durch die Straßen, auf denen der größte Teil des Marktes stattfindet. Autos umfahren diese Straßen meist, da sie von Menschen bevölkert werden wie ein Weihnachtsmarkt. Die wenigen Autos, die hier noch fahren, kämpfen sich hupend im Fußgängertempo und Zentimeterabstand durch die Menschenmenge. Die Gebäude sind alle in ziemlich maroden Zustand. Danach gehts irgendwann in eine Seitenstraße und die Gebäude werden ziemlich ärmlich. Die Dächer bestehen generell aus Wellblech, manchmal auch das ganze Gebäude. Leider ist das YMCA voll, aber in der Nähe gibt es eine weitere Unterkunft, die ganz ok ist. Leider gibt es kein Moskitonetz, was auch während fast der gesamten Reise so bleiben wird. Hier gäbe es keine Moskitos, meint man. Für keine Moskitos bin ich dann am nächsten Morgen allerdings ziemlich zerstochen.
Für seine Hilfe lade ich Anthony zu einem Bier in eine kleine Dorfkneipe in der Nähe ein. Ein zweites Bier lehnt er ab. Er muss ja auch noch seine Sinne beisammen haben, um sich mit dem Rad wieder durch den Verkehr zu schlängeln.
Anschließend -inzwischen ist es schon brutal heiß- schaue ich mir zu Fuß ein bisschen die Stadt an. An jeder Abzweigung präge ich mir ein, wie ich laufen muss, um zurückzufinden. Irgendwie wirkt die Stadt sehr trostlos. Auf dem Rückweg sprechen mich ein paar Kinder freundlich an und beginnen kurz darauf mit dem Betteln. Von der anderen Straßenseite ruft ein im Rollstuhl sitzender Poliokranker scherzend zu mir rüber, ich hätte wohl ein paar neue Freunde gewonnen. Ich gehe zu ihm auf die andere Straßenseite und unterhalte mich eine Weile mit ihm. Emerson (Mitte 40) leidet seit seinem 2. Lebensjahr an Polio, ist sehr gebildet und freundlich. Im Gegensatz zu den vielen anderen Menschen gleichen Schicksals bettelt er nicht. Er sitzt jeden Tag an der gleichen Kreuzung und beobachtet die Menschen - von 7 Uhr morgens bis 7 Uhr abends. Er freut sich, dass sich jemand die Zeit nimmt, mit ihm ein Weilchen zu reden.
Am nächsten Morgen gehe ich in die Stadt und treffe als erstes Emerson. Er sagt mir, wo ich eine Bank finde, um Geld zu tauschen und wo der "Supermarkt" ist. Zuhause in Deutschland ist der Supermarkt im Nachbardorf (ca. 2.500 Einwohner) 3-4 mal so groß wie der größte Supermarkt in der Millionenstadt Freetown. In der Bank tausche ich 500 Euro und bekomme ca. 600 Geldscheine zurück. Zum Glück haben meine Hosen Oberschenkeltaschen, die nun prall gefüllt sind.
Ich erkunde anschließend zu Fuß die Stadt und den Marktbereich, aber irgendwie gibt es hier auch in allen anderen Teilen der Stadt irgendwo einen Markt. Da es fast keine Arbeitsplätze gibt, muss jeder versuchen, durch Handeln etwas Geld zu verdienen.
Bevor ich am nächsten Morgen Freetown verlasse, besuche ich noch eine Schule, die sich direkt neben meiner Unterkunft befindet. Die beiden Schulleiter -eine Frau und ein Mann- führen mich durch alle Schulklassen, wobei die Schule auch einen Kindergarten beinhaltetet. Ich bin nun neugierig, was außerhalb der Hauptstadt so passiert. Emerson, den ich auf dem Weg aus der Hauptstadt erneut begegne und der mir den Weg erklärt, ist ebenso neugierig ... ich werde ihn später wiedersehen.
... demnächst gehts weiter ...
Gruß
Wolfgang