THEMA: Buchbewertung "Africa" von Michael Poliza
25 Jun 2009 17:24 #105732
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  • holger am 25 Jun 2009 17:24
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Ich habe mir zum Geburtstag, der schon etliche Wochen zurückliegt, den 98 EUR teuren Bildband \"Africa\" von Michael Poliza schenken lassen.
Das 408 Seiten starke, mit 28,5cm x 37cm überdimensionale und immerhin knapp 5kg schwere Buch darf sich getrost \"Bildband\" nennen. Die scheinbar grenzenlose Begeisterung des Internets konnte ich bei der ersten Durchsicht weitgehend, aber nicht ganz nachvollziehen. Um festzustellen, was mich genau stört, habe ich erst einmal das Buch technisch nüchtern betrachtet.


\"Africa\" teilt sich auf in:

S. 4 bis S. 33: Vorwort in fünf (!) Sprachen
S. 33 bis S. 393: Bilder im doppelseitigen Format
S. 394 bis S. 406: Bildnachweis mit fotografischen Informationen (Verschlusszeit, Blende, Brennweite)
S. 407: eine topografische Karte Afrikas
S. 408: Copyright-Gedöns

Der Käufer erhält 180 teilweise sehr beeindruckende Bilder.

Was macht ein beeindruckendes Bild aus? Aus meiner Sicht sind drei Faktoren maßgeblich:

* ein ungewöhnlicher Ort
* eine ungewöhnliche Brennweite
* eine ungewöhnliche Perspektive

Der Punkt \"ungewöhnlicher Ort\" relativiert sich, da wir alle schon in Afrika gewesen und alle möglichen und unmöglichen Tiere vor unsere Kameras bekommen haben.

Bleiben die Punkte \"ungewöhnliche Brennweite\" und \"ungewöhnliche Perspektive\".

Zur \"ungewöhnliche Brennweite\" schöpft Poliza aus einer Bandbreite von 16mm - 1200mm (!). Ich habe mir die Mühe gemacht, die technischen Daten der Bilder einmal auszuwerten und sie in Bereiche zusammenzufassen, die bei (Nicht-)Hobbyfotografen ebenfalls im Gepäck mitgeführt wird (oder auch nicht).

Brennweite 16-27mm: 10
Brennweite 28-299mm: 63
Brennweite 300-499mm: 33
Brennweite 500-799mm: 12
Brennweite 800-1000mm: 42
Brennweite > 1001mm: 13
ungekennzeichnet:7


Davon ausgehend, dass die meisten hier im Forum nicht weniger als 28 und mehr als 800mm Objektivbrennweite nutzen (ca. 40% der Bilder), war mein erster Gedanke: \"Equipment hilft doch!!\" und die fotografische Leistung von Poliza relativiert sich aus meiner Sicht deutlich.


Poliza kann bei dem Punkt \"ungewöhnliche Perspektive\" durch zahlreiche Luftaufnahmen punkten, also Ansichten, die der fotoverwöhnte Afrikareisende nicht so häufig zu Gesicht bekommt.


Bewertung der Bilder

Als Fotonarr habe ich mir die Bilder besonders genau angeschaut. Davon ausgehend, dass ich mir Bilder zuhause auf meinem 24\"-Monitor anschaue und viele Bilder bereits auf meinem A1-Drucker gedruckt habe, fällt der \"Beeindruckungsfaktor Bildgröße\" weg und ich kann mich auf die Bilder selber konzentrieren.

Viele Bilder sind wirklich atemberaubend. Das gilt vor allem bei allen Luftaufnahmen (z.B. S. 36/37 Elefanten im hohen Gras, S. 62/63 Gnus mit quer überfliegenden weißen Vögeln oder auch auf S. 82/83 die Büffelherde im Wasser und etliche andere). Gestochen scharfe Bilder, die die Umgebung mit einer erheblichen Stofflichkeit abbilden. Dabei muss Schärfe kein Qualitätsmerkmal sein und Unschärfe kann durchaus als Stilmittel beeindrucken, wie z.B. der Kingfisher auf S. 64/65 oder die galoppierenden Zebras S. 78/79, die gerade durch die Unschärfe eine beeindruckende Dynamik entwickeln.

Einige Bilder gleiten aus meiner Sicht allerdings in einen eher banalen und durchschnittlichen Bewertungsbereich ab. Dazu zähle ich Bilder, die jeder Afrika-Reisende mit einer halbwegs vernünftigen Kamera schießen kann und die zur Standard-Bildausbeute gehören. Dazu zählen aus meiner Sicht Bilder wie z.B. der Sonnenaufgang am Okavango Delta (S. 34/35), den Elefantenrüssel auf S. 106/107 oder die Bäume in der Sossusvlei S. 244/245. Hier wird nur durch das beeindruckende Bildformat gepunktet.

Dann kommen die Ausreißer, bei denen mir unklar ist, wie sich ein Michael Poliza hat hinreißen lassen, sie in den 98 EUR teuren Bildband aufzunehmen. Schaue ich mir beispielsweise das Leopard Close-Up (S. 56/57) anschaue, fällt mir nur der Begriff \"erbärmlich\" ein. Es handelt sich dabei garantiert um eine Ausschnittsvergrößerung, die derart klein gewählt wurde, dass das Bildformat des Buches alle Qualitätsgrenzen schlicht sprengt. Das Bild ist schlicht pixelig. Dasselbe gilt für den Elefanten (S. 40/41) oder auch den Elefant im Wasser (S. 58/59).

Fazit
Eines ist klar: Michael Poliza versteht sein Handwerk. Alle Motive sind technisch einwandfrei und sehr viele Motive sind einmalig schön und bewundernswert. Das Format des Buches ist außerordentlich und liefert seinen Beitrag zu dem Gesamteindruck. Fraglich bleibt, wieso das eine oder andere Bild sich ins Buch geschlichen hat, die einen kleinen Schatten über den Gesamteindruck wirft. Ich persönlich finde den Kaufpreis von 98 EUR nach der Bewertung sehr grenzwertig.
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Letzte Änderung: 25 Jun 2009 17:26 von holger.
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25 Jun 2009 17:43 #105737
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  • suricata am 25 Jun 2009 17:43
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Hallo Holger,

sich so einem Bildband anzunähern und ihn technisch zu sezieren ist schon sehr anspruchsvoll, aber manchmal auch hilfreich und sinnvoll.

Wir haben dies Buch auch zuhause und ich stimme Dir uneingeschränkt zu, dass einige dieser 180 Foto´s \"grenzwertig\" sind.

Deinen drei Bewertungskriterien

* ein ungewöhnlicher Ort

* eine ungewöhnliche Brennweite

* eine ungewöhnliche Perspektive

ist eigentlich nichts hinzuzufügen, auch wenn man immer nicht außer Acht lassen sollte, dass eine gute Aufnahme zu 20% das Equipment und zu 80% der Fotograf macht.

Gruß
Suricata
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25 Jun 2009 18:08 #105744
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  • Kokomiko am 25 Jun 2009 18:08
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Eine echte Rezension! Super, gute Idee und Danke! Ich habe das Buch auch. Gleicher Eindruck: Schöne Larve, aber bei näherer Betrachtung nix dahinter. Der redaktionelle Aufwand ist gering bis nicht vorhanden. Die drucktechnische Verarbeitung durchschnittlich bis unterdurchschnittlich. Für den geforderten Preis zu wenig geboten. Erinnert an die Kunstbücher vom Taschen-Verlag, der mit minimalem Aufwand, hohe Auflagen im großen Buchformat produziert. Gekauft, durchgeblättert, steht jetzt im Regal.
Gruß
Wolfgang
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25 Jun 2009 20:04 #105759
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  • Guido. am 25 Jun 2009 20:04
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Hallo Holger,
holger schrieb:
Was macht ein beeindruckendes Bild aus? Aus meiner Sicht sind drei Faktoren maßgeblich:

* ein ungewöhnlicher Ort
* eine ungewöhnliche Brennweite
* eine ungewöhnliche Perspektive

Alle 3 Faktoren kennzeichnet das Wort ungewöhnlich? Soll ich daraus schließen, dass nur ungewöhnliche Bilder beeindruckend sind? Die Logik erschließt sich mir nicht. Was ist denn noch wirklich ungewöhnlich, wenn man sich schon ein paar Jahre mit Fotografie beschäftigt und zigtausende Fotos gesehen hat?

Wenn ein Löwe mit 300mm frontal von vorne im Kgalagadi mit interessantem Gesichtsausdruck fotografiert wurde, dann kann das für mich ein absolut grandioses und beeindruckendes Foto sein - nach Deinem oben definierten Wertemaßstab aber überhaupt nicht. Weder ungewöhnlicher Ort, noch ungewöhnliche Brennweite und auch keine ungewöhnliche Perspektive. Dröges Foto. Darf nicht in Bildband erscheinen.
Zur \"ungewöhnliche Brennweite\" schöpft Poliza aus einer Bandbreite von 16mm - 1200mm (!). Ich habe mir die Mühe gemacht, die technischen Daten der Bilder einmal auszuwerten und sie in Bereiche zusammenzufassen, die bei (Nicht-)Hobbyfotografen ebenfalls im Gepäck mitgeführt wird (oder auch nicht).

Brennweite 16-27mm: 10
Brennweite 28-299mm: 63
Brennweite 300-499mm: 33
Brennweite 500-799mm: 12
Brennweite 800-1000mm: 42
Brennweite > 1001mm: 13
ungekennzeichnet:7

Einen Bildband danach zu beurteilen, mit welchen Brennweiten er geschossen wurde, kam mir noch nie in den Sinn. Ein gutes Foto wird für mich nicht schlechter oder weniger sehenswert, wenn ich weiß, das es mit gewöhnlichen 300mm statt ungewöhnlichen 1200mm geschossen wurde.
Poliza kann bei dem Punkt \"ungewöhnliche Perspektive\" durch zahlreiche Luftaufnahmen punkten, also Ansichten, die der fotoverwöhnte Afrikareisende nicht so häufig zu Gesicht bekommt.

Deswegen kauft man statt \"Africa\" vielleicht auch eher \"Eyes over Africa\" von Poliza. Das besteht nur aus Luftaufnahmen, die per se für unsereins immer ungewöhlicher sind (siehe aktuell auch der Film Home).
Ich persönlich finde den Kaufpreis von 98 EUR nach der Bewertung sehr grenzwertig.

Natürlich kann sich jeder seine eigene Meinung bilden und es wäre furchtbar, wenn wir alle den gleichen Geschmack hätten. Aber Deine teilweise sehr technikfixierten Kriterien und Deine Rezension insgesamt kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.

Und ansonsten scheiterst Du mit dem Buch vielleicht auch an einer überzogenen und unrealistischen Erwartungshaltung? Natürlich darf man für so einen Preis überzeugendes Bildmaterial erwarten. Aber von Ansel Adams stammt der schöne und treffende Spruch \"Zwölf gute Fotos in einem Jahr sind eine gute Ausbeute\". Es ist für mich einfach unrealistisch zu erwarten, dass man bei so einem Bildband mit knapp 200 Fotos, bei jedem einzelnen Foto neu vom Hocker fällt, weil das was völlig Ungewöhnliches, noch nie Gesehenes zeigt.

Neben überzeugendem Bildmaterial darf man bei dem Preis noch eine exzellente Druck- und Papierqualität erwarten. Ich habe noch eine Reihe an Bildbänden, aber keiner erreicht diese Qualität. Die fast 6 kg Gewicht, die jeder der beiden großen Poliza-Bildbände wiegt, kommen ja nicht zufällig zustande.

Mehrsprachige und englische Bücher sollte man auch nicht unbedingt in Deutschland kaufen. Bei Amazon UK gibt es beide Bücher seit Jahren inkl. Versand für umgerechnet 45-65 EUR (keine Buchpreisbindung, Wechselkurseffekte). Dafür bekommt man nach meiner Meinung einen exzellenten Gegenwert.

Beste Grüße

Guido
Letzte Änderung: 25 Jun 2009 20:08 von Guido.. Begründung: Fipptehler korrigiert.
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26 Jun 2009 13:01 #105862
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Guido. schrieb:
Was macht ein beeindruckendes Bild aus? Aus meiner Sicht sind drei Faktoren maßgeblich:

* ein ungewöhnlicher Ort
* eine ungewöhnliche Brennweite
* eine ungewöhnliche Perspektive

Alle 3 Faktoren kennzeichnet das Wort ungewöhnlich? Soll ich daraus schließen, dass nur ungewöhnliche Bilder beeindruckend sind? Die Logik erschließt sich mir nicht. Was ist denn noch wirklich ungewöhnlich, wenn man sich schon ein paar Jahre mit Fotografie beschäftigt und zigtausende Fotos gesehen hat?

Wenn ein Löwe mit 300mm frontal von vorne im Kgalagadi mit interessantem Gesichtsausdruck fotografiert wurde, dann kann das für mich ein absolut grandioses und beeindruckendes Foto sein - nach Deinem oben definierten Wertemaßstab aber überhaupt nicht. Weder ungewöhnlicher Ort, noch ungewöhnliche Brennweite und auch keine ungewöhnliche Perspektive. Dröges Foto. Darf nicht in Bildband erscheinen.
Vielleicht hätte ich das \"unter anderem\" hinzufügen sollen. Dinge wie Bildkomposition/Farben gehören sicherlich dazu, sind aber aus meiner Sicht selbstverständlich und ich hatte sie nicht erwähnt.
In der Tat sind wir alle mit Bildern aus dem Internet, TV und Printmedien (auch Bildbände) überflutet. Niemanden kann noch irgendetwas überraschen. Schau dir nur Flickr oder diverse Fotocommunities an. Letztlich bleibt mein Auge meistens an Bildern hängen, die eine dieser drei Faktoren entsprechen. Natürlich gibt es noch andere bemerkenswerte Bilder. Allerdings sind sie nicht so häufig zu finden.

Wenn du deinen Löwen (ich behaupte mal formatfüllend) mit einem 300mm Objektiv aufnimmst, dann bist du schon sehr nah dran :) und alleine diese Tatsache macht das Bild neben dem von dir angeführten Gesichtsausdruck/Lichtstimmung usw. zu etwas Besonderem.

Einen Bildband danach zu beurteilen, mit welchen Brennweiten er geschossen wurde, kam mir noch nie in den Sinn.
Das habe ich nicht getan. Irgendetwas hat mich gestört und so habe ich zunächst die technischen Aspekte betrachtet. Das ist mal ein anderer Blickwinkel. Die Bildauswahl und damit die Bewertung des Bildbandes kam im Anschluss.

Robert Caputo (schreibt viel für National Geographic) hat geschrieben: \"Die Fotografie besteht aus drei Elementen: dem Motiv, den technischen Vorgängen und der Ästhetik von Bildaufbau und Licht.\" Dass Poliza ein Sinn für die Ästhetik mitbringt, hatte ich mit dem Satz \"Poliza verteht sein Handwerk\" ausgedrückt, zugegebenermaßen recht schwach.

Robert Capa hat gesagt: \"Wenn deine Bilder schlecht sind, dann warst du nicht nahe genug dran.\". Jetzt sind die Bilder von Poliza alles andere als schlecht. Im Gegenteil. Die meisten sind mehr als gut!! Die Distanz hat Poliza mit (sündhaft) teurem Equipment verkürzt. Ich frage mich, ob er das auch hinbekommen hätte, wenn er dieses nicht zur Verfügung gehabt hätte. Oder anders formuliert: wäre dieser Bildband immer noch herausragend, wenn ambitionierte Hobbyfotografen dasselbe Equipment hätten? Diese Frage wird sich nicht beantworten lassen.

Und ansonsten scheiterst Du mit dem Buch vielleicht auch an einer überzogenen und unrealistischen Erwartungshaltung? Natürlich darf man für so einen Preis überzeugendes Bildmaterial erwarten. Aber von Ansel Adams stammt der schöne und treffende Spruch \"Zwölf gute Fotos in einem Jahr sind eine gute Ausbeute\". Es ist für mich einfach unrealistisch zu erwarten, dass man bei so einem Bildband mit knapp 200 Fotos, bei jedem einzelnen Foto neu vom Hocker fällt, weil das was völlig Ungewöhnliches, noch nie Gesehenes zeigt.
In der Tat stechen die meisten Bilder aus der großen Masse heraus. Umso interessanter finde ich die Frage, was sich ein Fotograf wie Poliza dabei gedacht hat, gewöhnliche Fotos oder pixelige Ausreißer in diesen Bildband aufzunehmen. Es sind nur einige wenige, die aber auffallen, gerade weil sie sehr gewöhnlich sind. Wollte Poliza den Band fülliger erscheinen lassen? Quantität ist nicht Qualität.
Mehrsprachige und englische Bücher sollte man auch nicht unbedingt in Deutschland kaufen. Bei Amazon UK gibt es beide Bücher seit Jahren inkl. Versand für umgerechnet 45-65 EUR (keine Buchpreisbindung, Wechselkurseffekte). Dafür bekommt man nach meiner Meinung einen exzellenten Gegenwert.

Danke für den Tipp!!!

Beste Grüße

Holger
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Letzte Änderung: 26 Jun 2009 13:02 von holger.
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