THEMA: 1996 (35 Tage Namibia, Chobe, Vicfalls)
12 Aug 2013 20:18 #300031
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Dienstag, 18. 6. 1996

Es ist irre, mein süßes, liebes, kleines Frauchen (!!) und ich mitten im afrikanischen Busch, im oder zumindest direkt vor dem wilden, weitgehend unzugänglichen Chobe-Nationalpark in Botswana. Davon hätten wir vor einigen Jahren noch nicht einmal zu träumen gewagt.

Aber der Reihe nach: entweder wirke ich insgesamt ein wenig tölpelhaft oder mein Englisch ist schlechter, als ich dachte, jedenfalls will man mich beim Bezahlen im Hotel wohl so richtig zur Kasse bitten, die Rechnung ist um satte einhundertachtzehn Zimbabwe-Dollar zu hoch. Irgendjemand hat den Restaurantbon eines anderen Zimmers unter unsere Abrechnung geschummelt. Sehr widerwillig und demzufolge auch umständlich wird der Irrtum korrigiert. Ich bin ein klein wenig stolz, daß ich den Sachverhalt richtigstellen kann, da ich in R.s Augen zumindest in dieser Beziehung immer ein mehr oder weder großes Schussel bin.

Zum Abschied von Vic - Falls fahren wir den Zambezi-Drive entlang, der durch den gleichnamigen Nationalpark führt. Beim „Big Tree“, einem wahrhaft riesigen, alle üblichen Dimensionen sprengenden Baobab steigen wir aus. Zwei junge Security - Angestellte des Parks sprechen uns an, sie wollen uns Büffel und Krokodile zeigen.



Zu Fuß begeben wir uns auf die Pirsch, aber von den Büffeln sind nur noch einige wenige wedelnde Schwänze im Gebüsch zu sehen. So konzentrieren wir uns auf die Krokodile. Nach einem Fußmarsch von zwei bis drei Kilometern direkt am Zambezi entlang weist einer unserer Führer auf einen Felsen dicht am Ufer. Erst nach einigen Augenblicken erkennen wir tatsächlich ein junges, bei weitem noch nicht ausgewachsenes Krokodil, das schläfrig in der Morgensonne liegt. Unsere selbsternannten Guides sehen wirklich mehr als wir: kleine, buntschillernde Vögel in dichtem Buschwerk oder hohen Bäumen, winzige Echsen, die blitzschnell in Felsspalten verschwinden, wenn sie Geräusche hören, und außergewöhnliche Pflanzen, die von den Einwohnern auf vielfältige Weise genutzt werden. So demonstrieren sie uns zum Beispiel, wie sie aus Palmwedeln Matten als Bodenbedeckung für die Hütten fertigen.



Kurz vor Beendigung unserer kleinen Wanderung deuten sie ganz plötzlich aufgeregt auf dichtes Buschwerk am Flußufer - ein einzelner Elefant in maximal zehn Meter Entfernung rupft genüßlich Blätter und junge, saftige Zweige von den Bäumen und schiebt diese mit dem Rüssel unermüdlich in sein Maul. Unser Pulsschlag beschleunigt sich erheblich, denn es besteht doch ein Unterschied, ob man diesen Kolossen quasi Auge in Auge gegenübersteht oder relativ sicher in seinem Auto sitzt. R. beweist Mut, um besser photographieren zu können, geht sie vorsichtig noch einige Schritte näher heran. Mir wird ganz mulmig im Magen, und ich mahne sie, nicht zu übertreiben. Aber alles geht gut, sie betätigt schnell einige Male den Auslöser, und wir erreichen wohlbehalten unseren Wagen.



Als Dank für die geleisteten Dienste bieten wir unseren Führern einen angemessenen Geldbetrag an. Als sie erkennen, daß es sich um Namibiadollar handelt, erklären sie uns, daß sie damit nichts anfangen können. Offensichtlich genießt die Währung, zumindest bei den unmittelbaren Nachbarn dieses jungen Staates, wenig Vertrauen, siehe Straßenbenutzungsgebühr Botswana. Wir finden aber auch noch einige Rand, und damit sind die symphatischen jungen Männer sehr zufrieden. Wir verabschieden uns herzlich, ein schöner Abschluß unserer Tage in Zimbabwe.



Bevor wir jedoch Victoria - Falls endgültig verlassen, zählen wir erst noch unsere „Zimbabwe-Mäuse“. R. geht einkaufen, um den Rest zu verbraten. Sie macht es sich wie immer nicht leicht, diesmal im wahrsten Sinne des Wortes: nach angemessener Wartezeit, so ca. 30 bis 60 Minuten, sehe ich sie - vornübergebeugt wie ein krummes, altes Mütterlein, mit äußerster Anstrengung einen noch nicht zu identifizierenden Gegenstand schleppend - schwerfällig über die Straße kommen. Stolz wie ein Pfau präsentiert sie mir eine Skulptur, einen Frauenkopf aus Eisenholz, mit einem Gewicht von etlichen Kilogramm. Sie ist ganz begeistert, vor allen Dingen, weil sie den Preis für das „gewichtige“ Stück erheblich heruntergehandelt hat. Als ich nachrechne, komme ich auf einen Nettobetrag von DM 2,43... Aber um gerecht zu sein, es ist wirklich ein außergewöhnlich schönes Stück. Nun aber nichts wie weg, wir müssen daran denken, daß das Gewicht unseres Gepäcks auch für den Rückflug limitiert ist.



Der Grenzübertritt zurück nach Botswana verläuft problemlos, schließlich kennen wir das Procedere ja auch schon. Die Kameraden haben aber trotzdem für uns noch eine zusätzliche Überraschung vorbereitet. Vorschriftsmäßig fahren wir wieder durch das brackige, von schillernden Ölflecken bedeckte Wasser des sogenannten Seuchenbads. Voller Unverständnis schauen wir uns dann jedoch an, als uns der leitende Beamte der Seuchenvermeidungsstation bedeutet auszusteigen. Er schüttet aus einem Becher eine undefinierbare Flüssigkeit auf einen schmutzstarrenden Lappen. Dann versucht er uns zu bewegen, erst mit unverständlichem Kauderwelsch, dann mit wildem, heftigem Gestikulieren, unsere Sandalen auf diesem widerwärtigen, unappetitlichen, ekelerregenden Textilfetzen abzutreten. Mit Abscheu wischen wir die Schlappen kurz über die abstoßende Textilie und schleudern sie anschließend eiligst von den Füßen. Bei nächster Gelegenheit müssen die Jungs gründlich desinfiziert werden.

Wie eingangs schon erwähnt, können wir es kaum fassen, daß wir jetzt mitten in der afrikanischen Wildnis sind. Wir übernachten in der Chobe Safari Lodge und buchen für den Nachmittag gleich „game viewing by boat“. Das von Profis gesteuerte Boot mit Aussichtsterrasse gleitet beinahe lautlos über das ruhige Wasser des Chobe und bringt uns zum Berühren nahe an Krokodile, Leguane, Flußpferde, Büffel, Elefanten, seltene Antilopen und Gazellen, Zebras, Reiher, Fischadler, Nilgänse und buntgefiederte Enten heran. Bei wirklich lohnenden Motiven achtet der Schiffsführer natürlich darauf, daß zum Photographieren die Sonne im Rücken steht. Wie schon gesagt: Profis!






Ich bemerke gerade: das klingt fast ein wenig lahm und langweilig, aber das Gegenteil ist der Fall! Ganze Flußpferdkolonien, die Uferzonen und Seitenarme des Chobe bevölkern, Elefantenherden, die im „Gänsemarsch“ zum Saufen kommen und ungeheure Mengen Wasser in sich hineinschütten oder vor der untergehenden Sonne Futter suchen, unzählige Büffel, die auf einer abgelegenen Halbinsel weiden oder friedlich widerkäuen, Fischadler, die zum atemberaubenden Sturzflug ansetzen und mit für die Fische fast immer tödlicher Sicherheit mittels ihrer messerscharfen Krallen zugreifen, Krokodile, die anscheinend nur faul und träge in der Sonne dösen, dann aber so blitzschnell ihre Beute attackieren, daß der Bewegungsablauf für das menschliche Auge kaum wahrnehmbar ist, Reiher und Löffler auf unermüdlicher Futtersuche, äsende, immer wieder nach allen Seiten sichernde Antilopen, Zebras und Gazellen sowie Tümpel oder ruhige Seitenarme des Chobe, über und über mit Seerosen bewachsen, bewundern zu dürfen, läßt unser Herz höher schlagen. Uns wird bewußt, was wir durch unsere sogenannte Zivilisation in Europa schon alles verloren haben.



Ich genieße es außerordentlich, mich auf meinem Aussichtplatz zu räkeln, meine Beine nach Belieben und allen Seiten ausstrecken und mich ausschließlich auf die Tierbeobachtung konzentrieren zu können, ohne auf die Fahrbahn achten zu müssen.

Diesen wahrlich ereignisreichen Tag lassen wir nach einem sehr guten und reichhaltigen Abendessen im Restaurant mit einer Flasche Wein ausklingen; nicht einmal das Kreuz des Südens löst ernsthafte Diskussionen zwischen uns aus.



Mittwoch, 19. 6. 1996

Schon bei Sonnenaufgang geht es diesmal auf vier Rädern in einem offenen Wagen durch den Chobe. Als ich unseren Fahrer und Führer mit Mütze und Handschuhen hinter dem Steuer sitzen sehe, wird mir schnell klar, was uns erwartet: viel frische, kalte Luft. Also hole ich mir eiligst noch das dicke Vlies, damit ich nicht zum Eiszapfen erstarre. Unterwegs bekommen wir einen nachhaltigen Eindruck über den Zustand der Pads im Park. Letzte Zweifel, den Chobe nicht selbständig zu erkunden, sind sehr schnell beseitigt. Soviel Wert legen wir nun auch wieder nicht auf tiefen Sand und unübersichtliche Streckenführung. Bei der Tierbeobachtung haben wir heute morgen nicht übermäßig viel Glück, aber nach unseren Erfahrungen der gestrigen Bootsfahrt und vor allen Dingen aus dem Etosha - Park stellen wir natürlich auch sehr hohe Ansprüche.

Nachmittags wollen wir uns noch einmal verwöhnen, nutzen die Gelegenheit und gehen wiederum auf das Boot, das heute im Gegensatz zu gestern voll ausgebucht ist. Direkt hinter uns nimmt eine etwa fünfzigjährige Tussi Platz, die ihrer Begeisterung über die entdeckten Tiere mit sich ständig steigernden, hohen, spitzen, schrillen Schreien Ausdruck verleiht: „Ooooh, wie ist das schöööön“, „oooh, daß ich das noch erleben darf“, „oooh, ein Flußpferd“, „oooh, wie niedlich“, „Ede, bring mir ‘mal das Fernglas“, „Ede, guck ‘mal“, „Ede, hast du das gesehen?“ Ede, offenbar ihr Mann, sitzt fünf Reihen hinter ihr... Die Tussi gönnt sich und vor allen Dingen uns keine Pause. Ununterbrochen dringen die unangenehmen Töne in unsere Ohren. R. befürchtet - nicht zu Unrecht - von mir eine scharfe Reaktion, redet mir begütigend zu und bittet um Verständnis für ihre Geschlechtsgenossin. Als aber nach ca. einer Stunde ein besonders schriller Schrei mein Trommelfell schmerzhaft vibrieren läßt, platzt mir der Kragen und ich weise die Dame höflich, aber sehr bestimmt und angemessen deutlich darauf hin, daß ich mich von ihr akustisch äußerst belästigt fühle. Augenblicklich herrscht angespannte Stille auf dem ganzen Boot, man könnte eine Stecknadel zu Boden fallen hören. Offensichtlich habe ich sehr vielen anderen Teilnehmern aus dem Herzen gesprochen, und nur die Tatsache, daß sie zu einer gemeinsamen Reisegruppe gehören und notgedrungen noch einige Zeit miteinander verbringen müssen, hindert sie wohl daran, laut zu applaudieren. Die Tussi läuft vom Hals aufwärts rot an, setzt sich zu ihrem Ede und ward fortan nicht mehr gehört... Der Rest der Fahrt ist ein wirklicher Genuß: auf dem Boot ist es genauso friedlich und still wie auf dem Fluß und am Ufer.





Abends grillen wir noch einmal. Nachdem das Holzfeuer entzündet ist, gehe ich an die Reception und bezahle. Bei meiner Rückkehr trifft mich fast der Schlag: mein liebes, kleines Frauchen (!!) hat offenbar innerhalb von zehn Minuten den Verstand verloren. Sie stolpert unsicher über den Rasen vor unserer Hütte, funzelt mit der Taschenlampe mal hierhin, mal dorthin, und als ich näherkomme, sehe ich, daß sie vollkommen verschmutzt ist. Stammelnd faselt sie wirres Zeug, ohne einen vollständigen Satz, geschweige denn einen einigermaßen zusammenhängenden Bericht abgeben zu können. Mit äußerster Mühe gelingt es mir, einzelne Worte zu verstehen. Ich nehme die Kleine erst einmal in den Arm und versuche, sie zu beruhigen, denn mir wird klar, daß sie unter einem Schock steht. Ganz allmählich kann ich mir ein Bild über das abgelaufene Geschehen machen: R. will unsere Hütte mit dem flackernden Holzfeuer davor photographieren. Hektikerin, die sie zumindest teilweise nun einmal ist, übersieht sie bei der Suche nach dem günstigsten Standort beim Rückwärtsgehen eine niedrige Steinmauer vor der Böschung zum Chobeufer. Sie stolpert rückwärts darüber und fällt etwa zwei Meter tief den Abhang hinunter, vermeidet beim Aufprall glücklicherweise weitgehend eine in unmittelbarer Nähe befindliche Steintreppe, hält den Photoapparat bewundernswert fest in ihren Händen, verliert beim Sturz jedoch ihre Brille, rappelt sich benommen, aber ohne Brille wieder auf, erklimmt den Abhang, nimmt unverdrossen ihr Motiv abermals ins Visier, wundert sich, daß sie die Hütte nur verschwommen sieht, tätigt aber trotzdem die Aufnahme, merkt erst jetzt, daß sie bei dem Sturz die Brille verloren hat, tastet sich ins Zimmer und zum Koffer, um die Taschenlampe und mit dieser ihre Brille zu suchen, stolpert unsicher über den Rasen... Ab jetzt erscheine ich wieder auf der Bildfläche, siehe oben. Ich vergewissere mich, daß bei ihr zumindest kein ernsthafter physischer Schaden entstanden ist, lasse mir die Taschenlampe geben und die Absturzstelle zeigen, finde die ziemlich arg in Mitleidenschaft gezogene Brille (zur Erinnerung, das hier ist schon ihre Ersatzbrille!) und öffne zwei Flaschen Bier, denn allmählich wird mir bewußt, wieviel Glück R. gehabt hat.

Die Stelle, wo sie gefallen ist, liegt nur etwa fünf Meter vom krokodilverseuchten Chobeufer entfernt. Nicht auszudenken, wenn sie beim Sturz auf einen Stein geprallt und bewußtlos geworden wäre. Ich als Krokodil hätte mir jedenfalls diesen abendlichen Leckerbissen nicht entgehen lassen. Frauen sind und bleiben mir sicherlich auch künftig ein absolutes Rätsel, denn meine kleine, graublonde Taube beschäftigt mehr als alles andere, daß sie wie stets seit Beginn unserer Reise in ihrer Weste mit den unzähligen Taschen sämtliche überlebenswichtigen Dokumente und Utensilien wie Reisepässe, Flugtickets, Fahrzeugpapiere, DM-Reserven, Reiseschecks, Versicherungspolicen, Tabletten gegen Malaria, Hausschlüssel sowie etlichen anderen Krimskrams bei sich hatte und daß das dann mit ihr verschwunden wäre. Und sie macht sich im nachhinein Sorgen, wie ich mit der dann entstandenen Situation so ganz allein auf dieser großen, weiten Welt - ohne sie, Geld und Ausweise - klargekommen wäre. In diesem Augenblick ist meine Kleine richtig rührend. Aber als sie kurz darauf fragt, ob ich gegebenenfalls einen Tauchgang in die Krokodilhöhle unternommen hätte, um sie zu retten oder zumindest die Überreste zu bergen, merke ich, daß sie schon wieder flachsen kann und ganz die „junge“ ist, denn das kann nicht ihr Ernst (oder Willi?) sein. Nach diesem Erlebnis ist es fast unerheblich, daß unsere Steaks zäh sind, wir haben noch einige Dosen Bier, und die kommen nicht mehr mit auf die Fahrt am nächsten Tag...
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13 Aug 2013 20:19 #300165
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Donnerstag, 20. 6. 1996

R. sieht mit ihrer Sonnenbrille, die sie ja jetzt notgedrungen benutzen muß, aus wie Greta Garbo. Sie beweist aber, daß sie trotzdem noch immer über ihren berüchtigten Adlerblick - ich meine wirklich Adler- und nicht Silberblick - verfügt. Sie entdeckt im dichten Gestrüpp eine fast perfekt getarnte Rappenantilope.



Diese beäugt uns eine Zeitlang mißtrauisch, dann wird es ihr offenbar zuviel, und sie verschwindet mit raumgreifenden Galoppsprüngen. Der Grenzübertritt von Botswana nach Namibia regt uns nicht weiter auf, wir kennen die Procedur ja auch schon, sind aber froh, daß wir diese Grenzwechsel jetzt hinter uns haben. In Katima Mulilo besichtigen wir das „art-center“, so wie wir es uns schon auf der Hinfahrt vorgenommen hatten, und erstehen einen sehr schön geschnitzten Elefanten sowie ein kleines Flußpferd für unsere Tochter.

Wir übernachten in einer Lodge (Suclabo-Lodge) in der Nähe von Popa Falls, die vertretungsweise von einem Franken bewirtschaftet wird, der schon geraume Zeit in Irland lebt. Seit einem Jahr ist er mit einem Campingbus und seiner Frau (die Reihenfolge stammt von ihm und nicht von mir) unterwegs durch Afrika. Mit der Vertretung in der Lodge bessert er seine Reisekasse auf. Man merkt aber sehr deutlich sowohl an der Qualität des Essens als auch an der ganzen Organisation, daß die beiden nur Hobbygastronomen sind... Abends unterhalten wir uns mit einem jungen Deutschen, der hier in der Nähe zusammen mit seinen Eltern eine neue Lodge am jenseitigen Kavango-Ufer mit freiem Blick auf die Popa Falls aufbauen will. Er schildert uns eindringlich die diversen Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit den zuständigen oder auch wieder nicht zuständigen Ministerien und der Administration in Windhoek sowie den regionalen Behörden. Zusätzlich seien Konflikte vorprogrammiert durch die unterschiedlichen Interessen zwischen Weißen und Schwarzen. Rivalitäten oder einfach nur Eifersüchteleien zwischen den jeweiligen Volksgruppen und Stämmen erschweren nach seinen Worten die Situation um ein vielfaches, und wir merken deutlich, daß ihm das morgen früh bevorstehende Palaver mit einem der Stammes-Chiefs schon heute abend schwer im Magen liegt. Wir wünschen diesem unternehmungs- und risikofreudigen jungen Mann gutes Gelingen für sein Projekt und verziehen uns in unsere zugige Hütte. Aus Erfahrung wird man klug: seit unserer ersten Übernachtung in dieser Region wissen wir, daß die Nächte bitterkalt sein können. Deshalb mummeln wir uns ein wie Eskimos, bevor wir unter unsere Decken kriechen.

Freitag, 21. 6. 1996

Morgens besichtigen wir ausgiebig den Mahango Nationalpark, der sich durch seine ausgedehnten Uferregionen des Kavango wesentlich von der Etosha - Pfanne unterscheidet. Ohne allzugroßen Such - und Fahraufwand betreiben zu müssen, genießen wir die herrliche Landschaft und die wilden Tiere.





Große Antilopenherden durchqueren tiefe Trockenflußsenken, Kudufamilien äsen genüßlich an besonders schmackhaften Büschen, scheue, perfekt getarnte Säbelantilopen verstecken sich im hohen Gras,



Fischadler und andere Raubvögel ziehen hoch in der Luft majestätisch ihre Kreise, Krokodile sonnen sich träge auf Sandbänken am Flußufer. Da dürfen natürlich unsere liebsten Freunde, die Elefanten, nicht fehlen. Sich ihrer Überlegenheit voll bewußt, drängen sie über die Fahrbahn. Unser Auto existiert für sie dabei anscheinend gar nicht, obwohl wir nur zehn Meter entfernt parken. Bewundernswert, wie diese tonnenschweren Kolosse sich fast lautlos bewegen. Wenn ich da an manche Trampel zu Hause denke...





Wir übernachten in der fast neuen Nkwasi -Lodge am Ufer des Kavango, etwa zwanzig Kilometer vor Rundu. Bevor wir die Lodge erreichen, rutscht R. wieder einmal das Herz fast in die Hose: um einem entgegenkommenden Fahrzeug auszuweichen, bin ich gezwungen, einen kleinen Sandhügel schräg emporzufahren. Dabei neigt sich unser Toyota natürlich ein wenig zur Seite, unglücklicherweise auf R.s Seite. Sie ist böse, weil das Manöver erstens von mir nicht angekündigt, zweitens vollkommen überflüssig, denn das entgegenkommende Fahrzeug, ein vollbeladender LKW mit offenen, nicht gesicherten Milchbehältern hätte ja wohl genauso den Hügel hinauffahren können, und drittens sehr leichtsinnig war, wie leicht hätte der Wagen umkippen können, und das, wie gesagt, auch noch auf die Seite, auf der sie sitzt....



Aber als R. das luxuriöse Chalet sieht und vor allen Dingen in der Gästebücherei selbst für sie noch neues Informationsmaterial findet, ist der Nachmittag gerettet. Es herrscht schon bald wieder nicht nur draußen eitel Sonnenschein. Vor Einbrechen der Dunkelheit verteilt ein Angestellter mit seinen beiden modisch herausgeputzten Söhnen Petroleumlampen auf dem gesamten Gelände der Lodge. Deren Schein taucht die Gebäude, Bäume und Büsche in ein unwirkliches Licht, das durch den sanften Abendwind immer wieder neue Schattenspiele produziert... Richtig romantisch!



Beim Sundowner lernen wir einen einheimischen Geologen kennen, der Möglichkeiten der Wasserversorgung für Windhoek vom Kavango aus erkundet. Ein ehrgeiziges Projekt, denn das Wasser müßte über mehr als 500 Kilometer durch einen Kanal oder Röhren zur Hauptstadt geleitet werden. Aber es ist wohl zwingend erforderlich, denn so wie das ganze Land leidet auch Windhoek an Wassermangel. Ein interessantes Gespräch über seinen Aufenthalt in Deutschland - mit Besuch des Münchner Oktoberfestes - ergibt sich dann fast von selbst. Heute werden wir für das gestrige Essen entschädigt, ein hervorragendes Dinner beschließt den heutigen Tag.
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14 Aug 2013 13:52 #300236
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Samstag, 22. 6. 1996

Wir frühstücken wie die Fürsten auf der Terrasse, lassen uns dabei viel Zeit und genießen den Blick über den Kavango, der hier die Grenze zu Angola bildet. Unser Dank für die hervorragende Übernachtung, den freundlichen, unaufdringlichen Service und die Qualität der Speisen findet angemessenen Niederschlag im Gästebuch.

Hinter Rundu, das als Zentrum für Holzschnitzereien ausgewiesen ist, halten wir an einem der Verkaufsstände. Sofort laufen aus allen Himmelsrichtungen lärmend, mit fröhlichen, lachenden Gesichtern, unzählige Kinder im Alter zwischen ca. drei und zwölf Jahren auf uns zu, umringen uns, gestikulieren wild und versuchen, mit ihren hellen, aufgeregten Stimmen unsere Aufmerksamkeit auf die diversen Ausstellungstücke zu lenken. Kurze Zeit später erscheinen zwei junge Erwachsene, die für den Verkauf zuständig sind.





Wir entscheiden uns nach kurzem Überlegen für einen weiteren Elefanten sowie für ein Rhinozeros. Während ich die Einkaufsverhandlungen führe, bittet R. darum, die Kinder photographieren zu dürfen. Diese sind ganz begeistert, sie grimassieren und schneiden Faxen, es herrscht eine heitere, ausgelassene Stimmung.



Die beiden jungen Männer bewundern inzwischen mein quergestreiftes T - Shirt, das wie maßgeschneidert (R. würde sagen: wie eine Wurstepelle) auf meinem Athletenbody sitzt. Ihr Wunsch, ein Kleidungsstück zu erwerben, das ich getragen habe, wird übermächtig. Sie bieten mir ihre wertvollste Schnitzerei, eine schwarze Madonna aus Ebenholz mit verklärtem, nach innen gerichteten Blick, für sechs meiner T - Shirts an. Mir ist die Sache ziemlich peinlich, denn ich stehe eigentlich ungern im Rampenlicht der Bewunderung. Auf der anderen Seite ist die meditierende Madonna wirklich wunderschön gearbeitet. Dennoch zögere ich und blicke hilfesuchend zu meinem lieben, kleinen Frauchen hinüber. Aber die ist nach wie vor und voll und ganz damit beschäftig, die Rasselbande zu einer vernünftigen Gruppe zusammenzustellen. Mein Zögern wird von den beiden mißgedeutet, sie beraten sich untereinander und halbieren ihr Angebot auf drei Shirts. Nun gibt es für mich kein Halten mehr, ich gehe zu unserer randvollen Schmutzwäschetüte (R. hat schon ziemlich lange nicht mehr gewaschen), krame nach den Kleidungsstücken und händige diese den jungen Männern aus. Mit angemessen ernstem Gesicht, als ob es sich um rituelle Gegenstände handelt, nehmen sie die Hemden entgegen, entfalten, wenden und bewundern sie von allen Seiten, passen sie vor dem Körper an (wir haben auch nicht nur annähernd identische Größen, ich trage XXL, für die beiden wäre wahrscheinlich S, M oder L angebracht) und freuen sich offensichtlich über den gelungenen Deal. Ich schleppe derweil meine „Dreihemdchenmadonna“ zum Auto. Zwischenzeitlich ist auch R. mit dem Photographieren zu Ende gekommen; endlich hat sie dafür einmal ausreichend Zeit gehabt, ohne von mir ständig drangsaliert zu werden. Sie hat die Madonnengeschichte bisher nur am Rande mitbekommen und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, als sie das Stück sieht. Ihr fällt sofort auf, daß das Werk gewichts- und größenmäßig gerade noch im Koffer zu transportieren, der Sockel nicht ganz gerade gearbeitet ist und das gute Stück leicht zur Seite kippt. Daß R. dagegen etwas hat, weiß ich noch sehr gut von gestern Nachmittag... Außerdem rechnet sie mir vor, was die drei T - Shirts gekostet haben und wie meine Madonna ursprünglich ausgezeichnet war. Kunstbanausin, schäbige! Aber Tussis verstehen eben nichts von wahrer Kunst...



Bevor wir weiterfahren, bringt R. den Kindern als Belohnung noch einen kleinen Sack Äpfel. Ich kann diese Szene aus etwa zwanzig Metern Entfernung beobachten, und mir läuft es kalt über den Rücken, als ich sehe, wie die kleinen Rangen reagieren. Als sie den Beutel mit den Äpfeln sehen, klatschen sie begeistert in ihre Händchen, hüpfen aufgeregt umher, krähen fröhlich und können es kaum erwarten, die Früchte in Empfang zu nehmen. Das ist Freude pur! R. bedeutet einem der Erwachsenen, sich um die gerechte Verteilung zu kümmern, er zählt auch sofort die Anzahl der Kinder und vergleicht diese mit der Menge der Äpfel. Einigermaßen gerührt machen wir uns auf den Weg Richtung Tsumeb.

An einer Kreuzung hinter Grootfontein lesen wir einen schwarzen Anhalter auf, den wir nach Tsumeb mitnehmen. Er hat in Grootfontein ein Ersatzteil für sein Auto gekauft, das in Tsumeb nicht erhältlich war. Unterwegs berichtet er über die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Region. Die größte Erzmine arbeitet nicht mehr rentabel, und immer mehr Arbeitskräfte werden freigesetzt. Voller Stolz erzählt er über seinen guten Job bei einer Mineralölgesellschaft, wie glücklich er als Familienvater sei und wie prächtig sich seine Kinder entwickeln. Er läßt es sich nicht nehmen, uns seine Familie vorzustellen und sein Haus zu zeigen. Einen seiner Söhne hat er auf den Namen „Björn“ taufen lassen, so sehr bewundert er den großen schwedischen Tennisspieler. Ein recht ungewöhnlicher Name für einen schwarzen Afrikaner...

Heute wollen wir das Großstadtleben genießen, denn Tsumeb ist nach Windhoek laut Reiseführer mit 18 000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Namibias. Wir mieten uns in einem Hotel ein, das mit einem nicht zu übersehenden Schild von außen auf einen Biergarten hinweist. Na also, die Zivilisation hat uns wieder! Umso größer ist unsere Enttäuschung, als wir feststellen müssen, daß der Biergarten geschlossen ist, sämtliche Geschäfte verrammelt und verriegelt sind und das ganze „Kaff“ wie ausgestorben in der gleißenden Nachmittagssonne liegt. Einzig die Bar des zweiten Hotels am Platze ist geöffnet. Wir trinken einen Kaffee, der Fernseher läuft, es wird ein Spiel der Fußballeuropameisterschaft übertragen - der Tag ist doch nicht so schlecht. Während ich das Fußballspiel verfolge, kehrt R. ins Hotel zurück und kämpft sich durch den Wust der bislang angefallenen Belege, sortiert und ordnet Hotel-, Restaurant- und Tankrechnungen, vernichtet das, was wir nicht mehr benötigen. Dafür bin ich ihr sehr, sehr dankbar.

Vor dem Abendessen beschäftige ich mich wieder einmal mit der weiteren Tourenplanung. Eigentlich wäre es ja schade, wenn wir den Nordwesten einschließlich der Ruacana-Wasserfälle nicht sehen würden, zumal die verbleibende Zeit diesen Abstecher ohne weiteres zuläßt. Kurzfristig entschließe ich mich dazu, morgen früh statt nach Westen wieder in den Norden Richtung Oshakati zu fahren. Nach anfänglichem Zögern, denn die Infrastruktur soll dort noch weniger entwickelt sein als im übrigen Land, die Pads sehr rauh, Übernachtungsmöglichkeiten dünn gesät, stimmt R. zu. Aber nicht ohne mir zu unterstellen, ich wolle auch nach Oshakati, um mir das morgige Fußballspiel mit Deutschland anzusehen, weil das dortige Hotel ebenfalls mit Fernseher ausgestattet sei. Sie scheint mich doch ein ganz klein wenig zu kennen...
Letzte Änderung: 14 Aug 2013 13:54 von afra.
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Sonntag, 23. 6. 1996

Wir fahren östlich der Etosha - Pfanne Richtung angolanische Grenze und passieren abermals den Veterinärzaun. Sehr starker und böiger Seitenwind verhindert zügige Geschwindigkeit. Immer wieder werden Sand- und Staubfahnen über die Fahrbahn getrieben. Links und rechts der Straße herrscht reges Treiben, in vielen Dörfern wird Markt abgehalten, vor Drankwinkeln und Bottlestores sitzen Männer in gemütlichen Runden zusammen, malerisch gekleidete Frauen bieten handgefertigte Gefäße in allen Formen und Größen an, und Jugendliche treiben Rinder- und Ziegenherden zur Tränke. Je mehr wir uns dem „Ballungsraum“ um Ondangwa und Oshakati nähern, um so öfter prägen Bars, nur notdürftig zusammengeschustert aus Holz, Wellblech oder anderen Materialien, aber immer sehr bunt angestrichen und mit wilden Phantasienamen versehen, die kleinen Ortschaften. Ob ein direkter Zusammenhang zwischen dieser Anhäufung von Bars und Nightclubs und den unzähligen Autowracks besteht, die achtlos neben der Straße liegen?



Am Nachmittag kann ich doch tatsächlich das Fußballspiel zwischen Deutschland und Kroatien im Fernsehen verfolgen... Ziemlich langweilig, von spielerischer Klasse ist nichts zu sehen. Ansonsten lassen wir es langsam angehen, denn wir wissen, daß uns morgen ein langer und wahrscheinlich auch harter Tag bevorsteht.

Montag, 24. 6. 1996

Westwärts durchqueren wir auf einer guten Teerstraße eine Bilderbuchlandschaft: hohe, sich sanft im Wind wiegende schlanke Palmen überragen friedliche Dörfer, ein durchgehender Wassergraben versorgt die angrenzenden Felder und Weiden, ein kleiner See lockt unzählige Wasservögel zur Futtersuche. Kurz vor den Ruacana - Fällen überqueren wir einen Pass. Von der Anhöhe schweift unser Blick über ein weites, fruchtbares Tal, das von schroffen, braunroten Bergen überragt wird. Das Talende dominiert ein mächtiger Staudamm, der allerdings die Wasserfälle „geschluckt“ hat - von ihnen ist nichts, aber auch gar nichts, zu sehen. Trotzdem eine grandiose Szenerie. Ab Ruacana fahren wir wieder ausschließlich auf Gravel - Pads, anfangs recht eben. Mit einer Geschwindigkeit von siebzig km/h ziehen wir die schon sattsam bekannte kilometerlange Staubfahne hinter uns her. An einer Abzweigung stoppt uns ein Straßenbauarbeiter, der vor seinem Schredder steht. Durch Gestikulieren macht er uns klar, daß er für die Maschine Starthilfe benötigt. Mit einem Überbrückungskabel bringen wir den Motor des riesigen Straßenbaufahrzeugs wieder auf Touren.



Kurze Zeit später erreichen wir Opuwo und begegnen den ersten Himbas, laut Reiseführer eines der letzten Nomadenvölker Afrikas. Männer und Frauen schminken den ganzen Körper ockerfarben, stolz tragen sie ihre wirklich außergewöhnlichen Frisuren und den symbolträchtigen Schmuck, die Maiden laufen barbusig. Die Opuwo - Himbas sind jedoch mit einiger Wahrscheinlichkeit keine Nomaden mehr, denn sie kommen mit Plastiktragetaschen in den Händen aus kleinen Supermärkten, promenieren zu zweit oder dritt über die Hauptstraße des Ortes und warten auf Touristen, um ihnen gegen einen entsprechenden Obulus die Möglichkeit zum Photographieren zu geben. Dabei werden die Maiden sehr viel öfter frequentiert als die Männer...



Auch ich mache eine Aufnahme von einem weiblichen Trio und erstehe zusätzlich einen quastenartigen, mit Metallringen versehenen Gegenstand. Wofür oder wogegen dieses Stück zu gebrauchen ist oder eventuell helfen kann, bleibt mir allerdings verborgen, mein himbaisch ist denn doch zu dürftig.

Die Weiterfahrt nach Kaoko Otavi führt über kleinere Pässe und an wildzerklüfteten Canyons entlang. Einige winzige Himbaansiedlungen liegen links und rechts der Straße. Sobald sich unser Auto nähert, laufen uns sofort zerlumpt gekleidete Kinder entgegen und bitten um Süßigkeiten, aber außer einigen kleinen Tüten Erdnüssen haben wir diesmal leider nichts bei uns.



In Kaoko Otavi, das nur aus wenigen Häusern besteht, suchen wir vergeblich eine auf unserer Straßenkarte eingezeichnete Pad nach Sesfontein. Später erfahren wir, daß diese Strecke schon lange nicht mehr existiert! Notgedrungen müssen wir also umkehren und eine andere Route wählen. Wir sind mit der alternativen Streckenführung aber sehr zufrieden, denn zu unserer Freude sehen wir unterwegs herrliche Baobabs, die ihre Äste wirr wie Wurzelwerk zum Himmel strecken.



Kurz vor Ende der Etappe erklimmen wir eine steile Auffahrt. Oben angekommen, stockt uns fast der Atem: es geht noch steiler, fast senkrecht, nach unten auf einen schmalen Damm zu. Dieser wird gerade mittels einiger Baufahrzeuge mit frischem Schotter aufgefüllt. Es wird also darauf ankommen, die Abfahrt so vorsichtig wie möglich zu bewältigen und dennoch genug Schwung mitzunehmen, um nicht in dem frischen, tiefen Schottersand steckenzubleiben. R. ist wieder verdächtig ruhig, das kann nur bedeuten, daß sie „Fracksausen“ hat. So ganz geheuer ist mir die Sache jedoch auch nicht.... Doch ich beherrsche den Toyota jetzt schon so gut, daß wir auch diese haarige Klippe erfolgreich meistern. Aber ich muß zugeben, daß ich ganz schön schwitzige Hände habe, als wir wieder „sicheres“ Terrain erreichen. Ohne weiteren Nervenkitzel, auf den wir nach dieser superlangen, strapaziösen Etappe auch sehr gut verzichten können, erreichen wir Sesfontein. Das ehemalige deutsche Fort ist zu einer komfortablen Lodge umgebaut, wir essen sehr gut, tauschen anschließend mit anderen Touristen eine Weile Reiseerfahrungen aus, erquicken unsere süße, kleine Leber mit dem einen oder anderen Bierchen und sinken anschließend in einen tiefen, erholsamen Schlaf.


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Dienstag, 25. 6. 1996

Ein ganz neues Gefühl für uns: wir erheben uns erst gegen acht Uhr von unserem Lager. Nach einem Spaziergang durch den „Ort“ und zum deutschen Soldatenfriedhof (was wollten die Jungs damals eigentlich hier?) starten wir in Richtung Palmwag. Eine grandiose Berglandschaft umgibt uns.





Die Region ist relativ fruchtbar (Sesfontein = sechs Quellen) und wird für hiesige Verhältnisse intensiv landwirtschaftlich genutzt. Wir lassen uns angemessen Zeit und fahren gemütlich über die staubige Pad südwärts. Nach zwanzig Kilometern biegen wir zu den Ogongo - Fällen ab, jetzt wird es wieder sehr rauh, steil und steinig.



Kurz vor dem Parkplatz liegt ein weiblicher Strauß mit ausgestrecktem Hals regungslos mitten auf dem engen Weg. Die afrikanischen Strauße unterscheiden sich erheblich von dem berühmt - berüchtigten bayerischen Namensvetter, sie haben sehr lange, dünne Hälse... R. meint, daß die Straußentussi tot sei. Doch ich kenne ja die holde Weiblichkeit, denke mir, daß die Straußin nur täuschen oder einfach ein wenig relaxen will, vielleicht ist sie auch geistig weggetreten, und rolle langsam auf das Vieh zu. Und siehe da, als wir ihr zu nahe kommen, erwacht sie aus ihrer Lethargie, schüttelt heftig ihr staubiges Gefieder (wie groß die Empörung auch sein mag, für Schönheitspflege muß Zeit sein), blickt einen kurzen Augenblick ärgerlich zu uns herüber, wie um sich zu vergewissern, daß natürlich wieder einmal Preußen die geheiligte Straußenruhe stören, und sucht laut kreischend empört schleunigst das Weite.

Nach kurzem Fußweg erwartet uns ein nicht für möglich gehaltener Anblick, denn in eine halboffene Höhle plätschert über einen hohen, steilen Felsabhang stetig eine dünne Wasserkaskade, bildet anschließend einen kleinen Tümpel und ermöglicht eine dichte Vegetation. Der richtige Ort für eine Rast.



Schon lange beschäftige ich mich mit dem Gedanken, wie man die riesige Menge Staub, die wir zweifellos in diesem Land schon aufgewirbelt haben, angemessen photographisch dokumentieren kann. Während der Weiterfahrt nach Palmwag bietet sich diese Gelegenheit: die recht gute Pad führt schnurgerade auf eine kleine Anhöhe zu, es herrscht leichter Seitenwind, und die Sonne steht auch richtig. Ich setze R. also auf dieser Anhöhe ab und erkläre ihr, daß ich ein Stück zurückfahre und mit gerade noch vertretbarem Speed auf sie zukommen werde. Sie möge doch das Fahrzeug mit der dann zweifellos vorhandenen Staubfahne photographieren. Während ich den nötigen Anlauf nehme, prüft sie noch einmal sehr professionell mit hochausgestrecktem, angefeuchtetem Zeigefinger die Windrichtung und stellt sich in Positur. Als ich an ihr vorbeirausche, stelle ich verblüfft fest, daß sie sich für die Seite der Straße entschieden hat, zu der der Wind die Staubkaskaden herüberweht. Hustend, nach Luft ringend und ihre Kleidung ganz ähnlich wie kurze Zeit vorher die Straußendame ihr Gefieder ausschüttelnd, gibt sie an, sie hätte mein unverkennbares Profil ebenfalls mit ablichten wollen, und dafür sei der von ihr gewählte Standort genau richtig gewesen... Ich habe aber doch erhebliche Zweifel, und in mir wächst der Verdacht, daß sie mit der Tatsache, daß bislang nur ein „Sandmännchen“ zu Ruhm und Ehren gelangt ist, ein erhebliches Problem hat. Von mir aus - wenn dadurch ihr ausgeprägtes, sattsam bekanntes Gerechtigkeitsbewußtsein befriedigt wird, soll sie sich ruhig weiter so emanzipieren! Aber ich traue mich dann doch nicht recht, sie mehr als einmal mit „Sandfrauchen“ anzusprechen...

Die Palmwag - Lodge ist wirklich eine Oase in dem trockenen und staubigen Damaraland - wie speziell R. festgestellt hat... Palmen und sogar Blumen säumen zwei Swimmingpools, es gibt bequem eingerichtete Bungalows, das Restaurant mit angeschlossener Bar und Aussichtsterrasse zur Wildtränke ist ausgesprochen gemütlich.







Überall weisen Schilder darauf hin, daß Elefanten nicht nur die natürliche Tränke, sondern auch die Pools zum Saufen benutzen und anschließend das Camp nach Nahrung durchsuchen. Dabei sollen sie nicht immer die größtmöglichste Vorsicht walten lassen,. deswegen gibt es hier wohl auch keinen Porzellanladen... Die herausragende Attraktion für uns ist jedoch ein vorzüglich angelegter und ausgeschilderter Hikingtrail, der über das dazugehörige Gelände führt. Begeistert schnüren wir unsere Wanderstiefel und machen uns auf den Weg. Wir sind von dem großen Wildbestand überrascht: Buschböcke, Zebras, Kudus, Oryx und in einem trockenen Flußbett eine Herde Elefanten lassen die fast dreistündige Wanderung wie im Fluge vergehen.



Ausgedörrt wie Trockenpflaumen erreichen wir das Camp kurz vor Sonnenuntergang. Ein schönes, großes, kühles Bier vom Faß bringt unseren Flüssigkeitshaushalt schnell wieder in Ordnung und spült die von Sand und Staub knirschenden Mundhöhle frei. Die anschließende ausgiebige Dusche sorgt dafür, daß wir uns wieder in menschliche Gesellschaft und speziell zum Abendessen begeben können - die Wanderung hat jede Menge Appetit gemacht. An der Bar lernen wir abends ein junges Paar aus Deutschland kennen. Der Mann hat knapp zwei Jahre bei einem Entwicklungshilfeprojekt mitgearbeitet, jetzt befinden sie sich auf Abschiedstour durch Namibia. Sie berichten, belegt mit eindrucksvollen Beispielen, daß es nach wie vor sehr abenteuerlich ist, längere Zeit in Namibia zu leben und zu arbeiten.

Mittwoch, 26. 6. 1996

Wir entschließen uns spontan, einen weiteren Tag in Palmwag zu verbringen. Neben der wirklich angenehmen Atmosphäre der Lodge reizen uns nach wie vor die Wandermöglichkeiten. Auf dem morgendlichen Rundgang begegnen wir einigen Elefanten. Mit aller gebotenen Vorsicht verfolgen wir die Dickhäuter, bis sie zum Fressen im dichten, mehr als elefantenhohen Schilf verschwinden. Sie sind wirklich untergetaucht, nur die wild schwankenden Spitzen der Schilf- oder Bambusstengel zeigen uns, wo sich die Bande aufhält.



Heute brennt die Sonne besonders heiß, schon um elf Uhr vormittags mögen es an die dreißig Grad Celsius sein. Zusätzlich bläst ein unangenehm heftiger Ostwind, der uns schließlich dazu veranlaßt, die Tour vorzeitig zu beenden. War auch höchste Zeit, denn obwohl wir eine Sonnencreme mit hohem Schutzfaktor benutzen, stellen wir fest, daß bis zu einem ausgewachsenen Sonnenbrand nicht viel gefehlt hat. Wir haben die Intensität der Sonneneinstrahlung wieder einmal unterschätzt, obwohl wir doch schon seit mehr als vier Wochen im Lande sind. Zwangsläufig folgt eine ausgiebige Siesta im Schatten.

Am späteren Nachmittag schnüren wir wieder unsere Wanderstiefel. Entweder sind wir nach unserem Schläfchen noch ein wenig dösig im Kopf oder der nach wie vor heiße Wüstenwind hat uns den letzten verfügbaren Rest von Verstand aus dem Kopf geblasen, jedenfalls vertun wir uns um eine volle Stunde bei der Zeitplanung.



Erst als die Sonne hinter den Bergen im Westen untertaucht, werden wir uns der Situation bewußt. Um das Restlicht auszunutzen, denn Dämmerung wie in Mitteleuropa gibt es hier in den Tropen nicht, marschieren wir im Eiltempo zurück, den Lichtschein des schon seit geraumer Zeit erleuchteten Camps als zusätzliche Orientierungshilfe nutzend.

Abends breitet sich unter den männlichen Gästen und Angestellten der Lodge eine bis dahin nicht wahrnehmbare, merkwürdige Unruhe aus. Die knackenden, knarrenden, auf- und abschwellenden, dabei manchmal sogar ganz aussetzenden atmosphärischen Geräusche aus einem Radio übermitteln dem Kenner: ein herausragendes Ereignis aus der Sportszene - nämlich das Europameisterschaftshalbfinalspiel zwischen England und Deutschland - steht unmittelbar bevor. Um die anderen Gäste nicht zu stören, ist der Weltempfänger außerhalb der Bar aufgestellt. Das gute, alte Dampfradio vermittelt eine schon fast vergessene Dimension von Sportreportagen, die Phantasie wird wieder gefordert, das Vorstellungsvermögen des Hörers einbezogen und die Begeisterungsfähigkeit des Reporters vermittelt ungeahntes Miterleben. Selbst die schlechte Empfangsqualität beeinträchtigt die bei allen Zuhörern vorhandene Spannung kaum. Als ich die Runde nach Ende des Spiels verlasse, habe ich das Gefühl, daß das Endergebnis des Spiels fast nebensächlich ist, soviel Spaß habe ich bei der Radioübertragung gehabt.

Als Ergänzung einige Himba-Damen aus dem Jahr 2000,









das Grab eines Chiefs,



und ein kleines Tänzchen für uns am Wegesrand!

Letzte Änderung: 17 Aug 2013 11:50 von afra.
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17 Aug 2013 16:50 #300628
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Donnerstag, 27. 6. 1996

Mit Bedauern nehmen wir Abschied von Palmwag. Auf der Fahrt zur „Zweifelhaften Quelle“ - nach Twyfelfontein - genießen wir die herrliche Kulisse der rotbraunen Berge des Damaralandes.



Unterwegs nehmen wir einen schwarzen Farmer mit, der einige Tage auf seinem Farmgelände zugebracht hat und nun seine Familie in einem kleinen Ort etwas abseits der Straße besuchen will.





Leider vergesse ich, nach dem Verstauen seines Gepäcks auf der Ladefläche die Heckklappe wieder zu schließen. Das Ergebnis ist natürlich zentimeterdicker Staub auf sämtlichen Utensilien. Wir müssen in absehbarer Zeit unbedingt einen geeigneten Platz finden, wo wir die dringend erforderlichen Säuberungs- und Sortierarbeiten vornehmen können.



Aber noch nicht heute, denn in Twyfelfontein wollen wir uns die berühmten Felsgravuren, ein absolutes touristisches „Muß“ in dieser Region, ansehen. Etwas enttäuscht stellen wir fest, daß dies nicht im Alleingang, sondern nur in Begleitung eines Rangers möglich ist. Wir buchen also notgedrungen eine entsprechende Führung. Ich bin über alle Maßen und sehr angenehm überrascht, daß sich der Guide als ein bildhübsches, graziles, junges Damaramädchen herausstellt. Barfuß klettert sie gelenkig und trittsicher wie eine Gemse vor uns den Berg hinauf und zeigt uns die interessantesten Stellen. Aus der Fülle von mehreren tausend Felsgravuren ragen ein Löwe mit abgeknicktem Schwanz, eine ganz besonders gut gelungene Giraffe sowie ein überdimensionaler Elefant heraus.





Aber eigentlich sind alle Gravuren mit äußerster Präzision sehr naturalistisch ausgeführt und vermitteln einen realistischen Eindruck davon, was die Bewohner dieses weitläufigen Hochtals vor mehr als dreitausend Jahren auf ihrem Speisezettel hatten. Kurze Abstecher zum „Verbrannten Berg“, einem durch Vulkanausbrüche total schwarz verrußten Bergkamm, und zu den „Orgelpfeifen“, scharfkantigen, glatten Basaltsäulen gleichfalls vulkanischen Ursprungs, komplettieren das Besichtigungsprogramm des heutigen Tages. In Khorixas wollen wir in einem durch unseren Reiseführer ausgewiesenen Restcamp einen verspäteten Lunch einnehmen.





Doch bevor es dazu kommt, fließt Blut: R. kruschtelt über den Beifahrersitz, den Körper dabei halb verdreht, auf dem Rücksitz herum, um aus einer ihrer unzähligen Taschen irgendetwas herauszunehmen. Einen Fuß hat sie dabei schon auf dem Trittbrett abgesetzt. Sie rutscht aus und schrammt dabei mit ihrem Schienbein und dem dazugehörigen hübschen Knie über die metallene Trittbrettleiste. Die Leiste war widerstandsfähiger als ihre Haut... Als Schmerz bei ihr und Schreck bei mir überwunden sind und das Blut abgewaschen ist, erkläre ich ihr noch einmal ganz langsam, daß wir im Urlaub sind und Zeit haben, daß der Toyota zum Fahrgastraum hin vier Türen besitzt und diese sich auch öffnen lassen, daß, wenn sie so weitermacht, ihre Schönheit bald ganz futsch ist, und daß ich sie natürlich noch brauche. Und nicht nur auf dieser Reise, und da auch nicht nur zum Kartenlesen... Es ist aber alles halb so schlimm, sie hat sich nicht ernstlich verletzt, nach der Rast können wir unsere Fahrt fortsetzen.

Heutiges Ziel ist die Vingerklip - Lodge, von der uns unterwegs schon etliche andere Touristen vorgeschwärmt haben und die in den höchsten Tönen gelobt wurde.



Sie ist wirklich einzigartig schön gelegen, das Haupthaus mit Pool, Restaurant, Terrasse und Bar auf einem Hügel, die einzelnen, luxuriösen Bungalows versetzt darunter gruppiert. Vom Hügel aus öffnet sich der Blick auf der einen Seite über ein weites Tal, das von dunklen, schroffen Bergen begrenzt wird. Die andere Seite wird von der Fingerklippe, einer mächtigen, 35 m hohen Säule dominiert, die am späten Nachmittag von der untergehenden Sonne blutrot (das hatten wir heute doch schon einmal?) gefärbt wird.





Unsere Gastgeber überraschen uns vor dem Dinner mit der Frage, ob wir wirklich vollkommen „ungebucht“ das Land bereisen. Sie können es kaum glauben, daß wir fast gänzlich ohne Reservierungen und festen Tourenplan unterwegs sind und uns ausschließlich dort Quartier suchen, wo es uns gefällt. Zumindest in dieser Lodge, die eigentlich bei allen Anbietern von Luxusreisen durch Namibia in sämtlichen Katalogen erwähnt wird, sind wir wohl mit unserer Art des Reisens offensichtlich Exoten.
Letzte Änderung: 17 Aug 2013 17:02 von afra.
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