13. September: Bikkie ma latsche in Etendeka
Wir haben in Namibia schon einmal eine mehrtägige Wanderung gemacht. Der Tok Tokkie Trail im Namib Rand Nature Reserve war 2015 so großartig, dass wir noch heute davon schwärmen. Ich war seinerzeit über die Lektüre von "Hummeldumm" darauf gekommen, ein Buch, das mutmaßlich jeder Namibia-Reisende über kurz oder lang in die Finger bekommt. Mal abgesehen davon, dass nur wenig in der ebenso heiteren wie fiktiven Geschichte im echten Leben nachahmenswert ist, hatte ich mich gefragt, ob eine geschilderte Wanderung durch die Wüste nebst Mobiliar mitten im Sand nicht am Ende sogar tatsächlich existiert?!
Meine knallharte Recherche führte mich relativ direkt zum Tok Tokkie Trail. Der ist zwar in der Realität nicht ganz so schlauchend wie im Roman, die Begrifflichkeit "a bikkie ma latsche" ist aber Teil unseres aktiven Wortschatzes geworden, und genau das wollten wir auch schon längst wieder einmal in Nambia tun: wandern. Nur wo?
Unser Schlafzimmer beim Tok Tokkie Trail 2015
Über den Etendeka Walk bin ich bei der Planung der jüngsten Reise eher zufällig gestolpert - und war sofort Feuer und Flamme. Das sah nicht nur toll aus, wir würden auch eine ganz andere Landschaft erwandern. Steine statt Sand. Eine Abwechslung. Sandra und Christoph trauten sich die Wanderung allerdings nicht so recht zu und wollten die beiden Tage im Etendeka Mountain Camp verbringen. Damit war alles geritzt.
Nun ist der große Tag gekommen, doch es geht erst um 16 Uhr los. Viel Zeit also. Am frühen Morgen ist die Welt noch in Ordnung, doch dann kehrt der Sturm zurück, und wir sind praktisch lahmgelegt. Thomas und ich verziehen uns nach dem Frühstück an die Rezeption der Palmwag Lodge, wo wir nicht unentwegt gesandstrahlt werden.
Viel zu tun ist dort nicht. Thomas kümmert sich um Sandras Kamera, die scheinbar den Geist aufgegeben hat, ich lese und unsere Freunde klären unterdessen die Reifenproblematik bei der Werkstatt. Wie sich herausstellt, wird nicht nur ein neuer Reifen benötigt; ein zweiter hat einen klaffenden Schnitt. Bis zum Nachmittag wird aber alles gefixt sein.
Zwischendurch treibt es mich raus. Rund um den Pool finden sich Vögel und Agamen. Doch der Wind zerrt dermaßen an meiner Kamera, dass ich sie kaum halten kann. Schnell flüchte ich in die Couchecke zurück.
Mittags bekommen wir Gesellschaft. Unsere neuen Forums-Freundinnen Angelika und Hermia habe den morgendlichen Scenic-Drive durch die Palmwag Konzession mitgemacht und wurden fast vom Winde verweht. Sie haben eine Menge Staub geschluckt und kaum Tiere gefunden, aber tapfer durchgehalten.
Der Wind, so erzählen uns wiederholt Einheimische, sei für die Jahreszeit ungewöhnlich und eher typisch für den Januar. Und so ist es auch hier wie überall auf der Welt: Das Wetter spielt verrückt. Die Zuversicht für unsere Wanderung schwindet, je näher der Zeitpunkt rückt.
Doch am frühen Nachmittag geschieht das Wunder. Lässt der Sturm von einer auf die andere Minute nach. Was sind wir froh! Am Auto klappen wir unseren Tisch aus und packen darauf einige Klamotten in eine gemeinsame Tasche, die wir auf der Wanderung dabei haben wollen. Die Tasche wird transportiert, tragen müssen wir nur unsere Rucksäcke.
Gegen 16 Uhr verabschieden wir uns von Sandra und Christoph, die zusammen mit anderen Gästen ins Etendeka Mountain Camp gefahren werden. Unseren Guide erkennen wir am Schlapphut, ich bin ebenfalls mit Kappe unterwegs, auch am Nachmittag ist es noch sengend heiß. Wir sind in den nächsten beiden Tagen seine einzigen Gäste.
Ein Fahrer bringt uns in die gegenüber von Palmwag beginnende Etendeka Konzession, nach 20 Minuten stoppen wir, nun geht es los.
Wir steigen aus, Gelasius setzt sich an die Spitze. Er ist ein sympathischer Typ, der viel lacht, aber auch mindestens so gerne redet. Nach einiger Zeit verebbt sein Wortschwall auf ein normaleres Maß, und wir lauschen den Geräuschen der Natur. Saugen die Umgebung in uns auf. Die Weite dieser roten Landschaft, die durchsetzt ist mit Sukkulenten, trockenen Flussbetten und flachen Bergen.
Etwa zweieinhalb Stunden laufen wir gemächlich durch die raue und wilde Gegend, nur ein Warm-up, doch wir merken beide: Unsere Rücksäcke sind zu schwer. Am Abend wandern einige unserer Habseligkeiten in die große Tasche, die ja auf bequemerem Weg weiterreist.
Nach nur wenigen Kilometern kommen wir am River Camp an, wo wir die erste Nacht verbringen. Es liegt inmitten der Wildnis und besteht aus einigen Plattformen, die mit einem Bett nebst Schlafrolle, Tisch und relativ offenem Freiluft-Bad ausgestattet sind. Die beiden Seitenwände, die zum Schutz vor der Sonne ein Spitzdach bilden können, sind heruntergeklappt. Wir schlafen unter dem Sternenhimmel. Es ist ein Traum!
Wir beobachten den Sonnenuntergang. An diesem einsamen, abgelegenen Ort. Die Welt gehört uns und wir sind dankbar, dass wir solche Dinge erleben dürfen.
Am offenen Feuer bereitet der Koch ein grandioses Abendessen. Hausmannskost vom Allerfeinsten. Gelasius leistet uns Gesellschaft, fragt nach uns, erzählt von sich. Er ist ein Kavango, also von Haus aus Fischer, arbeitete aber bis ihrer Schließung als Guide in der Erongo Wilderness Lodge. Seit zwei Jahren ist er nun hier - und muss mit den großen Tieren noch üben. Sagt er. Ich werde noch daran denken müssen.
Als ich im Bett liege, kann ich erst nicht schlafen. Die Sterne sind einfach zu schön. Dann dämmere ich weg, bin aber kurz darauf schon wieder wach. Löwengebrüll von vorn! Gelasius hatte von fünf Löwen berichtet. Sie waren zwei Tage zuvor an einer Quelle gesichtet worden. Zu weit weg allerdings, um mal eben auf dem Weg hierher mit dem Auto vorbeizuschauen. Ich hatte das bedauert, nun bin ich ganz froh. Und schlafe wieder ein.
Aber wieder nicht für lange. Mehr Löwengebrüll - diesmal von weiter rechts. Sie sind also gewandert. Denkste! Von links kommt die Antwort. Und dann wieder von rechts. Ich schaue hinüber zu Thomas. Der schläft selig. Natürlich. Nicht, dass ich Angst hätte auf der erhöhten Plattform, ohnehin sind die Tiere weit weg. Sage ich mir, und bin bald wieder weggenickt.
Um 4.30 Uhr schrecke ich hoch. Löwengebrüll. Von hinten. Ganz nah. Wir sind umzingelt. Oje. Ich weiß: In diese Richtung geht es am Morgen. Gelasius wird sich auskennen. Beruhige ich mich. Was leidlich gelingt, denn die Löwen brüllen wieder. Und wir mittendrin. Das kann ja heiter werden.