Nachtrag zum vorigen Teil:
Ich habe in meinen alten Unterlagen gewühlt und noch einiges gefunden, z. B. eine
„Notice To Discontinue Use Of Vehicle“, die mir den weiteren Gebrauch des Fahrzeugs untersagt mit der Ausnahme: „to reach Chiredzi for the period from 1750 on 3.7.95 to 3.7.95 on 2200 hrs. At a speed not in excess of 40 k.p.h.” usw.
Wir sind für den frühen Morgen zum Gerichtsgebäude bestellt und sind natürlich pünktlich da. (Muss gerade an das T-Shirt denken: „Not only am I perfect, I’m German, too!“, das Camelthorn gepostet hat.

) Ein lebhaftes Treiben überrascht uns. Um das Gebäude herum lagern schon viele Menschen, es hat ein bisschen was von einem Volksfest. Die fröhliche Atmosphäre vertreibt etwas meine düsteren Gedanken. Als das Gebäude geöffnet wird, strömt alles in den großen Gerichtssaal. Ich erkundige mich erst mal, wie ich mich verhalten soll. Ich solle mich in den Saal setzen und würde dann aufgerufen. Aber es hätte keine Eile, der Richter würde sich verspäten! TAB

. Also schlendere ich ein wenig umher und schaue mich um. Und prompt entdecke ich eine dieser typisch afrikanischen Schlampereien

: Da hatte doch jemand vor dem Eingang zum Gerichtssaal den Zettel mit den zuletzt verhandelten Fällen nicht abgenommen. Da stand gelistet:
Name1, Rape;
Name2, Manslaughter;
Name3, Murder,
Name4, Childmurder;
usw.

Nun ja, der Richter ließ weiter auf sich warten, und ich kam ins Grübeln: Oder sollten es doch die aktuellen Fälle sein? Ach, was!

Endlich, nach über 4 Stunden Wartens trifft der Richter gegen Mittag ein. Ausgerechnet jetzt muss Véro mich verlassen und zum Hotel zurück: Wir hatten mit der Lodge (übrigens die Mahenye Safari Lodge, wie ich jetzt gefunden habe) vereinbart, dass sie uns gegen Mittag vom Hotel in Chiredzi abholen. Wie üblich waren wir mal wieder viel zu optimistisch gewesen.

Der Gerichtssaal ist leicht beschrieben: Ihr kennt ja sicher alle die englischen Gerichtsfilme, z.B. Zeugin der Anklage mit Marlene Dietrich? So ähnlich sah der Saal aus, mit einigen kleinen signifikanten Änderungen: Dort, wo in den Filmen das Bild von QE2 hängt, hing hier ein Bild von Robert Mugabe. Und der Richter, zwar in schwarzer Robe und weißer Langhaarperücke, hatte eine andere Hautfarbe als Charles Laughton. Links von der riesigen und erhöhten Richterbank stand der nicht ganz so hohe Schreibtisch des Staatsanwalts. In der Mitte, direkt dem Richtertisch gegenüber, steht die Anklagebank. Und rechts, neben einer kleinen Tür, die noch eine Rolle spielen wird, stehen 2 Hochstühle für die Übersetzer – ein Übersetzer Englisch-Shona, ein anderer für Englisch-Ndebele: Wenn noch ein dritter Stuhl da gewesen wäre, hätte es sicher auch noch einen Übersetzer Englisch-Deutsch gegeben, aber so …

Ich finde noch einen Platz auf einer hinteren Bank in dem proppevollen Zuschauerraum. Überflüssig zu erwähnen, dass ich der einzige mit heller Hautpigmentierung bin.
Der Richter eröffnet die Sitzung. Ein lauter Befehl, und die kleine Tür an der rechten Wand öffnet sich. Von meinem Platz aus sehe ich eine nach unten führende Treppe und höre leises Klirren. Was mag das sein? Dann sehe ich den ersten Angeklagten die Treppe hochkommen … und fühle mich um Jahrhunderte in der Zeit zurückversetzt. In bräunlich-beige gestreifter, leicht zerfetzter Gefängniskleidung, mit Hand- und Fußfesseln wird der erste Gefangene vorgeführt.* Die Eisenfesseln erzeugten das Klirren, dass ich gehört hatte. Mir wird ganz anders.

Dann geht alles sehr schnell: Verlesung der Personalien, der Staatsanwalt erklärt, wessen die Person angeklagt ist, und der Richter beschließt das Ganze mit einem: „Vertagt bis zum …“ Viel habe ich aber nicht verstanden. Es ging wohl um Haftprüfungstermine. Jedenfalls wird so einer nach dem anderen (der Rapist, der Murderer usw.) vorgeführt und wieder in den Keller geschickt.
* (Véro erzählt mir gerade, dass sie die Gefangenen beim Antransport gesehen hatte - ich war da wohl im Gebäude. Jedenfalls musste sie bei deren Anblick an die Daltons von Lucky Luke denken. Solch spaßige Assoziationen sind mir damals nicht gekommen!

)
Anschließend entsteht eine kleine Pause, in der der Staatsanwalt mehrmals etwas ruft. Irgendwann merke ich, dass man mich aufgerufen hat. Dass ich meinen eigenen Namen nicht verstehe, liegt daran, dass er so ähnlich geschrieben wird wie eine im südlichen Afrika bekannte Marke und dementsprechend ausgesprochen wird. Herr „Marke“ steht also auf und begibt sich mit weichen Knien zur Anklagebank. Man hat mir zwar versichert, es werde alles nicht so schlimm werden, aber wenn der Richter nun einen schlechten Tag hat, was dann?
Ja, was dann?