Teil 7 ...
Am nächsten Morgen fahre ich nach Aberdeen. Der mir entgegenkommende Verkehr ist fast zum Erliegen gekommen. Die Autos bewegen sich kaum von der Stelle. Ich habe den Eindruck, dass viele Autofahrer gerne mit mir tauschen würden, als sie sehen, wie ich fröhlich vor mich hinradle.
In Aberdeen quatscht mich jemand an, den ich schon in der Stadt gesehen habe. Ich kann mich zwar nicht erinnern, aber er kennt tatsächlich meine Mailadresse. Ich habe einfach mit zu vielen Leuten gesprochen, als dass ich mich an jeden einzelnen erinnern könnte. Leider habe ich auch nach unserem erneuten Treffen seinen Namen vergessen.
Er erzählt mir, dass seine Mutter während oder kurz nach seiner Geburt starb. Sein Vater wurde während des Bürgerkriegs mit Macheten ermordet, als er 11 Jahre alt war. Er verwendet dabei das Wort "geschlachtet/abgeschlachtet", während er davon erzählt. Er selbst konnte flüchten, aber es wurde mit Gewehren auf ihn geschossen. Ein Streifschuss erwischte ihn am Nacken. Die Narbe ist mehrere Zentimeter lang.
Er freut sich wie ein kleines Kind, als er seinen Heimatort auf meiner Landkarte findet. Er liegt im Osten nahe der Grenze zu Liberia. Seinen Lebensunterhalt verdient er mit einem winzigen Laden, der kaum breiter ist als die Tür. Die Öffnungen daneben gehören schon zu den angrenzenden Shops.
Es dauert keine 10 Sekunden, bis er auf diesem Baum steht.
In Aberdeen suche ich nach einer Unterkunft, aber entweder sind sie sehr teuer oder einfach schlecht. Ich fahre weiter in Richtung Lumley am Strand entlang. Hier gibt es mehrere Hotels und Unterkünfte, aber unter 90 US$ pro Nacht geht da nichts. Ein Hohn für die Einheimischen, die hier mit 30 Euro einen ganzen Monat überleben müssen.
An einer Unterkunft frage ich gerade nach, als mir zwei junge Männer bettelnd entgegenkommen. Sie brauchten Geld für Medikamente, sagen sie. Die Hand des einen ist dick angeschwollen und ein Finger ist offen. Ich wimmele sie ab und antworte, dass ich mir zunächst eine Bleibe für die Nacht suchen muss. Das gelingt mir später dann in Lumley auch zu einem vernünftigen Preis. Das Zimmer hier ist ganz ok und groß.
Das Preisschild in der Unterkunft lässt eine gewisse Geräuschentwicklung befürchten, aber ich irre mich.
Am nächsten Tag sehe ich die beiden wieder und die Hand sieht wirklich nicht gut aus, irgendwie wie aufgeblasen. Der verletzte Finger ist doppelt so dick wie die anderen und farblich passt er auch schon nicht mehr ganz dazu. Ich sage dem Verletzten, dass er in ein Krankenhaus gehen soll und er antwortet, dass er das schon versucht hat und die 15.000 Leones (< 3 Euro) für die Untersuchung nicht bezahlen konnte. Dabei muss er fast weinen. Da stehe ich nun. Auf der einen Seite unterstütze ich Bettelei nicht sehr (Ausnahmen wie Behinderte ausgenommen) und weiß, dass es das Problem oft noch verstärkt, aber hier geht es um ein offensichtliches gesundheitliches Problem und der junge Mann wird hier vielleicht seinen Finger, die ganze Hand oder noch mehr verlieren können. Ich gebe ihm also kein Geld, sondern gehe mit ihm zum nächsten Krankenhaus. Dort freue ich mich erst einmal, dass ich nicht selbst zur Behandlung dort bin, aber immerhin sind die Spritzen steril verpackt.
Ich bezahle die erste Untersuchung durch den Arzt und bin auch bei der Untersuchung und Behandlung dabei, die definitiv schmerzhaft ist. Er muss auch in den nächsten 5 Tagen täglich zur Behandlung, die nächsten 2 Wochen alle 3 Tage zum Kontrollbesuch zum Arzt, braucht Tabletten und Spritzen. Danach -so hofft man- wäre es wieder ok. Ich bezahle die komplette weitere Behandlung im Krankenhaus vorab für die nächsten zwei Wochen. Es kostet mich insgesamt keine 20 Euro. Mehr kann ich wohl nicht tun, weniger aber auch nicht. Mein Gewissen würde mich wahrscheinlich nicht mehr schlafen lassen. Wegen 20 Euro hätte der junge Mann hier in Kürze vielleicht seine Hand verloren.
Zwei Tage später treffe ich den Verletzten wieder. Seine Hand sieht schon deutlich besser aus. Er bedankt sich überschwenglich für meine Hilfe und ich spüre, dass ihm diese Situation auch nicht angenehm ist. Ich für meinen Teil bin der Meinung, dass ich an der richtigen Stelle eine Ausnahme gemacht habe, was die Reaktion auf Bettelei angeht.
Gruß
Wolfgang