Teil 2 - raus aus der Stadt
Auf meinem Weg aus der Stadt muss ich wieder durch den Marktbezirk. Die Straßen dorthin sind hoffnungslos verstopft, aber mit dem Rad kommt man zwischen den Autos gut voran. Während ich bei meiner Ankunft am Sonntag noch langsam über den Markt radeln konnte, ist heute nur noch Schieben möglich. Irgendwann erreiche ich die vierspurige Fernverkehrsstraße aus der Stadt in Richtung Osten. Der Verkehr ist nicht übermäßig, aber chaotisch. Immer wieder kommt es vor, dass mich ein Taxi oder Kleinbus überholt und direkt danach bremsend zum Fahrbahnrand zieht, weil ein Passant am Straßenrand steht und anzeigt, dass er mitfahren will. Die Hände sind ständig bremsbereit an den Bremsgriffen und natürlich fahre ich mit Rückspiegel am Rad. Die hier verkehrenden Busse haben teilweise Rechtslenkung, was bedeutet, dass die Fahrgäste in Richtung Straßenmitte aussteigen, während andere Fahrzeuge knapp überholen.
Hitze und Sonne sind für mich zu Beginn der Reise besonders heftig und ich mache Pausen bei jeder Gelegenheit und trinke etwas. Schon um 10:30 Uhr ist es eigentlich zu heiß zum Weiterfahren. Ich weiß, dass ich einige Tage brauchen werde, um mich an die Temperaturen zu gewöhnen. Am Nachmittag erreiche ich Masiaka und bin aufgrund der Hitze ziemlich platt, obwohl es nur ca. 60 oder 70 km waren). Als erstes setze ich mich in den Schatten einer kleinen Kneipe und trinke ein kühles Bier. Neugierige Kinder wollen derweil fotografiert werden.
Als ich bezahlen will, ruft der Besitzer seiner Frau auf Krio zu, sie solle 2.000 addieren (2.000 Leones ~ 40 Cents). Sie verlangt 10.000 Leones und ich antworte, dass das nicht der normale Preis sei. Sie gibt mir 2.000 Leones zurück und meint dann, jetzt -da sie mir das Wechselgeld zurückgegeben habe- könne ich sie ja zu einem Bier einladen. Ja klar - das mache ich bestimmt, nachdem man mich erst zu bescheißen versuchte, zumal die 8.000 Leones auch schon ein stolzer Preis sind, allerdings noch im Rahmen.
Ein Stückchen weiter befindet sich das Guesthouse. Der Besitzer sitzt vor der blau gestrichenen Kneipe und Restaurant. Der gelbe Anbau dahinter ist das Guesthouse.
Von 19 bis ca. 23 Uhr wird mit einem Generator Strom erzeugt. Wasser zum Waschen befindet sich in einer Tonne, aus der man mit einem Plastikbecher das Wasser schöpft und über sich gießt. Auch der Spülkasten der Toilette wird so befüllt (beides in einfachen Unterkünften vieler Länder übrigens völlig normal, allerdings sind dort die Preise meist niedriger).
Das Fahrrad bekomme ich mit etwas Geschick gerade noch so mit in mein Zimmer. Als ich eine Weile im Bett liege, höre ich seltsame Geräusche. Ich denke, es versucht jemand, von außen meine Zimmertür aufzuschließen. Immer, wenn ich etwas sage, ist einige Zeit Ruhe und dann geht es von vorne los. Irgendwann entdecke ich im Lichtschein meiner Taschenlampe die Ursache der Geräusche. Eine Ratte sitzt in etwa 1,50m Höhe auf dem an der Wand aufgesetzten Lichtschalter neben der Tür und knabbert an irgendwas rum. Sie springt runter und verschwindet unter der Tür zur Toilette (10cm Spalt) und von dort durch die Fensteröffnung nach draußen. Später turnt die selbe (oder eine andere?) Ratte 1m direkt oberhalb des Kopfendes meines Bettes an den Gitterstäben des Fensters rum. Die Nacht ist nicht so richtig erholsam, zumal in Sierra Leone durch Ratten häufig Lassa übertragen wird. Bei der letzten Erkrankungswelle kamen etwa ein Drittel der Erkrankten ums Leben.
Am nächsten Morgen erzähle ich dem Besitzer von der/den Ratte/n, doch ein teilnahmsloses Achselzucken ist die Antwort. In einer vergleichbaren Situation in Kamerun wurde umgehend jemand losgeschickt, um mit einer Falle das Tier zu erlegen. Hier ist mit einer Reaktion jedoch nicht zu rechnen. Mal sehen, was ich auf dem Rückweg mache. Durch diese Ortschaft muss ich erneut.
In Masiaka teilt sich die Straße. Ich biege rechts ab in Richtung der zweit- und drittgrößten Stadt des Landes. Der meiste Verkehr läuft weiter geradeaus in die viertgrößte Stadt. Hier gibt es einige Minen und wenn es irgendwo im Land mal etwas vorangehen wird, wird es wohl zuerst in dieser Gegend sein. Meine Strecke ist auf der Landkarte als "Secondary Road (paved)" eingezeichnet. Der Verkehr wird nochmals deutlich weniger und es gibt einen Seitenstreifen für Fußgänger, den ich prima nutzen kann, wenn Autos bzw. Motorräder kommen.
So fährt es sich überraschend angenehm bis Mile 91, einem weiteren Etappenziel. Hier gibt es sogar ein Ortsschild, aber auch die üblichen stummen Zeugen des Bürgerkriegs.
Auf dem Dach meiner Unterkunft turnt ein neugieriger Geier herum. Diese sieht man häufig auch in den Dörfern, aber noch häufiger sieht man Krähen und große Greifvögel.
Meine Unterkunft liegt etwa 1-2km außerhalb der Ortschaft und ich gehe zu Fuß los. Ich finde ein brauchbares "Restaurant", das ich auf dem Rückweg aufsuche. Da ich Fisch nicht mag (solchen, der tagelang in der Sonne lag, schon mal gar nicht) und auf knorpelig sehniges Fleisch mit reichlich Knochensplittern auch gut verzichten kann, frage ich nach etwas ohne Fleisch/Fisch/Huhn. Ich bekomme einen Teller mit Salat, Kohl, Tomaten und Salatgurken mit Mayonaise, die ungekühlt in der Gegend rumsteht. In einer Gegend ohne Leitungswasser ist das zwar ein Frontalangriff auf die Darmflora, aber ich habe Hunger und esse alles auf. Außerdem bekomme ich einen Teller Couscous mit Gemüse.
Als ich mich auf den Nachhauseweg mache, hält ein umgebauter Porsche Cayenne neben mir. Ein einheimischer Plantagenbesitzer, der die meiste Zeit in Frankreich lebt, nimmt mich mit zur Unterkunft, in der er auch übernachtet (er hatte mich dort gesehen). Wenn er in Sierra Leone ist, hat er hier seinen in Qatar umgebauten Porsche stehen. Am nächsten Morgen fotografiere ich das Gefährt, als er es waschen lässt.
Es gibt also auch ein paar sehr reiche Leute in diesem Land, in dem die meisten Menschen nicht wissen, ob sie sich morgen etwas zum Essen kaufen können.
... demnächts gehts weiter ...
Gruß
Wolfgang