THEMA: DREI MONATE LANG KREUZ UND QUER DURCH KENIA
10 Jan 2016 15:33 #414204
  • Mzeekenya
  • Mzeekenyas Avatar
  • Beiträge: 526
  • Dank erhalten: 1399
  • Mzeekenya am 10 Jan 2016 15:33
  • Mzeekenyas Avatar
Jedes Jahr im Winter...

verbringe ich die kalten Monate in Afrika, überwiegend in Ostafrika, hin und wieder in Sambia, Botswana, Namibia oder Südafrika.
Auch in Afrika vergeht die Zeit im Flug. Nun sind es bereits knapp vier Wochen seit ich - am 14.12.15 in Nairobi gelandet bin. Bevor ich mich wieder auf Safari begebe, will ich deshalb ein paar Lebenszeichen von mir geben und einige Situationen schildern, die ich meist sehr genossen habe. Es ist wenig Neues dazu gekommen, das ich nicht bereits in den vergangenen 50 Jahren (ja, im Oktober werden es 50 Jahre sein, seit ich, mit meinem Bruder, zum ersten Mal in Kenia gelandet bin – damals noch mit einem Passagierschiff und einer Fahrt von Marseille nach Mombasa, die genau zwei Wochen dauerte) ein- oder mehrmals erlebt habe. Das schmälert den Erlebniswert aber nicht im geringsten. Im Gegenteil: viele Situationen vermitteln mir ein nach-Hause-kommen Gefühl, das mir in der Schweiz in dieser Intensität fehlt.




Von Nakuru aus, wo mein Weihnachtsgeschenk am 24.12. darin bestand, dass mich die Polizei in Eldoret nicht einlochte, fuhr ich am Weihnachtstag zum Bogoriasee, der einst für seine Hunderttausende von Flamingos, für seine heissen Quellen und die fauchenden Geysire berühmt war. Alles Tempi passati: Zwergflamingos waren ungefähr 50 dort, wenn es hoch kommt 60 und der Wasserstand des Lake Bogoria ist (schon seit Jahren) so hoch, dass die heissen Quellen und die Geysire alle unter der Wasseroberfläche liegen. Die Strasse dem See entlang ist ebenfalls zum Teil meterhoch überschwemmt und die Parkverwaltung hat eine neue quer durch den Busch und über die Hügel mit Bulldozern und Strassenhobeln gefräst. Potthässlich und abschreckend. Der Game Park im jetzigen Zustand ist es nicht mehr wert, besucht zu werden. Hinzu kommt, dass die Eintrittsgebühren um mehr als 100% angehoben wurden. Gegenwert? Nichts oder, wenn man so will, einen Park voller Abfälle. Zumindest an Weihnachten kamen die Einheimischen in wahren Massen, hielten lautstark Picknicks ab und liessen den ganzen Takataka (Abfall) liegen: Bierbüchsen, Plastikflaschen, Windeln, Papier- und Taschentücher, Eierschalen, Plastiksäcke...

















Es geht die Mär, dass die schwefelhaltigen Dämpfe der heissen Quellen den jungen Frauen
Schönheit schenken. Ich bezweifle das, denn meine kenianische Ex hat sich ohne sichtbaren Erfolg Stunden lang den Dämpfen ausgesetzt, bis sie im Gesicht zitronengelb war.




Letzte Änderung: 21 Feb 2016 18:06 von Mzeekenya.
Der Administrator hat öffentliche Schreibrechte deaktiviert.
Folgende Benutzer bedankten sich: Fluchtmann, Cornelia, lilytrotter, Butterblume, Eto, Daktari, Giselbert, picco, THBiker, KarstenB und weitere 4
10 Jan 2016 15:50 #414208
  • Mzeekenya
  • Mzeekenyas Avatar
  • Beiträge: 526
  • Dank erhalten: 1399
  • Mzeekenya am 10 Jan 2016 15:33
  • Mzeekenyas Avatar



Am Weihnachts-Nachmittag leerte sich das Game Reserve und ich war der einzige, der die Nacht im Park verbringen wollte.
Sämtliche Campingplätze stehen allerdings unter Wasser. Ein Wegweiser zeigte auf die Acacia Tree Campsite, die zwei Kilometer von der “Hauptstrasse” entfernt sein sollte. Also nichts wie hin. Der schmale Weg wurde immer abenteuerlicher, immer schmaler. Links ging es fünf Meter zum See runter, rechts 50 bis 100 m den Berg hoch. Die Dornbüsche kratzten am Wagen entlang und rissen das metallene Moskitonetz vor den Fenstern an mehreren Stellen auf. Auf der Strasse lagen kopfgrosse und grössere Steine. Ich musste viele zur Seite räumen, um weiterfahren zu können. Nach etwa 1,5 km endete der Weg abrupt. Ich konnte nicht mehr vorwärts noch rückwärts und wenden auch nicht. So eine Sch...
Es war früher Abend und es machte keinen Sinn, jetzt noch den Weg zurück unter die Räder zu nehmen. Deshalb beschloss ich, die Nacht an Ort und Stelle zu verbringen und am nächsten Morgen zurück zu fahren. Ich fuhr auf zwei grosse Steine, damit der LC einigermassen eben stand. Dann räumte ich eine Stunde lang auf einer Strecke von rund 400 m alle Steine aus dem Weg, die grösser als ein Handball waren – und hoffte sehr, dass der LandCruiser am nächsten Morgen anspringen würde. Das war nicht sicher, denn eine der beiden Batterien (der LC läuft mit 24 Volt, also mit zwei Batterien) war ziemlich am Ende ihres Lebens. Allerdings hatte ich, Schweizer Buchhalter, eine Ersatzbatterie mit, die ich wenn nötig einbauen konnte.





Der Rückweg war gewunden wie ein mäandernder Fluss und ich musste alle fünf bis zehn Meter aussteigen und nachschauen, wie der Wegverlauf war, musste immer wieder grosse Steine aus dem Weg räumen und die Aussenspiegel neu richten, weil sie von den Dornbüschen umgebogen wurden. Für die ersten 400 m benötigte ich beinahe eine Stunde. Dann erreichte ich eine winzig kleine Lichtung, auf der ich mit sehr viel Mühe den LC wenden konnte. Den Rest des Weges fand ich, vorwärts fahrend, schon fast komfortabel und erreichte zwei Stunden nach dem Aufbruch die “Hauptstrasse” und damit wieder “menschliche Nähe”.
Zwar blieb ich eine halbe Stunde später am Seeufer stecken, aber mit dem zugeschalteten LR 4x4 war ich in wenigen Minuten wieder flott.




Die grünen Hügel Afrikas

Ernest Hemingway, sozusagen mein literarisches Vorbild, verfasste ein Buch “Die grünen Hügel Afrikas”, das zwar nicht zu seinen besten Werken zählt, aber jedem von Afrika Besessenen gefällt, denn es ist voller Atmosphäre und Liebe zum Schwarzen Kontinent.






Vom Lake Bogoria machte ich einen Abstecher zum Lake Baringo, den ich mir allerdings hätte schenken können, denn auch der Baringosee hat seit Jahren einen überaus hohen Wasserstand. Nach einer Nacht ging’s zurück nach Nakuru und von dort aus Richtung Kericho und Kisumu. Kericho ist das Herz des kenianischen Teeanbaus und ich liebe die sanft gewellte, fruchtbare und grüne Landschaft mit ihren bis zum Horizont reichenden Teeplantagen, die übrigens zu den grössten der Welt zählen (Kenia ist der drittgrösste Teeproduzent der Welt!).








Anhang:
Letzte Änderung: 10 Jan 2016 16:40 von Mzeekenya.
Der Administrator hat öffentliche Schreibrechte deaktiviert.
Folgende Benutzer bedankten sich: casimodo, Fluchtmann, lilytrotter, Topobär, Butterblume, Eto, Daktari, Giselbert, picco, THBiker und weitere 5
10 Jan 2016 16:13 #414209
  • Mzeekenya
  • Mzeekenyas Avatar
  • Beiträge: 526
  • Dank erhalten: 1399
  • Mzeekenya am 10 Jan 2016 15:33
  • Mzeekenyas Avatar
Von Kericho aus wollte ich nach Kisumu fahren, der drittgrössten Stadt Kenias mit einer Einwohnerzahl von – vermutlich - 300 000 Menschen. Sie liegt im Stammesgebiet der Luo, der nach den Kikuyus grössten Ethnie des Landes. Die Stadt ist, vergleicht man sie mit Nairobi oder Mombasa, sehr ordentlich, sauber und kaum chaotisch. Sie liegt direkt am Viktoriaseeund war früher ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt und ein bedeutender Hafen für die Schifffahrt auf dem Lake Victoria.
Ich mag sie aber vor allem wegen einer Sache, von der ich nicht genug bekommen kann: weil man dort die besten, schönsten, frischesten und grössten Tilapia-Fische geniessen kann.




Neujahr im Kittchen?

Bevor ich mich aber diesem Genuss zuwenden konnte, wartete einmal mehr eine “Polizei-Prüfung” auf mich, die ich offenbar wie die Motten das Licht anziehe. Anders als in Eldoret muss ich die braven Polizisten aber diesmal von Schuld freisprechen.
Wie erwähnt, ist die Landschaft im Westen Kenias grün und hügelig und deshalb auch dicht besiedelt. Mit anderen Worten: es gibt auf den Strassen viel Verkehr, besonders auch schwere Lastwagen mit Anhängern. Viele von ihnen stammen noch aus den Zeiten der britischen Kolonialisten. Diese Trucks sind nicht gerade überragend motorisiert und zudem immer heillos überladen. Das Loch runter schaffen sie spielend 60 km/std – manchmal mehr, vor allem, wenn ihre Bremsen versagen. Den Hügel hinauf hingegen lassen sie sich soviel Zeit, dass jeder Fussgänger sie spielend überholen kann. Hinter einem dieser Laster, der in den meisten Fällen auch noch dicke, schwarze Rauchwolken ausstösst, her zu kriechen, kommt gleich nach dem Fegefeuer. Auf dem Weg zu meinem geliebten Tilapia stand mir in den Hügeln zwischen Kericho und Kisumu eine dieser Schrottkisten im Wege, als ich mit einem guten 90 km/std-Schwung den Hügel hinab sauste und den LKW mit demselbigen Schwung beim bergauf fahren überholte. Oben stand dann die Polizei und winkte mich auf den Seitenstreifen.
“Wieso hast du den Truck überholt?” war die erste Frage.
“Weil er so langsam gefahren ist!”
“Da ist aber eine durchgezogene gelbe Linie. Was denkst du, wofür die da ist?”
“Damit man weiss, wo die Strassenmitte ist”, war meine Antwort (Tucholsky lässt grüssen).
“Und wieso überfährst du die durchgezogene Linie?”
“Na, ich habe gedacht, ich fahre wie die Kenianer.”
“Du sollst aber nicht wie die Kenianer fahren! Aber ich will nicht, dass du an Neujahr im Gefängnis sitzt.”
“Das lässt sich sicher mit einem kleinen Geschenk regeln,” meinte ich.
“Ja, da hast du recht. Aber sei nicht zu geizig!”
Für solche Fälle, die in Kenia alltäglich sind, habe ich in meiner rechten Gesässtasche immer drei-, vierhundert Schillinge. Die grösseren Beträge sind in der linken Gesässtasche.
Also holte ich die vierhundert Schillinge hervor und reichte sie meinem Gegenüber. “Mehr habe ich nicht. Ich muss zuerst wieder zum Geldautomaten,” vertröstete ich den Polizisten. Er kannte die Tricks und lachte. “Gute Fahrt. Und fahr nicht wie ein Kenianer.”
Ja, dachte ich, oder lass dich zumindest nicht erwischen.

Vergangene Grösse

Jedes Mal, wenn ich in Kisumu bin - vielleicht alle ein, zwei Jahre mal - besuche ich den alten Hafen, der, obwohl
total verfallen und buchstäblich tot, immer noch ein Flair vergangener Grösse ausstrahlt. Das liegt nicht zuletzt an
den alten Schiffen, die seit 2002 immer mehr vergammeln und vor sich hinrotten. Die NV Nyanza war ein stolzer Kahn, der in 1905 in England gefertigt wurde. Man verpackte ihn in tausende von Kisten und schiffte bzw. fuhr diese nach Kisumu, wo die Nyanza zusammen gebaut wurde und 1907 ihren Dienst aufnahm, den sie fast 100 Jahre lang versah. Das kleinere MV Reli teilt das gleiche Schicksal und ist inzwischen zur Hälfte im Hafenbecken abgesoffen.








Kisumu ist eine quicklebendige aber wenig aufregende Stadt, die zu den am schnellsten wachsenden Kenias gehört. Überall werden vielstöckige Häuser errichtet und Geld scheint keine grosse Rolle zu spielen – zumindest für Bautätigkeiten scheint genügend vorhanden zu sein.
Wie ich bereits schrieb, gibt es für mich in Kisumu eigentlich nur ein Ziel: die vielen Fischrestaurants am See unten (Google Maps nennt sie Fried Fish Kiosks). Man erreicht sie, indem man der Oginga Odinga Road bis ans Ende folgt. Es sind rund ein Dutzend windiger, zum Teil zweistöckiger Baracken. Am Eingang liegen auf einem Holzgestell Tilapias aller Grösse und der Kunde kann sich den ihm zusagenden aussuchen. Die Köchin schmeisst ihn dann in kochendes Oel und nach wenigen Minuten ist er knusprig gebraten und wird, zusammen mit Ugali (pfui Teufel) und Spinat oder SukumaWicki (ebenfalls p.T.) serviert.











“Schau heimwärts, Engel”

Thomas Wolfes berühmter Roman diente mir dazu, auch heimwärts zu schauen – nach Nanyuki. Noch immer habe ich, nach den fast zwei Jahren, die ich dort gewohnt habe, eine starke Bindung zu der kleinen, übersichtlichen und angenehmen Stadt am Fusse des Mount Kenya. Noch immer habe ich liebe Freunde dort und wenn ich, nach einem Jahr Unterbruch, heimkomme, ist es, als sei ich nie weg gewesen. Ein richtig schönes Heimatgefühl, das mir so selbst im sonst heiss geliebten Appenzellerland abgeht.
Na denn, auf nach Nanyuki. Eine schöne Fahrt von Nakuru über Nyahururu und Njeri nach Nanyuki – mit einem kurzen Halt an den Thompson’s Falls, wo ich, wie seit Jahren, meine alte Freundin Wanjui traf und sie, zum hundertsten Mal, fotografierte. Sie ist auch meiner Tochter und ihrem Mann ein Begriff, denn als wir 2011 in Thompson’s Falls waren und Wanjui erfuhr, dass Verena und Dani kinderlos seien, meinte sie grosszügig “ihr könnt eines von meinen haben...”








Und nun bin ich also “zuhause”, sitze in meinem alten Cottage, mit offener Stubentür. Die Sonne knallt vom Himmel und im Garten singen die Vögel. Ein kleines Paradies auf Erden.
Letzte Änderung: 10 Jan 2016 17:32 von Mzeekenya.
Der Administrator hat öffentliche Schreibrechte deaktiviert.
Folgende Benutzer bedankten sich: Bazi, Hanne, casimodo, Fluchtmann, Cornelia, peter 08, Andrea 1961, lilytrotter, Topobär, bilo und weitere 13
10 Jan 2016 16:36 #414213
  • Botswanadreams
  • Botswanadreamss Avatar
  • Beiträge: 1662
  • Dank erhalten: 1939
  • Botswanadreams am 10 Jan 2016 16:36
  • Botswanadreamss Avatar
Herzlichen Dank fürs Mitnehmen Mzeekenya.

Es ist immer hoch interessant abseits der Touristen Informationen zu bekommen. Ich hoffe, dass es eine Fortsetzung geben wird.

LG und schöne Zeit
Christa
www.botswanadreams.de

"Alles, was ich jetzt wollte, war nach Afrika zurückzukommen. Ich hatte es noch nicht einmal verlassen, aber wenn ich nachts aufwachte, lag ich lauschend da, bereits voller Heimweh danach."
Ernest Hemingway
Der Administrator hat öffentliche Schreibrechte deaktiviert.
Folgende Benutzer bedankten sich: Mzeekenya
10 Jan 2016 16:47 #414217
  • Bazi
  • Bazis Avatar
  • Allegra
  • Beiträge: 2721
  • Dank erhalten: 296
  • Bazi am 10 Jan 2016 16:47
  • Bazis Avatar
Interessanter und spannender Bericht. Freu mich schon auf die Fortsetzung.
LG
Bazi
Der Administrator hat öffentliche Schreibrechte deaktiviert.
10 Jan 2016 16:49 #414218
  • Mzeekenya
  • Mzeekenyas Avatar
  • Beiträge: 526
  • Dank erhalten: 1399
  • Mzeekenya am 10 Jan 2016 15:33
  • Mzeekenyas Avatar
Botswanadreams schrieb:
Ich hoffe, dass es eine Fortsetzung geben wird.
LG und schöne Zeit
Christa

Hallo Christa,
... ja, ist vorgesehen - sofern ich die nächsten zwei Monate überlebe. Morgen gehts zuerst ins Buffalo Springs Reservat, dann in den Samburu. Die Samburus sollen die beiden Parks mit ihren Rindern, Ziegen und Schafen vollständig erobert haben!
Gruss aus Nanyuki, M.
Der Administrator hat öffentliche Schreibrechte deaktiviert.